Von einem brüllenden Löwen sich nicht auseinandertreiben lassen – oder: Vom Geheimnis der Demut
Predigttext: 1. Petrus 5, 5c-11
Alle aber miteinander haltet fest an der Demut; denn Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade.
So demütigt euch nun unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit.
Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.
Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.
Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass eben dieselben Leiden über eure Brüder in der Welt gehen.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.
Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen
Mit Grüßen aus Babylon (5,13) sind am Ende des 1. Petrus Ermahnungen zusammengefasst, die noch einmal eindrücklich beschreiben, was die Gemeinde – auch in Zeiten der Bedrängnis – zusammenhält und aufrichtet: sich mit Demut schürzen (so eine schöne Übersetzung von A. Schlatter), die Sorgen auf „ihn“ werfen, sich von einem „brüllenden Löwen“ nicht auseinander treiben lassen.
Die vorgeschlagene Abgrenzung (V.5c) ist nicht glücklich gewählt, weil das begründende „denn“ mit dem Schriftzitat aus Spr. 3,34 (LXX) untergeht. Auch der Adressatenwechsel vollzieht sich schon in V.5b.
Fünf aoristische Imperative rufen in unserem Abschnitt zur Haltung einer auf Gott bezogenen Demut, zur Unterordnung unter die mächtige Hand Gottes, zur Nüchternheit, zur Wachsamkeit und zum Widerstand gegen den Teufel.
Für den 1. Petrus liegt hier der Schlüssel, auch - oder gerade? - in schwieriger Situation sich nicht gegen Gott oder für ihn behaupten zu wollen. Hochmut und Sorge sind Geschwister, die zusammen das letzte Wort beanspruchen und in die Irre führen. Der größere Zusammenhang schenkt einen Blick für die Gemeinde, die einen „Erzhirten“ hat (V. 4). Wahrzunehmen sind auch „dieselben Leiden“, die über die Brüder (= andere Gemeinden) gehen – eine isolierte oder individuelle Sicht ist weder angemessen noch hilfreich.
Der zwischen 80 und 90 in einem gehobenen Griechisch geschriebene 1. Petrus hat den Charakter eines Rundschreibens oder einen „Hirtenbriefes“ (vgl. VV 1-5a).
„In den liebevollen, keineswegs die hierarchische Ordnung, sondern das christliche Leben als friedliches Miteinander voraussetzenden Ermahnungen und Anleitungen zur Bewältigung von Konflikt- und Krisensituationen V. 5b-9 geht es um Haltungen des Glaubens, die in ganzheitlicher Weise eine durchgängig körperorientierte Konkretion erfahren. Dem Anlegen der Demut wie einen Arbeitsschurz, dem Bergen unter die gewaltige Hand Gottes und dem Werfen der bedrängenden Sorgen auf Gott gemeinsam ist der Charakter eines Transformationsprozesses. Demut wird durch ihre christologische Füllung der negativen Konnotation mit Unterwürfigkeit und einer gewissen Würdelosigkeit entrissen und positiv als mit der Gnade Gottes geschenkt … umgedeutet“ (K. Raschzok, in GPM 93 (2004), 458).
Abgeschlossen wird der Abschnitt mit einem Segenswunsch, der V. 4 aufgreift und die Form einer Doxologie hat. Die Ermahnungen werden im Lobpreis gehalten, sie sind bei Gott festgemacht. Er wird als Gott aller Gnade beim Wort genommen. Weil er zu seiner ewigen Herrlichkeit berufen hat, wird er „euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten (Luther ursprünglich: vollbereiten), stärken, kräftigen, gründen.“
Homiletisch gilt es, die vielen falschen Vorstellungen von Demut im Hinterkopf zu haben und von einer Mitte aus das Geheimnis der Demut zu umkreisen. Es geht nicht um den schwachen Menschen, schon gar nicht um den klein gemachten (das war ein Vorwurf Nietzsches), sondern um den aufgerichteten, starken, kräftigen, gegründeten Menschen.
Zu bedenken ist, dass einzelne Sätze dieser Perikope, aus dem Zusammenhang gelöst, als Tauf-, Konfirmations- oder Trausprüche ihre eigenständige Wirkungs- und Gebrauchsgeschichte haben.
Literatur:
N. Brox, Der erste Petrusbrief (EKK), Zürich-Neunkirchen 1993; Klaus Raschzok, 1. Petrus 5,5c-11, in: Göttinger Predigtmeditationen (93), 2004, 456-4631.
Viele schöne Sprüche auf einem Haufen – haben Sie vielleicht einen von ihnen als Tauf-, Konfirmations- oder Trauspruch auf ihren Lebensweg mitgenommen?` Wer hat denn den Spruch (Prediger bittet aufzuzeigen): „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (früher hieß es: Gott widersteht den Hoffärtigen) – oder: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ – oder: „Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingt“.
