Geld und Gnade – oder: Kollektenempfehlung, die Gemeinschaft stiftet
Predigttext: 2.Korinther 9,6-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
6 Ich meine aber dies: Wer da kärglich sät, der wird auch kärglich ernten; und wer da sät im Segen, der wird auch ernten im Segen. 7 Ein jeder, wie er's sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. 8 Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk; 9 wie geschrieben steht (Psalm 112,9): »Er hat ausgestreut und den Armen gegeben; seine Gerechtigkeit bleibt in Ewigkeit.« 10 Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit. 11 So werdet ihr reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt, die durch uns wirkt Danksagung an Gott. 12 Denn der Dienst dieser Sammlung hilft nicht allein dem Mangel der Heiligen ab, sondern wirkt auch überschwänglich darin, dass viele Gott danken. 13 Denn für diesen treuen Dienst preisen sie Gott über eurem Gehorsam im Bekenntnis zum Evangelium Christi und über der Einfalt eurer Gemeinschaft mit ihnen und allen. 14 Und in ihrem Gebet für euch sehnen sie sich nach euch wegen der überschwänglichen Gnade Gottes bei euch. 15 Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!
Exegetisch-homiletische Überlegungen
I.
In 2. Kor. 9 geht es um die Kollekte für die Gemeinde in Jerusalem, die Paulus eben auch in Korinth einsammelt. Die Urgemeinde in Jerusalem ist in einer sehr schwierigen Situation. Ob ihr mit Geld geholfen werden kann? Paulus problematisiert das nicht. Über den geschenkten finanziellen Spielraum hinaus sieht er die Gemeinschaft, die der Glaube stiftet und am Leben hält. Alles, was Paulus vorbringt, stellt die Kollekte geradezu als einzig mögliche Konsequenz dar. Tiefer gebohrt: Korinth ist von Jerusalem weit weg. Nicht nur räumlich. Auch gedanklich. Jerusalem und Korinth sind zwei verschiedene Welten. Brisant aber ist, dass die Gemeinde in Jerusalem judenchristlich geprägt ist, Korinth aber heidenchristlich. Das Konfliktpotential spiegelt sich in den Briefen des Paulus. Die Frage, ob die Gemeinde in Jerusalem eine Überlebenschance hat und unter welchen Bedingungen, wird von Paulus nicht erörtert. Kein Gedanke soll davon ablenken, dass der gemeinsame Christusglaube auch die eine Kirche begründet. In Korinth wirbt Paulus für Jerusalem, in Jerusalem stand er auch für Korinth ein. Die Differenzen, die Traditionen mit sich bringen, können nicht die Gemeinschaft bestimmen, gedankliche oder räumliche Entfernungen nicht darüber entscheiden, wem Heil zuteil wird. Was sich wie eine Kollektenempfehlung anhört, ist in Wirklichkeit ein eindringliches Werben, den „fernen“ Nächsten im eigenen Kirchesein den Platz einzuräumen, der von Gott längst abgesteckt wurde. Dass Paulus dabei sogar Geld und Gnade zusammenbringt, überrascht nicht. Mag sein, dass sich die theologischen Augenbrauen (sofern es sie denn gibt) heben, aber Paulus verbindet das Geld mit einer Botschaft, die Geber und Nehmer verknüpft, ohne Gegenleistungen zu begründen: Gemeinsam in das Gotteslob einzustimmen, die Gnade zu rühmen und im Glauben reich zu sein. Unschwer ist zu erkennen: Reichsein kommt nicht aus Festhalten, sondern aus Teilen, Abgeben und Annehmen eingeschlossen. Offen ist, wie die Jerusalemer damit umgegangen sind. Hat die Sache überhaupt einen Abschluss gefunden? Hätten sie die Gabe mit einem guten Gewissen von denen nehmen können? Gerade weil unser Abschnitt keinen Erfolg zu vermelden hat und in seiner Offenheit schutzlos ist, lässt er Variationen in der Wahrnehmung zu, ohne die Wahrheit selbst zu variieren Im übrigen wollte Paulus die Kollekte persönlich überbringen.Zu bedenken ist, dass auch die Gemeinde in Korinth nicht zu den finanzstarken Gemeinden gehört, die es wohl erst in späterer Zeit gegeben hat. Trotzdem lässt vor allem der 1. Korintherbrief erkennen, dass es in Korinth durchaus auch eine soziale Schichtung mit problematischen Folgen für das Gemeindeleben gab. Die Abendmahlsüberlieferung, die Paulus einbringt (1. Kor. 11), wird von ihm auf Missstände bezogen, die zwar asozial genannt werden können, aber Unglauben ausdrücken und den Kyrios selbst ins Zwielicht bringen. Ging es da um das die koinonia in Korinth, wird in dem Kollektenaufruf der Blick auf die Kirche insgesamt gerichtet. Eigentlich zum ersten Mal werden von Paulus in aktuellen Situationen Folgerungen gezogen, die für das Kirchenbild konstitutiv sind.
