Christlicher Glaube und Lebensperspektiven

- oder: Charakter und Persönlichkeit sind mehr als Idealgewicht und Supermaße

Predigttext: Römer 14, 17-19
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 10.10.2004
Kirchenjahr: 18. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dr. Harald Pfeiffer

Predigttext: Römer 14,17-19 (Übersetzung nach: Gute Nachricht. Bibel. Revidierte Fassung 1997 der „Bibel in heutigem Deutsch“, 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart)

Denn wo Gott seine Herrschaft aufrichtet, geht es nicht um Essen und Trinken, sondern um ein Leben unter der rettenden Treue Gottes und in Frieden und Freude, wie es der Heilige Geist schenkt. Wer Christus mit einem solchen Leben dient, gefällt Gott und wird von den Menschen geachtet. Wir wollen also alles daransetzen, dass wir in Frieden miteinander leben und einander in unserem Glauben fördern.

Homiletische Bemerkungen

Die Predigt richtet sich an eine bunt gemischte Zuhörerschaft aus allen Bundesländern. Überwiegend junge Menschen mit körperlichen handycaps, in der Mobilität eingeschränkt: Ausbildungsteilnehmer/innen in der Umschulung (berufliche Rehabilitation im Berufsförderungswerk der SRH Heidelberg); Studierende an der Fachhochschule der SRH; Mitarbeiter/innen aus dem SRH-Unternehmen; Patienten aus dem Kurpfalzkrankenhaus (SRH) sowie Gäste aus verschiedenen Stadtteilen und auswärtigen Orten. Die meisten Predigthörer/innen – unter ihnen Kirchenferne, Skeptiker, Zweifler – sind von schweren Lebensschicksalen geschlagen, tragen ihre seelischen Lasten seit Jahren. Jeder sucht nach Lebensperspektiven, wünscht sich geistlichen Halt, erhofft sich etwas Geborgenheit in der Spiritualität. Ein guter, aufbauender, mutmachender Gedanke sollte hängen bleiben. Eine verständliche Sprache wird geschätzt. Der Gottesdienst muss Qualität haben, Sinnfindung bieten, der Besuch muss sich lohnen. Im Mittelpunkt der Predigt stehen drei klare Botschaften des Apostels:
  1. Alles daransetzen, dass wir in Frieden miteinander leben
  2. Auch die Freude gehört zum Reich Gottes
  3. In unserem Glauben einander fördern.
Alltägliches Belangloses hat keinen Platz im Reich Gottes, stattdessen geht es um Lebenssinn und  -perspektiven, um hilfreiche Wegweisung. Drei Stichwörter im Text werden thematisiert und näher beleuchtet: Frieden, Freude, Glaubensförderung durch Sich-Bekennen. Ganz bewusst habe ich den Gemeindekonflikt in Rom in puncto Essen und Trinken nicht zum Thema gemacht. Das damalige Problem ist nicht unseres, somit gehe ich auch nicht auf die sogenannten Starken und Schwachen in der römischen Christengemeinde ein; zudem sind diese im Predigttext nicht genannt. Das Thema ist: Christlicher Glaube kann Lebensperspektiven ermöglichen!

zurück zum Textanfang

Manchmal erzählt die Bibel Eigenartiges. So berichtet der Apostel Paulus von einem Streit in  Rom. Die christliche Gemeinde konnte sich dort in puncto Essen und Trinken nicht einigen. Das Problem lautete: Darf ein Christ Fleisch genießen, das einem römischen Gott geweiht war? Wer nämlich als Christ auf dem Markt in Rom einkaufen ging, holte sich gleichsam die römischen Götter auf den Tisch, auch wenn er längst nicht mehr an sie glaubte.  Es ging ständig um die Frage. Dürfen wir dieses Fleisch essen, diesen Wein trinken oder sollen wir verzichten? Die Meinungen gingen damals sehr auseinander.

Dieser Konflikt ist für uns heute bedeutungslos. Und so schreibt der Apostel Paulus der christlichen Gemeinde in der Hauptstadt ins Gästebuch: Wo Gott seine Herrschaft aufrichtet, geht es nicht um Essen und Trinken. Und das heißt: Irgendwelche Gebräuche von Essen und Trinken haben keine Heilsbedeutung für den Menschen. Da ist alles völlig sekundär und belanglos. Heißt das etwa auf unseren Alltag übertragen: Deine neueste Designer-Kleidung, die du stolz vorzeigst, hat keine Heilsbedeutung, weil sie sekundär und belanglos ist, angesichts der Frage: Was hast du aus deinem Leben gemacht? Ebenso hätten Erfolg und Karriere keine Heilsbedeutung, weil sie sekundär und belanglos sind vor der Frage: Was hat Gewicht im Leben und im Sterben?

