Da weiß man, was man vorher nicht hatte…

Predigttext: Epheser 2,(1)4-10
Kirche / Ort: Christuskirche / Remscheid
Datum: 22.08.2004
Kirchenjahr: 11. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dietrich Hombeck

Predigttext: Epheser 2,(1)4-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(Auch ihr wart tot durch eure Übertretungen und Sünden, in denen ihr früher gelebt habt nach der Art dieser Welt, unter dem Mächtigen, der in der Luft herrscht, nämlich dem Geist, der zu dieser Zeit am Werk ist in den Kindern des Ungehorsams. Unter ihnen haben auch wir alle einst unser Leben geführt in den Begierden unsres Fleisches und taten den Willen des Fleisches und der Sinne und waren Kinder des Zorns von Natur wie auch die andern.) Aber Gott, der reich ist an Barmherzigkeit, hat in seiner großen Liebe, mit der er uns geliebt hat, auch uns, die wir tot waren in den Sünden, mit Christus lebendig gemacht - aus Gnade seid ihr selig geworden -; und er hat uns mit auferweckt und mit eingesetzt im Himmel in Christus Jesus, damit er in den kommenden Zeiten erzeige den überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch seine Güte gegen uns in Christus Jesus. Denn aus Gnade seid ihr selig geworden durch Glauben, und das nicht aus euch: Gottes Gabe ist es, nicht aus Werken, damit sich nicht jemand rühme. Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen.

