„Das Wort vom Kreuz“
Predigttext: 1 Korinther 1,18-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist's eine Gotteskraft. Denn es steht geschrieben (Jesaja 29,14): «Ich will zunichte machen die Weisheit der Weisen, und den Verstand der Verständigen will ich verwerfen.» Wo sind die Klugen? Wo sind die Schriftgelehrten? Wo sind die Weisen dieser Welt? Hat nicht Gott die Weisheit der Welt zur Torheit gemacht? Denn weil die Welt, umgeben von der Weisheit Gottes, Gott durch ihre Weisheit nicht erkannte, gefiel es Gott wohl, durch die Torheit der Predigt selig zu machen, die daran glauben. Denn die Juden fordern Zeichen, und die Griechen fragen nach Weisheit, wir aber predigen den gekreuzigten Christus, den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit; denen aber, die berufen sind, Juden und Griechen, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit. Denn die Torheit Gottes ist weiser, als die Menschen sind, und die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind.Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Der Predigttext ist Teil des Abschnitts 1 Kor 1,10-4,21, der die Spaltungen in der Gemeinde in Korinth thematisiert. Das „Wort vom Kreuz“ führt ins Zentrum paulinischer Theologie. Damals wie heute ist es harte Kost. Der Abschnitt arbeitet mit mehreren Gegensatzpaaren, insbesondere Weisheit und Torheit, Schwachheit und Stärke, Welt und Gott. Springender Punkt bei der Provokation des „Wortes vom Kreuz“ ist die Schändlichkeit des Kreuzestodes. Dass Jesus Christus wie ein Verbrecher am Kreuz stirbt, ist „den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit“ (V.23). Das „Wort vom Kreuz“ stellt die Verhältnisse auf den Kopf. Was der Welt als Torheit gilt, erweist sich als Weisheit Gottes. Was in den Augen der Welt als Schwäche erscheint, ist in Wirklichkeit ein Machterweis Gottes. Seine Stärke zeigt sich in der Schwachheit. Das Kreuz „durchkreuzt“: Es stellt geltende Maßstäbe auf den Kopf, durchkreuzt Wünsche, Pläne, Lebensentwürfe. Doch damit befreit es auch von falschen Zielen und Perfektionswahn: Ich muss mein Leben nicht aus eigener Kraft leben. Ich darf mich auf den verlassen, der meiner Schwachheit aufhilft. Mit dem Gekreuzigten steht kein strahlender Held und Siegertyp im Mittelpunkt der christlichen Botschaft, sondern einer, der Tod und Scheitern am eigenen Leib erfahren hat. Und mit ihm leidet Gott selbst. Darin zeigt sich die Stärke Gottes: mit den Schwachen zu sein, ihnen beizustehen. Dafür, wie sich vermeintliche Schwäche als Stärke erweist, gibt es viele Beispiele, berühmte (M.L. King, D. Bonhoeffer...) und weniger berühmte. Sie ermutigen, die eigene Schwäche zuzulassen und auf Gottes Kraft zu vertrauen, die in den Schwachen mächtig ist (vgl. 2 Kor 12,9). Die vorliegende Predigt ist für einen Gottesdienst mit Taufen konzipiert. Deshalb knüpft der Einstieg am Kreuzzeichen an, das den Täuflingen auf die Stirn gezeichnet wird. Alternativ könnte man beispielsweise auf das Kreuz/Kruzifix im Kirchenraum eingehen.Literaturhinweise:
Calwer Predighilfen II/2, 1997/98; 73-81; Predigtstudien II/2, 2003/04, 81-91.Liebe Gemeinde,
Das Zeichen des Kreuzes
„Nimm hin das Zeichen des Kreuzes. Du gehörst Christus, dem Auferstandenen.“ So wurde es gerade eben den Täuflingen zugesprochen. Das Zeichen des Kreuzes, ein Längs- und ein Querbalken: Es gibt wohl kaum ein anderes Symbol, das solch zwiespältige Gefühle auslöst. Der Streit um das Kruzifix-Urteil hat das noch einmal deutlich gemacht.
