Das Schifflein des Friedens
Predigttext: 1.Thimotheus 2,1-6 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 So ermahne ich nun, daß man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, 2 für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit. 3 Dies ist gut und wohlgefällig vor Gott, unserm Heiland, 4 welcher will, daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen. 5 Denn es ist ein Gott und ein Mittler zwischen Gott und den Menschen, nämlich der Mensch Christus Jesus, 6 der sich selbst gegeben hat für alle zur Erlösung, daß dies zu seiner Zeit gepredigt werde.Zum Gottesdienst am Beginn der Ökumenischen Friedensdekade
Die Begründer, die ACK und die „Ökumenische Dekade Frieden in Gerechtigkeit“, schreiben: „Die Ökumenische Friedensdekade ist erwachsen aus der Überzeugung, dass Christinnen und Christen die Frage des Friedens nicht der Politik überlassen können.“ Ein großes Wort! Aber was sollen, was können wir denn tun? Die einst so mächtige „Friedensbewegung“ ist abgeflaut. Niemand wagt mehr zu rufen: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Allzu deutlich ist geworden, dass das nicht geht. Aber, auch das ist deutlich geworden, „Frieden schaffen mit Waffen“, das geht genauso wenig. Ist etwa Frieden geworden in Afghanistan oder im Irak oder in Israel und Palästina? Was aber dann? Was sollen, was können wir denn tun? Vor diese Frage sind wir in diesem Gottesdienst gestellt. Wir richten sie zunächst an den, der allein darauf die rechte Antwort weiß, und singen miteinander das 1963 in Holland entstandene Lied „Gib Frieden, Herr, gib Frieden...“ (EG 430)Weitere Lieder:
O dass doch bald dein Feuer brennte (EG 255), Komm in unsre dunkle Welt (EG 428) Psalm 85Schriftlesung:
Matthäus 5,1-10 (eingeleitet durch eine Paraphrase der vorangehenden Verse Kap. 4,23-25, in der die Gegenden, aus denen das Volk dem Berg der Seligpreisungen zuströmte, mit den gegenwärtigen Namen genannt werden: Israel, Palästina, Jordanien, Syrien und Grenzgebiete des Irak)Liebe Gemeinde!
„Gott will, dass allen Menschen geholfen werde…“ Allen, Christen und Nichtchristen, Juden und Palästinensern, Amerikanern und Arabern usw. Allen soll geholfen werden dadurch, dass sie „zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“, d.h. zur Erkenntnis des „einen Gottes und des einen Mittlers zwischen Gott und den Menschen“. Ist das nicht eine Illusion, ein schöner Wunschtraum, dass so etwas jemals geschehen werde. Wie sollen Menschen aus so verschiedenen Ländern, Nationen, Rassen mit so verschiedenen religiösen Traditionen und Wahrheitsüberzeugungen zur Erkenntnis dieses einen Gottes und einen Mittlers und damit zum Frieden gebracht werden? Wie soll das möglich sein, wo doch auch die, welche, wie es scheint, diesen einen Gott und Mittler schon kennen und an ihn glauben, oft in bitterster Feindschaft miteinander leben? Denken wir an Irland oder auch an den gerade vergangenen Wahlkampf in den USA, der ja manchmal fast zum Glaubenskrieg zwischen Christen entartet ist.
Friede auf Erden durch Erkenntnis der Wahrheit des einen wahren Gottes – wie soll das geschehen? Nun es ist schon geschehen. Das bezeugt die Geschichte, deren Anfang wir vorher gehört haben, die Geschichte von der sogenannten „Bergpredigt“. Da sind Menschen aus den verschiedensten Gegenden, Menschen verschiedenster Herkunft und religiöser Tradition zusammengeströmt. Und da hat einer das Friedensreich Gottes auf Erden proklamiert und die neuen Ordnungen dieses Reiches verkündet. Da erfüllt sich die große Friedensverheißung, die sowohl vom Propheten Jesaja wie vom Propheten Micha verkündet wurde: „Es wird zur letzten Zeit der Berg, da des Herrn Haus ist, fest stehen, höher als alle Berge und über alle Hügel erhaben, und alle Völker werden herzulaufen…“ (Jesaja 2,2-4) Dies ist nicht nur geschehen. Dieses Geschehen lief weiter und läuft von dorther weiter in die ganze Welt, mal verborgen, wie unterirdisch, dann wieder mit Macht hervorbrechend. Wie wir vorher gesungen haben: „Zwar brennt es schon in heller Flamme, jetzt hier, jetzt dort, in Ost und West…und noch entzünden Himmelsfunken so manches kalte, tote Herz und machen Durst’ge freudetrunken und heilen Sünd und Höllenschmerz“.