Überlegungen zu Text und Predigt

I. Mit ”aber” beginnt der vorgeschlagene Predigttext: Es geht um den Gegensatz von Einst (V. 1-3) und Jetzt (V. 4-10) des Christen. Die Verse 1-3 und 4-10 gehören also zusammen, sollten darum auch im Gottesdienst als Einheit verlesen und bedacht werden. II. Eingebettet zwischen Lobpreis und Gebet Kap. 1 und den ekklesiologischen Abschnitt Kap. 2, 11ff beschreibt Eph. 2, 1-10 das Jetzt des Christen als ein Bewähren des schon Gerettetseins. Nicht das Mitsterben in Christus ist heilswichtig, sondern das mit ihm schon gegenwärtig gültige Lebendigsein im Himmel: gegenwärtige Zukunft. Die Zukunft bringt für Eph. nichts Neues, nur hat der Mensch noch nicht den Einblick in sie. Die Terminologie wirkt zwar z.T. paulinisch, aber die Gedankenwelt des Eph. geht doch über Paulus hinaus. Paulus spricht von der eschatologischen Rechtfertigung des Sünders, für Eph. ist der Christ schon gerettet, schon in der Heilswelt des Himmels. Nicht um eine Parusie-Erwartung der Christen geht es, sondern um eine realisierte Eschatologie. Klingt "gnostische" Lehre an? Eph. will Christen mit dieser theologischen Grundsatzabhandlung an ihre Tauferwählung und -verpflichtung erinnern. Ihnen wird die gnadenhafte, freie Erwählung durch Gott, das erlangte Heil ins Bewusstsein gerufen, das auf kirchliche Gemeinschaft zielt. Wird in V. 1-3 schon sprachlich das Einst, das von Gott abgewandte Leben des Menschen, als Fragment deutlich, liegt das Hauptgewicht des Textes auf dem Jetzt. Im Einst war der Mensch Subjekt, im Jetzt ist Gott Subjekt allen Geschehens (von Eph. auch grammatisch so dargestellt). Er handelt am Menschen, verwandelt ihn. Nicht der Mensch erwirbt sich irgendetwas vor Gott, sondern Gott schafft und schenkt das neue Sein und den neuen Wandel. Aus dem Tod schafft Gott das Leben, aus dem toten Sünder den geretteten Christen, aus Kindern des Zorns Kinder Gottes. Dies wird Gott als sein Erbarmen für ferne Zeiten deutlich machen (V. 7 meint 'Äonen' temporal, nicht im Sinne der Gnosis als Wächter am Zugang zum Himmel). Dieser Wandel vom Einst zum Jetzt liegt für Eph. (wie für Kol.) in der Taufe begründet. Er ist kein Grund des Selbst-Ruhms - weder vor Gott noch vor Menschen. Niemand hat durch sich anderen etwas voraus. Alles ist Gabe Gottes. Damit kann der Christ fröhlich leben. So sind auch die Werke nicht Gesetzeserfüllung, nicht eigenes Werk, sondern gründen in Gottes Vorbereitung; sie sind notwendige, natürliche Folge aus dem Gerettetsein und zugleich sein Ziel, an das Eph. Christen erinnert. III. Was werde ich daraus predigen? Predige ich (wie üblich) Paulus (dann gegen Eph.) oder Eph.? Muss ich der Gemeinde die Unterschiede deutlich machen? Ich werde das nicht tun, werde in der Predigt nicht paulinisches Rechtfertigungsdenken dem Errettetsein von Eph. gegenüberstellen. Das könnte interessant für die Bibelstunde sein, aber m. E. nicht für die Predigt. „Thema“ der Predigt wird das Jetzt gegenüber dem Einst sein - allein als Geschenk Gottes. Wenn allerdings Eph. feststellt, dass wir im Jetzt als „im Himmel“ leben, kommen Fragen: Lebe ich wirklich im Himmel? Was antworte ich auf die Fragen nach dem Elend und nach der Schuld, die bis heute zum menschlichen Leben gehört? Soll ich von einer „Art Doppelgänger im Himmel“ (Lohmeyer) sprechen? Außerdem: Wenn die Taufe Grundlage des gültigen Errettetseins ist, was ist dann mit denen, die sich trotz Taufe von der Kirche als dem Leib des einen Hauptes lösen, die also ihr neues Jetzt nicht als Kirche leben? Wirft Gott sie aus dem Himmel? Die Antwort könnte Folgen für manche Kirchenordnung haben. In meiner Predigt über das neue Sein des Christenmenschen werde ich - dem Eph. Entsprechend - dem Einst nicht zu großen Raum zubilligen. Erfahrungsgemäß fällt (mir) zwar zum Einst des Sünders viel mehr ein; aber schon sprachlich bildet das Jetzt das Hauptgewicht des Textes. Außerdem sehe ich Kap. 1 als Überschrift über Eph.; also sollen Dank und Freude vorherrschen. Ich werde deutlich machen, dass wir als Getaufte in Christus sind, in dem, der im Himmel und auf der Erde, bei Gott und bei uns Menschen ist. So kann auch unverdächtiger von den Werken gesprochen werden. Nicht das Urteil über die, die trotz Taufe zum Einst zurück streben, ist Eph. wichtig, sondern die mahnende und zugleich frohe Erinnerung an unser Jetzt, dies Werben, in dem zu bleiben und zu leben, wo wir sind: in der liebenden Zuwendung Gottes. Das will ich in der Predigt dem Eph. nachzumachen versuchen. Der Mensch lebt, obgleich er den Tod (als Krankheit oder Schuld) in sich trägt. Aber er lebt endgültig, weil Gott ihn bei sich hat. Das ist entscheidend. Darum darf auch niemand festgelegt werden auf den Tod, sondern muss erinnert werden an die Taten des Lebens. Für den Einstieg zur Predigt bieten sich mir verschiedene Sprüche an: „Du bist immer noch der Alte!“ Ein dummer Spruch, weil er unterstellt, dass ich schon selbst zu keiner Entwicklung fähig bin. Aber dass Gott mich neu macht, übersieht er ganz. Oder wenn eine Autofirma (VW) mit dem Slogan wirbt: „Da weiß man, was man hat“, und eine andere (Citroen) für sich werbend kontert: „Da weiß man, was man vorher nicht hatte“, dann trifft das vielleicht das fröhliche Werben für ein völlig neues Leben mit der Taufe und die verständliche Darstellung der neuen Existenz nach der Taufe. Als Lied nach der Predigt stelle ich mir EG 373, 1-3 vor.

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Liebe Gemeinde!

„Da weiß man, was man hat.“ Mit diesem Spruch warb eine Autofirma. Da weiß man, was man hat. Solide, zuverlässig, gut. Damit kann man zufrieden sein. Besser als irgendwas Windiges, was vielleicht am Ende sich als schlecht herausstellt. „Da weiß man, was man hat.“ Darauf konterte eine andere Automarke: „Da weiß man, was man vorher nicht hatte“. Also: Es gibt etwas Besseres als das, was man hat. Und das Bessere ist nun mal des Guten Feind. Wer möchte denn schon auf das Bessere verzichten, wenn er es haben kann? Der Vergleich macht’s eben. So, sagt der Apostel, der den Brief an die Epheser geschrieben hat, ist das auch bei uns Menschen, auch mit unserem Christsein.

