Friedensbauten – keine Utopie. Und wer schreibt Geschichte?

Predigttext: Epheser 2,17-22
Kirche / Ort: Fellbach
Datum: 20.6.2004
Kirchenjahr: 2. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Epheser 2,17-22 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium  Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren. 18 Denn durch ihn haben wir alle beide in einem Geist den Zugang zum Vater. 19 So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern  Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen, 20 erbaut auf den  Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, 21 auf welchem der ganze Bau ineinandergefügt wächst zu einem heiligen Tempel in dem Herrn. 22 Durch ihn werdet auch ihr miterbaut zu einer Wohnung Gottes im Geist

Vorbemerkung

Diese Predigt nimmt das Bild des Hauses auf, das die Perikope durchzieht, um es an einzelnen Aspekten auszufalten und aufzufächern, quasi weiter auszumalen.

Literatur

Hans Dieter Hüsch, Das Schwere leicht gesagt, Freiburg, Basel, Wien, 4. Auflage 1994, S.19f.

Liedvorschläge

EG (Württemberg) 561, 1-5 Treuer Heiland EG 255, 1.5-8 O dass doch bald dein Feuer brennte EG 430, 1-4 Gib Frieden EG 170, 1-4- Komm Herr, segne uns

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Liebe Gemeinde,

der Predigtext für den heutigen Sonntag steht im Epheserbrief, dem 2. Kapitel, die Verse 17 – 22.

(Lesung des Textes)

Liebe Gemeinde,

Hausgenossenschaft im Friedensbau

mit einem eindrücklichen Bild endet der Text: Mit dem von einem Bau. Einem Friedensbau, einem Wohnhaus, in dem viele Partien als Hausgenossen zusammen wohnen und zusammenleben, in einem Geist. Ein Haus, in dem die einzelnen Partien friedlich miteinander umgehen, in dem Hass, Neid und Zank ausgeschlossen sind, in dem Streitereien, wenn es solche gibt, friedlich, konstruktiv im Gespräch ausgetragen werden.

Der Weltenbau, in dem jedes Volk seinen Platz hat, Hausgenosse, gleichberechtigt ist. Der Weltenbau, in dem der Zaun abgebrochen ist, der trennt, in dem Mauern, die trennen, die separieren, die abschließen, in dem solche Mauern abgetragen worden sind, in dem mit den Mauersteinen garstig breite unüberwindbare Gräben zwischen Völkern und Nationen und einzelnen Menschen überwunden worden sind.

Überwunden zugunsten dessen, dass sich alle als Hausgenossen betrachten und verstehen und merken, dass sie im Grunde in einem Boot, in einem Weltenbau sitzen, auf dieser einen Erde leben. Ein Haus, in dem Zwietracht und Völkerhass, in dem Neid und Missgunst überwunden sind und jedes sein Auskommen hat. Ein Haus, in dem Frieden herrscht. Schalom, Friede, Schalom wörtlich heißt: unversehrt, vollendet; vergelten wiedererstatten.  Das ist höchst material, nicht nur der innere Friede – der auch, aber gleichzeitig auch der äußere Friede. Dass Gerechtigkeit vorherrscht, dass Entzweiungen überwunden sind und Frieden nicht nur als Abwesenheit von Krieg, als Abwesenheit von Gewalt, sondern dass jeder Mensch sein Auskommen hat, die Verhältnisse stimmen, keine unter- oder hochgestellt sind, sondern alle, bei aller Verschiedenheit ausreichend versorgt sind und leben können, sich entfalten, ohne dass die Entfaltung auf Kosten anderer geht; und wenn Kosten, dass die Kosten dann minimal gehalten werden.

Gott wohnt in uns

Der Weltenbau – und zugleich die Erbauung eines jeden einzelnen Menschen als einer Wohnung Gottes – wir sind eine jede und ein jeder Gottes Wohnung; Gott wohnt in uns;  Gott wohnt nicht im Kirchengebäude, wohnt nicht über den Sternen,  Gott wohnt in uns, im Herzen, mitten in uns, mitten unter uns,  erbaut im Geist, durch den Geist. Gottes Wohnort, das sind wir Menschen.

Fundament und Schlussstein

Und beide, sowohl der Weltenbau als auch der je einzelne Mensch haben ein Fundament, das trägt und fest steht. Und einen Schlussstein, der zusammenhält und bestehen lässt. Würde man den Schlussstein herausziehen, so würde alles zusammenbrechen, wie es bei einem Gewölbe  der Fall ist; Wäre das Fundament brüchig, würde wanken und Risse bekommen, so würde der darauf stehende Bau genauso zusammenbrechen.

Kein Ort für die Friedensbauten?

Friedensbauten: Utopie, Unmöglichkeit?

Der derzeitige Weltenbau sieht leider anders aus. Der Ichzustand eines jeden einzelnen Menschen wohl auch. Das Herz ist oft unruhig, das je eigene Leben kann durch alles mögliche unfriedlich werden, einen inneren Frieden gibt es wohl nur in seltenen Momenten. Der restliche Weltenbau glänzt durch Gewalttaten, Kriege, Umweltzerstörung. Hass, Neid stehen an der Tagesordnung zwischen einzelnen Menschen und Völkern…..

