“Ihr mütterliches Herz entbrannte” – oder: Mut und Weisheit einer Frau
Zum Frauensonntag 2004
Der zum Frauensonntag 2004 für den Bereich der Evangelischen Landeskirche in Baden vereinbarte Bibeltext, 1.Könige 3,16-28, ist nicht der Perikopentext zum 15. Sonntag nach Trinitatis. Dieser Bibeltext, in der Luther-Bibel unter der Überschrift "Salomos Urteil", erscheint aber auch in keiner der traditionellen Perikopenreihen. So gehört er zu den eher unbekannten Bibelgeschichten - zu Unrecht. Um so erfreulicher ist es, dass dieser Text der Hebräischen Bibel inzwischen in einer "Ergänzenden Perikopenreihe" seinen Platz gefunden hat, ein erster Schritt, um ihn aus der Außenseiterrolle zu holen und ihm in unseren Gottesdiensten die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Möge dieser Verkündigungsvorschlag anregen, nicht nur - wie in der traditionellen Auslegung üblich - das weise Urteil des Königs Salomo, sondern auch den Mut und die Weisheit einer Frau anzuschauen. Heinz Janssen Redaktion Heidelberberg Predigt - ForumEinführung
Im Bibeltext wird die Situation einer Gerichtsverhandlung beschrieben. Wir erfahren, wie es zu dieser Verhandlung kommt, wie sie geführt wird und wie sie ausgeht. Wie in einem Lehrstück dient das Drama zwischen zwei Frauen dazu, die Weisheit des Königs Salomon hervorzuheben. Der Bibeltext endet mit dem Vers: Und ganz Israel hörte von dem Urteil, das der König gefällt hatte, und sie fürchteten den König, denn sie sahen, dass die Weisheit Gottes in ihm war, Gericht zu halten. Im Hinblick auf diesen Vers haben wir uns zuerst mit dem Thema Gerechtigkeit auseinandergesetzt und uns anschließend der Situation der beiden Frauen zugewandt. Die Ergebnisse sind in den Verkündigungsvorschlag eingeflossen, besonders der Gedanke, dass solch ein Geschehen auf die Zukunft, das Weiterleben der Beteiligten einen großen Einfluss gehabt haben muss. In die hier vorgestellte Idee und Ausarbeitung sind die Ergebnisse des Workshops einbezogen (s. Heft zum Frauensonntag am 19. September 2004, Herausgeberin: Die Frauenarbeit der Evangelischen Landeskirche in Baden, http://www.frauenarbeit-baden.de).Gottesdienstvorbereitung
Drei Einheiten zu je zwei Stunden 1. Einheit: Vorbereitung der Verkündigung 2. Einheit: Zusammenstellen aller Texte für den Gottesdienst unter Einbeziehung der Verkündigung Liedvorschlag vor der Verkündigung: Ins Wasser fällt ein Stein, EG 648, 1-3, nach der Verkündigung: Gott gab uns Atem, EG 432, 1-3 Liturgische Texte 3. Einheit: Probe für den Gottesdienst in der Kirche Mikrofonprobe Wer sitzt wo u.s.w. RaumgestaltungVorbereitung zur Verkündigung
Ziel: Vertraut werden mit Bibeltext und Thema Personen: 5-10 welche den Gottesdienst gestalten Zeit: 2 Stunden Material: Ein großer Papierkreis aus einem Bogen Packpapier in vier Segmente unterteilt oder vier Plakate Stifte Bibeltext Impulsworte in den Segmenten oder auf den Plakaten RECHT UNRECHT GERECHTIGKEIT GOTTES GERECHTIGKEIT Ablauf: Lesen des Bibeltextes Vorstellen der Exegese Stummes Gespräch , Impulsfrage: Was ist für mich und wie erlebe ich Recht, Unrecht, Gerechtigkeit, Gottes Gerechtigkeit? Die Teilnehmerinnen schreiben auf das vor ihnen liegende Segment. Der Kreis wird immer wieder gedreht, so dass ein Gespräch mit Ergänzungen Antworten entstehen kann oder sie gehen zu den ausliegenden Plakaten. Nach dem Schreiben werden die Ergebnisse vorgestellt und sie werden in den Zusammenhang zum Bibeltext gebracht. Ergebnisse des stummen Gesprächs aus dem Workshop (Karlsruhe): RECHT: Gesetz, Recht haben, Menschenrechte, das Recht sollte gerecht sein, Rechtfertigung, der anderen Recht geben, nicht unbedingt auf das eigene Recht pochen, Rechte benennen, Recht wird gesprochen, Zelofhads Töchter haben Rechtsgeschichte geschrieben, Richter und Anwälte vertreten das Recht, Recht ist nicht Gerechtigkeit, Recht basiert auf Gesetzen, Gesetze auf den Geboten Gottes, was dem