Der Anfang eines neuen Weges

Predigttext: Apostelgeschichte 9,1-9(10-20)
Kirche / Ort: Karls-Universität Prag
Datum: 29.08.2004
Kirchenjahr: 12. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Professor Dr. Petr Pokorný

Predigttext: Apostelgeschichte 9,1-9(10-20), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester 2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe. 3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel; 4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich? 5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. 6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst. 7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden. 8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus; 9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.

Exegetische und homiletische Einführung

Die Perikope ist eine der drei, in denen der Verfasser der Apostelgeschichte („Lukas“) die Bekehrung des Saulus (Paulus) darstellt (9,1-19; 22,3-21; 26,9-18). Die spätere Rückkehr zu einer Geschichte, die schon einmal erzählt wurde, hebt sie meistens als einen Knotenpunkt hervor. In der hellenistischen Literatur hat diese Regel eine besondere Rolle gespielt. Jede der Erzählungen enthält andere Akzente. Auf der Oberfläche ist vor allem der Unterschied in der direkten Wirkung der Geschehens auf die Begleiter des Saulus auffällig. Nach Apg 9,7 hörten sie die Stimme vom Himmel, aber hörten niemanden, nach 22,9 sahen sie das Licht, aber hörten nichts, im 26. Kapitel, wo eindeutig die Berufung betont wird, fehlt jede Angabe dieser Art. Gattungsmäßig handelt es sich in Apg. 9 um eine Bekehrungs- und Berufungsgeschichte, die einige Elemente der Epiphanie enthält. Paulus selbst bezeugt, dass für ihn, dem Verfolger der Christen (Phil 3,6ff), das Ereignis von grundlegender Bedeutung war: Gal 1,1-11; 1Kor 15,8ff. Die Darstellung selbst ist allerdings literarisch und theologisch durch „Lukas“ gestaltet, wenn es auch möglich ist, dass sie durch eine in den paulinischen Kreisen bekannte mündliche Überlieferung inspiriert war. Die Predigt kann die lukanische literarische Bearbeitung wiedergeben und kommentieren. Der Prediger soll jedoch den Eindruck vermeiden, dass es sich um einen direkten Report handelt, um eine märchenhafte Geschichte. Dazu kann in der Predigt eine kurze Darstellung des hermeneutischen Problems dienen – ein katechetisches Zwischenspiel, das die heutigen christlichen Gemeinden nicht ungerne hören. Die Gottesdienstbesucher sind schon so gebildet, dass sie eine zu simple Predigt für Unterschätzung, ja fast für Beleidigung ihrer christlichen Urteilskraft halten würden. Die Applikation und Paränese soll die Konkretheit der Geschichte nicht relativieren, etwa indem man sie allegorisch als ein direktes Modell der Entstehung des Glaubens begreift. Eher müssen wir mit einzelnen Motiven arbeiten, die analogisch benutzt werden, und zwar mit Hilfe der im Text selbst enthaltenen Metaphern oder metaphorischen Ansätze und im Rahmen der Grundstrategie des Textes als einer Berufungsvision. Wo die Lesung nicht durch die Ordnung des Kirchenjahres vorgeschieben ist, kann als Lesung Jes 6 benutzt werden und Apg 9,1-9 als Predigttext. Die andere Möglichkeit ist, Apg 9,1-20 als Lesung zu benutzen und als Predigttext einen Teil davon. Es kann entweder die im Jahre 1984 herausgegebene revidierte Lutherübersetzung oder z. B. die Übersetzung von Jürgen Roloff aus seinem Kommentar in NTD (1981) benutzt werden. Ich gebe den Text der Lutherrevision wieder.

Literatur:

Kommentare E. Haenchen, KEK; H. Conzelmann, HNT; J. Roloff, NTD; R. Pesch, EKK. -  O. H. Steck, Formgeschichtliche Bemerkungen zur Dastellung des Damaskusgeschehens in der Apostelgeschichte, ZNW 67 (1976), 20-28; R. von Bendemann, Zwischen DOXA und STAYROS (BZNW 101), Berlin – New York 2001.