Die Sätze klingen sehr vertraut. Sie sind auch deswegen so klar, weil sie die Gegensätze sehr einfach aussprechen. Dass Hochmut keine Gnade kennt, haben viele Menschen erlebt. Vielleicht sogar – womöglich im freien Fall – erlitten. Dass Sorgen einen Menschen gefangen nehmen, wissen alle, die an nichts mehr anderes denken können. Die sogar ihre Träume opfern müssen. Und unabhängig von der Frage, wie wir uns den Teufel vorstellen: es gibt vieles, das Menschen einschüchtert und klein macht. Da kommt das Bild von dem brüllenden Löwen gerade recht: Wenn er seine Opfer aufscheucht, eine Herde aufwirbelt, Tiere aus einander sprengt – dann macht er vorher Angst und verbreitet Schrecken.
Jeder dieser Sprüche lädt ein, die eigenen Lebenserfahrungen einzubringen, Geschichten zu erzählen, über Begebenheiten nachzudenken. Denn als Tauf-, Konfirmations- oder Trauspruch begleiten die Sprüche einen Lebens-Weg. Manchmal sagen Menschen auch, ganz stolz: das ist mein Spruch. Bei Trauerfeiern leiten sie denn oft auch die Gedanken. Sie geben einem Lebens-Lauf auch noch im nachhinein Form und Halt. Was denn im Leben trägt, fragen wir. Antworten sind: „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ – oder: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ – oder: „Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingt“.
2.
Wir könnten jeden dieser Sprüche für sich betrachten. Aber sie gehören zusammen. Sie falten etwas auf, was von Anfang an nie getrennt war. Denn als Petrus seinen Rundbrief schrieb – man könnte ihn auch einen „Hirtenbrief“ nennen -, kannte er unseren Brauch noch nicht, aus einem Text Sprüche herauszulösen und einzeln weiterzugeben. Bei ihm baute sich ein Gedanke auf den anderen auf. Er dachte auch nicht an Gelegenheiten, Anlässe oder die sogenannten „Lebenswendepunkte“ – er hatte die kleinen Gemeinden vor Augen, die von innen und außen bedrängt waren. Wenn ihr mich fragt, was denn los war – kann ich es euch nicht einmal sagen. Aber das Bild, dass ein Löwe umherstreicht und brüllt, verrät viel. Die Gemeinden sind versucht, aufgescheucht zu werden – und ein leichtes Opfer zu werden. Die Aussicht, gejagt zu werden, ist realistisch.
Es ist leicht, von der feindlichen Umwelt zu reden. Dann findet man auch Gründe, die man braucht. Entschuldigungen ebenso wie Schuldzuweisungen. Aber Petrus erlaubt diesen Weg nicht, so sehr er auch von den Leiden zu reden weiß, die auch über die Brüder in der Welt gehen. Nein, die eigentliche Gefährdung macht sich aus der Mitte heraus bemerkbar. Dann ist das Bild von dem brüllenden Löwen um eine Nuance reicher: er ist nicht draußen, weit weg, in sicherer Entfernung – er ist schon auf den Pelz gerückt, lümmelt sich schon zwischen Altar und Kirchenbänken.
Petrus macht zwei Gefährdungen aus und benennt sie auch: den Hochmut und die Sorge. Eigentlich passen sie nicht gut zusammen, sind zwei ungleiche Geschwister. Der Hochmut will hoch hinaus, nimmt es mit Gott und Teufel auf – und lässt keine Zweifel zu. Er erreicht alles, nimmt alles, fordert alles. Er kennt nur den Erfolg und einen Erfolgreichen: sich. Andere sehen alt aus. Kommen nicht mit. Werden abgehängt.
Die Sorge dreht sich im Kreis. So schnell, das einem schwindelig wird. Sie weiß von keinem Ziel. Sie lässt auch keinen an sich heran. Sie zieht sich zurück. Sie denkt immer dasselbe. Sie kennt nur sich. Und das verbindet sie mit dem Hochmut.
Was Petrus wahrnimmt, ist nicht nur die Befindlichkeit von Menschen. Er sieht – unheilvoll – Hochmut und Sorge auch in der Gemeinde. Beide entfalten eine geradezu zerstörerische Wirkung. Im Hochmut erheben sich Menschen über andere, in der Sorge entziehen sich Menschen. Hochmut wie Sorge lassen Menschen einsam werden – und machen andere einsam. Gemeinsam ist den beiden ungleichen Geschwistern, dass sie sich mit sich zufrieden geben. Sich selbst feiern – das macht der Hochmut, sich verkriechen – das schafft die Sorge.
Was Petrus dagegen hält? „Alle aber miteinander haltet fest an der Demut“ – schreibt er. Das Wort, das bei uns in die Jahre gekommen ist, wird in seiner Hand zu einem Schlüssel, der das Leben aufschließt. Denn er eigentliche Sinn von Demut ist, alles von Gott zu erwarten und ihm auch alles anzuvertrauen. Wenn er das letzte Wort hat, kann kein Mensch sich auf Gottes Kosten profilieren oder in im eigenen Leben untergehen. Mehr noch: wenn er das letzte Wort hat, wird er uns zu seiner Zeit erhöhen. Mit dieser Gewissheit haben der Hochmut und die Sorge keine Zukunft.
Und der brüllende Löwe? Petrus hat recht: Seid nüchtern und wacht!
