„Wo ist er denn nun, wo kommt er denn?“

Predigttext: Apostelgeschichte 1,3-11
Kirche / Ort: Weißenkirchberg
Datum: 20. 05. 2004
Kirchenjahr: Christi Himmelfahrt
Autor/in: Pfarrer z. A. Thomas Meister

Predigttext: Apostelgeschichte 1, 3-11 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1 Den ersten Bericht habe ich gegeben, lieber Theophilus, von all dem, was Jesus von Anfang an tat und lehrte 2 bis zu dem Tag, an dem er aufgenommen wurde, nachdem er den Aposteln, die er erwählt hatte, durch den heiligen Geist Weisung gegeben hatte. 3 Ihnen zeigte er sich nach seinem Leiden durch viele Beweise als der Lebendige und ließ sich sehen unter ihnen vierzig Tage lang und redete mit ihnen vom Reich Gottes. 4 Und als er mit ihnen zusammen war, befahl er ihnen, Jerusalem nicht zu verlassen, sondern zu warten auf die Verheißung des Vaters, die ihr, so sprach er, von mir gehört habt; 5 denn Johannes hat mit Wasser getauft, ihr aber sollt mit dem heiligen Geist getauft werden nicht lange nach diesen Tagen. 6 Die nun zusammengekommen waren, fragten ihn und sprachen: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder aufrichten das Reich für Israel? 7 Er sprach aber zu ihnen: Es gebührt euch nicht, Zeit oder Stunde zu wissen, die der Vater in seiner Macht bestimmt hat; 8 aber ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. 9 Und als er das gesagt hatte, wurde er zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. 10 Und als sie ihm nachsahen, wie er gen Himmel fuhr, siehe, da standen bei ihnen zwei Männer in weißen Gewändern. 11 Die sagten: Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und seht zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg gen Himmel aufgenommen wurde, wird so wiederkommen, wie ihr ihn habt gen Himmel fahren sehen.

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(Pfarrer mit Fernglas in der Hand und vor den Augen. „Wo ist er denn nun? Wo kommt er denn? Ach wenn er doch kommen würde! Hier zu uns! Ach, immer noch nichts zu sehen!”)

Verzeihung, liebe Gemeinde, ich halte Ausschau. Wie viele. Ja, sicherlich bin ich nicht der einzige, der in diesen Tagen Ausschau hält. Nach Sonnenschein suchen manche, nach den ersten freien Tagen mit Urlaub. In 8 Tagen beginnen schließlich die Pfingstferien, und die erste große Urlaubswelle rollt an. Und dann werden sie auch wieder ihre Ferngläser mitnehmen, Vögel beobachten, vom Berg ins Tal schauen oder vom Tal zum Berg hinauf. Andere halten Ausschau nach einer Erholung der Wirtschaft. Über 4,5 Millionen Arbeitslose, und der Trend treibt die Zahl eher nach oben denn nach unten. Die Wirtschaft erholt sich einfach nicht, und Arbeitsplätze werden eher ins Ausland verlegt als hier neu geschaffen. Wieder andere suchen nach Hilfe für ihre Krankheit. Halten Ausschau nach einem, der helfen kann, der die Krankheit behandelt, lindert, heilt.

Eine solche Situation, wo die Menschen Ausschau halten, liegt auch unserem heutigen Predigttext zugrunde. Lassen Sie sich zurückführen in die Zeit etwa 40 Jahre nach dem Osterereignis. Ernüchterung hatte sich breit gemacht. Jesus war nicht mehr da. Die Welt hatte sich nicht grundlegend verändert. Obwohl anfangs immer wieder gesagt wurde, Jesus würde bald wiederkehren, war er nicht gekommen. Durchaus möglich, dass manche Menschen öfters dastanden und hinaufstarrten zum Himmel und Ausschau hielten nach Jesus. Durchaus möglich, dass manche Unentwegte sich weiter danach sehnten, dass er in ihren Tagen wieder komme und ihr Leben endgültig leichter und heil mache. n dieser Situation schreibt Lukas seine Apostelgeschichte. Aber er beginnt sie nicht mit den Aposteln, sondern mit Jesus, dem Auferstandenen. Und mit seiner Himmelfahrt.

