Durch die Liebe sind wir Gott am nächsten

Predigttext: 1.Johannes 4,7-12
Kirche / Ort: Altenburg/Thüringen
Datum: 5.09.2004
Kirchenjahr: 13. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Michael Wohlfahrt

Predigttext: 1.Johannes 4,7-12 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

7 Ihr Lieben, laßt uns einander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. 8   Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist die Liebe. 9 Darin ist erschienen  die Liebe Gottes unter uns, daß Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen. 10 Darin besteht die Liebe: nicht, daß wir Gott geliebt haben, sondern daß er uns geliebt hat und gesandt seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden. 11 Ihr Lieben, hat uns Gott so geliebt, so sollen wir uns auch untereinander lieben. 12 Niemand hat Gott jemals gesehen. Wenn wir uns untereinander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollkommen.

Vorbemerkungen

Den Text habe ich mir sofort angeschaut, als ich die Einladung zur Mitarbeit beim Heidelberger Predigt-Forum bekam, und habe mich gefreut über den johanneischen Vorschlag im Kirchenjahr. Ich gehe also schon einige Zeit schwanger damit. In meiner Lutherbibel ist Kapitel 4, 7-16 überschrieben mit: Die Liebe als Frucht des Glaubens. Man könnte auch sagen: Alle Liebeswerke der Evangelischen Kirche sind Frucht. Zum Beispiel das älteste Liebeswerk der Evangelischen Kirche, das Gustav-Adolf-Werk. Aber auch die Diakonie in ihrer Gesamtheit und vor allen Dingen von ihrem Ursprung her. Natürlich fällt mir auch die Stelle im paulinischen Schriftgut des Neuen Testamentes ein: “Die Früchte aber des Geistes sind Liebe, Sanftmut, Keuschheit...“ Oder auch die „Werke des Lichtes“ (Epheser) in der Nähe des Wochenspruches für diese Woche (Matthäus 25,40), in der ich versuche, diese Predigt vorzubereiten und zu schreiben für unseren Gesprächskreis "Predigtsaftrak" (russisch "saftrak" = Frühstück) - Trägerkreis Mittagsgebet ,  Arbeitsgemeinschaft, Offene Kirche , Vikariat. Und überhaupt könnte ein Loblied auf die guten Werke weitergesungen werden, aber - bitte schön - erst, wenn von der Frucht die Rede war, die etwas sehr Persönliches ist und die gewachsen sein muss. Die natürlich ist und nicht künstlich. Die schmeckt, wenn es eine gute Frucht ist. Die süß ist oder sehr herzhaft. Die Hostie ist und Wein des Heiligen Mahles. Die ein Geschenk ist. Wie ein kleines Kind, das erwartet wird. Die Frucht, die ein Wunder ist, wie der Glaube selber. Eine Gabe. Ich möchte jetzt nicht unbedingt die Trennung zwischen Paulus und Johannes einhalten. Und keine Rücksicht auf Echtheitsdiskussionen nehmen oder auf politische Hintergründe der Johannesgemeinde. Um der Authentizität der Predigt willen. Schon das Evangelium vom Barmherzigen Samariter (Lukas 10) macht das deutlich, dass es bei unseren scharfen Trennungen um Methodisches geht, um ein Ziel in der Forschung zu erreichen. Hier ist ein anderes Ziel. Und doch! Alles, was ich in dem uns vorliegenden johanneischen Schriftgut finde, scheint mir eine Antwort zu sein auf die (nie zu stillende?) Sehnsucht, geliebt zu werden. Gerade deswegen spielt ja das Ich eine so große Rolle, und deswegen dann auch die Trinität mit dem Du und dem Wir. . Die Predigt wurde schon einmal in diesem Sommer als Traupredigt gehalten, weil sich die schwäbische Braut eines thüringischen Bräutigams Vers 16 b ("Gott ist Liebe...") als Trauspruch gewünscht hat. Am kommenden Sonntag halte ich die Predigt in der Brüderkirche am Altenburger Markt (Abendmahlsgottesdienst) und in der Dorfkirche „Zu den Drei Frauen“ in Kosma bei Altenburg (Predigtgottesdienst). Einzelne Passagen der Predigt, z.B. die kursiv geschriebenen, können in verteilten Rollen, vielleicht sogar mit einem Sprechchor und Sprechern/Sprecherinnen vorgetragen werden.

Lieder:

Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ (EG 343, WL), Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)

zurück zum Textanfang

Liebe Gemeinde! Liebe Schwestern und Brüder!

“Ihr Lieben, laßt uns untereinander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott” – das versteht doch jeder. Dass nicht etwa nur die Musik eine Himmelsgabe ist, sondern umgekehrt, dass es die Liebe ist und daraus erst die Musik kommt. Natürlich hängt der Himmel voller Geigen, wenn ein junger Mann und eine junge Frau sich lieben. Natürlich kann ich das alte Sprichwort zumindest als Wunsch gut verstehen, dass Ehen im Himmel geschlossen werden. Das Hohe Lied der Liebe im Neuen Testament etwa wird nicht ohne Grund immer wieder bei Trauungen gewünscht.

Wenn die Liebe Gottes (Agape), die die Welt erhält, die Zärtlichkeit (Eros) und die geschlechtliche Liebe (Sexos) zueinander gehören, dann muss in jeder Hinsicht von der Liebe, zu der Menschen durch den Schöpfer fähig gemacht wurden, die Rede sein. Denn durch die Liebe sind wir Gott am nächsten, in jeder Beziehung. Körperlich, geistig, seelisch. Dann merken wir, dass wir göttlichen Ursprungs sind: aus Gott geboren  wie Jesus.