Da breitet sich dieses Friedensreich aus, wo Menschen durstig sind, durstig nach wirklicher Gerechtigkeit und wirklichem Frieden, wo Menschen erkennen: Das, was wir eigentlich brauchen, haben wir nicht und können es auf keine Weise erringen, auch nicht durch die besten religiösen Traditionen. Denn um diesen Durst zu stillen, dazu ist der da, der damals dort auf dem Berg das Gottesreich proklamiert hat. Diese Durstigen kann er „freudetrunken“ machen, diese Hungrigen kann er speisen. Das geschieht, liebe Gemeinde, mitten unter uns und in der ganzen Welt. Wir müssen es nur wahrnehmen – wahr nehmen, d.h. diese Wahrheit ergreifen und uns von ihr ergreifen lassen. Wir müssen uns nur in den Strom hineinstellen, der von jenem Prediger auf dem Berg in Galiläa ausgeht.
Was bedeutet das? „So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, für die Könige und alle Obrigkeit…“ heißt es in unserem Predigttext. Wer in den Strom gestellt ist, der vom Berg der Seligpreisungen ausgeht, sieht die Welt und ihre Geschichte mit anderen Augen an. Sieht nämlich, dass in dieser Geschichte mit ihren Höhen und ihren Tiefen, mit dem ernsthaften Ringen um Gerechtigkeit und Frieden und den furchtbaren Gräueln und Schreckenstaten noch etwas anderes im Gange ist: dass Gott in dieser Geschichte am Werk ist, dass er in ihr, in dieser Welt, sein Friedensreich errichten will und wird. Denn „er will, dass allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“. Wer das sieht, wird anfangen, zu ihm für alle Menschen zu rufen, vor ihm für sie einzutreten.
„Nur den Betern kann es noch gelingen, das Schwert zu unsern Häupten abzuwehren“, so hat einst Reinhold Schneider vor Beginn des letzten Weltkriegs gerufen. Das müsste man vielleicht etwas abwandeln, nämlich so: Nur Ihm, dem Prediger auf dem Berg, kann es gelingen, der Welt den ersehnten Frieden zu bringen. Darum können und sollen wir mit Zuversicht für alle Menschen vor ihm eintreten. Und für alle Könige, für alle Obrigkeit – denn wir wissen, sie haben eine wichtige Aufgabe und Funktion in der Welt. Sie können zwar wirklichen Frieden nicht schaffen, aber sie sollen und können den Unfrieden begrenzen, den Gewalttätern wehren, „damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können in aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.“ Das klingt bieder, fast etwas kleinkariert. Ist das alles, was wir Christen der Welt zu bieten haben: ein ruhiges stilles Leben in Frömmigkeit und Ehrbarkeit? Nein, das ist nicht alles, aber ohne das ist alles nichts.
Im Kleinen und Kleinsten, in unserem persönlichen Leben und Zusammenleben, beginnt der Friede, den Jesus proklamiert hat. Wir können es in der Bergpredigt nachlesen. Dazu noch ein Letztes. In der Zeit, in welcher der erste Timotheusbrief geschrieben wurde, konnten die Christen noch keinerlei Einfluss auf das politische Geschehen nehmen. Sie konnten weder bei der Wahl bzw. Einsetzung der „Obrigkeit“ mitbestimmen, noch bei den politischen Entscheidungen und Vorhaben dieser Obrigkeit. Das ist heute anders. Wenn wir heute ernsthaft für „alle Menschen“ und für „alle Obrigkeit“ beten, so kann das gar nicht anders sein, als dass wir auch alle unsere Kräfte dafür einsetzen, dass in der Welt für diese Menschen und durch diese Obrigkeit das geschieht, was dem verheißenen Friedensreich Gottes den Weg bereitet.
Auf dem diesjährigen Plakat der „Friedensdekade“ ist ein Schiffchen abgebildet, das in einer Sandwüste festliegt. Darunter steht das schöne Bibelwort: „Es ströme Gerechtigkeit wie ein Strom!“ Damit haben die Initiatoren dieser „Dekade“ m.E. einen entscheidenden Punkt getroffen. Das Schifflein des Friedens in der Welt kann nur flott gemacht werden, wenn Gerechtigkeit strömt, wenn jedem einzelnen Menschen sein Lebensrecht zugestanden wird, jedem Volk und jedem Land. Darauf müsste sich heute alles Bemühen richten, insbesondere das Bemühen derer, die sich Christen nennen. Es fängt im Kleinen an, bei uns selbst, ganz unten.
Amen.