einen recht ist, ist dem anderen billig, Rechtsstaat UNRECHT: Nehmen, was einem nicht gehört, Unrecht tun, Unrecht erleiden, zerstörend, nimmt der anderen eine Chance, Lüge, kränkend, verletzend, Benachteiligung, nicht teilhaben können, unrecht Gut gedeiht nicht gut, falsche Aussage, Kindertausch, Schaden zufügen, ist zuviel zwischen uns Menschen, Nord-Süd-Gefälle, was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu GERECHTIGKEIT: Jede/jeder kommt zu seinem/ihrem Recht, Ausgleich, Fairness, Du und Ich, soziale Gerechtigkeit, Lebenschance, gibt es leider nicht überall auf der Welt, menschliche Gerechtigkeit = Gottes Gerechtigkeit, für mich sehr wichtig, jedem was ihm zusteht, was ist für mich gerecht – was ist für dich gerecht?, Annäherungswert, …zum recht verhelfen ist nicht immer, was Recht und Gesetz ist, es kommt auf den Blickwinkel an, wird immer wieder verletzt, oft ist es sehr schwer, gerecht zu sein, es gibt verschiedene Gerechtigkeiten GOTTES GERECHTIGKEIT: Kennt keine Grenzen, jede bekommt, was sie braucht, Barmherzigkeit, Bergpredigt, ist mit Liebe verbunden, muss ich sie fürchten?, das Gute können Menschen nicht begreifen, schenkt mir Gnade auch im Unrecht, für Menschen nicht immer verständlich, Annahme, neue Chance, ist oft nicht sofort durchschaubar, in vielen Gleichnissen ist mir seine Gerechtigkeit unverständlich, ist annehmend nicht aussperrend, misst mit einem anderen als dem menschlichen Maß Impulsfragen zum weiterführenden Gespräch: Wie könnten die beiden Frauen das Geschehen erlebt haben? Welche Gefühle könnten sie gehabt haben? Wurde ihnen das Gerichtverfahren gerecht? Es gab andere Personen wie Zuschauerinnen, Nachbarinnen, der König, die Person, welche das Kind töten sollte …, wie erging es jenen Personen?Hinführung zum Verkündigungsvorschlag
Das Lehrstück 1.Könige 3,16-28 kann uns mehr sagen, als die Weisheit des Königs zu loben. Wenn wir uns anschauen, wie es den Menschen in diesem Geschehen vielleicht erging und welche Auswirkungen es auf ihre Zukunft gehabt haben könnte, können wir eine Verbindung zwischen Bibeltext und Gegenwart entstehen lassen, Lebenserfahrung von Frauen einfließen lassen und so aus dem Reichtum der Weisheit des Bibeltextes schöpfen. Wir entscheiden in der Gruppe, welche Personen wir „zum Leben erwecken“ und aus der Perspektive des Rückblicks aus ihrem Leben erzählen lassen. Um einen lebendigen Einstieg zu haben, kann die Geschichte erzählt werden. Zur Unterstützung der Erzählung können vier große Bilder gestaltet werden, die während der gesamten Verkündigung sichtbar sind und so den Gottesdienstteilnehmerinnen den Bibeltext gegenwärtig halten. Wenn der Bibeltext erzählt wird, sollte er als Lesung vorher im Gottesdienst vorkommen. Erste Verabredungen: Welche Personen werden in der Verkündigung „lebendig“ Wer schlüpft in die Rolle dieser Person? Wer erzählt den Bibeltext? Eine Erzählerin, vier Personen? Wer gestaltet die Bilder? Information zu den Bildern: In der Werkstatt wurden die Bilder auf wenige, klare, kräftige dicke Striche beschränkt. Ist eine Frau in der Gemeinde, welche gerne und gut malt, dann kann alles ausführlich dargestellt sein. Wichtig ist, dass auch GottesdienstteilnehmerInnen in der letzten Bank noch erkennen, was dargestellt ist. (Werkstattergebnis:- Bild = Haus mit zwei Frauen
- Bild = Krone als Symbol für Salomon und Gericht
- Bild = Schwert
- Bild = zwei Frauen streben auseinander, eine zusammengefallen und gekrümmt, die andere mit einem Bündel im Arm)
- Eine Erzählerin spricht den Text und eine Frau, vielleicht die Malerin, zeigt das entsprechende Bild dazu und stellt es dann jeweils, z.B. am Altar, ab.
- Auf der Rückseite jeden Bildes ist der Erzähltext geschrieben. Vier Frauen stellen ihr Bild vor und erzählen den Text dazu, anschließend werden die Bilder gleichzeitig am Altar abgestellt, auf einer Stellwand befestigt oder auf eine Staffelei gestellt.
