Lasst nicht zu, dass die Liebe unter euch erkaltet
In einer Welt voller Schwierigkeiten zurechtkommen und die von Gott erschaffene Welt mitgestalten
Predigttext: Matthäus 24,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Und Jesus ging aus dem Tempel fort, und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels. 2 Er aber sprach zu ihnen: Seht ihr nicht das alles? Wahrlich, ich sage euch: Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde. 3 Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm und sprachen, als sie allein waren: Sage uns, wann wird das geschehen? und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt? 4 Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen: Seht zu, daß euch nicht jemand verführe. 5 Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen: Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen. 6 Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht. Denn das muß so geschehen; aber es ist noch nicht das Ende da. 7 Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben und ein Königreich gegen das andere; und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort. 8 Das alles aber ist der Anfang der Wehen. 9 Dann werden sie euch der Bedrängnis preisgeben und euch töten. Und ihr werdet gehaßt werden um meines Namens willen von allen Völkern. 10 Dann werden viele abfallen und werden sich untereinander verraten und werden sich untereinander hassen. 11 Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen. 12 Und weil die Ungerechtigkeit überhand nehmen wird, wird die Liebe in vielen erkalten. 13 Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig werden. 14 Und es wird gepredigt werden dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle Völker, und dann wird das Ende kommen.Vorbemerkung der Redaktion
Als leidenschaftlicher und lernfreudiger Gottesdienstteilnehmer und Predigthörer hatte ich das Glück, wenige Tage vor dem 2.Advent in der Kirche, an der ich Pfarrer bin, einen Adventsgottesdienst mitzuerleben. Der Gottesdienst wurde als Abendgottesdienst von zwei Studentinnen der Evangelischen Theologischen Fakultät und einem Studenten der Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg in eindrucksvollem Zusammenwirken vorbereitet und gehalten. Besonders gespannt war ich auf die Predigt über Matthäus 24,1-4, dem Predigttext für den zweiten Adventssonntag 2004. Ein wirklich schwieriger Text. Wie soll ich diese apokalyptisch geprägte Perikope predigen?, so wird sich manche/r fragen und sich vielleicht nach etwas für den Adventsgottesdienst Gefälligerem umsehen. Aber es ist gut, sich dem sperrigen Bibeltext zu stellen - seinen innersten Gedanken, seinem Beweggrund, seinem Woher und Woraufhin, seiner Ethik, seiner ökumenischen, Völker umgreifenden und in das rettende Handeln Gottes einbeziehenden Dimension (oikumenae, V.14) und in alledem der Stimme des Evangeliums: „Wer aber beharret bis ans Ende, der wird selig werden“ (V.13). Meinen Kolleginnen und Kollegen sowie allen interessierten BesucherInnen des Heidelberger Predigt – Forums wünsche ich hilfreiche Anregungen für die eigene Predigtarbeit und das eigene Bibelstudium. Heinz Janssen redaktion@predigtforum.deUnd dann wird das Ende kommen.
Liebe Gemeinde, mit diesen Worten schließt unser Predigttext: Und dann wird das Ende kommen.
Das letzte Kapitel meiner Kinderbibel, die ich eigentlich heiß und innig liebte, hat die Überschrift: Wenn Jesus wiederkommt. Es folgt ein genauer Bericht darüber, was passieren wird, wenn Jesus zurückkommt, wie das Ende der Welt aussehen wird. Ein grausamer Vorgang wird geschildert, in dem die guten und schlechten Menschen voneinander getrennt werden. Gut ist, wer immer zu Jesus gehalten hat. Schlecht die, welche abtrünnig waren. Ich habe mir als Kind genaue Vorstellungen von dem Kommen Jesu gemacht und bekam Angst. Ich hatte Angst, nicht immer gut genug gehandelt zu haben. Ich wollte überhaupt nicht, dass Jesus, der Erlöser, so bald kommt.
I.
Auch beim ersten Hören der Schilderungen von Matthäus bekomme ich Furcht. Schreckliches wird hier von den letzten Tagen berichtet. Es werden viele falsche Propheten auftreten. Sie werden versuchen, ihre Mitmenscnen zu verführen. Schlimme Kriege werden herrschen, Hungersnöte, Erdbeben werden Unheil anrichten, und die Liebe unter den Menschen wird erkalten.
All dies klingt doch nicht nur nach Endzeit, nach den fernen, letzten Tagen der Welt, sondern nach unserem Alltag. Schlimme Kriege wie in Afghanistan und Irak, nach Hungersnöten im Sudan und Burkina Faso, nach Erdbeben in der Türkei oder Japan. Sie geschehen hier und jetzt. Jeden Abend können wir in den Nachrichten darüber Berichte sehen.
Und entspricht das nicht auch unserem Alltagsempfinden? Täglich muss ich bestehen in einer Welt, die mir oft zur Last wird. Ich höre Dinge, die ich gar nicht hören möchte. Oft bleibe ich tatenlos. Ich muss meine ganze Kraft zusammennehmen, um mich nicht von den Angeboten und Vorschlägen meiner Umwelt irreführen zu lassen.
