Wahrheit für alle

Predigttext: 1. Timotheus 2,1-6a
Kirche / Ort: Providenz-Kirche / Heidelberg
Datum: 16. 05. 2004
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrerin Eva Loos

Predigttext: 1. Timotheus 2, 1-6a (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung.

Zugang zum Predigttext

Die Predigt selbst ist der Zugang zum Text. Sie setzt kein anderes Wissen darüber voraus. Das von der Gemeinde Gehörte wird versucht mit  verschiedenen Worten und Bildern lebendig werden zu lassen. Dabei wird heutige Erfahrung zum Verstehenshintergrund.

Gebet

Um Erkenntnis der Wahrheit darum allein bitten wir nicht für uns allein für alle für alle Menschen für alle die leben und für alle die schon gestorben sind und für alle die noch geboren werden Dir Gott klagen wir das unaussprechliche Leid das Menschen einander zufügen Der Glaube an dich nimmt Schaden Bilder bringen ans Licht was Worte verhüllen sollen Die Wahrheit erschreckt uns Unser Mut wird klein die Hoffnung verlässt uns Ein Leben reicht nicht aus die Namen zu nennen Lass nicht zu dass auf Dauer die Freude an der Schönheit deiner Schöpfung der Gier nach Geld und Macht zum Opfer fällt Höre auf uns höre unser Gebet Amen

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Liebe Gemeinde,

Einfache und klare Ermahnung?

die Ermahnung ist einfach und klar. Ich will sie mit eigenen Worten
wiederholen. Der  Einfachheit halber beginne ich mit dem Satz auf den alles zuläuft: Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, darum vor allem anderen ist Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung zu tun für alle Menschen, für die Könige und Vorgesetzten, damit wir ein ruhiges Leben führen können, denn so will es Gott unser Heiland.

Was so einfach und klar scheint auf den ersten Blick zeigt seine
Schwierigkeiten im Tun. In dem ich versuche die Worte zu wiederholen, entstehen mir Ungereimtheiten, Unklarheiten und Fragen. Um zu tun, was Gott will, bedarf  Gott unserer Bitten, Gebete, Fürbitte und Danksagungen? Unser Gebet für alle anderen, die Könige und weltlichen Autoritäten eingeschlossen.

Einen Satz hatte ich bei der Wiederholung mit eigenen Worten
ausgelassen. Ich zitiere ihn: „Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Jesus Christus.“ Nun haben wir erstmal den ganzen Text. Auf den ersten Blick eine einfache Ermahnung zur Fürbitte, die bei näherem Betrachten Fragen über Fragen aufwirft.

Bedarf Gott wirklich unseres Gebets?

Eben die Frage, die sich mit jedem Gebet stellt. Bedarf Gott wirklich unseres Gebets um tun zu können, was Gott tun will? Und die gleiche Frage lässt sich auch im Hinblick auf die Rolle Jesu stellen. Braucht Gott einen Vermittler zwischen sich und uns? Keine Frage: Fürsprache ist eine tolle Sache.  „Würdest du das für mich tun, könntest du dich für mich einsetzen, das wäre super.“ Und wenn das dann jemand vielleicht noch mit Erfolg für uns getan hat, dann sind wir ihr von Herzen oft ein Leben lang dankbar.

Also von der Qualität der Sache selbst sind wir zutiefst überzeugt soweit es unsere menschlichen Angelegenheiten betrifft. Wer sich bei anderen für jemand verwendet, legt so etwas wie ein Bekenntnis für sie ab, steht zu ihm.  Das setzt viel voraus. Das also sollen wir, die christliche Gemeinde, für alle anderen Menschen Gott gegenüber tun. Wir, als christliche Gemeinde, sollen  uns bei Gott für alle anderen verwenden, sogar für, wie man heute sagen  würde, für die oberen Zehntausend. Also keine und keinen vergessen oder ausschließen. Und das alles weil……. ja weil wir Christen sind oder um Christi willen, den Mittler zwischen Gott und Mensch.

Gott will von uns gebeten werden

Ich lasse, die oben aufgeworfenen Probleme und Fragen mit Gott und was  Gott will und kann oder auch nicht, beiseite und bleibe bei der Sache selbst: sich für andere verwenden ohne Ansehen der Person, eben für alle, sogar für die oberen Zehntausend. Das ist es jedenfalls, was Gott von uns bei Gott will und wozu uns Timotheus ermahnt. Ich will es mit anderen Worten sagen: Gott will von uns gebeten werden. Das ist nun eine weitere auch unter uns Menschen bekannte Sache. Es gibt Menschen, die tun nicht einfach ungefragt etwas, die warten, bis sie gebeten werden. So soll das auch mit Gott sein. Gott wartet auf unsere Bitten. Gott wartet. Gott will zuerst uns hören, anhören.

Menschen, die bevor sie handeln erst hören, ja sogar erst einmal anhören, sind eine Wohltat. „Wir wurden nicht gehört.“  Wie oft sagen diesen Satz  immer mehr Menschen. Es scheint als wäre bei Entscheidungen, die Stimme derer, die davon betroffen sind, am allerunwichtigsten. Unbeeindruckt von Bitten werden Entscheidungen gefällt. Jahrelange Mitarbeit hat da kein Gewicht. Zeit ist knapp, Zeit ist Geld, und sie wird auch die Wunden heilen.  Das tut sie nicht. Das Ungesagte und das Ungehörte verschwinden nicht, allenfalls verwandelt es sich. In Resignation, in Trauer, in Hass.