Also eine leere Hoffnung, was der Verfasser des Epheserbriefes da beschreibt und entwirft? Utopie? In der Tat:  Utopie ist etwas, was keinen Ort hat, was nicht zu greifen ist, was noch nicht wirklich und noch nicht tatsächlich ist. Und die Fakten, das faktisch Vorfindliche weist den Verfasser des Epheserbriefes durchaus als einen Utopisten aus – aber eben mit einer konkreten, mit einer plastischen mit einer griffigen Utopie. Diese Utopie, dieser Entwurf hat eben doch einen Ort,    weil er ein Fundament und einen Schlussstein hat, einen Anfang und Ende. Kurz: weil der Plan umgesetzt werden kann, weil der Entwurf in die Wirklichkeit geworfen werden kann. Es ist ein Gegenentwurf zum vorfindlichen Weltenbau – ein Gegenentwurf, in dem die Bewohner nicht mehr zornentbrannt mit den Türen knallen und wutentbrannt die Fäuste ballen, in dem das Gespräch nicht abgebrochen wird, in dem nicht mehr aufeinander geschossen wird, in dem anderes Leben nicht mehr missachtet und angegriffen wird, sondern jeder den anderen achtet. Indem es etwa so vor sich geht, wie folgender jüdischer Witz zeigt:

Die Gewaltspirale durchbrechen

„Vor der Schlacht tritt der Offizier an die Truppe heran und sagt feierlich: “Soldaten, jetzt geht es Mann gegen Mann!”

Infantrist Rubin: “Zeigen Sie mir bitte meinen Mann! Vielleicht kann ich mich gütlich mit ihm verständigen”“

So wird die Gewaltspirale, so wird das Übliche durchbrochen. Das was faktisch läuft und geht, wie es halt so üblich ist, das, was seinen Ort hat, das wird von dem hinterfragt, das noch keinen Ort hat: Im Krieg ist es üblich den Gegner außer Gefecht zu setzen, zu töten – das hat seinen Ort; mit dem Gegner zu sprechen, das hat keinen Ort – doch es kann in Kraft treten und einen Ort bekommen. Der Soldat Rubin lässt es hereinleuchten – wie mag die Geschichte wohl weitergehen?

In welchem Geist wird Geschichte geschrieben?

Es ist die Frage, wer sie schreibt, es ist die Frage welcher Geist die Schreiber treibt. Doch sind wir da nicht alle gefragt, in unserem je eigen und kleinen Bereich; können wir da nicht selbst Schreiberinnen und Schreiber sein? Oder wollen wir uns von anderen Schreibern immer alles vorschreiben lassen – egal in welchem Geist sie schreiben? Und selbst wenn wir tatsächlich nicht immer selbst schreiben können, sondern uns vorschreiben lassen müssen, so können wir doch hinterfragen, in welchem Geist uns da vorgeschrieben wird, in welchem Geist Geschichte gemacht wird, in welchem Geist das Weltenhaus weitergebaut wird. Im Heiligen Geist, in diesem einen Geist Gottes,  im Geist des Friedens und der Versöhnung, in diesem Geist, der trennende Mauern abreißt und Wohnungen der friedlichen Nachbarschaft schafft? Oder im Geist, der Mauern aufrichtet, der es knallen lässt und Mord und Totschlag als Lösung ansieht?  Im Geist, dem Missachtung anderen Lebens zugrunde liegt und Hass und Neid?

Welcher Geist gestaltet den Weltenbau? Und schreibt Geschichte? Jedenfalls lässt Soldat Rubin den nichtkriegsüblichen Geist wirken, den, der noch keinen Ort hat, er gewinnt Raum und Gestalt – im Soldaten dort in der Geschichte, in der Zeit.  Ja, es geht um eine Weltkultur, in diesem Weltenbauentwurf, den der Verfasser des Epheserbriefes da zeichnet.

Und dieser Bau hat ein Fundament und einen Schlussstein, die prägen – Jesus Christus. Christus ist unser Friede – heißt es. Und das will nicht bloß so dahergesagt sein sondern anstoßend wirken, will innovatorisch wirken, zum Bauen ermuntern und ermutigen. Innovation geht davon aus: Christus ist unser Friede – das Verhältnis zwischen Gott und Menschen stimmt wieder, das Verhältnis zwischen Mensch und Mensch stimmt wieder.  Gott hat es stimmig gemacht, hat die Menschen mit sich versöhnt, weil er selbst sich in die entzweite Welt, in den problematischen, brüchigen und ungeheueren Weltenbau hineinbegab, weil er selbst auf sich nahm das, wo wir Menschen entzweit sind, mit uns je selbst, mit unseren Mitmenschen und mit Gott. Er, Jesus nahm es auf sich, damit wir ein Fundament und einen Schlussstein erhalten, damit die Welt geheuer wird und wir Lichtung finden im Dickicht , und darauf bauen können, gestalten können. Jesus hat vorgelebt, was eine Kultur des Friedens heißen kann; er gab Menschen Frieden; er überwand trennende Mauern und Zäune zwischen Juden und Heiden, zwischen Römern und Einheimischen, zwischen Gerechten und Sündern, zwischen Reich und Arm. Er gab jeder und jedem seine Würde.