Warum können wir zu Gott Du sagen? Uns ihm nahen im Gebet, wenn wir in Not sind, in der Freude, im Alltag, in der Familie, im Beruf? Weil Jesus der war, der zu Gott Du gesagt hat. Er hat es uns vorgelebt . Er kannte Gott. Jesus hat alle diese göttlichen Eigenschaften, die auch menschliche Eigenschaften sein sollen. Weil er  aus Gott geboren ist, wie wir es zu Weihnachten singen. Jesus ist der Mensch, der mit IHM verwandt, mit IHM eins ist, weil er sein Kind ist, sein Sohn.

Und warum ist Gott die Liebe? Weil er seinen Sohn, Jesus, zu uns schickt, damit wir hören, wie er mit Gott redet, wie ein Kind mit dem Vater, der sein Kind liebt. Wie ein Kind mit der Mutter, die ihr Kind über alles in der Welt liebt. Denn das erst heißt Leben: Sich an den Ursprung aller Dinge erinnern.  Nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Eben lieben. Es ist zu beklagen, dass Schönheit und Wahrheit nicht mehr eins sind, sondern Schönheit und Lüge. Die Kunst muss die Lüge des Lebens darstellen, wie der große Maler Paul Klee es sagt.

Zur Liebe Gottes gehört die Vernunft. Aber auch das Leid. Jeder, der ein halbwegs vernünftiger Mann, jede, die eine halbwegs vernünftige Frau ist und nicht lebensfremd ist, weiß, dass zur menschlichen Liebe Leidenschaft gehört und auch die Bereitschaft zum Leiden. Um wie viel mehr zur Liebe Gottes, die das Urbild aller menschlichen Liebe ist und wir deshalb auch das Ebenbild Gottes genannt werden. Da müssen wir nur immer wieder auf Jesus schauen, um das nicht zu vergessen und um das glauben zu können. Auf Jesus, der für uns gestorben ist. Für unsere Sünden. Am Kreuz. Deshalb ist das Zeichen des Christentums das  Kreuz, ob uns das nun gefällt oder nicht. Es geht um nicht weniger als um Versöhnung.

Was ist schön im Leben? – Wenn sich Menschen versöhnen!  Die für mich eindrücklichsten Briefe eines Mannes an seine Frau hat Bismarck geschrieben. Er schreibt an seine Frau, dass die Ehe für ihn so etwas ist wie ein herrlicher klarer märksicher See. Und gerade deshalb: Weil man bis auf den Grund schauen kann, erkennt man tief unten das Kreuz. Das könnte auch in einem schwäbischen Ehebüchlein stehen. Nicht nur für die Beziehungen zwischen Mann und Frau, für alle ernstgemeinten Beziehungen zwischenmenschlicher Art, ob nun Freundschaften oder und gerade der Zusammenhalt einer Gemeinde, gilt: Ohne die Leidenschaft, die Geduld, das Aushalten von Spannungen, ohne Opfer, geht alles nicht. Das gilt nach meiner festen Überzeugung auch und gerade beispielhaft für ein gesundes Gemeinwesen. Das gilt auch und gerade für Demokratie. Das meint man mit dem aus dem Französischen kommenden Wort Engagement. Jesus macht uns das vor. Wir sind in seiner Nachfolge aufgerufen, es zumindest auch zu versuchen, ehe wir alles hinwerfen und weggehen.

Gott verdrängen heißt die Liebe für tot erklären, sie töten. Heißt unsere Geschichte zu verdrängen, unsere ganz persönliche, unsere gesellschaftliche. Heißt: Ohne Liebe leben. Heißt: Kälte. Soziale Kälte. Gott nicht kennen. Gott – Vergessen kann dazu führen. Wie bei uns: vier – fünf  Generationen lang. Heißt: Nichteinmal mehr gegen Ihn sein! Heißt: Gleichgültigkeit. Heißt: Ihn nicht einmal mehr verleugnen. Verspotten. Heißt: Nichts! Heißt: Depression. Das Modewort Frust ist nicht ausreichend. Vergangenheit verdrängen. Das Opfer Jesu nicht annehmen. Gott-los sein.

Im Leid, in der Liebe, in der Leidenschaft, im Scheitern das Kreuz Jesu aufleuchten sehen und mit ihm auferstehen zu einem Neu – Anfang, zu neuem Leben im Zeichen der Taufe und des Heiligen Mahles, im Himmel und auf Erden. Nächster sein von Gott, wie Jesus ihm nahe gewesen ist im Gebet. Diese Orientierung dürfen wir niemandem vorenthalten.

Die Liebe Gottes annehmen! – Ja, der Glaube an den Dreieinigen Gott, an Gott den Vater, Jesus Christus, den Erlöser, und den Heiligen Geist, der uns in unserem Glauben erneuert, bringt diese Frucht des Glaubens hervor: die Liebe, die alles möglich macht, was wir benötigen zum Leben: Geduld, Freundlichkeit, Achtung zwischen den Geschlechtern, zwischen Alten und Jungen, Reicheren und Ärmeren. Und die eins möglich werden lässt, erstaunlicherweise immer wieder neu – Gemeinde Jesu! Das Haus des Glaubens. Als Übungsfeld für all diese Tugenden, die nicht nur im persönlichen Bereich wichtig sind , sondern ebenso für das soziale Zusammenleben in Deutschland, Europa und überall auf der Welt.

Ich möchte bitten, dass Gott in uns bleibe, damit die Fähigkeit der Liebe zwischen uns nicht erlösche und wir den Geist des Lebens nicht betrüben.

Amen.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.