Alte Sprache neu entdeckt
Predigttext: 1. Tim 1,12-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewißlich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, daß Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.Überlegungen zur Predigt
Gemeinhin gelten die sogenannten Pastoralbriefe, zu denen auch der 1. Timotheus gehört, als Pseudopaulinen. In der Antike war das ein durchaus geläufiges und nicht anrüchiges Verfahren, um sich für einen Brief Autorität zu borgen. Von daher halte ich es exegetisch vertretbar und homiletisch empfehlenswert, auch in der Predigt diesen Text als Paulusbrief zu zitieren. Die Verse 12-17 entfalten die Autorität der Botschaft des Paulus auf dem Hintergrund seiner Berufung und werten sein Leben als Vorbild für die Leser. Auch wenn im Text natürlich auf das sogenannte Damaskuserlebnis angespielt ist, wird diese Bekehrung namentlich nicht gegen das Judentum in Stellung gebracht. Schon von daher verbietet es sich, in der Predigt einen Gegensatz Judentum - Christentum zu formulieren. Den Unterschied zwischen „vorher –nachher“ will ich auf dem Hintergrund von Fundamentalismus und Glaube ansprechen. Dabei verwendet unser Text eine alte hymnische Sprache mit vielen bekannten Begriffen wie Glaube, Unglaube, Lästerung, ewiges Leben“ die schon oft gehört und gesprochen wurden, denen es aber an inhaltlicher Präzision mangelt. Aufgabe der Predigt muß also sein, gerade diese alte Sprache wieder neu mit Leben zu füllen. Als Einstieg gehe ich von einer derzeit üblichen und für einige Lebensbereiche repräsentativen Sprache aus, um zu zeigen, dass Sprache nur aus dem Zusammenhang gedeutet werden kann, um dann den Lebenszusammenhang der religiösen Terminologie zu zeigen. Anders als damals, wo allein schon die Berufung auf Paulus Autorität verschaffen konnte, überzeugen heute nicht Autorität, sondern Argumente. Von daher beziehe ich mich auf das Leben des Paulus, um an dessen Beispiel Begriffe wie Glauben und Unglaube mit Leben zu erfüllen.Literatur:
Evelina Volkmann, 3. Sonntag nach Trinitatis, in: Kruse, Wolfgang (Hg.), Predigtmeditationen im christlich-jüdischen Kontext. Zur Perikopenreihe II, S. 218-212.Liebe Gemeinde,
wissen Sie eigentlich immer, was wirklich gemeint ist? Wenn im Fußball ein Spieler abseits steht oder in der Formel 1 ein Fahrer in der Pole Position? Wissen Sie, was es bedeutet, wenn bei der Tour de France ein Radfahrer geschluckt wird? Ahnen Sie, dass bei der Entdeckung von neuen Viren nicht mehr die Gesundheit, sondern der Computer bedroht ist? Was bedeutet eigentlich Agenda 2010, die doch ganz oben auf der Tagesordnung steht?
Wir müssen heute nicht nur eine Sprache sprechen, sondern auch verstehen, was wirklich gemeint ist. Besondere Ereignisse brauchen und prägen neue Sprache. Wenn die Wirtschaft schrumpft, wird von negativem Wachstum gesprochen, wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen geht, sprechen Verantwortliche von notwendiger Verschlankung. Aber nicht nur Politik und Sport, auch die Religion braucht ihre eigene Sprache. Der Kopftuchstreit ist nicht die Auseinandersetzung mit der kleinen Tochter um eine wärmende Kopfbedeckung, sondern die Frage, welche Toleranz wollen wir bei diesem religiöses Bekenntnis üben, aber auch fordern. Märtyrer sind heute nicht mehr Menschen, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, sondern andere durch Anschläge selbst töten. Heiliger Krieg ist nicht heilig, sondern nährt Haß und Leid, wenn Ungläubige vernichtet werden sollen. Auch so altbekannte Begriffe wie Gnade und Barmherzigkeit, wie Glaube und Unglaube müssen ja in der Gegenwart wieder neu bestimmt werden. Genau das tut unser heutiger Predigttext, der geschrieben steht im 1. Timotheusbrief.
(Verlesen des Predigttextes)
Gnade und Barmherzigkeit als Thema unserer Zeit
Gnade und Barmherzigkeit, Glaube und Unglaube, Frevel und Lästerung, das sind diese großen Worte, die auch in unserer Gegenwart immer noch Zustimmung, Abwehr oder auch Gleichgültigkeit hervorrufen.
Gerade von uns als Christen und Kirche wird ja oft Gnade und Barmherzigkeit gefordert. Oftmals von denen, die selbst gnadenlos und unbarmherzig sind. Glaube und Unglaube sind wieder zum Thema geworden, wenn Fundamentalisten andere als Ungläubige bezeichnen, mit Terror verfolgen und abweichende Lebensweise als Frevel gegen Gott und Lästerung bezeichnen. Heute hören wir aber nicht nur Schlagworte, sondern bekommen Orientierung durch das Leben des Apostel Paulus selbst. Denn es geht nicht um theoretische Wahrheiten und leere Dogmen, sondern um die Auswirkung des Glaubens auf das Leben.
