Dass unsere Gemeinden wie damals Geborgenheit vermitteln…

Predigttext: Apostelgeschichte 2,41a.42-47
Kirche / Ort: Krautostheim (Sugenheim)
Datum: 25.07.2004
Kirchenjahr: 7. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Hermann Ruttmann

Predigttext: Apostelgeschichte 2,41a.42-47 (nach Klaus Berger / Christiane Nord: Das Neue Testament und frühchristliche Schriften)

„Die Zuhörer ließen sich überzeugen und wurden getauft … Sie hielten sich treu an die Lehre der Apostel, bewahrten Gemeinschaft, feierten gemeinsam das Mahl und beteten regelmäßig. Die Außenstehenden beobachteten dies voll Angst und Schrecken, zumal die Apostel außerdem zahlreiche Wunder und Zeichen wirkten. Alle Gläubigen aber hielten eng zusammen. Sie betrachteten ihren Besitz als gemeinsames Eigentum, und wenn sie etwas davon verkauften, wurde der Erlös geteilt. Jeden Tag beteten sie einmütig im Tempel, in den Häusern wurde bei den gemeinsamen Mahlzeiten das Brot zerteilt. Sie waren reinen Herzens und voller Jubel dabei, sie lobten Gott, und das Volk schätzte sie sehr. Jeden Tag schenkte Gott ihrer Gemeinde einen weiteren Zuwachs an Erlösten.“

Vorüberlegungen

- Lukas verbindet in seiner idealisierten Darstellung der Urgemeinde Einzelnachrichten und ein von ihm beabsichtigtes „Vor-Bild“ für seine eigenen Gemeinden. - Die Einzelnachrichten: Die Gemeinde beteiligte sich am Tempelkult, sie hielt fest Gebetszeiten ein, sie kümmerte sich um die sozial Schwachen. - Sein Idealbild einer Gemeinde: Keine Lehrstreitigkeiten, keine Unterschiede durch Besitz, gemeinsames Lob, gemeinsame Mahlzeiten in Anlehnung an das letzte Abendmahl Jesu. Stegemann (Urchristliche Sozialgeschichte) sieht in der Darstellung das „ideale Modell der antiken Freundesliebe“ (S.241). - Eine theologische Zielrichtung des Lukas ist: Die erste Gemeinde hat das Band zum Judentum nicht zerschnitten, sondern sich innerhalb der Tempelgemeinde bewegt, bis die jüdischen Behörden die Trennung vollzogen. Das Volk schätzte diese Gruppe innerhalb des Judentums. Diesen theologischen Aspekt werde ich nicht vertiefen. - Als Anknüpfungspunkt für den „Urkommunismus“ wähle ich das „Manifest der Kommunistischen Partei“, um dann gegen Ende der Predigt auf die Unterschiede zurückzukommen: Die ersten Christen verbindet die Liebe, das Kommunistische Manifest ist auf Klassenkampf und Hass aufgebaut.

