Hoffnung über den Horizont hinaus
Predigttext: Römer 8,18-25 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden. Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet. Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.Exegetische Vorbemerkungen
Paulus reflektiert im Römerbrief das große Thema der eschatologischen Rettung durch den Glauben an Jesus Christus. Anders als im Galaterbrief, wo es Paulus um die Legitimation der Universalität der Glaubensgerechtigkeit geht, thematisiert er im Römerbrief die Universalität der Sünde, insofern alle Menschen - Juden und Heiden - der Herrlichkeit Gottes ermangeln und von daher auch alle umsonst gerechtfertigt werden durch die Gnade Gottes (Röm 3,23f). So steht im gesamten Brief an die Römer das Verhältnis Tora und Glaube im Vordergrund. Dabei geht es aber nicht um die Gegenüberstellung zweier Heilswege, etwa Werke gegen Glaube, sondern um die eine Möglichkeit, eschatologisch gerettet zu werden durch den Glauben an Jesus Christus. In unserer Perikope versichert Paulus seine Leser dieser künftigen Rettung, die er als „Gotteskindschaft“ bezeichnet (Verse 21.23). Trotz dieser künftigen Herrlichkeit sind natürlich auch die Christen noch der Sterblichkeit unterworfen (8,12.13). In Versen 18-25 führt dann Paulus den Kontrast zwischen dem vergänglichem Leib und der künftigen Herrlichkeit aus. Überhaupt ist für Paulus gerade die Tatsache der Sterblichkeit ein Beweis für die Erlösungsbedürftigkeit aller Menschen. Erlösung ist bei Paulus also ein anthropologisches und kein moralisches Thema. So bietet sich in diesen Versen die Chance, die künftige Erlösung nicht theoretisch, sondern empirisch als konkrete Hoffnungsperspektive zu entfalten, die den Blick über Leid und Not hinweg öffnet und die künftige Herrlichkeit als eigene Zukunft beschreibt.Lied:
Wir warten dein, o Gottessohn (EG 152)Literatur:
E.P. Sanders, Paulus. Eine Einführung, Reclam 1995. Wolfgang Stegemann, Christliche Judenfeindschaft und Neues Testament, in: W. Stegemann (Hrsg.), Kirche und Nationalsozialismus, 2. Auflage Kohlhammer 1992, S. 139-170 (besonders S. 162ff).Die Nöte der Welt
Was bedrückt uns derzeit wirklich? Die wirtschaftliche Lage, die Sorge um den Arbeitsplatz, die Angst vor Krankheit und Verlust? Machen wir uns Sorgen wegen der Kinder oder sind Freundschaften
in die Brüche gegangen, die wir gerne erhalten hätten? Macht uns der Abschied von lieben Menschen zu schaffen, denen wir noch weitere Zeit gegönnt und die wir noch gebraucht hätten? Wie sieht es mit Euch als Konfirmandinnen aus? Habt Ihr Angst vor der Zukunft, vor der nächsten Arbeit, vor dem Schulweg – oder seid Ihr alles in allem gut drauf? Aber es ist nicht nur die Novemberstimmung am Ende des Jahres, die für Trübsal sorgt, sondern immer wieder gibt es schlechte Nachrichten. Opel und Karstadt sind ja nicht wegen ihrer wirtschaftlichen Leistungen, sondern wegen ihrer Probleme in die Schlagzeilen gekommen.
Es ist gar nicht so einfach, nicht nur mit Optimismus, sondern mit begründeter Zuversicht in die Zukunft zu gehen. Dabei brauchen wir Kraft, um nicht nur ergeben zu warten, sondern selbst zu gestalten.
Unbegründetes Jammern und begründete Klage
Unsere Klagen sind nicht immer begründet. Und unsere Probleme nicht lebensbedrohend. Hier leben wir in Sicherheit, Menschen dürfen bei uns in Würde alt werden, Kranke mit Behandlung, Bedürftige mit Betreuung rechnen. Wenn Rechte verletzt oder eingeschränkt werden, haben wir die Möglichkeit, dagegen zu klagen. Eigentlich ist unsere Welt in Ordnung. Das war schon einmal anders.
Heute ist auch Volkstrauertag. Wir denken an die Opfer des Krieges, an die Toten in den Konzentrationslagern und an die ermordeten Juden. Das ist lange her. Aber immer noch sind Menschen im Nahen Osten bedroht. Im Irak wird der Wunsch der Menschen nach Zukunft und Frieden immer wieder von gewissenlosen Mördern zerstört. In Israel ist ein großer Zaun nötig, um Menschen vor Attentätern zu schützen. Wo Terroristen immer noch den Mord an Juden als Freiheitskampf verkaufen.