Abendmahlsüberlieferung wie Kollektenaufruf führen in die Kirche ein, die bei allem, was sie tut, sich nicht selbst feiert, auch nicht mit sich genug hat, sondern auf die „unaussprechliche Gabe“ Gottes (V. 15) von Anfang bis Ende verwiesen bleibt, um aus ihr zu leben. 2. Kor. 9,6 bis 15 gehört zu den Meilensteinen ekklesiologischer Vergewisserung. Seither ist jede Kollekte eine Glaubensäußerung. Zugegeben: diese Sicht ist in einer Kirche, der Bettelei nachgesagt wird, verschüttet, wartet aber darauf, freigelegt zu werden. Der Prediger wird zum Archäologen, der behutsam Schichten abträgt, zum Restaurator, der hinter den Übermalungen das ursprüngliche Bild entdeckt.II.
Gliederung und Aufbau:
Der Abschnitt gruppiert sich um das Psalmzitat aus Ps. 112,9 LXX, in dem Gott als Sämann angesprochen wird, der den Armen gibt.
V.6: Neueinsatz mit „Ich meine aber dies“ mit einer These, die weisheitlichen Charakter hat:
Kärglich säen – kärglich ernten, im Segen säen – im Segen ernten.
V.7: Herzlichkeit als Kriterium V.8: Rückbindung an Gottes Gnade V.9: Zitat aus Psalm 112,9 LXX V. 10 Verläßlichkeit der Gnade Gottes V. 11 Schlußfolgerung: reich sein in allen Dingen V. 12 Erster Kollektenzweck mit denn eingeleitet: Dank Gottes V. 13 Zweiter Kollektenzweck mit denn eingeleitet: Bekenntnis zum Evangelium Christi und zur Gemeinschaft V. 14 Fürbitte in Jerusalem V. 15 Doxologischer Schluß
Die Argumentation ist in sich schlüssig, berührt aber viele Ebenen: Die Kollekte für die Heiligen in Jerusalem (zwar terminus technicus, aber darüber hinaus eine Ehrenbezeichnung voller Würde und Anmut für die, die jetzt Mangel haben!) kommt aus dem Reichtum, den Gott schenkt. Aber was ist das für eine Saat? Was macht den Reichtum aus? In V. 8 heißt es: dass alle Gnade reichlich unter euch sei und ihr volle Genüge habt; V. 10 flankiert: Er wird wachsen lassen die Früchte der Gerechtigkeit. V. 11 hält schlussfolgernd fest: reich sein in allen Dingen, zu geben in aller Einfalt.
Materielle Güter sind es nicht, die hier versprochen werden, aber die Gabe, aus geistlichem Reichtum materielle Güter abzugeben. Sprich: sie anders zu gebrauchen. Im Bild von der Kirche ist eine Wechselstube zu erkennen. Getauscht werden, ohne festen Kurs, geistliche Güter in materielle. Die Heiligen in Jerusalem werden dann, so Paulus, materielle Güter in geistliche umtauschen: in Dank und Bekenntnis. Weder in Korinth noch in Jerusalem können sich die materiellen Güter verselbständigen oder bei sich bleiben. Als geistliche werden sie wahrgenommen und gebraucht.