Vorschläge zur Liturgie

Psalm 8 (auch die erste Gemeinde versammelte sich zum Lob Gottes) Bußruf (Verstärkung durch Taize-Kyrie EG 178,12): Vater im Himmel, wir bekennen vor Dir, dass wir Unrecht getan haben in der vergangenen Woche und Deine Gnade brauchen. Deshalb bitten wir Dich: Kyrie… Vater im Himmel, wir bekennen vor Dir, dass wir die Gemeinschaft nicht leben, die Du in Deiner ersten Gemeinschaft in Jerusalem gestiftet hast. Deshalb bitten wir Dich… Vater im Himmel, wir bekennen, dass wir manchmal müde werden im Glauben und uns die Worte Deines Sohnes lästig sind. Das bereuen wir und bitten Dich gemeinsam… Gnadenzusage: Gott, unser Vater, vergibt uns. Er weiß um unsere Anfälligkeit, Dinge zu tun, die uns von ihm trennen. Er vergibt uns, weil wir ihn um Erbarmen gebeten haben. Er hat uns in der Taufe ein Zeichen gegeben, dass er uns liebt und er schenkt uns jeden Tag einen neuen Anfang. Amen. Tagesgebet: Gott, unser Vater, Gemeinschaft hatten die ersten Christen in Jerusalem – sie teilten Freud und Leid. Gemeinschaft hatten die ersten Christen – sie teilten Hab und Gut. Gemeinschaft hatten die ersten Christen – sie teilten, was sie hatten und was sie brauchten. Schenke Du uns heute in diesem Gottesdienst einen Vorgeschmack auf diese Gemeinschaft, auf die Einigkeit untereinander, dass wir teilen, was wir mitbringen, dass wir teilen, was wir mit nach Hause bringen wollen und dass wir Dich loben und zu Dir beten. Mache es möglich durch Deinen Sohn Jesus Christus. Amen. Lesung: 2. Mose 16,2-3.11-18 (Speisung der Israeliten mit Manna und Wachteln – jeder bekommt soviel, wie er braucht) Fürbitten: Gott, unser Vater, wir danken Dir für das Vorbild, das wir in der ersten Gemeinde in Jerusalem erkennen dürfen. Wir bitten Dich: Gib uns Mut, ihnen nachzueifern und als Gemeinde die dieselbe Geborgenheit auszustrahlen. Wir bitten Dich für alle, die an Leib oder Seele ein Bedürfnis haben: Gib uns die Weisheit, das Gleichgewicht zwischen beidem zu finden und Gebet und Hilfe recht zu gewichten. Wir bitten Dich für uns: Gib uns etwas vom Geist der ersten Christen, die etwas gewagt haben für ihren Glauben, die etwas aufgegeben haben und reichlich beschenkt wurden. In der Stille bitten wir Dich um das, was uns bewegt: Wir beten zu Dir in den Worten Deines Sohnes: Vater unser im Himmel… Lieder: Eingangslied EG 161 Liebster Jesu, wir sind hier Predigtlied EG 657 (bayr.) Damit aus Fremden Freunde werden Segenslied EG 171: Bewahre uns, Gott (Anspielung auf die Israeliten in der Wüste) 1-4

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Liebe Gemeinde,

Der Kommunismus

das Heft, das ich hier in Händen halte, hat einen Anfang, der 150 Jahre lang Menschen in Angst und Schrecken versetzt hat – anderen hat er Mut gemacht. Es ist das „Manifest der Kommunistischen Partei“, das Karl Marx und Friedrich Engels 1848 veröffentlichten. Und der von mir angesprochene erste Satz lautet: „Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus“. Es ging den beiden, Marx und Engels, darum, das Privateigentum abzuschaffen, das Privateigentum an Land, an den Fabriken und im Handel. Niemandem sollte etwas gehören und allen alles. „Volkseigentum“ sollte das später heißen. Bei den Leuten, die nichts hatten, fiel diese Botschaft auf einen fruchtbaren Boden, zunächst die Sozialdemokraten und später die Kommunisten versprachen, auf Grundlage dieses Manifestes und der Lehren von Karl Marx allen Entrechteten und Unterdrückten zu ihrem Recht zu verhelfen.

Millionen zogen für die Idee des Kommunismus auf die Straße und später in die Schützengräben, Millionen Menschen gaben freiwillig ihr Leben dafür, dass die Armen zu essen bekommen sollten, dass sie ein bisschen Glück in ihrem Leben haben könnten, in Frieden leben, ohne mehr Rechte für andere. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ – die drei Ziele der französischen Revolution waren zunächst noch die Worte auf den Flaggen und Bannern des Kommunismus. Millionen starben – oft aber auch unfreiwillig. Weil sie gezwungen wurden, mitzukämpfen auf der einen oder anderen Seite. Millionen starben, weil sie ein Stück Land besaßen – wie in Russland Ende der 20er Jahre, Millionen starben, weil sie in Verdacht gerieten, Spione zu sein, eine andere Meinung zu vertreten. Millionen starben an Hungersnöten, weil niemand mehr Land bebauen wollte, das einem nicht gehört, weil sich niemand mehr einsetzen wollte an der Herstellung von Dingen, von denen er nichts hatte. Die „Brüderlichkeit“ starb zuerst, als sich die Kommunisten zerstritten. Die „Freiheit“ gleich darauf, als die Parteien die Herrschaft übernahmen und zuletzt starb die „Gleichheit“, als die Kader der Partei die Luxusgüter für sich beanspruchten. Dabei hatte mit diesem „Kommunistischen Manifest“ alles so schön begonnen.

