Gott spricht viele Sprachen

Predigttext: Kolosser 3, 12-17
Kirche / Ort: Friedenskirche, Wehr
Datum: 9. 05. 2004
Kirchenjahr: Kantate (4. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Mathias Bless

Predigttext: Kolosser 3,12-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

12 So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; 13 und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! 14 Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. 15 Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. 16 Laßt das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. 17 Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Gedanken zur Predigt

Muß man an Kantate überhaupt predigen? Oder wäre es nicht einmal schön, im Psalmodieren, Loben und mit Liedern den hymnischen Charakter auszukosten? An Kantate kann ich mir gut vorstellen, mit der Stimme und den Instrumenten zu predigen. Hanna Hartmann (Predigtstudien im christlich-jüdischen Kontext, hg. v. W. Kruse, 2003, zSt) macht auf das Stichwort der Schechina, der Einwohnung Gottes, aufmerksam. Musik als Form der Einwohnung auf der Erde – ein sehr glücklicher Gedanke! Auch die „Auffaltung“ in die weisheitliche Tradition und  die„ anmutige“ Weise der Einwohnung – sehr, sehr schön. Keiner weiteren Erklärung sollte es mehr bedürfen, die Verknüpfung von Ethik / Paränese und befreiender Botschaft vorzunehmen. Der oft konstatierte garstige Graben zwischen der Haustafelethik und dem Vers 16 ist wohl überlegt: Ein Lobpreis ohne lebensweltliche Folgen ist Schwärmerei, eine Ethik ohne Lob wird auf die Dauer Menschen „verbiestern“. Nicht unterschlagen will ich den Hinweis auf eine Traupredigt von Gerd Theißen ( „Liebe als Lebenszeichen – über die Unvollkommenheit des vollkommenen Bandes“); ich weiß nicht, ob sie mir „genügend Schmelz“ für eine Kasualpredigt hat; aber der Gedankengang ist großartig! „Ist Gott ein Romantiker?“ Oder: „Denn bevor wir uns in einer Ehe mit einem anderen verbinden, leben wir lebenslang in einer Ehe mit uns selbst – und das heißt mit einem notorisch unvollkommenen Menschen“.

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Liebe Gemeinde!

Kleider machen Leute

Ich habe meine Gartenkleider an – eine alte Hose, schon etwas verfleckt
und einen alten Pulli und die Gartenschuhe – da ruft mir ein Nachbar über den Gartenzaun zu: „Oh, Herr Pfarrer! Arbeiten Sie?“

Ich ziehe mich um für eine Beerdigung. Weißes Hemd, schwarze Hose, schwarzer Sacko… Und wenn ich in das Schwimmbad gehe, dann rein
in die kurzen Hosen und das T-Shirt. Kleider machen Leute. Meine
Kleider sind ein Ausdruck dessen, wer ich bin. Meine Kleider sind eine Beschreibung dessen, was ich grade erlebe und vorhabe. Business- Kleidung, Arbeitskleidung, Freizeit-Look, und zum SC Freiburg nur mit
dem Fan-Schal!

Ich weiß – in mancher Familie hat es in den letzten Tagen heiße Diskussionen und manches Machtwort gegeben: Was zieht ihr KonfirmandInnen bei der Konfirmation an? Muß es ein Rock sein? Und
die Schuhe… Wann darf ich die Krawatte abziehen – gleich nach dem Gottesdienst oder erst nach dem Mittagessen…

Kleider machen Leute. Meine Kleider sind ein Ausdruck dessen, wer ich
bin. Deshalb werden Jugendliche lautstark, wollen sich nicht für ein Fest,
für ihre Konfirmation, „verkleiden“. Da wird gestritten, gezofft, geweint.
Aber meine Kleider sind auch eine Beschreibung dessen, was ich grade erlebe und vorhabe. Was also ist das – festliche Kleidung?

Was ziehen Christen an?

Eine dumme Frage: Was ziehen Christen an? Erkennen wir Christen an
der Kleidung? Das Kreuz um den Hals vielleicht? Ach – wenn das doch
alle überzeugte oder auch nur angefochtene Christen wären…  Haben Christen einen besonderen Dress-Code? Laufen immer im schwarzen
Anzug rum…? Tragen einen Dutt als Frisur? Jesus-Sandalen als obligatorisches Schuhwerk? So seltsam, wie die Frage klingt, ist sie
nicht; sie führt uns mitten hinein in den heutigen Predigttext:

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und
Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut,
Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander,
wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben
hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist
das Band der Vollkommenheit.

Und der Friede Christi, zu dem ihr auch berufen seid in einem Leibe,
regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Laßt das Wort Christi
reichlich unter euch wohnen: lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn.

Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld, die Bereitschaft
und Fähigkeit, andere Menschen zu tragen und zu ertragen, Versöhnungsbereitschaft, Liebe, das sind nach Ansicht des
Briefeschreibers die angemessenen, heiligen Kleider für Christen.
Ein bisschen viel verlangt! Meine nicht nur ich. Das geht vielleicht noch meinem Freund, meiner Freundin gegenüber, meinem Mann, meiner Frau. Und selbst da gelingt es mir auch nicht immer. Aber allen Menschen so begegnen? Ein bisschen viel verlangt!