II.
Auch die Jünger Jesu müssen in einer Welt voller Schwierigkeiten zurechtkommen. Sie leben in einem besetzten Staat, haben ihre Familien und damit ihr sicheres Umfeld verlassen, um mit Jesus umherzugehen.
Gerade sind die Jünger mit Jesus in Jerusalem. Vielleicht haben sie noch die Jubelrufe der Menschen auf den Straßen im Ohr, als Jesus einzog. Immer wieder riefen die Massen: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn!
Die Jünger kommen mit Jesus aus dem Tempel, einem wunderschönen, prächtigen Bau, den sie bewundern.
In diese Situation hinein spricht Jesus. Er kündigt die Zerstörung des Tempels an: Es w1rd hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben. Die Jünger sind schockiert, sie wollen mehr wissen: Sage uns, wann wird das geschehen, und was wird das Zeichen sein?
Den Jüngern geht es hier wie uns: Sie wollen Daten und Fakten. Doch Jesus berichtet weiter von den Wehen, die geschehen müssen, bis das wirkliche Ende, die Erlösung kommt.
Jesus gibt uns kein Datum für den Weltuntergang! Er mahnt! Er mahnt uns! Er will uns nicht ins Ungewisse laufen lassen, sondern gibt direkte Hinweise. Passt auf und seid wachsam! Lasst euch nicht in die Irre führen. Seid geduldig bis ans Ende! Denn die Wehen sind nicht das Ende. Er ermutigt uns, dass wir in unserm Alltag gegen die zahlreichen Irreführungen angehen sollen. Wir müssen nicht zu allem “Ja und Amen” sagen. Wir dürfen nicht anderen das Feld überlassen. Falschen Propheten, die andere in die Irre führen.
Das Gute dabei ist, dass wir nicht allein sind. Gerade in meiner Kirchengemeinde sitzen viele Nein-Sager, die zusammen gegen die unzähligen Angebote unserer Gesellschaft angehen und selbst Angebot sein können. Sei es im Gottesdienst, im Hauskreis, in der Jugend- oder Altenarbeit, im Kirchen- oder Posaunenchor. Gemeinsam können wir mehr tun. Wir können uns für die Kranken einsetzen in einer Gesellschaft, in der es immer mehr nur noch um Leistung und gutes Aussehen geht. Ein deutliches “Du bist willkommen bei uns” sind ein richtiger Schritt. Das bedeutet wachsam sein! Passt auf! Lasst nicht alles zu! Lasst nicht zu, dass die Liebe unter euch erkaltet!
III.
Die apokalyptischen Katastrophen, die zahlreich genannt werden, bekommen somit einen hoffnungsvollen Glanz. Sie sind der notwendige Durchgang zur Erfüllung, zu der Macht, die alles Leiden beenden wird. In unserem Schriftwort wird das Bild der Wehen dafür gebraucht. Wehen, die vor einer Geburt einsetzen. Sie schmerzen fürchterlich und kündigen trotzdem Wundervolles an. Bei einer Geburt erblickt ein neues Leben die Welt. Neues Leben das ankommt. Advent.
Gerade an einem Adventstag ist es wichtig, sich zu überlegen, auf was wir denn warten. Nur auf ein harmonisches, liebliches Weihnachtsfest mit der Geschichte von dem Baby in der Krippe? Nein, wir warten doch vor allem auch auf den Jesus, der ganz klar sagt, wie die Welt aussieht. Wir warten auf den Jesus, der uns eine Alternative bietet. Er spricht uns Erlösung zu. Er steht dafür mit seinem Leben ein. Wir werden nicht allein gelassen. Um ausharren zu können, wird uns das Evangelium auf den Weg, auf den Lebensweg mitgegeben. Es wird in der ganzen Welt gepredigt. Im griechischen Text steht oikumenae, was die ganze bewohnte Welt heißt. In jedem noch so kleinen Winkel dieser Erde sollen die Menschen es hören.
Ja, auch die Warnungen Jesu gehören in das Evangelium, in die frohe Botschaft.
Diese Botschaft spricht uns von den Ängsten vor dem Weltgericht frei, auch von den Ängsten meiner Kindertage. Jesus sagt uns zu, dass er für eine bessere Welt steht, frei von Ungerechtigkeiten. Doch bis dahin dürfen wir an dieser, unserer Welt mitarbeiten. Es ist unsere Aufgabe, die von Gott erschaffene Welt mitzugestalten, bis zum jüngsten Tag. Dann dürfen wir getrost die Arbeit aus den Händen geben.
Das ist die frohe Botschaft, die nicht nur aus den ersten Kapiteln besteht, die von der Geburt Jesu erzählen. Sie geht weiter, bis das Ende kommen wird. Und diesem Ende darf ich hoffnungsvoll entgegensehen.
Amen.