Gnade und Barmherzigkeit als Widerspruch zur Intoleranz
„Früher war ich ein Lästerer und Verfolger“. Früher war Paulus einer, der andere verfolgt und Gott gelästert hat. Einer, der es nicht ertragen konnte, wenn Menschen einen anderen Glauben hatten und anders leben wollten als er selbst. Das ist brandaktuell. Denn es stimmt ja nicht, dass der Glaube kein Thema mehr in unserer Welt ist, sondern er rückt uns immer näher: Da gibt es Diskussionen um Moscheen in der Nähe von Kirchen. Um die Möglichkeit des islamischen Religionsunterrichts in den Schulen wird gestritten. In diesen Fragen gibt Paulus Orientierung. Früher war er „ein Lästerer, Verfolger und ein Frevler. Einer, der geglaubt hat, Gottes Willen genau zu kennen und ihn anderen Menschen aufzwingen zu müssen. Einer, der geglaubt hat, alle anderen haben ihm zu folgen. Das ist nichts anderes als Fundamentalismus. Dabei üben diese Intoleranz ja nicht nur fundamentalistische Islamisten. Auch Christen sind davor nicht gefeit. Wenn wir in der Volkskirche von Christen aus freien Gemeinden des Unglaubens verdächtigt werden. Es ist diese religiöse Intoleranz, die das Leben von anderen Menschen schwer macht und Frevel ist.
Barmherzigkeit als Befreiung zum Leben
„Aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren“. Das ist Befreiung aus der eigenen Enge. Es ist das, was wir im Leben des Apostels die Wendung vom „Saulus zum Paulus“ nennen. Die Erkenntnis, das Leben nicht mehr so verbissen zu sehen, sondern als Geschenk dankbar anzunehmen. Barmherzigkeit ist auch die Erfahrung von Vergebung. Auf einmal steht die Vergangenheit der Zukunft nicht mehr im Wege. Gott sei Dank ist es ja bei Vielen nicht so, dass sie ihr ganzes bisheriges Leben als verloren ansehen. Aber immer wieder gibt es Vergangenheit, die belastet und beschwert. Wenn ich Menschen nicht gerecht geworden bin, wenn es da Erfahrungen gibt, die ich verdränge und am liebsten vergessen will. „Mir ist Barmherzigkeit widerfahren“. Gott selbst legt Menschen nicht mehr auf ihre Vergangenheit fest. Neuanfang wird wieder möglich. Dann können Menschen auch zu dem stehen, was zerbrochen ist. Niemand braucht perfekt zu sein. Paulus ist nicht das unerreichbare Vorbild, sondern einer wie Du und Ich. „Das ist gewißlich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, daß Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen“. Sünde ist im Leben des Paulus diese Erfahrung der Verbissenheit und Verbohrtheit, mit denen er anderen das Leben schwer gemacht hat.
Barmherzigkeit fordert auch heraus
„Aber darum ist mir Barmherzigkeit erfahren, daß Christus Jesu mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben.“ Vorbild sein im Glauben. Glaubwürdige Christen sein ist auch wieder ein Gebot der Stunde. Aber das heißt noch lange nicht, dass andere uns vorschreiben dürfen, wie wir Gnade und Barmherzigkeit üben sollen. Als Christen und Kirche brauchen wir uns nicht in jede Rolle drängen zu lassen. Gnade und Barmherzigkeit kann nicht für Unbarmherzigkeit von anderen gelten. Toleranz und Freiheit kann nicht für Intoleranz und Unfreiheit gefordert werden. Glaubwürdige Christen sein, heißt auch nicht, für alles und jeden Verständnis haben. Im Gegenteil.
Das ewige Leben als Chance, das eigene Leben anzunehmen
Ein Vorbild „denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben „Glaubwürdige Christen, das sind die, die an das ewige Leben glauben. Auch das hat mit Glaube an irgendwelche Dogmen und Theorien nichts zu tun, sondern mit unserem Leben. Menschen, die an das ewige Leben glauben, wissen um die eigenen Grenzen. Weil Vieles nicht in unserer Hand steht. Das ist auch ein Widerspruch zu unserer Gegenwart, in alles machbar scheint und Menschen daran gemessen werden, wie sie den Ansprüchen genügen. Das ist ein Glaube, der belastet und erdrückt. Es ist dieser Druck, unter dem dann auch junge Menschen zu leiden haben. Wenn nur die etwas gelten, die jung und erfolgreich sind, gut aussehen und belastbar sind. Wenn Menschen nicht mehr als Mitarbeiter, sondern nur noch als Kostenfaktoren gelten. „Der Glaube zum ewigen Leben.“ Als Christen wissen wir um die Zerbrechlichkeit des Lebens. Auch das Scheitern ist uns nicht unbekannt. Was für uns zählt, ist nicht der perfekte Mensch mit dem äußeren Schein, sondern wahre Menschlichkeit, die Hilfe, Wärme und Barmherzigkeit braucht. Als Christen glauben wir an das ewige Leben. Denn Gott selbst ist unser Leben wertvoll. Auf ewig.
Wir brauchen nicht zu wissen, was abseits ist, oder daß ein Radfahrer geschluckt wird, wenn er von anderen eingeholt wird. Das können wir denen überlassen, die sich wirklich dafür interessieren. Was wir aber wirklich brauchen, das sind nicht nur die Begriffe von Gnade und Barmherzigkeit, sondern die Erfahrung davon. Und durch die Barmherzigkeit Gottes haben wir die Hoffnung auf das ewige Leben. Gott gibt uns nie verloren. „Ihm sei Ehre und Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“