Ebenso hätte jeglicher Schönheitswahn keine Heilsbedeutung: Zwar verspricht die Werbung maximale Ausstrahlung bei minimalem Aufwand mit Fitnessstudio, Fettabsaugung, Muskeltraining, und das lässt man sich hierzulande acht Milliarden Euro jährlich kosten. Vergessen aber dabei nicht fast alle, dass Charakter und Persönlichkeit mehr sind als Idealgewicht und Supermaße? Ist das nicht alles völlig belanglos? Ein Make-up für die innere Leere? Wir surfen auf den Wellen des Zeitgeistes. Wir amüsieren uns zu Tode im Rausch des Erfüllbaren. So sagt eine erfolgreiche Managerin: „Meine Kleider sind von den besten Modeschöpfern, aber innerlich bin ich leer!“

Viele Menschen spüren eine innerliche Leere, suchen nach mehr, fragen nach dem Sinn ihres Lebens. Ich denke dabei  an einen berühmten Fußballtrainer, der auf der Höhe seiner Karriere aussteigt. Und er erklärt den überraschten Reportern: „Ich bin jetzt 50 Jahre alt. Wenn ich mein Leben bedenke, frage ich mich, ob das alles gewesen sein soll!“ Pokale, Preise und Prämien scheinen als Lebensbilanz zu wenig zu sein. Wie sagt der Apostel Paulus? In Gottes Herrschaft geht es nicht um Essen und Trinken, es geht nicht um Belangloses im Leben, sondern um

2

Lebensqualität und Seelenbefindlichkeit: Und das ist ein Leben unter der rettenden Treue Gottes, ein Leben in Friede und Freude. Besonders der Friede ist ein Merkmal des Reiches Gottes. Die Botschaft des Apostels lautet: Wir wollen alles daransetzen, dass wir in Frieden miteinander leben. In Frieden miteinander auskommen ist aber gar nicht einfach. Gerlinde Brunn hält das in einem Gedicht fest:

„Du schreibst peace auf deine Jacke und machst Krieg mit deinen Eltern. Du schreibst Frieden auf deine Stirn und setzt zum Angriff gegen die etablierte Gesellschaft an. Du schreibst pax auf deine Hosen und läufst Sturm gegen deine Lehrer. Du brennst peace in deine Haut und zankst dich mit deinem Bruder…“

Wir brauchen Frieden wie eine Atmosphäre, in der man auflebt. Aber es kommt darauf an, dass Menschen da sind, die diesen Frieden ausrichten. Jesus schätzt solche Leute außerordentlich hoch ein, wenn er sagt: „Glücklich zu schätzen, ja selig zu nennen sind die, die Frieden machen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“. Oftmals wären wir gern so. Doch die Wirklichkeit sieht häufig anders aus. Der österreichische Liedermacher und Sänger André Heller bringt die Realität in seinem Lied „Nachbemerkung“ auf den Punkt:

„Vom Schrei nach dem Frieden ist hier die Luft ganz schwer. Der Friede, der Friede, wo kommt denn der Friede her? Der kommt nicht vom bloßen Fordern, der kommt nur, wenn wir ihn tun, und wenn in unseren Seelen die Mörderwaffen ruhn.

Wenn wir Gewalt verweigern, in Sprache, Not und Streit, wenn wir als Haltung lieben, Zeit unserer Lebenszeit. Die Hölle sind nicht nur die andren, die Hölle, das bin zuerst ich. Nur wer bereit ist zur Wandlung, macht sich nicht lächerlich… Der Friede kommt nicht vom bloßen Fordern, der kommt nur, wenn wir ihn tun“. Soweit André Hellers Friedenslied.

Frieden schaffen heißt Vertrauen wecken, heißt Vergangenes weglegen. Frieden kommt nur, wenn wir ihn tun, und ich ergänze, wenn wir um ihn bitten, wie Martin Luther in seiner Friedenshymne: „Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten“.

Es ist unsere Aufgabe, dem nachzustreben, was dem Frieden dient. Friede verlangt Hände, die zupacken, und Füße, die sich für andere in Bewegung setzen. Man fängt an, die Wahrheit zu sagen, den Gegner zu Wort kommen zu lassen, Kompromisse zu schließen, Andersdenkende zu achten. Friedensstifter verhindern körperliches und seelisches Leid. Friedensstifter wohnen im Reiche Gottes. Wie sagt wörtlich der Apostel? Wer Christus mit einem solchen Leben dient, gefällt Gott und wird von den Menschen geachtet. Wir wollen also alles daransetzen, dass wir in Frieden miteinander leben. Das ist die erste klare Botschaft des Paulus.