3.
Übrigens: Die Sprache des Petrus! Wir müssen den Brief noch einmal lesen! In den Worten ist Bewegung, Kraft, Ausdauer. Da heißt es, ganz am Anfang – anders übersetzt: sich mit Demut schürzen – also neu anziehen. Allerdings nicht ganz neu – eher ist der Arbeitsschurz gemeint, der angelegt wird. Es geht darum, etwas zu tun. Demut, landläufig eine Gesinnung, in der ein Mensch klein von sich denkt, bekommt so eine Ausrichtung auf einen anderen Menschen, eine Gemeinde, eine Aufgabe, ein Problem. Und die landläufige Meinung ist schnell dahin. Demut verträgt es, sich schmutzig zu machen. Und Menschen, die klein von sich denken, wachsen schnell über sich hinaus. Am Ende ist Demut nicht einmal eine Gesinnung.
Petrus steigert den Gedanken: Bergt euch in der gewaltigen Hand Gottes. In ihr seid ihr gut aufgehoben. Ja, er hebt euch auf. Von Niedrigkeit oder Ergebenheit findet sich nicht einmal eine Spur. Im Gegenteil. Es ist von einem kraftvollen Werfen die Rede: eine Sorge in die Hand nehmen – und sie auf ihn werfen. Dazu gehört: sie – die Sorge – freizulassen und sie mit einem festen Ziel ihm aufzubürden. Ein großes Gottvertrauen, fürwahr. Meine Sorge ist nicht meine Sorge. Erzähle ich es beim Bier – es glaubt mir keiner.
Dabei hat hier die Bildfolge ihren eigenen Reiz: Zuerst kommt, sich Gottes Hand anzuvertrauen – dann die Sorge aus der eigenen Hand zu geben. Was dabei herauskommt, beschreibt Petrus mit dem Wort „Gnade“. Das stand schon im Buch der Sprüche: den Demütigen wird er Gnade geben.
Der Demütige ist der, der alles von Gott erwartet und ihm alles anvertraut. Um frei zu sein, sich anderen Menschen zuzuwenden – ohne Sorge oder Hochmut. Denn damit fängt die Demut an: sich schürzen. Das ist in seiner Schlichtheit ein tolles Bild. Merkwürdig: mit dem Nagelstreifenanzug (oder –kostüm), dem blütenweißen Kittel oder dem schwarzen Talar nimmt es das Bild allemal auf.
4.
Haben Sie Lust, nach dem Gottesdienst noch über die Sprüche zu sprechen – ihre Sprüche? Wir leihen sie aus – z.B. von Petrus. „Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“– oder: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch“ – oder: „Seid nüchtern und wacht, denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingt“.
Im Zusammenhang betrachtet, laden die Sprüche ein, es mit Tod und Teufel aufzunehmen. Egal, wie wir sie nennen: Demut ist kämpferisch. Mit gesenktem Blick sieht man nichts – nur die eigenen Füße.
In der alten Georgslegende, die in der legenda aurea des Jacobus de Voragine erzählt wird, taucht zwar kein Löwe auf, dafür aber ein Drache. Vor ihm haben die Bewohner der heidnischen Stadt Silena eine Heidenangst. Sie steigern sich so sehr hinein, dass sie nicht nur Schafe, sondern sogar Menschen zu opfern bereit sind. Durch Los ist die Königstochter an der Reihe. Ritter Georg begegnet ihr, lässt sich von ihr auch warnen – nimmt dann aber den Kampf mit dem Ungeheuer auf. Als es aus dem Wasser auftaucht, macht Georg das Kreuzzeichen und kämpft mit seiner Lanze. Am Ende – so die Geschichte – kann die Königstochter den verwundeten Drachen mit ihrem zierlichen Gürtel wie ein zahmes Hündlein in die Stadt führen.
Die Menschen haben sich nicht nur von dem Drachen beherrschen lassen. Sie haben sich von ihrer Angst so in Bann nehmen lassen, dass ihnen nicht einmal mehr der klare Kopf verblieb. Georg steht aber für die nüchterne Erfahrung, dass der, der im Namen Jesu Christi das Bedrohliche und Befremdliche betrachtet, den Blick für die Realität zurückgewinnt. Im Namen Jesu angegangen, verliert der Drache seine Macht – und kann bekämpft werden. Die Königstochter bekommt einen „Schoßdrachen“, aus dem möglichen Opfer wird eine Siegerin.
Eine Legende. Aber Petrus hätte seine Freude an ihr. Solange ein Mensch nüchtern ist und wacht, seine klaren Sinne bewahrt, wird er von dem Löwen nicht kapitulieren. Dass er noch brüllt, wird man zu nehmen wissen, aber die Menschen werden sagen: Gut gebrüllt, Löwe.
Petrus beschließt seinen Brief mit einem Lobpreis. Im Lobpreis werden alle Ermahnungen Gott einfach zurückgegeben. Denn er richtet Menschen auf. Er stärkt, er gibt Kraft, er gründet. Das ist Gottes Demut. Er macht den Menschen groß.
Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!
Amen.