Ps. 112,9 hat eine zweifache Aufgabe: Erfahrungen mit Gott zu zitieren und neu in der Realität festzumachen. Die Verse 6 bis 8 werden mit dem Psalmwort gebündelt, die Verse 10 bis 13 ziehen aus ihm Konsequenzen, die zu einer reichlichen Kollekte führen. Reichlich ist hier mehr, als in summa zu ermitteln ist. Reichlich sind der Dank und das Bekenntnis. Die Verse 14 bis 15 kreisen noch einmal um die überschwängliche Gabe Gottes, die insofern maßlos ist, als niemand die Meßlatte dafür hat. Es ist eine durch und durch theologische Argumentation, die der Jerusalem-Kollekte eigene Konturen verleiht. Paulus zieht alles Register seines Könnens, die Kollekte unausweichlich zu machen. Dabei gibt es nur einen Grund: die Gnade Gottes ist überschwänglich und unaussprechlich.
III.
Die Frage ist unausweichlich, was mit dem geistlichen Reichtum gemeint ist. Paulus nennt: Segen, Gnade, Früchte der Gerechtigkeit, aber auch Danksagung, Bekenntnis und Gemeinschaft. Was sich hinter diesen Worten verbirgt, hat Paulus auch in seinem 2. Korintherbrief entfaltet. Es ist darum wichtig, den Brief insgesamt wahrzunehmen.
Allerdings stellt sich dem Predigthörer die Frage, ob aus dem Glauben eine solch weitreichende Konsequenz gezogen werden kann. Materielle Güter haben eine Eigenbedeutung bekommen, definieren geradezu, was ein Mensch aus seinem Leben gemacht hat oder machen kann. Geistliche Güter hingegen stehen nicht hoch im Kurs, haben keine Selbstverständlichkeit auf ihrer Seite und lassen sich auch nicht auf einer Matrix darstellen. Zudem hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Selbst in der Privatsphäre wird sorgfältig differenziert und getrennt. Trotzdem gibt es eine große Bereitschaft, für einen guten Zweck Geld zu spenden. Wer Spenden akquiriert, hält sich an Regeln, die nicht einmal ungeschrieben sind. Wesentlich ist, rational, wenn nicht berechnend, auch auf Gefühlsebenen zu operieren. Als Gegenwert einer Spende fungiert ein gutes Selbstwertgefühl.
Was nichts bringt, ist, dem modernen Menschen (Entschuldigung, ich benutze dieses Wort hier unkritisch) ein schlechtes Gewissen zu machen, sein nicht reflektiertes Denken zu diffamieren oder ihn mit Erwartungen zu überfordern. Was aber auch nicht hilft, ist, dem modernen Menschen für eine Spende ein gutes Gewissen zu geben, ihm sein Denken abzusegnen oder ihm das Evangelium vorzuenthalten. 2. Kor. 9,6 bis 15 lädt geradezu ein, den geistlichen Reichtum zu entdecken und über den eigenen Dunstkreis hinauszuwachsen. Gott aber kann machen, heißt es bei Paulus. In diesem Satz steckt ebenso Gewissheit wie Bescheidenheit. Beides vermag eine Predigt über diesen Text zu prägen.
IV.
In einem Gottesdienst zu Erntedank wird die Kirche geschmückt. Es gibt viele Bräuche, die den Reichtum ausdrücken, Danke zu sagen und gemeinsam zu feiern. Aber die biblischen Texte, die gelesen werden, machen es uns nicht einfach. Sie erzählen von falschem Vertrauen und bürsten unsere Erfahrungen gegen den Strich.