- Zu den Bildern wird eine Moritat gesungen
Verkündigungsvorschlag
Erzähltexte zu den Bildern (die Werkstattergebnisse sind darin aufgenommen):
1. Bild
Ein Haus, in dem das Glück zu Hause war. Zwei Frauen lebten hier in Eintracht zusammen, und beide schenkten kurz hintereinander einem Sohn das Leben, welch ein Grund zur Freude. Doch dann begann das Unglück, im Schlaf erdrückte die eine ihr Kind. Sie konnte es nicht fassen, was sollte sie tun, ihr Kind tot, nein, das konnte nicht sein. In ihrer Verzweiflung tauschte sie die Kinder aus. So hatte sie jetzt das Lebende. Was war mit der anderen Mutter? Als sie erwachte, lag ihr Kind tot neben ihr, ihr Kind? Nein, sie erkannte, das war das Kind der anderen, ihr Kind war fort, war ihr genommen worden! Das Leben war ausgetauscht gegen den Tod!
2. Bild
Der König sollte helfen, Recht sprechen, Gerechtigkeit walten lassen. Beide Frauen stehen vor dem König. Die eine hält den Säugling im Arm. Er ist in Tüchern eingewickelt, so als solle man ihn nicht sehen. Sie schaut den Säugling an, dem König kann sie nicht in die Augen sehen – es ist mein Kind, das sind ihre Worte. Hilflos wirkt die andere dagegen. Es ist mein Kind – diese Worte klingen bei ihr ganz anders, flehend, weinend bittet sie den König. Jede will ihr Recht.
3. Bild
Was wird Salomon tun? Die Atmosphäre im Gerichtssaal ist angespannt. Der König schickt nach einem Schwert. Ein Mann bringt es in dem Raum und der König spricht sein Urteil: Wenn ihr euch nicht einigen könnt, wird das Kind geteilt, und jede bekommt eine Hälfte! Nein! Alle hören diesen Schrei! Eine der Frauen stürzt sich zwischen Schwert und Kind. Nein, gebt das Kind der anderen. Dies ist die Mutter, sagt König Salomon.
4. Bild
Der König war weise. Das Volk im Gerichtssaal jubelte ihm zu. Der König war sich sicher, von seiner Weisheit würde jetzt überall im Land berichtet werden. Und die Frauen?
Die eine ging langsam und schleppend fort. Sie hatte verloren – mehr als noch als das Kind. Wo sollte sie hin, was sollte sie tun? Kälte fing an, sie zu umgeben. Die Mutter mit dem Kind drückt es fest an ihr Herz und lief schnell davon. Noch hatte sie Angst. Welch einen Alptraum hatte sie erlebt, nur fort von diesem Geschehen. Noch immer war sie fassungslos. Ihr Kind lebte. Das Herz brannte vor Liebe zu ihrem Sohn, langsam, ganz langsam spürte sie wieder Mut zu leben.
Übergang vom Erzähltext zu den Personen:
Habt ihr die Weisheit in diesem Text erkannt? Das war die Geschichte von einer Mutter mit brennendem Herzen für ihr Kind und Salomons weisem Urteil.
Texte zu einzelnen Personen (die Werkstattergebnisse sind in die Texte eingeflossen):
Mutter des toten Kindes (sitzt im Gottesdienstraum, steht auf und geht zum Mikrofon):
Habt ihr denn nicht verstanden, dass auch mein Herz gebrannt hat, zuerst vor Liebe zu meinem Kind, dann vor Schmerz. Darum habe ich nur zu solchen Mitteln gegriffen! Das war nicht recht und trotzdem habe ich wie eine Wahnsinnige gehandelt. Warum? Diese Frage bohrt seit diesen verhängnisvollen Tagen in mir. Die Weisheit hatte mich verlassen. Ich bin geflohen, aus der Stadt, vor dem Gerede und auch vor mir selbst.
Spät habe ich den Mut gefunden mich meinem Leben, meinem Betrug und meiner bohrenden Sehnsucht nach Liebe zu stellen. Sagt, war Salomon wirklich so weise? Wäre die andere Frau vor Schreck gelähmt geblieben, so wäre das Kind tot, dann wäre ich auch noch eine Mörderin. Ich glaube die Weisheit lag bei ihr, der klare Moment zu erkennen, jetzt musst du handeln, jetzt sofort. Ihr bin ich dankbar, dass sie mich davor bewahrt hat. Ich habe erkennen müssen, dass ich eine tiefe dunkle Seite habe, es erschreckt mich, dass sie eine solche Macht bekommen konnte, ich hoffe auf Gottes Erbarmen und das Erhören meiner Gebete für die andere Frau und ihren Sohn.
