Begegnung, die Spuren hinterlässt
Eine Geschichte von der Sympathie Gottes - Zweiter Teil zur Predigt vom vorigen Sonntag
Predigttext: 2.Mose 3,11-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten? 12 Er sprach: Ich will mit dir sein. Und das soll dir das Zeichen sein, dass ich dich gesandt habe: Wenn du mein Volk aus Ägypten geführt hast, werdet ihr Gott opfern auf diesem Berge. 13 Mose sprach zu Gott: Siehe, wenn ich zu den Israeliten komme und spreche zu ihnen: Der Gott eurer Väter hat mich zu euch gesandt!, und sie mir sagen werden: Wie ist sein Name?, was soll ich ihnen sagen? 14 Gott sprach zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und sprach: So sollst du zu den Israeliten sagen: »Ich werde sein«, der hat mich zu euch gesandt. 15 Und Gott sprach weiter zu Mose: So sollst du zu den Israeliten sagen: Der HERR , der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.Exegetisch-homiletische Überlegungen
1. Am vergangenen Sonntag war Ex. 3,1-10 Predigttext. Aber die Verse 11-15 gehören unbedingt dazu. Hier wird der Vorschlag, den 2. Teil an diesem Sonntag anzuschließen, aufgegriffen. Der 2. Teil ist, wie der 1., zusammengewachsen. Der Name Gottes wird offenbart und mit der Vätergeschichte verknüpft. Für die jüdische Auslegung und ihre Geschichte ist die Offenbarung des Namens Ausgangs- und Höhepunkt der Erwählung. Als Christen lassen wir uns in diese Geschichte hineinnehmen. Inzwischen gibt es ein gemeinsames Staunen darüber, dass Gott sein Geheimnis nicht lüftet, aber in seiner Treue und Verlässlichkeit Menschen begegnet und begleitet. Spannend sind die Übersetzungsversuche. Calvin übersetzte den Namen Gottes mit „Ewiger“, was nicht die Zeitlosigkeit und Unendlichkeit meint, sondern die Treue, die sich in der Geschichte und in Geschichten bewährt. Jüdische Übersetzungen (z.B. Buber und Rosenzweig) sind dem Beispiel gefolgt: Gottes Name ist unaussprechlich, aber zu umschreiben. Eine neuere niederländische Übersetzung, die 2005 erscheint – die Naardense Bijbel – übersetzt „Der Eine“. Übersetzungen sind Interpretationen. Interpretationen aber sind lebendig. Dass der Name Gottes Erfahrungen aufnimmt, freisetzt, in Bewegung bringt, wird in Ex. 3 selbst festgehalten: Der, der sich hier offenbart, ist der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs – als Gott „von“ läßt er sich nicht definieren, in Formeln pressen oder in ein (dogmatisches) System eingliedern oder vereinnahmen. Von Gott lassen sich Geschichten erzählen, Lieder singen, Verheißungen weitergeben – wer mehr will, hat ihn schon verloren. Die Konsequenz wird im „Bilderverbot“ (Ex. 20) bewahrt. In der jüdischen Überlieferung ist vom „vierbuchstabigen Namen“ (Tetragramm) die Rede (verballhornt im dt.: „setz dich auf deine vier Buchstaben“). 2. In der Predigt können – auf dem Hintergrund der neuzeitlichen „Gottesfrage“ – die beiden Linien wieder zusammenwachsen: Der Name, der kein Name ist, wird mit den Erfahrungen, die die Väter mit ihm gemacht haben, verbunden: Gott ist unverfügbar, aber treu; er läßt sich nicht vereinnahmen, bindet sich aber; er bleibt ein Geheimnis, begleitet aber in die Zukunft. Mose wird in eine Linie gestellt, die eine alte Auszugsgeschichte (Gen. 12) mit einem neuen Land verbindet. Welche Rolle spielt Mose? Als der Text seine redaktionelle Endgestalt erhalten hat, sind zwei Rollen zusammengefügt: Nach der elohistischen Version war er zum Befreier Israels berufen, nach der jahwistischen zum Propheten, der die Rettungsabsicht Jahwes verkündigt. Wesentlich ist, was Gott will – das ist die sichtbare Seite seines Geheimnisses. Die Predigt sollte den Charakter des Textes widerzuspiegeln versuchen: Es ist zwar ein Zwiegespräch unter ungleichen Partnern (beide im übrigen verhüllt!), aber ein Gespräch – Gottesbegegnungen haben immer diesen Charakter, haben Anteil an der Offenheit, die im Namen Gottes begründet ist und laden zu Erzählungen ein. Zur Predigtvorbereitung könnte auch gehören, Geschichten der Chassidim (M. Buber) zu lesen – oder den Reichtum der jüdischen Witze zu entdecken. Bildnachweis zu Chagall: http://www.spaightwoodgalleries.com/Pages/Chagall_Exodus.htmlLiteratur:
JHWH, http://de.wikipedia.org/wiki/JHWH Rosenzweig, Der Stern der Erlösung digital: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/310/pdf/derstern.pdf Martin Buber, Mose, Gütersloh 2004, 4. Aufl.- Martin Buber, Die Erzählungen der Chassidim, Manesse o.J.- Das Buch Schemót, in: tenachon 10, Hilversum/Düsseldorf 2001, 149-164.- Otto Kaiser, Der Gott des Alten Testaments. Theologie des AT, Teil 2, Göttingen 1998, 87-104 (§ 4: Vom Wesen und vom Namen Jahwes).- Bernhard Lang, Jahwe, der biblische Gott: ein Portrait, München 2002. - Hans Hübner, Wer ist der biblische Gott? Fluch und Segen der monotheistischen Religionen, BThSt 64, Neukirchen 2004.Wie die Geschichte weiter geht, wollen Sie wissen? Eine Rückblende – kurz: am letzten Sonntag standen wir mit Mose vor dem brennenden Dornbusch. Neugierig wie er: denn ein brennender Busch, der vom Feuer nicht verzehrt wird, passt nicht in unsere Landschaft, nicht in unsere Formeln, nicht einmal in unser Chaos. Aber dann hörten wir die Stimme. Nicht nur, dass Mose seine Schuhe ausziehen soll – Mose soll das Volk Israel aus Ägypten in ein „weites Land“ führen. Denn: Gott hat das Elend seines Volkes gesehen. Mose fragt erstaunt und verwundert nach. Wer? Er? Und von wem soll er sagen, dass er kommt? Was wohl die Leute denken, der Pharao, die Familie … Noch weiß Mose nicht, wie ihm geschieht. Doch die Skepsis kann er nicht verbergen. Aber hört selbst – wie die Geschichte weiter geht.
