Sterben, um leben zu können?

Predigttext: Römer 6, 3 – 8
Kirche / Ort: St. Matthäus-Kirche Barendorf
Datum: 18.07.2004
Kirchenjahr: 6. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pastor Günter Bisping

Predigttext: Römer 6,3-8 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

3 Oder wißt ihr nicht, daß alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? 4 So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln. 5 Denn wenn wir mit ihm verbunden und ihm gleichgeworden sind in seinem Tod, so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein. 6 Wir wissen ja, daß unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde, so daß wir hinfort der Sünde nicht dienen. 7 Denn wer gestorben ist, der ist frei geworden von der Sünde. 8 Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, daß wir auch mit ihm leben werden.

Homiletische Vorüberlegungen

Ein anstößiger Text von Paulus – für Theologinnen und Theologen nichts Neues. Die Kerngemeinde erwartet vertrauensvoll die Auflösung der Anstößigkeit – aber wie geht es ggf. einer Tauffamilie? Selbst eine verkürzte Kreuzestheologie zu vermitteln, dürfte sogar bei einer ‚wohlwollenden’ Tauffamilie ein schwieriges Unterfangen sein: „die sind in seinen Tod getauft“ (V.3), und wie könnte „so werden wir ihm auch in der Auferstehung gleich sein“ (V.5) in lebensnahe Worte gekleidet werden, damit die großartige Verheißung gehört  werden kann? Für mich waren die Anregungen in den Predigtstudien (2004) von Karl-Heinrich Bieritz sehr hilfreich, etliches ist wörtlich übernommen; außerdem: Referat Margot Käßmann in Erfurt am 28.5.2004.

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Liebe Gemeinde,

zu den ganz alltäglichen, ja routinemäßigen – und doch sehr schönen
und beglückenden Arbeitsabläufen für einen Pastor gehört diese Art von Telefonat, meistens eine junge Frauenstimme am andern Ende der Leitung: „Unser Kind ist jetzt vier Monate alt, und wir wollten es nun taufen lassen, da bin ich bei ihnen doch richtig?“

Ich antworte dann: „Sie sind völlig richtig verbunden, herzlichen Glückwunsch ..“ usw., wir versuchen dann einen passenden Taufsonntag abzustimmen, Patenfrage, und um alles genauer zu besprechen, einen Termin für ein Taufgespräch. Taufe, das ist eine freudige Angelegenheit für ein Elternpaar und auch für uns in der Kirche.

Entsprechend freundlich, zuweilen herzlich, werde ich empfangen, wenn ich dann wie verabredet bei der Familie erscheine. Unter anderem wird natürlich der Ablauf der Taufe besprochen, und dazu erkläre ich den Eltern die erste Zeichenhandlung: „Nimm hin das Zeichen des Kreuzes ….“ Was das bedeutet? Fast stereotyp wird von Vater oder Mutter dann erklärt: „Das ist so etwas wie ein Segen.“ Ja, sicher. Aber was für einer? Zeichen des Kreuzes das ist doch das Symbol für das Sterben von Jesus! Und vorsichtig versuche ich den Zusammenhang zu erklären, wie die Taufe mit dem Kreuz zusammenhängt.

Das mache ich jetzt nicht, sondern Sie hören es nun original, wie Paulus es seinerzeit den Christen in Rom erklärt hat, in seinem Brief im 6. Kapitel, Verse 3 – 8.

(Lesung des Predigttextes)

Hat Paulus das auch vorsichtig erklärt wie ich? In meinen Ohren nicht.
Er fällt eher mit der Tür ins Haus, man könnte sogar einen gewissen Vorwurfston heraushören: „Wisst ihr nicht …“ und dann spricht er vom Tod, von Kreuzigung und Sünde. Kann man das als gute Nachricht hören, ja, haben Sie als Hörer eben diese großartige Lebensverheißung wahrgenommen, wie sie im letzten Vers formuliert wurde: „Sind wir aber mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden“? Deshalb bin ich so vorsichtig in meinen Erklärungen geworden, weil eine Mutter mir einmal im Taufgespräch sehr deutlich erklärte: „Nein, das will ich nicht, dass mein Kind mit dem Tod in Verbindung gebracht wird. Es ist gerade erst geboren, und bei der Taufe will ich davon nichts hören!“

In der Tat: Nehme ich das ernst, heißt das: Kaum haben Eltern ein vielleicht lange ersehntes Kind bekommen, sollen sie es schon wieder
zu Grabe tragen. Ist das nicht eine Zumutung? Schlimmer noch: Sie sollen das Schicksal ihres Kindes für immer an das Geschick eines Menschen binden, der vor langer Zeit hingerichtet und von seinen Freunden betrauert und begraben wurde.

Ließe ich diesen anstößigen Satz einfach weg, beließe ich es bei dem Wochenspruch: „Fürchte dich nicht …“, es wäre für die meisten Religion genug und wären nicht viele sogar freudig einverstanden, wenn ich sogar Schicksalsmächte anrufen würde wie im Märchen Dornröschen? „Als das Fest zuende war, traten die weisen Frauen an die Wiege und beschenkten Dornröschen mit ihren Wundergaben: ‚Hier hast du, sprach die erste, eine Urkunde, auf der dein Name verzeichnet ist. Den halte fest, denn er macht dich zu einer einzigartigen, einmaligen Persönlichkeit.’ “