(Lesung des Predigttextes)

Da weiß man, was man hat. Und da weiß man, was man früher nicht hatte. Früher, sagt der Apostel, da habt ihr gewusst, was ihr hattet. Dass das wenig war, habt ihr nicht gemerkt, weil ihr ja noch nicht das Bessere kanntet. Ihr habt in den Tag hinein gelebt. Habt vertraut auf das, was ihr saht, was euch eure Zukunft sichern sollte. Ihr habt auf eure Kräfte und Möglichkeiten gebaut. Habt euch durch Zeit und Beruf manövriert, um so gut und angenehm durchzukommen wie möglich. Ihr wart aus auf euren Vorteil. Andere kamen unter ‘ferner liefen’. Erst mal ich. Ihr habt euch angepasst, um überall anzukommen. Ihr wolltet Macht, wolltet oben sein. Denn wer oben ist, bestimmt. Ihr habt versucht, Profit aus allem zu schlagen; denn wer Geld hat, hat Einfluss und gilt bei manchen sogar als klug. Ihr habt auf dem Rücken anderer gestanden, habt die Götter beschwatzt und erpresst. Ein gutes, angenehmes, bequemes Leben, das war der Maßstab. Das hat auch meist geklappt. Da wusste man, was man hatte und zu tun hatte.
Aber, sagt der Apostel, die Zeiten sind passé. Gott hat alles anders gemacht, hat euch anders gemacht. Das ist euer Leben jetzt: das Bessere. – Das Bessere? Wirklich? Aber warum geht es dann denen so gut, die nur sich selbst kennen, die nach Gott und seiner Welt nicht fragen? Warum sind gerade die obenauf? Und die anderen, die Gott trauen, die kriegen oft genug als das „Bessere“ noch Krankheit, Leiden, Tränen aufgelastet? Eigentlich kann so nur einer fragen, der selbst diesen Spruch zum Maßstab nimmt: Da weiß man, was man hat. Dem der Kampf um Ansehen und Geld für die Lebenszufriedenheit reicht, dem es reicht, dass ihm diese paar Erdenjahre – und mögen es 90 sein – einigermaßen angenehm gelingen; der meint, dies Leben ist alles, es gibt nicht mehr, es gibt nichts mehr zu erwarten. Aber genau diese Einstellung stellt der Apostel in Frage.
Ihr seid doch getauft, sagt er – hat das denn nichts verändert? Früher, ja, da waren Wohlstand und Ansehen eure Maßstäbe. Aber ihr wisst doch, dass Geld und Eigennutz keine Götter sind, sondern schneller zerbrechen, als ihr ahnt. Ihr wisst doch, dass Gottes Zeit eine andere ist als die, die eure Uhren zeigen. Wozu hat Gott Christus geschickt? Um euch in ihm neue Lebens-Maßstäbe zu bringen. Wozu ist Gott am Kreuz gestorben? Um Ichsucht und Unmenschlichkeit ins Grab zu bringen. Christus starb an all den alten Maßstäben, nahm sie mit ins Grab und sagte euch zu, dass der Allmächtige euch Leben gibt, in dem seine Liebe gilt und nie aufhört. Wisst ihr denn nicht von der Auferstehung Jesu Christi, in die er euch mit hinein nimmt? Von der Auferstehung aus dem Tod ins Leben? Früher, als ihr nur für euch selbst gelebt, nur euch selbst vertraut habt, da wart ihr eigentlich tot, weil ihr Gott, der das Leben ist, nicht kanntet oder weggeschoben habt. Ohne Gott könnt ihr nur im Tod enden, weil eure Macht keine unendliche, keine ewige ist. Daran ändert auch eure Wissenschaft vom Leben-Klonen nichts. Allein Gott kann euch Leben geben. Leben, das mehr ist als alles, was ihr euch selbst erkämpfen könnt. Da hinein, in seinen Tod und in seine Auferstehung hinein, seid ihr getauft worden. In sich hinein hat Christus euch genommen. Ein Teil von ihm seid ihr geworden, euer Leben ein Teil seines Lebens, seines ewigen Lebens.

