„Das Leben ist kurz, darum nehmt euch Zeit“

Predigttext: 1. Korinther 1,18-25
Kirche / Ort: Leipzig-Holzhausen
Datum: 11.07.2004
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrerin Ursula Bürger

Predigttext: 1. Korinther 1,18-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): «Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.» Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.

Exegetische und homiletische Bemerkungen

Der Gegensatz des Evangeliums zur Weisheit der Welt Paulus stellt in den Versen 18-25 die Paradoxie des Kreuzesglaubens dar, der im Widerspruch zu aller menschlichen Weisheit steht. Am Kreuz scheiden sich die Geister. Es als Torheit anzusehen, heißt verloren sein, es als Gotteskraft erkennen, heißt gerettet werden. Gegen alle Vernunft bricht am Kreuz Christi die neue kommende Gotteswelt durch. Das Kreuz Christi ist Gottes Handeln mit der Welt und der Menschheit. Auch Gotteserkenntnisse irgendwelcher Art (Gnosis, Esoterik)bleiben heillos, wenn sie am Kreuz vorbei gehen. Der jüdische Fromme forderte Greifbarkeit und Sichtbarkeit der göttlichen Macht. Daher mußte ihm das Kreuz eine Gotteslästerung sein. Der Grieche verlangte Erkenntnis und Einsichtigkeit. Auch diese Forderung erfüllt das Kreuz nicht. Also: weder göttlicher Machterweis noch Weisheit – das Kreuz durchkreuzt alle (auch religiösen) Klassifikation der Menschheit. Aber: Den Glaubenden werden diese Torheit und Schwäche zur Rettung. Ein herausfordernder Text, gerade wenn sich auch heute (noch) jede Predigt vor dem „Richterstuhl der Vernunft“ verantworten muß. Aber wohin gerade Vernunft Mensch und Gesellschaft geführt hat, läßt sich nachweisen. Besonders im Umweltbereich und im sozial-gesellschaftlichen Terrain spürt man schmerzlich, was wird, wenn „sich Leistung lohnen muß“. Was wird, wenn Natur und Mensch jenseits der Leistungsgrenze sind? Für solche Fragen können vom Bibeltext heilsame Impulse ausgehen. Nach allen Regeln menschlicher Klugheit und Kraft richten wir uns und unsere Erde zugrunde. Nur der als „Esel“ und „Narr“ verschrieene Mann vom Kreuz kann uns und die Welt retten. Das ist keine attraktive Botschaft, zudem ist sie paradox.

Zitate für die Predigt, Text: H. Heine, Deutschland-ein Wintermärchen

Und als der Morgennebel zerrann, Da sah ich am Wege ragen, Im Frührotschein, das Bild des Manns, Der an das Kreuz geschlagen. Mit Wehmut erfüllt mich jedesmal Dein Anblick, mein armer Vetter, Der du die Welt erlösen gewollt, Du Narr, du Menschheitsretter! Sie haben dir übel mitgespielt, Die Herren vom Hohen Rate. Wer hieß dich auch reden so rücksichtslos Von der Kirche und vom Staate! Zu deinem Malheur war die Buchdruckerei Noch nicht in jenen Tagen Erfunden; du hättest geschrieben ein Buch Über die Himmelsfragen. Der Zensor hätte gestrichen darin, Was etwa anzüglich auf Erden, Und liebend bewahrte dich die Zensur Vor dem Gekreuzigtwerden. Ach! hättest du nur einen anderen Text Zu deiner Bergpredigt genommen, Besaßest ja Geist und Talent genug Und konntest schonen die Frommen. Geldwechsler, Bankiers, hast du sogar Mit der Peitsche gejagt aus dem Tempel – Unglücklicher Schwärmer, jetzt hängst du am Kreuz Als warnendes Exempel!

Literatur

NTD 7: Die Briefe an die Korinther, übersetzt und erklärt v. H.-D.Wendland, Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht 1954. - Zitate f. d. Predigt, Hrsg. v. Hamdorf-Ruddies,Josuttis,Stolze, Göttingen, Vandenhoeck&Ruprecht 1993.

Lied:

EG 357,1+2+5 Ich weiß, woran ich glaube

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Liebe Gemeinde!

Was erwarten Sie von der Kirche? Die Juden zur Zeit des Paulus erwarteten von Gott Wundertaten, Krafterweise von bestimmten auserwählten Leuten. Die Griechen wollten kluge, weise Reden hören. Daran erfreuten sie sich, da strömten sie hin, auf den Areopag in Athen, der so eine Art Speaker’s Corner des Altertums war. Und eigentlich ist es heute noch genauso: Wo Wundertaten versprochen werden, wo Weisheit vermittelt wird (Poona in den 70iger Jahren), da strömen die Menschen hin. Und ein bißchen von dem allen haben wir ja in der Kirche auch. Aber das ist nicht unser Eigentliches. Paulus setzt sich mit Leuten auseinander, die den christlichen Glauben auf Wunder und Zeichen reduzieren wollen und dabei das Kreuz umgehen möchten, die Schwäche und Torheit nicht wahrhaben wollen.