Der Urkommunismus der ersten Christen

So schön begonnen hatte es auch mit den Christen – auch sie hatten eine Idee von Gleichheit unter den Menschen, vom Teilen untereinander und vom Glück für alle, die zu Gottes Reich gehören. Lukas schreibt in seiner Apostelgeschichte über die erste Zeit nach dem Pfingstereignis mit den Aposteln:

„Die Zuhörer ließen sich überzeugen und wurden getauft … Sie hielten sich treu an die Lehre der Apostel, bewahrten Gemeinschaft, feierten gemeinsam das Mahl und beteten regelmäßig. Die Außenstehenden beobachteten dies voll Angst und Schrecken, zumal die Apostel außerdem zahlreiche Wunder und Zeichen wirkten. Alle Gläubigen aber hielten eng zusammen. Sie betrachteten ihren Besitz als gemeinsames Eigentum, und wenn sie etwas davon verkauften, wurde der Erlös geteilt. Jeden Tag beteten sie einmütig im Tempel, in den Häusern wurde bei den gemeinsamen Mahlzeiten das Brot zerteilt. Sie waren reinen Herzens und voller Jubel dabei, sie lobten Gott, und das Volk schätzte sie sehr. Jeden Tag schenkte Gott ihrer Gemeinde einen weiteren Zuwachs an Erlösten.“

Seit Menschen die Bibel lesen, hat sie diese Stelle in den Bann geschlagen – die Vorstellung von Einigkeit, von Frieden, gemeinsamem Eigentum, Liebe und Gleichheit unter den Geschwistern Jesu: Ein Traum hatte sich verwirklicht. Als „Urkommunismus“ wurde aufgrund dieser Stelle in der Apostelgeschichte das Leben der ersten Gemeinde in Jerusalem bezeichnet. Sie teilten alles und wenn einer was verkaufte, dann hatten alle etwas davon. Warum hat dieser Text so anregend gewirkt für Reformgruppen innerhalb und außerhalb der Kirche? Ich habe 3 Gründe gefunden:

Die Gemeinde vermittelt Geborgenheit

Jeder, der getauft wird und Christ wird, bringt das mit, was er hat. Auch wenn er nichts hat, kann er sich geborgen fühlen: Der Enthusiasmus, die Begeisterung für den neuen Glauben dieses gekreuzigten und auferstandenen Jesus von Nazareth überwindet alle Grenzen, die sonst zwischen Menschen vorhanden sind. Ich muss es gestehen: Auch ich sehne mich immer wieder nach dieser Geborgenheit: Nach einer Gemeinde, wo nicht ständig geschaut wird, warum der andere das macht, was er macht, ich sehne mich nach einer Geborgenheit, wo ich meine Schutzpanzer fallen lassen kann. Wo ich das sagen kann, was ich denke, und wo ich nicht ständig schauen muss, was ich wem sagen kann. Diese Geborgenheit ist für mich immer noch ein Ziel bei meinem Gemeindebild. Und diese Geborgenheit der ersten Gemeinde sollte für unsere Kirchengemeinden ein Vorbild sein, das es zu erreichen lohnt.

Die Gemeinde spricht alle Sprachen

Der Heilige Geist hat vorher die Grenzen zwischen Menschen niedergerissen – das ist der Inhalt des Pfingstwunders: Alle haben sich verstanden, egal, welche Sprache die Menschen sonst sprechen. Alle haben sich verstanden, sie werden ja aufgezählt: Menschen aus Asien, aus Europa, aus Afrika – alle waren erfüllt vom Heiligen Geist und schlossen sich der Gemeinde an. Die Sprachverwirrung in unseren Gemeinden ist für mich immer noch eine Anfechtung. Wer spricht in der Kirche welche Sprache? Herrscht die Sprache der Deutlichkeit vor, der Ehrlichkeit? Oder sprechen wir eine Zweitsprache, die mehr verdeckt als offen sagt: Wenn wir als Kirche davon reden, dass wir kein Geld mehr haben für bestimmte Arbeitsfelder, für bestimmte Stellen, für eine bisher wichtige Arbeit: Sprechen wir das offen aus oder drücken wir uns um deutliche Aussagen, um Entscheidungen, die alle mittragen können. Oder haben wir die Sprache der Wirtschaft übernommen, die ja von „Freisetzung“ spricht, statt von „Entlassung“? Und andersherum in unseren Kirchengemeinden: Sprechen wir in der Kirche anders als wir dann handeln? Ist die Sprache des Sonntags von derselben Art wie das Handeln am Montag?

