Das Beten neu intensivieren

Predigttext: 1. Timotheus 2,1-6a
Kirche / Ort: St. Stephanus Lübeck
Datum: 16. 05. 2004
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pastor Heinz Rußmann

Predigttext: 1. Timotheus 2, 1-6a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung,

Exegetische Informationen und Überlegungen zur Predigt

1) In der Zeit nach dem Apostel Paulus ist damals wahrscheinlich ein gewisses Autoritätsvakuum in der heidenchristlichen Kirche entstanden. Der anonyme Verfasser der Briefe an Timotheus und Titus schreibt deswegen diese Briefe, um die Gemeinden zu stabilisieren. Er folgt nach heutiger Forschung der Tradition und den echten Anliegen des Paulus. Der Apostel wird legitim aktualisiert! Was Ämter und Ordnungen der Gemeinde betrifft, denkt er bei sich ausbreitender Kirche über Paulus hinaus und bereitet den Frühkatholizismus vor. Auf jeden Fall liegt wie bei Paulus ein großartiger Heilsuniversalismus dem Ausschnitt aus dem Timotheusbrief zu Grunde. Deswegen enthält die Gemeindeordnung des Textes neben einem allgemeinen Aufruf zum Gebet für alle auch eine auffällige ausdrückliche Hinwendung zur Völkerwelt und ihren Regierungen. Nach Harald Hagermann (Exegese in: Gottesdienst-Praxis) ist den Christen - jetzt der Gebets-Weltdienst aufgetragen in einer Welt heidnischer Religionszerrüttung. Dabei folgen die Christen übrigens einer alten jüdischen Tradition ( z. B. Philon ). - Dem frühjüdisch-monotheistischen Bekenntnis wird jüdischer Tradition folgend Gott, dem Schöpfer, ein Schöpfungsmittler zur Seite gestellt: Im Judentum die Weisheit bzw. später die Engel. Für die Christen ist dagegen im ersten Timotheusbrief Jesus Christus der Mittler. In den Versen 5 und 6 nimmt der Verfasser wahrscheinlich ein älteres christliches Bekenntnis auf. - Unser Text folgt einer frühjüdischen Tradition und Paulus, welche die vorhandene politische Gewalt und Ordnung als gottgegeben bejahten. Paulus vertritt in Röm 13 u. ö. diese Tradition, damit die Christen nicht als Umstürzler erscheinen. Gerade dadurch werden die Christen zwar das Martyrium nicht vermeiden können, aber sie hoffen, dass letztlich dabei Christus den Sieg erringen wird. (Jesus selbst sagte dagegen sehr viel dialektischer: Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was ihm zusteht, Mt 22,21.) 2) Zum Sonntag Rogate und zum Text finde ich eine überraschend aktuelle Predigt vom früheren Hamburger Pastor, Dozenten und Pastoralpsychologen Dr. Gunnar von Schlippe, der die Probleme des modernen Menschen mit dem Beten in einem Zusammenhang mit der typischen Einsamkeit unserer Zeitgenossen sieht. Dies könnte in der Predigt mitthematisiert werden.

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Liebe Gemeinde!

Stellvertretend für andere beten

Betet für alle Menschen! Das ist die Botschaft der Bibel für uns heute! Stellvertretend sollen wir für alle beten. Diese Aufforderung ist deswegen so aktuell, weil der typische Mensch heute nicht beten kann, in viel Trubel lebt und dabei einsam ist. Er hat keine Beziehung zu Gott und deswegen keine echte Beziehung zu anderen Menschen. Wer zu Gott, dem Vater von Jesus Christus, betet oder zu Jesus selbst, verbreitet gewöhnlich eine heilende Atmosphäre. Deswegen sagen manchmal Atheisten zu befreundeten Christen: Bete für mich! Sie meinen damit wohl, dass sie selbst sich nicht zu Gott aufmachen können, aber dass unser Gebet sie sozusagen Huckepack auf dem Rücken mitträgt.

Wer betet, wird selbst getröstet und vor allem, er bekommt zuerst den Blick zu Gott und dann zum Nächsten. Ich stelle mir vor, dass auch der barmherzige Samariter zuerst innegehalten, in irgendeiner Weise gebetet hat, bevor er dem Feind half. Deswegen werden wir aufgefordert, für alle zu beten.

Betet für die Menschen, die Ihr gut findet und liebt, aber auch für die Menschen, mit denen Ihr Schwierigkeiten habt! Und für die, welche vielleicht mit Euch Schwierigkeiten haben! Betet für die Einsamen!

Ein Glück, wenn wir beten können

Leider lehnen viele Zeitgenossen das Gebet ab, ja verspotten es als Unsinn! Der frühere Jugendmissionar Pastor Wilhelm Busch traf einmal auf einen jungen Atheisten, der das Beten sogar verhöhnte. Alle Argumente von Pastor Busch wurden lächerlich gemacht. Darauf machte der Pastor etwas sehr Riskantes. Er sagte zum ungläubigen jungen Menschen: Ich gebe Dir diesen Geldschein, wenn Du versprichst, nie zu Gott zu beten, weder in Glück oder Leid, nicht bei schweren Entscheidungen noch bei Lebensgefahr der Menschen, die Du liebst. Abgemacht! – Nach einigen Monaten hatte der Atheist endlich Pastor Busch wiedergefunden und gab ihm aufgeregt den Geldschein zurück, um von seinem Versprechen entbunden zu werden.