Sohn (könnte sogar ein junger Mann übernehmen, kommt aus dem Gottesdienstraum):
Du warst das also! Ich kann es nicht fassen. Du warst nicht meine Mutter, aber du hast ständig Einfluss auf mein Leben gehabt. Ist dir dass eigentlich bewusst? Ständig hörte ich solche Sätze von meiner Mutter wie: Tu dies nicht, tu das nicht, das ist zu gefährlich. Ich habe ihre Ängstlichkeit kaum ertragen können, bis mir eine Nachbarin erzählte, was vorgefallen war. Meine Mutter konnte nicht darüber reden, sie hat versucht, ich sollte nichts merken und ein glückliches Kind sein, aber ihre Ängstlichkeit hat mir manchmal die Luft zum Atmen genommen.
Habt ihr begriffen, was ihr mit mir gemacht habt, ich war doch nicht euer Eigentum, euer Objekt, es ging doch nicht nur um euch! Weisheit wäre gewesen, wenn ihr euch zusammengetan hättet. Heute bin ich erwachsen und sehe alles gelassener, wisst ihr, was ich schon manchmal gedacht habe: Warum konnte ich nicht zwei Mütter haben, eine leibliche und eine, die mich in Liebe mit großgezogen hätte. Solidarität und Zusammenhalt zwischen Frauen, das wäre mutige Weisheit für die Zukunft eines Kindes gewesen.
Nachbarin (steht in Bank auf, nimmt das Handmikrofon und wendet sich den Gottesdienstteilnehmerinnen zu):
Jetzt möchte ich seine Mutter aber in Schutz nehmen. Sie war doch ganz unschuldig an der Sache und hat trotzdem so viel gelitten. Es ist doch zu verstehen, dass sie mehr Angst hatte als jede andere Mutter. Ich habe sie als starke Frau erlebt. Die Erziehung ihres Sohnes ist doch gelungen, er ist ein intelligenter, junger Mann mit Zukunftschancen. Eine Frau, die ihr Kind alleine großzieht, ist zu bewundern. Die Ereignisse haben sie nicht nur ängstlich gemacht, sie hat erlebt, ich kann gewinnen, ich kann im richtigen Moment alle Kräfte bündeln, das hat sie weiter gebracht. Und sehr oft habe ich ihr Lächeln gesehen, wenn sie ihr Kind beobachtet hat, ihre große Liebe spiegelte sich in diesem Lächeln.
Ehefrau des “Vollstreckers” (geht zum Mikrofon):
Immer schauen alle nur auf die Frauen, das Kind und den König. Mein Mann musste das Schwert holen und hätte das Kind töten müssen, was glaubt ihr, wie es ihm erging .Ich werde nie vergessen, wie er an diesem Tag aufgelöst und zittrig nach Hause kam. Ein Neugeborenes mit dem Schwert zu töten, zu zerteilen, aufzuteilen, er verstand seinen König nicht mehr. Können die Mächtigen dieser Erde alles, gibt es da keine Grenzen, keine Tabus? Sein weiser König, der von Gott berufene Salomon, war zu solch einem Rechtsspruch fähig? Mein Mann hat sich von den Mächtigen abgewendet, er schlug einen neuen Lebensweg ein. Kinder stehen jetzt in seinem Lebensmittelpunkt, ihnen schenkt er jetzt seine ganze Aufmerksamkeit und Liebe. Mein Mann hat zu Kindern eine ganz besondere Beziehung, sie sind in ihrer Unschuld weise sagt er, nicht die Mächtigen.
Frau aus unserer Zeit (bekommt das Handmikrofon):
Gebt mir bitte das Mikrofon. Wenn ich euch zuhöre, wird mir diese Geschichte für meine Zeit wichtig. Einmal ganz real. Um Kinder streiten sich Menschen nach wie vor. Bei wem sollen sie nach einer Ehescheidung leben, wer kann sie besser erziehen? Es gibt verlassene Mütter und Väter, die entsetzlich unter der Trennung leiden, und hin und wieder hören wir etwas von einer Kindesentführung. Die Kinder sind immer die Verlierer. Es sind alles bittere Kämpfe.
Dann gibt es da aber auch den übertragenen Sinn. Ein Kind ist auch Symbol für Zukunft. Und die Zukunft ist kein manipulierbares Objekt. Hat die Weisheit nicht damals umfassend gewirkt? Sie hat durch den König die Frauen an ihre Grenzen geführt. An den Grenzen erkenne ich oft die Wahrheit. Zum Feuer muss ich hingehen, damit mein Herz entbrennen kann, vor der Hitze, dem Kampf darf ich mich nicht fürchten, besonders dann nicht, wenn es um die Zukunft geht, die mütterlich umsorgt zu einer guten Zukunft wird. Haben das die Frauen damals nicht Salomon gelehrt, sollte diese Weisheit nicht auch uns Männer und Frauen eine Lehre sein?