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Der Text der Predigt steht im 9. Kapitel der Apostelgeschichte (Verse 1-9) und lautet:

(Lesung des Predigttextes)

Liebe Gemeinde,

die Geschichte, die wir eben gehört haben, ist vielen von ihnen bekannt. Sie betrifft doch Paulus von Tarsus, den Apostel Paulus, dessen Briefe (Episteln) einen Teil der Bibel bilden und dem der größere Teil des Buches der Apostelgeschichte gewidmet ist. Sein Leben ist eine einmalig reiche, abenteuerliche Geschichte, deren Wendepunkt in dem heutigen Text geschildert wird. Die Geschichten zu hören ist immer nützlich, und die Erzählung über das Christ-Werden des so bekannten Apostels hielt der Verfasser der Apostelgeschichte für besonders bedeutend, und er kehrte dazu mehrmals zurück. Paulus wird in der Erzählung Saulus genannt, was sein hebräischer Name (nach dem ersten König Israels) war. Den ähnlich klingenden griechischen Namen Paulus hat er in der römisch-hellenistischen Gesellschaft benutzt. Jetzt bewegt er sich noch im jüdischen Milieu:

Die erste Szene ist übersichtlich, ohne Verwicklung, aber unter der Oberfläche ist eine Spannung zu spüren, eine Spannung, die vielleicht der Spannung eines Jägers vor der Jagd ähnlich ist. Paulus ist auf dem Wege nach Damaskus, wo er im Namen des Hohenpriesters jüdische Sektierer, die Anhänger Jesu, aufspüren und nach Jerusalem eskortieren möchte. Heute wissen wir, dass die jüdische Tempelhierarchie offensichtlich keine solche Vollmacht hatte, aber Lukas (so nennt die Tradition den Verfasser des dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte) kümmerte sich nicht um Einzelheiten. Seine Absicht war zu zeigen, dass Saulus die Christen für Kriminelle hielt und wollte sie dementsprechend behandeln: in Ketten legen.

Passen sie auf, wie es ausgedrückt ist: Saulus war auf dem Wege, mit der Absicht, die Anhänger des neuen Weges nach Jerusalem zu führen. Im zweiten Fall bedeutet das Wort „Weg“ eine Denkrichtung oder soziale Bewegung, hier konkret handelt es sich um eine Bezeichnung der Christen, aber Lukas hat den Doppelsinn (die Synonyma) mehrmals bewusst ausgenutzt. Saulus begab sich auf den Weg, um den Weg der „Anhänger des Weges“ zu ändern und sie zu führen, wohin sie ganz gewiss nicht gehen wollten. Eine Geschichte von dem Weg in einem Buch, das den Weg des christlichen Zeugnisses bis „an das Ende der Erde“ (1,8) schildert.

Die zweite Szene kommt ohne Vorzeichen, ohne Warnung, und sie ist ein Schock, ein Schlag aus blauen Himmel. Ein großes Licht kam, ein Licht, das sonst auf dem Wege oft sehr nützlich sein kann. Aber jetzt war es zu viel, es war ein Licht, das blendet. Rückschauend könnten wir fast sagen, dass das bisherige Leben des Saulus in einem neuen, allzu neuen Licht auftauchte, was er schon nicht mehr ertragen konnte. Seine Begleiter sahen das Licht nicht. Dadurch sagt der Erzähler, dass die Offenbarung gezielt das Leben von Paulus betraf. In der Antike weist man auf etwas Bedeutendes nicht nur mit Hilfe abstrakter Begriffe hin, sondern auch und sogar öfters durch die Entfaltung der erzählten Geschichte und durch die Art ihrer Darstellung.

Das Licht mit aller seiner Wirkung war allerdings nur eine Begleiterscheinung, ein Zeichen der Nähe Gottes, das als himmlische Erscheinung durch den Kontrast mit dem auf der Erde liegenden Paulus noch unterstrichen wird. Das Entscheidende ist die Stimme, die Saulus nach dem Grund seines Verhaltens fragt. Normalerweise könnte er seine Entscheidung gegen die Christen aufgrund seines jüdischen Glaubens als Lästerung begründen können, aber jetzt fragt er nur: Herr, wer bist du? Die Anrede „Herr“ verrät, das Paulus die Stimme als eine Äußerung des höher Gestellten vernimmt (der Leser kann das vielleicht schon als Bekenntnis verstehen). In der Erzählung wird dadurch die Antwort hervorgehoben, die feierlich klingt: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Dreimal erzählt Lukas über die Bekehrung des Paulus/Saulus, die Erzählung jedesmal anders gestaltet, aber die Frage und Antwort sind wörtlich dieselben in allen drei Fassungen. Das ist der Kern der Geschichte.