Die zweite klare Botschaft lautet: Auch die Freude gehört zum Reich Gottes. Die Freude gesellt sich zum Frieden. Matthias Claudius hat die Freude in einem Gedicht thematisiert: „Ich danke Gott und freue mich, wie’s Kind zur Weihnachtsgabe. Dass ich bin, bin! Und dass ich dich schön menschlich Antlitz habe“. Und er gibt in der Überschrift den Tipp: „Täglich zu singen“. Ich muss also erst mal erkennen, wer ich bin. Und dann gilt: Die anderen erkennen, wer die sind. Und sich dann den Herausforderungen des Alltags stellen; und Freude verbreiten da, wo ich lebe und arbeite.

3

Dabei denke ich an jenen blinden Mann, der in einem kleinen Haus mit einem großen Garten lebte. Er verbrachte jede freie Minute in seinem Garten und pflegte ihn trotz seines Handicaps mit großer Hingabe. Ob Frühling, Sommer oder Herbst, der Garten war ein Blütenmeer. Da bestaunte ein Vorübergehender die Pracht und fragte: „Warum tun Sie das? Sie können davon doch nichts sehen, oder?“ „Oh nein“, antwortete der Blinde, “nicht das Geringste“. – „Warum kümmern Sie sich dann überhaupt um den Garten?“

Der Blinde lächelte: „Ich kann Ihnen dafür vier Gründe nennen: Erstens, ich liebe die Gartenarbeit; zweitens, ich kann meine Blumen anfassen; drittens, ich kann ihren Duft riechen. Der vierte Grund sind Sie!“ – „Ich? Aber Sie kennen mich doch gar nicht!“ „Nein, aber ich wusste, Sie würden irgendwann vorbeikommen. Sie hätten Freude an meinen herrlichen Blumen, und ich hätte Gelegenheit, mich mit Ihnen darüber zu unterhalten“. (W. Hoffsümmer) – Freude verbreiten ist auch ein Merkmal des Reiches Gottes.

Und schließlich die dritte klare Botschaft des Apostels: Wir wollen alles daransetzen, dass wir einander in unserem Glauben fördern. In unserem Glauben fördern, das heißt, sich zum Glauben offen bekennen. Gibt es das? Ja, das gibt es. Beispielsweise der belgische König Baudouin hat es getan, er starb 1993. Sein königlicher Originalton lautet: „Ich erfahre, dass jedes Mal, wenn Menschen sich bemühen, das Evangelium so zu leben, wie Jesus es uns lehrt, sich alles zu verändern beginnt: alle Aggressivität, alle Angst und Traurigkeit machen dann dem Frieden und der Freude Platz. Aus eigener Kraft ist kein Mensch dazu imstande“.

Glauben ermöglicht neue Lebensperspektiven. Es gibt Menschen, von denen wir es gar nicht vermuten, dass sie einander im Glauben fördern. Wussten Sie, dass der deutsche Weltstar im Golfen, Bernhard Langer, dazugehört? Als erster Deutscher ist er Kapitän des Europa -Teams Erdteilkampf gegen Amerika. In einem Interview hat er seine persönliche Rangordnung so dargestellt: „1. Gott, 2. Familie, 3. Golf. Ich glaube an Gott und dass Christus für mich gestorben ist. Im Himmel werde ich ewiges Leben haben. Ich möchte mit jedem so umgehen, wie es Gott von mir verlangt. Das gelingt mir nicht immer, aber ich versuche diesen Weg einzuhalten“.

Und auf die Frage „Ist ein gläubiger Mensch ein besserer Golfer?“ antwortet er: „Absolut. Der Glauben bringt alles in die richtige Perspektive, wenn mir z.B. auf der Runde der Kragen platzt. Ich habe eine innere Ruhe, weil mir bewusst ist, was nach dem Tod passiert. Viele Menschen haben Angst vor dem Sterben – ich nicht. Ich weiss, dass ich von hier an einen Ort gehe, der viel schöner ist…“

Es ist wohltuend, dass Menschen im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit alles daransetzen, Glauben zu fördern. Wie sagt der Weltmeister-Golfer: Der Glauben bringt alles in die richtige Perspektive. Er eröffnet neue Sichtweisen. Ich wünsche einem jeden von uns gute Lebensperspektiven in Frieden und Freude. Mögen Sie Gottes Treue lebenslang erfahren!

Amen.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.