Wir dagegen können in Sicherheit leben. Und da ist es ja schon erstaunlich, dass verschiedene Reformen, die sich gegen die Bequemlichkeit richten, als Angriff auf die Menschenwürde verstanden werden. Sind da nicht Maßstäbe verloren gegangen? Dabei gibt es aber auch bei uns immer wieder wirklichen Grund zur Klage. Wenn Krankheit in das Leben einbricht und Menschen sich auf einmal von einem Tag auf den anderen umstellen müssen. Wenn das, was normal war, auf einmal das Besondere ist.
Heute hören wir von einem, der die Klage ernst nimmt, aber Hoffnung dagegen setzt. Heute hören wir von einem, der um die Not der Welt weiß, aber noch mehr der göttlichen Verheißung vertraut. Wir hören von einem, der die Schatten des Lebens kennt, aber schon das Licht Gottes ahnt. Das ist der Predigttext für den heutigen Sonntag, wie er geschrieben steht im 8. Kapitel des Briefes des Apostels Paulus an die Römer:
(Lesung des Predigttextes)
Die Vergänglichkeit als wirkliches Leid
Wirkliches Leid entsteht aus der Tatsache, dass wir sterblich und vergänglich sind. Menschen erfahren dann ihre Grenzen und Hilflosigkeit, wenn der Körper nicht mehr mitmacht, wenn Krankheit ins Leben bricht, wenn Abschied auszuhalten ist und das Alter sich bemerkbar macht. Dagegen kämpfen Menschen mit allen Mitteln an. „Forever young“ heißt die Devise. Für immer jung sein. Ziel ist nicht mehr, in Würde alt zu werden, sondern so lange wie möglich jung zu bleiben. Den perfekten Körper zu haben. Das ist der eigentliche Wahnsinn unserer Zeit. Da werden schon jungen Menschen ihre vorgeblichen Mängel vorgehalten und der Wunsch erzeugt, sich operieren zu lassen, um den Maßstäben der Welt zu entsprechen.
Dramatische Krankheiten wie Magersucht und Bulimie sind ja nicht vom Himmel gefallen, sondern in einer Welt entstanden, in der nur Äußeres zählt.
Es ist doch schon merkwürdig, wieviel Energie Menschen in einen aussichtslosen Kampf stecken, statt ihre Kraft in das zu investieren, was zu verändern ist. Es liegt doch an uns, wie wir unsere Umgebung gestalten und anderen begegnen. Wenn jemand einsam ist, kann er auf Menschen zugehen, wenn jemand Streit hat, kann er sich versöhnen, wenn jemand Unrecht widerfahren ist, kann er verzeihen. Was dagegen feststeht, ist unsere Vergänglichkeit.
Begründete Hoffnung auf die künftige Herrlichkeit
„Denn ich bin überzeugt, dass dieser Welt Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der überschwenglichen Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll.“ Diese Zukunftshoffnung ist keine Vertröstung auf ein schönes Jenseits, sondern gibt Kraft, um die Gegenwart zu gestalten und das Unabänderliche auszuhalten. Diese Zukunft kommt nicht von Menschen, sondern von Gott selbst. Von unserem Gott, der für das Leben eintritt, der nichts und niemanden verloren gibt. Natürlich ist diese Hoffnung nicht beweisbar: „Hoffnung, die man sieht, ist keine Hoffnung“. Diese Hoffnung wird verkündet. Das ist auch Auftrag unserer Kirche. Immer wieder daran zu erinnern, dass Gott mit uns Menschen eine Zukunft vorhat, in der das Leben endgültig zu seiner Bestimmung kommt, jede Krankheit geheilt, Unerfülltes erfüllt wird, Sünden vergeben und Menschen versöhnt werden.
Es ist kein Wunder, dass diese Botschaft der Hoffnung immer dann ihre Kraft entfaltet, wenn es um Leben und Tod, um Loslassen und Hergeben geht. Dann wird sie gehört und gebraucht. Dann ist diese Botschaft keine Theorie mehr, sondern persönlicher Trost. Wenn es um die Ewigkeit geht, verliert Zeitliches an Bedeutung. Das ist schon immer so gewesen. Dabei hilft dieser Glaube nicht nur in den Grenzsituationen unseres Lebens, sondern auch im Alltag. Wer an die künftige Herrlichkeit glaubt, kann sein Leben gelassen annehmen und sich ganz darauf einlassen. Und die Nöte wachsen nicht mehr in den Himmel, sondern bleiben auf der Erde, wo sie gelöst werden oder wir mit ihnen leben können. Leid und Not sind vergänglich. Was kommen und bleiben wird, ist die künftige Herrlichkeit.
Denn dieser „Zeit Leiden fallen nicht ins Gewicht gegenüber der künftigen überschwenglichen Herrlichkeit“.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus
Amen.