Die feierliche Antwort, die mit „Ich bin“ anfängt, erinnert uns an die Reden Jesu aus dem Johannesevangelium (“Ich bin der gute Hirte“, „Ich bin der wahre Weinstock“ usw.). Im religiösen Bereich wird auf diese Weise oft die Rede Gottes eingeleitet. Das betonte Ich macht auf den Sprecher als das Gegenüber des angeredeten Menschen aufmerksam. Und – das Ich der Stimme, die Saulus hörte, ist das Ich des von ihm verfolgten Jesus. Das christliche Bekenntnis, wonach Jesus der Mensch Gottes, des Messias (Christus) war, erweist sich dadurch als wahr. Der gekreuzigte Jesus lebt auf eine neue Weise, auf seiner Seite muss Gott stehen, seine Wirkung hat sich nach der Hinrichtung noch gesteigert, Saulus hat seine Anhänger mit Unrecht verfolgt und durch seine Frage hat er schon die Autorität Jesu anerkannt.

Er hört keine Berufung, wie sie der Prophet Jesaja hörte, es wird ihm nur gesagt, was er in den nächsten Stunden tun soll: „Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst“. Für den Leser macht es die Geschichte spannend. Er wird daran aufmerksam gemacht, dass die Geschichte noch einen weiteren Teil hat, und er wird aufgefordert, weiter zu lesen. Für Saulus ist es der Anfang eines neuen Weges, den der Leser bis Rom, das Zentrum des Imperiums, verfolgen kann. Von dort wurde, so sagte man, die Welt regiert.

Saulus soll – das wird in dem zweiten Teil gesagt – den Namen Jesu „vor Heiden, vor Könige und vor das Volk Israel“ tragen, was er auch getan hat. Es ist ein anderer Weg, als er plante. Am Anfang seines neuen Weges, mit dem der heutige Text endet, taucht ein Motiv auf, das an Ende seines alten Weges stand und mit dem diese Geschichte anfängt. Saulus wollte die gefesselten Christen nach Jerusalem führen. Das Führen ist wohl da, aber geführt wird er selbst: „Sie nahmen ihn aber bei Hand und führten ihn nach Damaskus“.

Dies ist der Weg des Apostels. Lukas nennt Paulus nicht Apostel, weil er kein Jünger des irdischen Jesus war, aber Paulus hat die Sendung des Apostels erfüllt und von Gott als seinen persönlichen Auftrag übernommen. Er sollte „das Heil bis an die Enden der Erde bringen“ und selbst „Licht der Heiden“ werden.

Was sollen wir davon lernen? Eigentlich müssen wir nicht alles aus der Bibel gleich auf unser Leben beziehen. Es ist gut, dass wir es neu gehört haben. Die Bereicherung muss nicht immer in einer direkten Anwendung im Leben der Hörer bestehen. Einmal kann es nützlich sein. Nur der erste Schritt auf dem Wege ist klar: Wir wissen, dass wir einen Herrn haben, dem wir nicht gleichgültig sind und dass es also sinnvoll ist, in der Welt etwas Gutes zu tun. Alles andere wird uns vielleicht in den nächsten Tagen, „in Damaskus“, gesagt.

Und das Zweite: Wir haben hoffentlich etwas vom Wesen des Wunders gelernt. Die Bekehrung des Saulus war ein großes Wunder, das wir als etwas völlig unerwartetes begreifen müssen und gleichzeitig können wir uns vorstellen, dass es Wunder wäre auch ohne himmlische Stimme und ohne das große Licht. Es gibt verschiedene Berufungen und nicht jede besteht in der Verkündigung des Namens Jesu und nicht jede ist mit einer Stimme aus dem Himmel begleitet. Doch kann man alles, was gut ist und den Weg in die Zukunft repräsentiert, durch das Verhältnis zu Jesus, seiner Lehre, seinem Handeln und seinem Geschick definieren. Oft begegnen wir solchen Menschen und Ereignissen, die diesem Maßstab entsprechen, unerwartet, es sind Wunder. Aber rückschauend sehen wir, dass es das Natürliche war, was dem Willen Gottes entspricht und nur als Sünder haben wir es nicht gleich begriffen. Ohne solche Wunder würde die Welt nicht bestehen. Viele von uns können vielleicht solche Wundergeschichten erzählen.

Nach seiner Belehrung betete Saulus. Und wir können mit ihm beten: „Gott, sei uns Sündern gnädig“.

Amen.

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