2. Kor. 9,6-15 greift von Anfang an auf die Erntemetaphorik zurück. Es wird ein Bogen gespannt von kärglichem Säen und Ernten im Segen. Gott selbst wird als jemand vorgestellt, der sät – und uns Samen anvertraut. Dann aber hat der Text seine eigene Bewegung. Provokativ: Geerntet wird in Jerusalem.
Der Klingelbeutel gehört, auch wenn es schon andere, steuerbegünstige Verfahren der bargeldlosen Kollekte gibt, nach wie vor zu einem Gottesdienst. Er wird herumgereicht, hinterlässt ein typisches, vertrautes Geräusch und wird auf dem Altar abgelegt.
In einem Gottesdienst zu 2. Kor. 9,6 bis 15 könnte mit dem Klingelbeutel ein Spiel gemacht werden, das einerseits kommunikativ ist, andererseits aber auch dem Klingelbeutel eine eigene Sprache zutraut.Es wird ein Projekt, eine Gemeinde oder ein Arbeitsfeld vorgestellt. Das muss dann schon detailliert sein (was auch heißt, bewusst wahrzunehmen, mit wem wir ein Stück Weg teilen!). Dann schreiben die Gemeindeglieder auf, an wen oder was sie denken, wenn sie spenden wollen. Hilfreich ist, „Murmelgruppen“ in den Reihen zu bilden, damit niemand allein gelassen wird. Ziel ist, sich in eine fremde Situation zu versetzen, aber auch, etwas von „uns“ zu erzählen. Dann wird die Kollekte eingesammelt – jetzt nicht mit Geld, sondern mit dem, was die den Gottesdienst feiernde Gemeinde mitgeben kann. Gezählt werden muss die Kollekte natürlich auch. Die Beiträge kommen auf eine Pinwand in der Kirche. Obenauf steht das Projekt, für das gespendet wird. Dann auch richtig – eben klingelnd. In den Fürbitten sollte die Aktion coram Deo dann ihren Abschluß finden.
Die Aufgabe der Predigt ist, diesen Fundus aufzugreifen und mit der Behutsamkeit eines Archäologen oder Restaurators das Bild freizulegen, das Paulus für die Kirche gefunden hat. Nach dem Gottesdienst muss auch nicht das glatte Gefühl übrig bleiben, alles unter einen Hut gebracht zu haben. So fremdartig der Abschnitt aus dem Brief des Paulus auch ist, er spricht für sich. Mit seiner Einfalt (V. 11) erobert er sich die Herzen. Dass Einfalt nicht Dummheit oder Primitivität meint, erschließt das Wort Ein-falt. Gemeint sind: Klarheit, Offenheit und Eindeutigkeit. Die Einfalt kennt keinen doppelten Boden, redet nicht drum herum und muss nichts zwischen den Zeilen verstecken.
Dass in diesem Gottesdienst das Abendmahl gefeiert werden muss, bedarf wohl keiner weiteren Erläuterung.Kyrie im Erntedankgottesdienst
Auf dem Altar – oder auf einem kleinen Tisch davor – liegen Brot, Medikamente und eine Zeitung. Sie stehen für die Gaben, die aus Gottes Hand in Empfang genommen werden – Symbole für den alltäglichen Lebensunterhalt, die Gesundheit und der Lebensgemeinschaft. Dem Dank folgen die Bitten um Erbarmen, die gesprochen oder gesungen werden. Wir loben dich, Gott, für das Leben, das du erhältst. Jeden Tag werden wir satt. Was wir zum Leben brauchen, bekommen wir. Dir danken wir Für das Brot Liturg nimmt das Brot in die Hand Vieles ist für uns selbstverständlich geworden. Oft gehen wir gedankenlos mit dem um, was unser Leben erhält. Es fällt uns schwer, dankbar zu sein und mit anderen zu teilen, was wir haben Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich Wir loben dich, Gott, für das Leben, das du erhältst. Wenn wir krank sind, helfen uns Menschen. Wir werden mit Medikamenten versorgt, behandelt und gepflegt. Dir danken wir Für die Gesundheit. Liturg nimmt ein Medikament in die Hand Krankheiten verführen uns zum Klagen. Wir sehen dann nur noch uns selbst. Es fällt uns schwer, dankbar zu sein und an andere zu denken. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dich Wir loben dich, Gott, für das Leben, das du erhältst. Fernsehen, Bücher und Zeitungen lassen uns an der Welt Anteil nehmen und fremde Menschen zu uns kommen. Wir werden unterhalten, aber auch zu Zeugen von Angst und Unheil. Dir danken wir Für die Gemeinschaft. Liturg nimmt die Zeitung in die Hand Unsere Herzen sind zu klein für die vielen Nachrichten und Geschichten. Wir können oft nur aufnehmen, was in unser Leben passt. Es fällt uns schwer, dankbar zu sein und ohne Vorurteile zu leben. Wir rufen zu dir: Herr, erbarme dichDer Predigt ein „Klingelbeutelspiel“ voraus. Eine Familie aus der Gemeinde stellt ein Projekt vor. Der Vater, aus Sierra Leone stammend, will in seine Heimat zurückkehren, die elterliche Farm übernehmen und ein kleines Gesundheitszentrum aufbauen. Nach dem Krieg, der viele Wunden geschlagen hat, soll in dem Dorf ein neuer Anfang gemacht werden.
Zu dem Spiel gehört, auch Namen und Adressen aufzuschreiben. Sie werden nach Sierra Leone mitgenommen. Von dort wird – irgendwann – Post zurückkommen. Die Kinder haben nach dem „Spiel“ ihren eigenen Gottesdienst. Die Gemeinde singt vor der Predigt: „Wenn das Brot, das wir teilen“.
I.
Eigentlich könnte unser Klingelbeutel viel erzählen. Nein, nicht dass er seit Jahren an jedem Sonn- und Feiertag die gleiche Runde macht, von Hand zu Hand geht und dann immer auf dem Altar seinen Weg beschließt – er könnte stolz erzählen, mit den Münzen und Scheinen im Bauch, dass „ihr“ nicht vergessen seid.
„Ihr“: das sind die anderen, die wir nicht einmal kennen müssen, mit denen wir uns aber verbinden. Mal ganz kurz, mal für lange Zeit. Wir lassen uns erzählen, wie es ihnen geht, nehmen ihre Schwierigkeiten ernst und versuchen, ihnen zu helfen. Nicht nur mit Geld. Wir geben zu verstehen: wir denken an euch. Für viele Menschen ist das wichtig. Dann schrumpfen auch Entfernungen. Auch die Entfernungen im Kopf und im Herzen.
(Darum haben wir heute in unserem kleinen Spiel dem Klingelbeutel gute Wünsche mitgegeben, kleine Geschichten, die von einer gemeinsamen Hoffnung erzählen – und wir freuen uns, Namen und Adressen auszutauschen.)
Eigentlich könnte unser Klingelbeutel viel erzählen. Aber er gehört zum Inventar. Ist da, geht und verschwindet. Wie das Halleluja und das Amen. Dabei hat doch Paulus geschrieben: Einen fröhlichen Geber hat Gott lieb!
II.
Das ist ein Zitat aus der hebräischen Bibel. Im 1. Buch der Chronik (29,17) ist das so aufgeschrieben: einen fröhlichen Geber schafft in seiner Liebe – Gott. Ein schöner Hinweis, dass wir uns die Fröhlichkeit nicht einreden oder abringen müssen. Sie ist ein Geschenk – und hat mit Liebe zu tun. Die Liebe verwandelt sich sozusagen in eine Fröhlichkeit, die das Leben erobert. Die Liebe wächst aus dem Herzen heraus und nimmt dem Gesicht die Härte. Die Hände öffnen sich. Die Augen. Der Mund. Fröhlichkeit steckt an. Fröhlichkeit ist ein Wunder der Liebe. Fröhlichkeit ist eine viel zu wenig beschriebene und gerühmte Eigenschaft Gottes, die er mit uns teilt.