Die Gemeinde verbindet Leib und Seele

Die ersten Christen teilten das, was die Menschen brauchen zum Leben, zum Überleben. In dem Satz spiegelt es sich wieder: „In den Häusern wurde bei den gemeinsamen Mahlzeiten das Brot zerteilt.“ Sie haben gemeinsam gegessen, damit niemand hungern muss und sie haben dabei an die Gemeinschaft gedacht, die Jesus mit dem Brechen des Brotes unter seinen Jüngern stiftete. Niemand musste hungern. Sie nahmen sich das, was sie zum Leben brauchten – so wie die Israeliten in unserer Lesung mit Manna und Wachteln versorgt wurden: Niemand musste hamstern, weil genug für alle da war. Und die ersten Christen haben täglich miteinander gebetet, sie haben Lieder zum Lob Gottes gesungen, sie haben ihre Seele gepflegt. Das, was im Alten Testament nie getrennt ist, Leib und Seele, weil die Einheit unser Leben ausmacht, das ist bei den ersten Christen verbunden wie bei Jesus. Für mich bleibt das Gleichgewicht eine Anfrage: Kümmern wir uns nur noch um die Diakonie, um die Versorgung der Menschen in den
Katastrophengebieten? Oder andersherum: Kümmern wir uns nur um das geistige und geistliche Wohlergehen? Beten wir lieber, als für andere Menschen das Überleben zu sichern? Die Verbindung ist es, was die ersten Christen auszeichnete: Beten und Teilen, Leib und Seele.

Die Kirche muss immer wieder reformiert werden, sonst wird sie zum Gespenst

Die erste Gemeinde mit ihrem „Urkommunismus“ vermittelt Geborgenheit, die Gemeinde spricht alle Sprachen und die Gemeinde verbindet Leib und Seele – drei Dinge, die diesen Predigttext zum Motor für innerkirchliche Reformen haben werden lassen. Aber dass es diese innerkirchlichen Reformen gebraucht hat, zeigt ja, dass es nicht immer so geblieben ist mit den Christen: Die einen Apostel wollten im Judentum verbleiben, die anderen sich lösen und sie zerstritten sich. Die einen Christen wollten von ihrem Wohlstand nicht teilen – die anderen lebten ihren Neid auf die aus, die Häuser und Besitz hatten. Die einen warteten auf die baldige Wiederkunft Jesu, die anderen richteten sich auf Jahrtausende ein.

Der Kirche ging es so wie den Kommunisten: Viele nutzten die Idee zur Predigt von Hass und Gewalt, zumindest zum Wegschauen, wenn andere Gewalt ausübten. Und das, obwohl doch Jesus und die erste Gemeinde auf die Liebe gewiesen haben – das unterscheidet sie von Marx und Engels, in deren Manifest so viel von Hass und Neid zu lesen ist und der Klassenkampf gepredigt wurde. Deshalb konnte die Idee, die so viel mit der Urgemeinde in Jerusalem zu tun hatte, auf Dauer nur verlieren: Der Kommunismus wurde zum Gespenst, vor dem man Angst hatte, der auf Angst und Hass aufgebaut war. Wir als Kirche können von ihm lernen: Wenn wir unseren Glauben auf Angst und Hass aufbauen, wenn wir nur noch den Kampf predigen und die Liebe dabei vergessen, dann werden auch Kirche und Christentum zu einem Gespenst werden, das nur noch spukt, aber nicht mehr lebt.

Ich wünsche uns und unser Kirche, dass dieser mutmachende Text des Lukas über die erste Gemeinde in Jerusalem uns immer wieder ein Vorbild sei in dem, was wir an Glauben ausstrahlen: Dass unsere Gemeinden wie damals Geborgenheit vermitteln, dass sie alle Sprachen sprechen und Leib und Seele verbinden. Und ich wünsche uns, dass wir uns und unsere Gemeinden immer wieder überprüfen, ob wir noch auf dem Weg der Liebe sind, ob wir noch miteinander teilen oder ob wir den Weg der Angst und des Neides gehen. Ich wünsche uns, dass das Vorbild der ersten Christen mit ihrem Urkommunismus für uns ein Ziel des Zusammenlebens bleibt – und die Geschichte des Kommunismus im letzten Jahrhunderts möge uns dabei ermahnen, dass wir bei der Verwirklichung den Weg der Liebe nicht verlassen.

Dazu helfe uns die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes.

Amen.

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