Paulus sagt:

1. Der christliche Glaube lebt aus dem Paradox

Alles, was im Leben, in der Welt, Klugheit ist, ist Torheit vor Gott und umgekehrt. Und alles, was Schwäche bei Gott ist, ist Stärke in der Welt und umgekehrt. Es klingt vielleicht überheblich und mißgünstig, zu sagen, weltliche Klugheit und Stärke sind bei Gott Torheit und Schwäche. Aber Paulus selbst war ein sehr gelehrter Mann, der allerdings in seinen Lebenskrisen erfahren mußte, daß ihm da alle Klugheit nichts nützte. Ja, daß ihn diese Gelehrtheit sogar noch antrieb, Menschen ans Messer zu liefern. Und er merkte, daß ihn die Botschaft von Tod und Auferstehung Jesu als Evangelium, als Gute Nachricht auch für sein Leben traf, die Botschaft, daß Gott alle Menschen liebt, gerade das Kleine, Schwache, Verachtete hat bei Gott sein Lebensrecht. Und kein Mensch, auch nicht der Klügste darf darüber befinden, wer leben darf und wer nicht.

Den Menschen am untersten Rand der Gesellschaft gilt die Gute Nachricht besonders: Die Blinden sollen sehen, die Tauben hören, die Lahmen gehen… Das Wort vom Kreuz, von der Vernichtung des einzig Wahren und Guten, verstehen die Geplagten am besten, aber es ist den Erfolgreichen ein Ärgernis und eine Torheit, denn diese Menschen verstehen das Evangelium oftmals nur als moralische Aufforderung von ihrem Besitz abzugeben. Und das ist doch eine grobe Verkürzung des Evangeliums. Auch das muß uns klar sein: Das Wort vom Kreuz ist keine attraktive Botschaft. Wahlkämpfe wird man damit nicht gewinnen. Wer am Kreuz hängt, ist der Verlierer, vor aller Augen. Es ist ein entehrendes Sterben. Aber diesen so erniedrigten und beleidigten hat Gott erhöht, er hat ihn vom Tode erweckt. Der Niedrigste wird von Gott anerkannt. Ein Paradox, aus dem wir aber alle leben.

2. Wir leben aus dem Paradox

Ich will es deutlich machen am Problem mit der Zeit. „Das Leben ist kurz, darum nehmt euch Zeit“ (Ausspruch einer amerikanischen Psychiaterin). Das ist paradox, aber nur so gewinnen wir Zeit und Leben. Es ist ratsam, unser Leben zu entschleunigen, bei den vielen Möglichkeiten, rasend schnell alles tun zu können. Es hat sich gezeigt, daß wir dadurch nur Leben verlieren statt Zeit zu gewinnen. Langsamer essen, langsamer hören, langsamer sehen, langsamer sprechen, langsamer fühlen, langsamer lieben – langsamer nehmen und geben und damit die Zeit auskosten. Dann werden wir auch spüren, daß eigentlich Stärke ist, was als Schwäche angesehen wird: Nicht alles haben müssen, was angeboten wird oder was einem zusteht, nicht alles tun zu müssen, was möglich ist.

Wir entdecken unsere Wahlmöglichkeiten, und wir sehen, daß das Kreuz Christi nicht unser Leben durchkreuzt, sondern mit einem positiven Vorzeichen versieht. Christus ist die göttliche Kraft und Weisheit, die oft als Torheit angesehen wird. Aber wo sind die Klugen mit ihrer Weisheit, wenn Menschen am Ende sind, krank, verbittert, süchtig, mittellos? Alle Lebensregeln, die vielleicht in gesunden Tagen gegriffen haben, gelten nicht mehr. Nicht die Erfolgreichen, die Geldleute, die von allen Beneideten sind am Ende die Starken, die Gewinner, sondern diejenigen, die das Kreuz auf sich nehmen, sich am Kreuz Christi orientieren. Die sind stark, die oft belächelt werden, die als naiv gelten, weil sie sich nicht nehmen, was ihnen zusteht, sondern die Hände falten und nach Gottes Willen fragen.

Wir sehen ja jetzt schon, wie schwer eine Gesellschaft zu regieren ist, in der die Gesetze von Leistung und Kraft gelten. Wenn der christliche Solidargedanke nicht durchsetzbar ist, wenn sich die Starken nehmen, was ihnen gut scheint (hohe Abfindungen z.B. selber genehmigen), dann sieht man, wo die Weltweisheit hinführt. Die Erfolgreichen, die Macher machen die Gesellschaft kaputt. Es werden Menschen gebraucht, die sich am Kreuz, an Gottes Kraft und Weisheit orientieren und aus Gottes Wort ihr Leben und das anderer Menschen gestalten. Das ist unsere Aufgabe, das in die Gesellschaft zu tragen, daß Heilung nicht vom Geld kommt, sondern vom Wort Gottes. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Auch die Gesellschaft nicht.

Wir sind weise, wenn wir am christlichen Glauben festhalten, in Treue Gottes Wort hören und lesen, von Gott alles erwarten. Dann haben wir Hoffnung, auch in unseren schwächsten Stunden, in Krankheit und Nöten aller Art, Christus an unserer Seite zu haben. Der gekreuzigte, der Leidende ist eben auch der Auferstandene. Und darin wird die Weisheit der Welt, die sagt: „Tot ist tot, und das Leben ist kurz, darum laßt uns mitnehmen, was nur irgend geht“ ad absurdum geführt, zur Torheit gemacht, denn Gottes Weisheit geht weiter als menschliche Weisheit, und Gottes Schwäche erweist sich zuletzt als Stärke. Gottes Schwäche für uns ist unsere Rettung und überwindet unsere Stärke, mit der wir uns kaputtmachen. Das Evangelium ist paradox. Aber aus diesem Paradox kommt Leben für alle.

Amen

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