Paulus schreibt seinen Brief an die Korinther. Die Gemeinde war nicht groß, auch nicht reich, nicht einmal etabliert – was man so etabliert nennt: mit öffentlicher Anerkennung, Rechtsstatus und ehrwürdiger Tradition. Im Gegenteil: in Korinth fingen Menschen gerade mal an, eine Gemeinde zu bilden, sich aufeinander einzustellen, Glauben und Leben miteinander zu teilen. Wer wissen will, wie konfliktreich das abging, kann die Briefe lesen, die Paulus geschrieben hat. Sogar von einem „Tränenbrief“ ist die Rede. Mit Samthandschuhen wurde auch Paulus nicht angefaßt.
Unbeirrt wirbt Paulus in Korinth aber für eine Kollekte. Zu Gunsten der Gemeinde in Jerusalem. Es geht den Menschen in ihr schlecht. Die Spur zu ihnen hat sich verloren. Einzelheiten kann ich Ihnen nicht nennen. Aber die Situation wird als angespannt und bedrängend geschildert. Paulus will die Kollekte in Korinth in Empfang nehmen und persönlich in Jerusalem abgeben. Geradezu leidenschaftlich wirbt er. Dabei wird uns das Geschenk zu teil, ihm ins Herz zu schauen. Mitzuhören, was ihm bewegt und warum er so dahinter steht.
Jerusalem war für Korinth weit weg. Nicht nur auf der Landkarte. Auch innerlich. Was haben wir denn mit Jerusalem zu schaffen? – Einwände stellen sich schnell ein. Haben wir nicht genug mit uns zu tun? Und dann die große Kluft: Die Gemeinde in Korinth wurde Heimat für Menschen, die – überwiegend – vorher Heiden waren. In Jerusalem aber, im Herzen der jüdischen Gemeinschaft, lebten in der Gemeinde Menschen, die in der Nähe zum Judentum Christen sein wollten. Welten stießen auf einander. Auch davon erzählen die Briefe, die Paulus geschrieben hat. Es hat große Auseinandersetzungen gegeben, die die junge Kirche fast zerrissen. Zwischen Paulus und Petrus hat es regelrecht geknallt. Auf dem sog. Apostelkonzil wurde um eine Lösung gerungen. Paulus hat in Jerusalem verteidigt, dass auch die Heiden zu dem Bund gehören, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat, ohne vorher Juden werden zu müssen – und wenn Paulus in Kleinasien oder in Rom war, sagte er den Menschen, dass der Bund Gottes mit seinem jüdischen Volk nicht gekündigt oder überholt war. Keiner solle sich über dem anderen erheben, ihm Gottes Zuneigung absprechen, ihn fallen lassen.
Die Kollekte für Jerusalem war auf einmal mehr als eine Geldsammlung. Die Heiligen in Jerusalem gehören ins Herz der Korinther – weil Jesus ihr gemeinsamer Herr ist. Die Unterschiede, die es gibt, trennen nicht. Mutig, was Paulus schreibt. Denn ob die Jerusalemer glücklich über die Kollekte sein würden, war noch nicht ausgemacht. Von denen sich was schenken lassen – wie stehen wir denn jetzt da? Neue Einwände. Sie kommen schnell. Wir kennen sie.
Übrigens: Die Heiligen in Jerusalem! Das verbindet sie mit den Heiligen in Korinth. Das ist eine gemeinsame Würde: die Würde, im Glauben geadelt zu sein. Kinder Gottes. Einen Vater haben. Besonders, wenn Menschen arm sind, in eine Notlage geraten und sich nicht mehr auf die Straße trauen, verlieren sie ihre Würde. Wie Paulus von den Menschen in Jerusalem spricht, hebt sie hoch.
III.