Das Kreuz steht in Kirchenräumen, auf Kirchturmspitzen, am Wegrand, auf Berggipfeln. Es wird verziert und verehrt. Viele tragen es als Schmuckstück um den Hals. Das Kreuz ist Sinnbild des Sterbens und Auferstehens Jesu Christi. Und im Laufe der Geschichte ist es zu dem Symbol der Christenheit geworden. So geschieht es, dass über das Kreuz nicht nur gepredigt wird. Im Zeichen des Kreuzes wurden auch Kriege geführt, Menschen gewaltsam zum Christentum „bekehrt“.
“Was bedeutet für euch das Kreuz?“ So fragen Menschen anderer Religionen. Und es fällt schwer, es ihnen verständlich zu machen. Dass da jemand leiden muss, weil Gott es so will, und dass aus diesem Leiden den Menschen Gutes erwächst, das ist nur schwer zu verstehen, im Tiefsten wohl auch gar nicht zu erfassen. Wie soll man es dann anderen erklären?
Schwierigkeiten mit dem Kreuz haben aber nicht erst Menschen in unserer Zeit. Paulus, für den das „Wort vom Kreuz“ ganz im Mittelpunkt steht, schreibt im 1. Korintherbrief von dem Befremden, das dieses Wort hervorruft. Wir lesen im 1. Kapitel, V.18-25:
(Lesung des Predigttextes)
Das Wort vom Kreuz
Das Wort vom Kreuz stellt die Verhältnisse auf den Kopf: Die Weisheit der Welt wird in Frage gestellt und als Torheit entlarvt. Und was vor der Welt als Torheit gilt, entpuppt sich als Weisheit Gottes. Paulus entfaltet hier nicht ausführlich die Bedeutung von Jesu Tod. Ihm kommt es auf einen Punkt an: Der Tod am Kreuz ist der schändlichste, den man sich vorstellen kann. Jesus wird wie ein Verbrecher hingerichtet.
Nach der Weisheit der Welt wäre hier Schluss – ein gescheiterter Versuch, die Welt zu verbessern. Die Weisheit Gottes besagt: Vor Gott zählen nicht Sieger und Erfolge. Er solidarisiert sich mit den Schwachen und Verachteten. Er kann das tun, weil er am Kreuz selbst schwach wird. Ein Gott, der Schwäche zeigt, das ist ein ungewöhnlicher, provozierender Gedanke. Paulus schreibt: „…die Schwachheit Gottes ist stärker, als die Menschen sind“ (V.25).
Durchkreuzungen
Das Wort vom Kreuz führt zu einer Umwertung aller Werte. Bestehende Maßstäbe verlieren ihre Gültigkeit. Wer ist stark und wer ist schwach? Wer ist Gewinner, wer Verlierer? Was gibt meinem Leben Sinn?
Das Wort vom Kreuz fordert heraus, die eigenen Maßstäbe aufzugeben, loszulassen von dem, was wichtig ist, und sich einem neuen Maßstab anzuvertrauen. Das Kreuz durchkreuzt. Es durchkreuzt Wertvorstellungen, Hoffnungen und Träume.
Immer wieder erfahren wir, wie ganze Lebensentwürfe in die Brüche gehen, bei uns selbst oder bei Menschen, mit denen wir zu tun haben.
Sie haben auf eine Beziehung gesetzt, auf ihre Gesundheit. Und jetzt geschieht etwas völlig Unvorhergesehenes und das ganze Leben gerät ins Wanken. Die eigene Weisheit, die bisher geholfen hat, erweist sich als unbrauchbar: „Streng dich an, dann wird’s schon wieder!“ „Wenn du nur willst, dann kannst du!“ Doch auf einmal kann ich eben nicht mehr.
Wer eine solche Krise durchlebt hat, konnte aber vielleicht die überraschende Erfahrung machen: Gerade als ich mich am Ende meiner eigenen Möglichkeiten gefühlt habe, trat die Wende ein. Und er oder sie beginnt zu ahnen, was Paulus als die neuen Möglichkeiten Gottes beschreibt.
„Das Wort vom Kreuz mutet Menschen zu, dass sie loslassen, um beschenkt zu werden, dass sie sterben, um neues Leben zu gewinnen, dass sie in einer Welt der Macht und Stärke auf den vertrauen, der am Kreuz gestorben ist.“ (Zitat Predigtstudien, S.82)
Der Gekreuzigte: Stärke durch Schwachheit
Der gekreuzigte Christus ist ein Gegenbild zu den Idealbildern vom starken, strahlenden, jugendlichen Helden. Doch gerade darin liegt seine Kraft. Er steht für die Zerbrechlichkeit unseres Lebens. Zerbrechlichkeit gehört zur menschlichen Existenz dazu, aber gerade daraus kann neue Kraft entstehen.