Christus ist unser Anstoß zum Frieden. Eine Kultur des Friedens entwickeln können, die einen Ort hat, die in einer Wohngemeinschaft gelebt werden kann. Jesus Christus ist unser Friede – er ist der Friede der Menschheit, der innern – damit des Menschen oft unruhiges Herz zur Ruhe kommen kann, weil es weiß wohin es gehört, an wen es sich endgültig und abschließend hängen kann, an Jesus – der kann nicht genommen werden, der bleibt, der ist verlässlich – wer ich auch bin, dein bin ich, o Gott! – Jesus, der mir Freund und Partner sein will, auch wenn er nicht greifbar da ist, aber geistig verbunden, sicherlich mal mehr, mal weniger – aber sein Angebot ist verheißen, in allen Lebenslagen, in guten und in schlechten meinen je eigenen Lebensbau mit zubauen, mich in ihm zu gründen und ihn den Abschluss sein zu lassen – das heißt: zu wissen, wohin man gehört und also wer man ist.

Und das gilt eben auch für’s Große, für das Äußere: Frieden, der umgreifend ist, der umspannt, Reich und Arm, Krank und Gesund, Alt und Jung – alle einer in Christus und das inspiriert – bei ihm und vor ihm sind alle Menschen gleich – das stößt an zu einer planetarischen Wohngemeinschaft, einer erdumfassenden Kommune, die dem entspricht, die in diesem Geist miteinander lebt – da sind die Türen nicht verschlossen, sondern offen; da wird nicht gehauen und gestochen, sondern gesprochen; und doch kann jeder sein Wohnzimmer einrichten, wie er will – keine Gleichmacherei, und kein Einheitsbrei, sondern Friede, der jeden Menschen achtet und aufblühen lässt. Ja, der Epheserbrief kann anregen, den großen Wandel, in dem wir stecken, in dem wir uns befinden, aufbauend zu gestalten, dass es nicht in den Abgrund geht, sondern nachhaltige Lebensmöglichkeiten entfaltet und ausgefaltet werden; die Globalisierung, der Prozess der europäischen Einigung, sie werden dann geheuer. Ein Anstoß dazu gibt uns der Epheserbrief, lassen wir uns davon anregen, wie sich auch Hans Dieter Hüsch davon inspirieren ließ:

Anstoß zum Frieden

Stellt die Meinungen ein
dass Liebe gedeiht
Lasst Liebe blühen
Dass der Frieden wächst
Lasst den Frieden in Euer Herz
Dass die Menschen erlöster aussehen
Befreit den Menschen
Damit er von den Ansichten lässt
Und die Meinungen einstellt
Und sagen kann
Ich bin für Dich
Und nicht gegen Dich
Ich bin mit Dir
Und nicht vor Dir oder nach Dir
Ich bin neben Dir und nicht über Dir
Ich bin bei Dir
Auch wenn Du gegen mich bist
Lasst uns Gottes versammelte Großzügigkeiten werden
Und seine Artisten sein
Die Welt überwinden
Nicht mit Leichtigkeit gewiss
Aber mit Zuversicht
Geduld und Freundlichkeit
Lasst uns Nachsicht üben
Wo andere den Schlussstrich ziehen
Lasst uns spielerisch auftreten
Wo andere mit dem Fuß aufstampfen
Lasst uns Feinde in Freunde verwandeln

Darum stellt die Meinungen ein
Dass die Liebe gedeiht
Lasst die Liebe blühen
Dass der Frieden wächst
Lasst den Frieden in Euer Herz
Dass die Menschen erlöster aussehen
Befreit den Menschen
Damit er von den Ansichten lässt
Und die Meinungen einstellt
Und sagen kann
Ich bin für Dich
Und nicht gegen dich
Ich bin mit Dir
Und nicht vor Dir oder nach Dir
Ich bin neben Dir und nicht über Dir
Ich bin bei Dir
Auch wenn Du gegen mich bist

Viele sagen
Das sei ihnen unmöglich

Andre sagen
Das entspräche nicht ihrem gesunden Menschenverstand. Es kann auch nicht unserem Verstande entsprechen
Es kann nur der Liebe Gottes entsprungen sein
Und ist ein Geschenk außerhalb unserer Reichweite
Außerhalb der Geschichte
Öffnen wir unsere Augen und unsere Herzen und
nehmen wir endlich das Geschenk an
Es ist unsere einzige Chance Weltfrieden zu machen
Und allen Menschen ein Wohlgefallen zu bereiten.

Lassen wir uns dazu anregen, an einem solchen Bauwerk mitzuarbeiten, je nach unserer Kraft. Beginnen wir mit der Bitte: „Gib Frieden, Herr, gib Frieden. Gib Mut zum Hände reichen, zur Rede, die nicht lügt und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Frieden siegt “, so wie eben Jesus selbst ein Zeichen diese Friedensbaus war, der in und mit ihm begonnen hat, gebaut zu werden.

Amen.

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