Der Traum einer lebenswerten Welt

Obwohl – in so einer Welt würde ich gerne leben. Einer Welt, in der mir
die Menschen freundlich begegnen. In einer Welt, in der meine Fehler –
auch wenn sie mir zum zweiten oder dritten Mal unterlaufen – mit Geduld getragen und ertragen werden. In so einer Welt müsste es gut sein, in der ich keine Angst haben muß; in der ich ehrlich und offen leben kann, weil
die Kinder und Jugendlichen, die Männer und Frauen und auch die Altgewordenen mir friedlich entgegentreten. Menschen, die so viel erlebt haben – Schlechtes und Gutes – und die nicht verbittern. Kein Versteckspielen mehr, dafür ein liebevolles Umgehen mit meinen Stärken und Schwächen und ein Lachen, das mich ansteckt und alles wieder zurechtrückt. Keine Chefs mehr, die mich fühlen lassen, dass sie oben,
ich aber unten bin. Menschen, deren Lachen mir schon am frühen Morgen den Tag leuchten lässt. Und – ehrlich gesagt – wenn ich mir diese faszinierende Welt anschaue, dann will ich gerne dazugehören.

Ich gehöre schon dazu. Sagt der Briefeschreiber. Du gehörst auch schon dazu. Sagt der Briefeschreiber. Denn mit uns hat Gott etwas vor. Er hat
uns schon längst zu etwas ganz Besonderem gemacht. Er hat uns schon längst in sein Herz geschlossen. Er hat uns schon längst zu sich und an sich gezogen.  Auserwählte, Heilige und von Gott Geliebte sind wir! Sagt zumindest der Briefschreiber.

Über die Vollkommenheit der Unvollkommen

Ich gestehe – meine Skepsis ist groß. Und ich will gar nicht die Welt bezichtigen, dass sie ach so böse sei. Ich will gar nicht larmoyant den Zustand unserer Gesellschaft analysieren, um die Hochschätzung des Briefeschreibers zu widerlegen. Das wäre zu billig. Ich nehme mich als Versuchskaninchen. Und schaue mich an. Und habe meine
Schwierigkeiten. Mit solchen Menschen wie mir soll so eine Welt
geschaffen werden?

Nein, jetzt nicht wegrennen… Sondern dem Gedanken standhalten. Und ernstnehmen, wer ich bin! Also lassen wir einmal zu, dass der Briefeschreiber etwas Wichtiges, etwas Göttliches erkannt hätte. Dann…
ja, was könnte mich so berühren, dass ich mich entwickeln kann, was müsste geschehen, dass ich näher an die Welt komme, von der ich
träume?

In wenigen, in seltenen Momenten, da lebe ich in dieser Welt. Da weiß
ich mich in ihr zuhause. Wenn ich glücklich bin. Wenn ich berührt bin von Liebe. Dann wird in mir still, was an mir nagt. Dann verwandle ich mich. Werde ich fähig zu großer Großzügigkeit. Kann lachen und weinen. Kann mir meine Fehler verzeihen. Auch die der Anderen. Dann bekomme ich Zutrauen.

Ja – wenn ich geliebt werde, bekomme ich Zutrauen zu mir. Kann mich akzeptieren. In meinen Grenzen. In meinen Unmöglichkeiten. Und in
meinen Fähigkeiten. Dann werde ich sogar weitherzig meinem Perfektionismus gegenüber. Weil ich geliebt werde, so wie ich bin. Das
ist klasse! Ich denke, alles hängt daran, dass wir Gott ernst nehmen.
Und dass er uns lieb hat. Daß er uns bei sich haben will als Heilige.
Das macht unsere Vollkommenheit aus: Wir sind es Gott wert, dass er
uns liebt. Dass er sich von nichts an uns abschrecken lässt. Das macht jene neue, faszinierende, geträumte Welt möglich.

Singen – eine Schwingung, welche die Welt umspannt

Ich habe vorhin gesagt: In wenigen, in seltenen Momenten, da lebe ich in dieser Welt. Da weiß ich mich in ihr zuhause. Wenn ich glücklich bin.
Wenn ich von Liebe berührt bin. Ich gestehe, manchmal geht es mir auch so, wenn ich Musik höre. Oder selber singe. Und ein Ton, den ich höre,
und der Klang einer Stimme macht mich ganz still. Ich bekomme neue
Kraft. Oder – die Oboe spielt, und ich könnte weinen. Oder die Bach-Trompete schmettert ihren Jubel hinaus in die Weite, und alles Schwere fällt von mir ab. Oder der Kontrabaß zupft ein Pizzikato, und
mein Fuß fängt an zu tanzen, obwohl ich gar nicht tanzen kann.

Ich glaube, Gott spricht viele Sprachen. Vielleicht gehören Sie zu den Menschen, die gerne mit Sprache umgehen – ich wünsche Ihnen, dass
Gott Sie durch eine neue, kreative Sprache erreicht. Und Menschen, die gerne schauen – ich hoffe, dass Sie ein Bild fesselt und in Bewegung
bringt. Und Menschen, die gute Ohren haben – ich wünsche Ihnen von ganzem Herzen, dass Sie sich einschwingen können in einen Ton, der
Sie erreicht, Sie mitnimmt und ganz der Ihre ist. Einen Ton, der nicht von dieser Welt ist. Einen Ton, in den sich Gott eingekleidet hat. Ein Ton, geboren im Himmel. Uns geschenkt von Menschen, zuhause auf der
Erde, versöhnt er unseren Verstand und unser Herz. Ein Ton, der – im Erklingen – Gott selbst „Danke!“ sagt.

Amen

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