Und so könnten die Wünsche und Geschenke der Feen weitergehen:
Die zweite überreicht ein Billet und sagt: „Ich gebe dir ein ‚Round- the-world-ticket’, das macht dich frei und flexibel; mit dem kannst du reisen, wann und wohin du willst.“ Die dritte: „Ich habe für dich eine ‚Super-money-Express-Card’, die öffnet dir unterwegs alle Türen.“ Die vierte sichert die Zukunft: „Ein Kapital-Lebensversicherung, ausgestellt
auf deinen Namen, sichert dich ab im Alter.“ „Kaum nötig“, sagte die fünfte, „denn ich bringe dir Schönheit, Ruhm und ewige Jugend. Und sie überreicht ihr ein Heft mit allerlei Gutscheinen: ein Dauerabo für das Fitness-Center um die Ecke, Schecks für eine Anti-aging-Kur auf den Malediven, für ein Dutzend Kosmetiktermin und eine Schönheitsoperation in Davos, für eine Einladung zu Frau Christiansen und einen Besuch bei Dieter Bohlen. Und so kann die moderne Prinzessin ihr Leben beginnen, frei von allen Verpflichtungen gegenüber Land und Leuten, wird sie ihre Biographie so zurechtbasteln, dass sie möglichst viel vom Leben hat und ihre Mitmenschen dazu da sind, ihr zu Diensten zu sein.

Ein zauberhaftes Leben, so wie es sich Eltern für ihre Kinder wünschen? Sicher, denn wer würde seinen Kindern Leid und Schwierigkeiten und sonst welche Lebensmühen als Wunsch in die Wiege legen wollen? Nur: zurückgebracht auf den Boden der Tatsachen hier beginnen es auch die Arglosesten zu ahnen, dass dieses alles nichts mit dem Segen des Kreuzes zu tun haben kann.

„…. die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft“, sagt Paulus. Es muss etwas absterben. Vielleicht muss bei
den Eltern der Wunsch absterben, dass ihr Kind einmal etwas ganz Besonderes sein sollte. Haben die vielen kleinen Prinzen und Prinzeßchen nicht unbewusst diesen Wunsch ihrer Eltern als Hypothek im Nacken, und entsprechend verhalten sie sich, suchen ihre Rolle zu finden, ihren Platz im Leben. Aber wie sollen sie finden, wenn ihnen überhaupt keine Anleitung, kein Kompass für diesen unübersichtlichen Lebensdschungel mit auf den Weg gegeben worden ist?

Wohl sind sie getauft, aber haben ihnen die Eltern mehr davon erzählt
als diesen hilflos witzig hingeworfenen Satz: „Da hat dich der Pastor nassgespritzt?“ Und es ist ein Hunger da nach Leben, ja, nach sinnvollem Leben, und sie werden ihn zu sättigen versuchen, denn Religion gibt es auf der Straße zu kaufen. Wenn z.B. ein großer Autokonzern in der Werbung einen Mann am Abgrund zeigt mit der Frage: „Woher komme ich, wohin gehe ich?“ , also die urreligiöse, schlechthin
d i e Sinnfrage stellt, und dann auf der nächsten Seite erklärt wird:
„Und warum weiß mein Auto die Antwort?“ wird das Auto zum religiösem, zum sinnstiftenden Objekt gemacht. Davon gibt es unzählig viele. Unsere Bischöfin fragt zugespitzt in einer Rede: „“Findet sich in Deutschland Religiosität nur noch in der Werbung?“ Und dies ist es, was in der Bibel „Sünde“ genannt wird: Dass Gott ersetzt ist durch irgendetwas von Menschen Gemachtes.

Ist jetzt besser zu verstehen, was Paulus meint: “…. unser alter Mensch muss mit ihm gekreuzigt werden, damit der Leib der Sünde vernichtet werde ….“? Noch einmal zurück zu Dornröschen. Ausgerechnet an ihrem Geburtstag sind die Eltern ausgeflogen und das Mädchen ist allein im Haus. „Da ging es allerorten herum, besah Stuben und Kammern, wie
es Lust hatte, und kam endlich an einen alten Turm …“ Ist das nicht sehr modern? Wer Kinder in dem Alter hat oder hatte, kennt das. Irgendwann ziehen die allein los und erkunden neue Räume, voller Neugier auf das Leben, da hinter geheimnisvollen Türen auf sie wartet. Doch da ist
dieser alte Turm mit dieser alten Frau und ihrem alten Fluch …. und alle Elternliebe vermag es nicht zu verhindern, dass das Kind sich an der Spindel sticht. Dass es solche Räume, solche Flüche gibt, muss man Eltern heutzutage nicht eigens erzählen. Schreckensbilder dieser Art können nachts in Träumen auftauchen: Ohnmächtig sehen sie zu, wie ihre Kinder Rattenfängern auf den Leim gehen, die als Leben verkaufen, was doch Verderben bringt. Wie sie den Trommeln folgen, die in die Irre führen. In Gier, Hass, Gleichgültigkeit, Verblendung und Verblödung. So oder so – in den Tod.

Und damit umschreibt Paulus das Geheimnis der Taufe: Man vermag diesem Fluch nur zu entkommen, indem man ihm – stirbt. „Ich tauche dich“, könnte er sagen, „in den Tod, den Christus für dich starb. Mit ihm begraben bist du frei vom Fluch. Mit ihm erweckt bist du frei für das Leben“. Eine gewaltige Aufgabe heute, frei zu werden von den Schicksalsmächten, die diese Namen haben: Medien, Moden, Drogen, geheime und öffentliche Verführer. Da gilt es zu lernen zu sagen: „Ihr könnt mich mal!“

Dies dürfen wir erinnern, wenn wir an unsere eigene Taufe denken: „Sind wir mit Christus gestorben, so glauben wir, dass wir auch mit ihm leben werden“.

Amen

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