Gott schätzt einen solchen Umgang mit uns nicht. Gott will, dass wir reden, Gott will uns hören. Von uns lässt sich Gott ins Bild setzen über das, was unter uns vorgeht. Kein Wunder kann Paul Gerhardt singen: Lobet den Herren, der alles so herrlich regieret. Wo gibt es einen vergleichbaren unter den Herren der Welt. Diese haben zuallererst ihre Sprecher, ihre Regierungssprecher, die Sprecher der Geschäftsleitung, ihre Informanten und ihre Geheimdienste, ihre Zuträger und Spitzel.

Auf diese Art Dienste gibt Gott nichts. Bei Gott ist kein Interesse an Klatsch und Tratsch, Gerüchten, Vermutungen, Spekulationen und peinlichen Enthüllungen und Skandalen. Mit Bitten und Fürbitten gibt Gott sich ab. Gott unterhält keine Geheimdienste. Dagegen vertraut Gott Menschen wie Jesus Christus.

„Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Jesus Christus“ – Ermutigung zur Fürsprache

Lange haben Kirche und Theologie auf Jesu Einmaligkeit in dieser Rolle gestarrt.  Als wäre das wichtig. Wesentlich ist doch, dass auf einen wie  Jesus Verlass ist. Verwendet sich einer wie Jesus für uns, brauchen wir keine Angst haben, dass auch er uns noch in den Rücken fällt.

Jesus, das ist einer, der die Wahrheit spricht und der keine Angst hat, die ganze Wahrheit zur Sprache zu bringen. Das ist es doch, was ihm diese Sonderrolle bei Gott und bei den Menschen verschafft hat. Weil er sich ohne Eigennutz für uns verwendet, das ist der Grund warum ihm Menschen ein Leben lang von Herzen dankbar  sind. Wer einmal in den Genuss solcher Fürsprache gekommen ist, wird den Wunsch verspüren für andere das Gleiche zu tun.

Dazu ermutigt uns der heutige Predigttext. Mehr noch: Wir erhalten die Erlaubnis und den Auftrag, für einen jeden Menschen dieser Welt vor Gott treten zu können. Gott will zuallererst uns hören, Gott will unser Eintreten für andere, und wir brauchen nicht zu befürchten, dass Gott uns einen Strick daraus dreht. Der Einsatz für andere ist unter uns riskant. Eine Erfahrung, die jeder machen kann, der sich für Belange anderer Menschen einsetzt. Fürsprache für Diskriminierte, Geächtete, Gefangene, kann unter uns dem eigenen Ansehen schaden. Wer für Ausgegrenzte spricht, wird selbst eine Ausgegrenzte.

Erinnern wir uns, Gott regiert ohne Geheimdienste und Informanten. Gott ist nicht an Geheimnissen, Gott ist an der Wahrheit interessiert. Und diese will Gott nicht für sich behalten, auch nicht einigen Auserwählten, sondern allen Menschen steht die Erkenntnis der Wahrheit zu.

„Gott will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ – Die Wahrheit steht allen zu

Das klingt nach einem unveräußerlichen Rechtsanspruch auf  Wahrheit. Wahrheit für alle. Hier wird der eher stille und unspektakuläre Text spannend und aufregend. Wahrheit für alle. Das Interesse an Wahrheit ist sehr unterschiedlich unter uns verteilt. Die Wahrheit, die von den einen verschwiegen wird, wird von den anderen dringend gesucht. Die verschwiegene Wahrheit macht sich in vielen Fällen bezahlt, der Preis für die geforderte Wahrheit ist hoch.

In unserem Predigttext ist Wahrheit Hilfe und Gott will, dass allen diese Hilfe ungeteilt zuteil wird. Das ist gut zu wissen. Es ist nicht ungehörig, die Wahrheit erfahren zu wollen, vielmehr steht sie einer jeden zu. Damit sind wir am Ende unseres Predigttextes angekommen. Es ist gut zu wissen, dass Gott anders ist, und ich bin sicher, dass sich daran in all den vielen Jahren zwischen damals und heute nichts geändert hat. Wir haben uns verändert, aber in ganz wesentlichen Dingen doch nicht. Um leben zu können, brauchen wir Wahrheit, wie die Luft zum Atmen, wie Wasser und Brot, Kleidung, Wohnung, Arbeit und Anerkennung. Bildung und Wissen sind im Ernstfall zu wenig.

Was Wahrheit ist oder sein könnte, ist nicht Thema unseres Textes. Die Wahrheit bekommt ihre Bedeutung dadurch, dass sie allen zusteht. Das allein macht Wahrheit aus, dass sie etwas ist, das allen zugänglich sein muss. Keiner darf ausgeschlossen werden. Die Fotographie hat uns eine neue Form der Wahrheit beschert, die Wahrheit der Bilder. Wie der Name sagt, können mit ihrer Hilfe Dinge ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, die nicht dafür bestimmt waren oder aber auch solche, die speziell dafür hergestellt werden. Unaussprechliches erreicht uns, Grauen, Lüge, Verbrechen, Propaganda aber auch Schönheit. Nachrichten von Ereignissen in der Nähe und Ferne prägen unser Bild von Wirklichkeit. Fernes Leid kommt ganz nahe.  Alles geht uns etwas an, vieles drängt sich uns auf, verlangt unsere Aufmerksamkeit.

Schon lange haben viele von uns das Gefühl, dass ihnen die Dinge über den Kopf wachsen. Da ist es gut eine Adresse zu kennen, an die man sich wenden kann. Manchmal ist es schon gut, wenn uns klar wird, dass wir  nicht alles im Griff haben.

Amen

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