(Lesung des Predigttextes)

Sehnsucht nach der Nähe zu Gott und Verantwortung

Mir schwingt dieses Wort der zwei Männer in leuchtenden Kleidern im Ohr: Was starrt ihr zum Himmel? Ziemlich schroff klingt das. Fast so wie: „Was vertut ihr eure Zeit? Warum starrt ihr ständig nach oben. Natürlich wird Jesus wiederkommen. Aber wann – das wisst ihr nicht. Weshalb dann ständig nach oben glotzen? Da werdet ihr keine neuen Impulse für euer Leben bekommen.”

Vielleicht nicken wir aufgeklärten Menschen des 21. Jahrhunderts wissend dazu. Natürlich glauben wir nicht mehr an dieses antike Weltbild, wo die göttliche Sphäre sich im Himmel wie eine Glocke über der Erde wölbte. Wir wissen, die Astronauten waren Gott auch nicht näher. Aber lesen wir den Text doch ein wenig anders, eben als Sehnsucht der Menschen nach der Nähe zu Gott, als Sehnsucht nach einer Hilfe in der Not. Geht uns das oft nicht auch so wie den Jüngern damals?

Ich jedenfalls finde den Gedanken faszinierend, Jesus einmal selbst sehen zu können, sein Charisma zu spüren, mich direkt von seinen Worten oder gar seinen Händen berühren zu lassen. Ich wüsste auch viele Menschen, die ich ihm zeigen wollte, die er berühren und aufbauen sollte. Haben Sie sich das nicht auch schon mal gewünscht? Aber auch solchen Wünschen erteilt unser Predigttext eine klare Absage. Er sagt klipp und klar: Jesus ist nicht mehr unter euch. Er ist zum Himmel aufgefahren, er ist in der göttlichen Sphäre aufgegangen. Wann er wieder kommt, kann euch kein Mensch sagen. Für uns heisst das doch wohl: Richtet euch hier ein und nehmt euer Leben in die eigene Hand. Starrt nicht nach oben oder anderswohin, woher ihr euch Hilfe erwartet. Gott hat euch doch schon in seiner Schöpfung als Verwalter dieser Welt eingesetzt. Er hat euch die Verantwortung übertragen. Nehmt die Verantwortung wahr und ruft dann, wenn ihr nicht mehr weiter wisst, nicht einfach nach einem Wunder. Das ist schon ein wenig ernüchternd, nicht wahr? Angesichts der 4,5 Millionen Arbeitslosen, der bedrohlichen Umweltzerstörung oder des grassierenden Terrorismus von Terroristen und Staaten, täte so ein Wunder doch gut, täte vielleicht auch not. Aber so eine wunderhafte Hilfe wird nicht kommen. Nicht jetzt und auch nicht zu einem Zeitpunkt, den wir nicht kennen. Zumindest nicht so, wie wir es gerne hätten, damit wir nicht tätig werden und nichts bei uns selbst verändern müssten.

„…Und es kommt kein Wunder“ – Was Jesus wollte

Schauen wir doch auch einfach in die Wundergeschichten von Jesus. Die Wunder geschehen nicht, damit ihn alle bewundern und verehren. Da verbietet er sogar, es anderen weiter zu erzählen. Da heilt er auch nicht alle Kranken. Möglicherweise hätte er es gekonnt. Aber das war nicht sein Ziel, plötzlich alles radikal zu verändern, Naturgesetze außer Kraft zu setzen und eine völlig neue Welt zu schaffen. So einfach wollte er es nicht. Er wollte, dass das Leben ganz von der göttlichen Botschaft durchsetzt ist. Er wollte die Menschen zu einem Leben im Einklang mit der Schöpfung und mit Gott bewegen. Aber in dieser Welt, in der Welt Gottes. Er wollte nicht alles Bestehende einfach verändern und alle Not aus der Welt schaffen. So einfach wollte er es nicht. So einfach geht es eben nicht. Gerade, wer glaubt, wird solches auch nicht erwarten.