Es ist ein großes und nachhaltiges Glück, wenn wir beten können! In glücklichen aber auch in schweren Tagen gibt es unendlichen Halt und Sinn! Ohne dass man an den gütigen Gott, den Vater von Jesus Christus denkt, kann man eigentlich keine Zeitung lesen und keine Tagesschau im Fernsehen anschauen. Wer zu Gott betet, kann das Furchterregende bewußt wahrnehmen, ohne verrückt zu werden oder untätig zu erstarren. In der Nazi-Zeit hat deswegen der Dichter Jochen Klepper gesagt: Nur den Betern kann es noch gelingen!

Wirklich für alle beten?

Unser Bibelwort aus dem Timotheusbrief fordert uns auf, für alle, d. h. auch für Feinde und Tyrannen zu beten. Das ist sehr anstößig, aber auch sehr aktuell. Viele Zeitgenossen brauchen, ja gebrauchen und benutzen Religion nur noch als Meditation und als Suche nach einem inneren Seelenfrieden. Der Dalai Lama und ähnliche Glücksversprecher verkünden innere Einkehr auf sich selbst und ohne Gott.

Christen aber sind aufgefordert, für alle zum alles umfassenden und gütigen Gott zu beten! Leicht gefordert und schwer getan! In der Zeit der DDR stellte sich für Christen die Frage, ob man auch für Ulbricht und Honecker und ihre Handlanger beten sollte.

Soll man heute für alle Terroristen, Machthaber und Mobbing-Tyrannen beten? Jesus und das Neue Testament rufen uns zu: Es ist der einzige Weg! Dazu ein Beispiel: Ein Jugendlicher und Konfirmand aus zerrütteten Familienverhältnissen machte dem Pastor die größten Schwierigkeiten. Zutiefst bösartig und hinterhältig war er, und der Pastor war mit allem Drohen und Ermahnen am Ende und hilflos. Ein seelsorgerlich erfahrener Freund und Christ riet dem Pastor: Versuche doch mal, für ihn zu beten! Als dann etwas Passierte, wofür sich der Jugendliche beim Pastor offensichtlich entschuldigen musste, konnte der Pastor mit ihm reden wie mit seinem eigenen Sohn und alles wurde zum Guten ganz anders!

Beten für alle Menschen um Christi willen

Jesus hat uns aufgefordert, für andere zu beten. Er gibt uns die Motivation und Energie dazu. Wir beten als Christen um Christi willen für alle Menschen. Christus hat sein Leben für uns dahingegeben, um uns mit Gott zu verbinden. Deswegen ist er der Mittler. Dieser Glaube an Christus als den Mittler ist heute für uns Christen ganz aktuell und wichtig. Jesus verbindet uns mit dem allmächtigen Gott! Wieviele Christen und Theologen angefangen bei Paulus haben ihre Hauptaufgabe darin gesehen, ihren Mitmenschen Jesus als Christus lebendig und mit leuchtenden Augen vorzustellen.

Jesus als wahrer Mensch vertritt als Stellvertreter die ganze sündige Menschheit vor Gott. Als zu Gott Auferstandener vertritt er den heute schwer faßlichen Gott vor uns Menschen. So ähnlich meint es auch der Timotheusbrief. Jesus ist Mittler und Vermittler. Er vermittelt zwischen Gott und uns Menschen. Er vertritt gleichzeitig die Menschen vor Gott und Gott vor den Menschen, verhandelt und vermittelt den Frieden zwischen Gott und uns.

Jesus führt uns zu Gott! Jesus macht es uns leichter, an Gott zu glauben, ihm zu vertrauen und zu ihm zu beten. Heute werden wir Christen von Juden und Moslems und Zeitgenossen gefragt, ob wir nicht mehr Monotheisten seien, sondern an zwei oder mit dem Heiligen Geist an drei Gottheiten glauben. Genau besehen kann aber keine monotheistische Religion auf Mittler verzichten. Ein ganz reiner, abstrakter Glaube an den einen Gott wäre im Kern die Verehrung der Zahl eins. Wir brauchen Vermittlung! Wie gut, dass wir Christen Jesus Christus als Vermittler des einen Gottes haben. Nach der schönen und aktuellen Formulierung von Hans Küng glauben wir: „Gott selbst wird durch Jesus Christus offenbar im Geist“. Wie schön ist es, dass wir durch Jesus zu Gott beten können. Es macht im Grunde keinen Unterschied ob wir zu Gott oder zu Jesus beten. Denn Gott hat seit Christus ein menschliches Angesicht!

Beten ist wirksam

Bedenken wir: Beten ist sehr wirksam! Man hört heute häufig den Slogan, dass Beten noch kein einziges hungriges Kind satt gemacht hat. Aber wenn man gedankenlos ist und nicht betet oder innerlich immer nur empört ist über die Ungerechtigkeit der Menschen, wird ein hungriges Kind auch nicht satt. Viele Beter aber sprechen mit Gott, um dann etwas für die Hungerleidenden zu tun.

Beten ist auf jeden Fall sehr wirksam! In amerikanischen wissenschaftlichen Experimenten wurde von einer Gruppe engagierter Christen für einen ausgelosten Teil von Herz-Infarkt Patienten gebetet. Das überraschende Ergebnis: Unabhängig davon, ob die Kranken von diesem Gebet wußten, wurden diejenigen schneller gesund, für die gebetet wurde.

Wir sollten das Beten neu intensivieren. Am Morgen kann man Gott danken für den Trost in dunkler Nacht; mittags, dass Gott uns ernährt; abends für alles, was uns trotz aller Widrigkeiten und Probleme des Alltags gelingen konnte. Vor allem sollten wir die Fürbitte füreinander erneuern. Unter jedem Dach ein Ach, und jeder von uns hat seine Last und sein Kreuz zu tragen. Betet füreinander als Christen! Und denkt daran: Euer Pastor/Eure Pastorin betet für Euch! Vergeßt bitte nicht das Gebet, auch für Euren Pastor/Eure Pastorin!

Amen

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