Ewiges Leben? Ist das erstrebenswert? Ist denn nicht der Tod die Befreiung von dem Kampf dieses Lebens. Endlich hört das auf. Ja, und was dann? fragt der Apostel? – Ich bin sprachlos. Ja, was dann? – Du brauchst nicht befreit zu werden von diesem Leben, sagt der Apostel, denn auch diese Lebensjahre sind ein Geschenk Gottes. Geschenk, jawohl! Nicht weil du so toll bist, gibt Gott dir das Leben und sieht auf dich! Nur weil er dich lieb hat! Geschenk! Nimm dieses Leben an! Aber denk auch daran, dass diese Jahre von Gott kommen. Dass sie ein Teil deines ewigen Lebens sind, das hier und nicht erst nach dem Tod beginnt. Den Tod bist du gestorben, als du Christus nicht in dein Leben genommen hast, nicht nach ihm, seinen Schmerzen, seiner Liebe gefragt hast. Da warst du tot. Aber das ist vorbei. Du weißt jetzt, was du früher nicht hattest. Gottes Leben nämlich. Was ist denn Wohlstand über vielleicht 80 Lebensjahre gegen das Wohlergehen in der Ewigkeit?! Das macht den Unterschied aus. Du magst jetzt auf manches verzichten, was du dir auf dem Rücken anderer erkämpfen könntest. Aber du gewinnst, du hast schon die Ewigkeit. Weil du in Gottes Ewigkeit lebst, darum kannst du anders leben.

Anders leben? Früher, das heißt: Meiner Kraft vertrauen, auch wenn sie von Jahr zu Jahr weniger wird. Jetzt, das heißt: Ich weiß, dass Gott alle Zeit in seinen Händen trägt, auch meine Zeit. Früher, das heißt: Eigenen Wohlstand aufbauen. Jetzt, das heißt: Abgeben, auch wenn ich dann nicht die großen Ziele erreiche. Früher, das heißt: Deutschland den Deutschen. Jetzt, das heißt: Da sind Menschen in Not und denen muss geholfen werden. Früher, das heißt: Lass die anderen mal machen. Jetzt, das heißt: Ich pack mit an, auch wenn ich schmutzige Finger bekomme. Früher, das heißt: Wer nichts leistet, ist nichts wert. Jetzt, das heißt: Für Gott ist alles Leben wertvoll. Früher, das heißt: Mein Bauch gehört mir. Das Wichtigste im Leben ist Spaß. Jetzt, das heißt: Ich achte das Leben anderer. Das geborene und das ungeborene Leben…

Das Leben gewinnt neue Qualität. Nicht auf den ersten Blick, zugegeben. Aber auf den zweiten. Und der sieht auf Gott, dem ich gehöre und dem die anderen gehören. Der lebt und der lässt mich leben.
Darum wirbt der Apostel. Mir fällt auf, dass er sich nicht einmal aufregt darüber, dass wir Menschen trotz Taufe immer wieder rückfällig werden, in den Tod zu stürzen drohen. Statt dessen wirbt er um alle, dass sie gar nicht erst auf die Idee kommen, rückfällig zu werden. Er schimpft nicht über die, die noch im Alten leben. Sondern er verbreitet Freude über das neue Leben. Er fragt nicht, ob die Taufe so sehr uns zu neuen Menschen macht, dass auch der Kirchenaustritt nichts daran ändern kann. Kein Thema für ihn. Ihm ist wichtig: Die Menschen sollen Freude an der Gewissheit haben, dass Gott alles für sie tut. Christus hat auch ihre Fehler weggewischt. Sie wollen nicht mehr aus der Kirche austreten. Sie freuen sich an der Gemeinschaft Christi und der Christen. Sie  begreifen, dass auch Kirchensteuer mit dem Glauben, mit dem neuen Leben, mit dem Einsatz für andere und  mit christlicher Verantwortung zu tun hat.

Ihr seid getauft, sagt der Apostel. Das ist euer Leben jetzt. Lebt, dass ihr daran selbst Freude habt. Lebt, dass andere eure Freude spüren und an dieser Freude teilhaben wollen. Denn Gott verschenkt sein Leben. Da weiß man, was man hat. Vielleicht. Aber – Gott sei Dank – erzählt uns der Apostel, was wir früher nicht hatten und was uns Gott jetzt geschenkt hat: das Leben. Mehr als 20 oder 50 oder 90 Jahre auf der Erde. Viel mehr haben wir jetzt: den Himmel auf Erden und in Ewigkeit.

Amen.

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