Wenn ich diese Zerbrechlichkeit annehmen kann, dann wirkt das ungeheuer befreiend: Ich muss mein Leben nicht aus eigener Kraft bewältigen. Ich muss nicht alles können, in allem perfekt sein. Ich darf zu meiner Schwäche stehen, denn sie gehört zu mir. Sie hat ihren Sinn darin, dass sie mich auf das verweist, was Gott in mir bewirken kann. „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig“, sagt Paulus an anderer Stelle (2 Kor 12,9). Und Paulus weiß, wovon er redet. Er hat sich selbst mit seinem Auftrag oft überfordert gefühlt, war den vielen Kritikern nicht gewachsen.
Im Bekenntnis der Schwachheit liegt Stärke
Zur eigenen Schwäche stehen, das ist allerdings nicht gerade populär. Vor ein paar Tagen malte der Autor einer Rundfunkandacht in etwa folgende Szene aus: Die führenden Politiker der Regierungsparteien gehen an die Öffentlichkeit und verkünden dieses Mal nicht: „Wir haben die Sache schon im Griff. Die Menschen in diesem Land brauchen nur noch etwas Geduld, dann wird sich die Konjunktur erholen und die Arbeitslosigkeit wird sinken.“ Sondern: „Wir Politiker sind im Moment ratlos. Eigentlich müssten wir die Steuern erhöhen, um die Schulden abzubauen. Aber dann schaffen die Reichen ihr Kapital ins Ausland. Also senken wir die Steuern und machen noch mehr Schulden. Dadurch wird alles noch viel schlimmer. Was sollen wir tun?“ Undenkbar, eine solche Verlautbarung – jedenfalls nach der Weisheit der Welt. Und nach der Weisheit Gottes? Solch ein Bekenntnis würde vielleicht nicht gerade die Chancen zur Wiederwahl erhöhen, aber es könnte Kreativität freisetzen, mutiger nach Lösungswegen suchen lassen.
Die Kraft der Schwachen
„Die Kraft der Schwachen“– so lautet der Titel eines Buches über Martin Luther King und seine Familie. Martin Luther King wäre in diesem Jahr 75 Jahre alt geworden. Als Farbiger gehörte er zu einer unterdrückten Minderheit mit eingeschränkten Rechten. Doch Gewalt war für ihn kein Zeichen von Stärke, sondern von Schwäche. Seine Kraft bezog er aus dem Glauben, dass Gott auf der Seite der Schwachen ist. Sein eigenes Leben hat er nicht retten können, aber sein Ideen, seine Reden und Aktionen haben Veränderungen bewirkt, die niemand für möglich gehalten hätte.
M.L. King ist ein sehr berühmtes Beispiel, doch es gibt unzählige Menschen, die sich von denen nicht abschrecken lassen, die ihnen sagen: „Mit deiner kleinen Kraft kannst du sowieso nichts bewirken!“
Und dennoch bringen sie Steine ins Rollen. Eine Schulklasse übernimmt die Patenschaft für ein Kind in Indien und ermöglicht ihm damit den Schulbesuch. Andere Klassen schließen sich an. Eine Frau macht ehrenamtlich Besuche im Krankenhaus. Im Team der „grünen Damen“
ist sie aus dem Krankenhausalltag nicht mehr wegzudenken.
Das Wort vom Kreuz verweist nicht nur auf die Schwachheit, sondern in ihm liegt auch eine Kraft. Das Kreuz, dieser Ort des Todes, wurde für die Christen zu einem Zeichen der Hoffnung. Der Gott, der mit Jesus Christus durch den Tod gegangen ist, hat ihn zu neuem Leben erweckt.
„Nimm hin das Zeichen des Kreuzes. Du gehörst Christus, dem Auferstandenen.“ Was den Täuflingen zugesprochen wurde, gilt auch uns. Kraft kann aus dem Geringen erwachsen, gerade da, wo wir es nicht vermuten, dann aber um so beglückender.
Amen