Ich bewundere Paulus. Nicht nur, weil er so kämpft. Auch wie er argumentiert! Ihr müsst euch das mal vorstellen: Paulus macht die Kirche – das ist Korinth und Jerusalem zusammen – zu einer Wechselstube. Gewechselt wird nicht Münze gegen Münze, Schein gegen Schein – gewechselt wird Liebe. Geliebt von Gott, von ihm mit Erbarmen gesegnet, können die Korinther von dem abgeben, was ihnen gehört, nein, was ihnen geschenkt wurde. Jeder, wie er es sich im Herzen vorgenommen und verkraften kann. Ohne Zwang, ohne krause Stirn. Das Geld aber, das zusammen kommt, wird in Jerusalem umgetauscht: in Lobpreis und Dank. Dort wird in der Gemeinde für Korinth gebetet, dort freut man sich, im Bekenntnis zum Evangelium Christi verbunden zu sein, dort wird die Gemeinschaft dankbar angenommen. Paulus findet sogar, dass das Wort „Einfalt“ genau richtig ist: es gibt keine Hintergedanken, abgerechnet wird auch nicht. Weder jetzt, noch später. In Jerusalem bekommt Gott zurück, was er in Korinth geschenkt hat.
Das Bild von der Wechselstube ist fremdartig, aber auch faszinierend. Wie weit kann ich mich darauf einlassen? Dabei schält sich zwischen den Zeilen heraus, dass überraschend neu über Geld geredet wird! Ganz unbefangen – Geld verbindet Menschen, wird zu einem Segen, lässt die Verdächtigungen hinter sich, wenn es dankbar gegeben und dankbar angenommen wird. Es ist eine bemerkenswerte Sicht, die uns Paulus zumutet. Es geht ihm nicht nur um die eine Kirche – er gibt dem Geld auch eine Botschaft mit: Wir teilen den Reichtum Gottes. Seine Liebe kommt bei anderen Menschen an. Im Loben und Danken wird ihm zurückgegeben, was er gegeben hat.
Wir wissen um die Macht des Geldes. Geld verleiht Ansehen und Einfluss, Sicherheit und Unabhängigkeit. Aber es schenkt kein Leben, gewährt keine Gesundheit, vergibt nichts. Paulus erzählt von einem geschenkten Reichtum, der nicht abgemessen oder berechnet werden muss. Dieser Reichtum wächst, wenn er abgegeben wird. Einen fröhlichen Geber schafft in seiner Liebe – Gott.
IV
Heute am Erntedankfest feiern wir in einer geschmückten Kirche. Die vielen Gaben stellen uns den Reichtum vor Augen, den wir meistens nicht einmal zu schätzen wissen. Was wir hier nicht sichtbar ablegen können, ist: Das große Geschenk, als Menschen von Gott geliebt zu sein. Viele Geschichten könnten wir davon erzählen, alte und neue. Paulus hat geschrieben:
Der aber Samen gibt dem Sämann und Brot zur Speise, der wird auch euch Samen geben und ihn mehren und wachsen lassen die Früchte eurer Gerechtigkeit.
Ein Bild aus der Natur wird zu einem Bild geteilten, reichen Lebens. Paulus stellt kein „aber“ in den Raum, in seinen Worten ist alles gewiss und verlässlich. Verlässlich, weil Gott selbst die Erde beackert.
Wie ist das mit der Kollekte weitergegangen? Haben die Korinther gesammelt? Ist das Geld in Jerusalem angekommen? Ja, auch angenommen worden? Neugierig bin ich schon, aber ich weiß nichts. So haben wir nur den leidenschaftlichen Brief, den Paulus geschrieben hat.
Und unser Klingenbeutel geht durch die Reihen. Er fordert nichts. Aber er schützt auf seine Weise Geber und Gabe. Wir könnten ihn mit einem Lächeln weitergeben. Denn er nimmt die Botschaft mit, dass „ihr“ nicht vergessen seid.
„Ihr“: das sind die anderen, die wir nicht einmal kennen müssen, mit denen wir uns aber verbinden. Mal ganz kurz, mal für lange Zeit.
Gott aber sei Dank für seine unaussprechliche Gabe!