Das ist ja oft die Krux. Da sind Menschen in Not und denken sich, na ich könnte es ja mal mit Beten probieren. Kann ja nichts schaden. Gott soll doch so barmherzig sein, soll er das mal für mich regeln: Soll mal meine kranke Mutter gesund machen, soll mal mir einen Arbeitsplatz besorgen, soll mal meine Ehe retten. Und es kommt kein Wunder, das Schlimme tritt doch ein. Aber solches Denken ist eine Sackgasse, denn es instrumentalisiert Gott für unsere eigenen Wünsche. Gott soll für uns tätig werden, während wir untätig bleiben können. Aber das kann es doch nicht sein! Das wäre doch zu einfach. Lukas macht das deutlich.

Nach unserer Aufgabe schauen

Wonach wir als Christen in seinem Sinne Ausschau halten, ist doch nicht nach einem, der uns alle Aufgaben abnimmt, sondern wir schauen nach der Aufgabe. Wir nehmen unser Fernglas Glauben und stellen ganz scharf, was da als Aufgabe auf uns wartet. Wir setzen eben nicht auf die Vogel-Strauß-Methode, Kopf in den Sand, und das Problem wird schon vorbei gehen. Wir schauen in die Ferne und entdecken die Not auch von Menschen, die fern von uns sind. Christen engagieren sich für Menschen in den armen Ländern, in Unrechtsregimen und in Folterkellern. Christen schauen in die Ferne und setzen nicht nur auf kurzfristige Lösungen, sondern auf Nachhaltigkeit, auf Lösungen, die auch künftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlässt. Christen richten das Fernglas aber nicht nur in die Ferne, sondern auch in die Nähe. Sie sehen nicht nur die großen fernen Aufgaben, sondern auch die Aufgaben vor Ort, sehen die kleinen Schritte, die zu gehen sind.

Vielleicht sagen jetzt manche: So ein Fernglas Glaube – steckt denn da nur Appell und Auftrag darin. Wenn es so wirkte, wäre es falsch verstanden. Denn zunächst ist es doch Sehhilfe. Hilfe für andere, aber gerade auch Hilfe für mich selbst. Lukas hat das in wunderbarer Weise in seinem Text gezeigt.

Woraus wir unsere Kraft ziehen

Worüber ich bis jetzt gepredigt habe, waren eigentlich nur die letzten beiden Verse. Und doch kommen sie erst nach dem Verweis auf die Heilsgeschichte mit Jesus Christus. Denn von dort her leben wir. Daraus dürfen wir unsere Kraft ziehen. Lukas erzählt von Jesu Leiden und Sterben und wie er sich danach in vielfältiger Weise lebendig erwiesen hat. Er spricht damit von der Überwindbarkeit des Leidens und Sterbens. Er spricht von Jesu Gegenwart unter den Jüngern, er spricht davon, wie sie miteinander das Abendmahl feierten. Lukas spricht von der großen Verheißung Jesu: „Johannes hat euch mit Wasser getauft, Ihr aber sollt mit Heiligem Geist getauft werden.” Dieser Heilige Geist, soll Ihnen Kraft geben, ihr Leben in die Hand zu nehmen und die ihnen gestellte Aufgabe zu erfüllen. Dies ist die Initialzündung für die Apostel. Wenig später werden sie mit Heiligem Geist getauft. Am Pfingstfest nehmen sie ihre Aufgabe an, da reden sie wie nie zuvor, wachsen über sich hinaus. Alle verstehen sie, und die Kirche Jesu Christi wird gegründet.

Ich meine, dass in dieser lukanischen Geschichte klar wird, welchen Vorteil Menschen mit einem christlichen Glauben haben. Sie nehmen den göttlichen Geist in sich und um sich wahr, spüren die Kraft, die aus ihm wächst und vertrauen auf ihn. Im 2. Timotheus-Brief (1,7) heißt es: „Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.” Insofern setzen Christen nicht auf Wunder, warten nicht auf das Hereinbrechen eines himmlischen Schlags, sondern setzen auf den guten Geist Gottes, der doch schon längst in und um sie ist. Was starrt ihr nach oben zum Himmel? Sagen die Engel. Nehmt doch den Himmel rings um euch wahr! Denn „nicht wo der Himmel ist, ist Gott, sondern wo Gott ist, da ist der Himmel!” (Ebeling)

Amen.

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