Bild:
I.
Chagall hat die Situation gemalt. 1966 ist das Bild im Rahmen seines Exodus-Zyklus entstanden: Mose auf Knieen, die rechte Hand auf dem Herz, den Mund voller Worte, die Augen weit geöffnet. Leidenschaftlich sein Gesicht und die Sprache der Hände. Mose scheint zu kämpfen. Aber mit wem? Wie ein blühender Baum wächst in der linken Ecke der „brennende Dornbusch“ in das Bild – und oben, in einer Sonne, erstrahlt in hebräischen Schriftzeichen der „vierbuchstabige“ Name Gottes. Mehr kann Chagall auch nicht malen – denn von Gott lässt sich kein Bild machen. Chagall weiss, dass Gott sein Geheimnnis wahrt.
Wir werden zu Zeugen eines Zwiegespräches. Mose soll die Israeliten aus Ägypten führen. Aber was soll er den Menschen sagen, wer ihn schickt? Werden sie den Namen wieder erkennen? Wie eine Last liegt es auf der Seele des Mose. Weiß er doch, dass auch die Götter Namen haben, mit denen ihr Ansehen steht oder fällt. Abgesehen davon, ob die Bedrängnis schon groß genug ist, den Aufbruch zu wagen – auf welches Abenteuer lassen sich Menschen ein, wenn sie einem unbekannten Gott folgen? Wie war doch noch gleich der Name? Kenn ich nicht. – Wir sagen das bis heute.
In dieser kleinen Geschichte, die im Buch Exodus erzählt wird („Auszug“ heißt das übersetzt), nennt Gott seinen Namen. Ich bin, der ich bin – hebräisch lässt sich das weiter entfalten, geradezu variieren: ich werde sein, der ich bin – ich bin, der ich sein werde. Die Übersetzer hatten ihre liebe Not damit, das in Worte zu kleiden. Eine Übersetzung lautete: der Ewige. Aber was konnte dieses Wort sagen? Dass Gott keine Zeit kennt, endlos ist, über alles erhaben, was uns Menschen Lebenszeit und Lebensraum absteckt? Dabei ist in dem Namen Gottes, der so viel Offenheit ausdrückt, von seiner Nähe zu Menschen die Rede: Ich bin für dich, was ich immer schon war. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Treue und Verlässlichkeit, über das hinaus, was wir Menschen kennen – das ist in diesem Namen mitgegeben. So verstanden ist Gott – ewig.
Mose soll die Israeliten darum auch auf ihre Geschichte verweisen: Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs hat ihre Not gesehen und ruft sie auf, mit ihm aufzubrechen. Hatte er nicht schon den Vorfahren Land und Zukunft versprochen? Das sollte auch in Ägypten nicht in Vergessenheit geraten und von den Zeitläufen überholt werden. Bekräftigend, herausfordernd, auf Zukunft ausgerichtet: Der HERR , der Gott eurer Väter, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks, der Gott Jakobs, hat mich zu euch gesandt. Das ist mein Name auf ewig, mit dem man mich anrufen soll von Geschlecht zu Geschlecht.
II.
Schauen wir noch einmal auf das Bild von Chagall! Es ist ein sehr farbenprächtiges Bild geworden. Die Ecke, in der Mose kniet, ist in dunkleren Farbtönen gehalten, hell und licht wird es oben. Leicht schwebt ein Engel über der Szene. Der Himmel ist offen. Was aber auffällt, ist, dass Mose sich dem Betrachter zuwendet, etwas loswerden will – fast so, als ob er um Beistand ringen würde. Obwohl so dicht beieinander: Zwischen Mose und dem Dornbusch (mit der Sonne) verläuft – mit der Diagonale links unten / rechts oben – eine farblich fein abgestimmte Grenze. In einem Bild hat Chagall zwei Bilder untergebracht – und zwei Bilder miteinander verschmolzen.
Ich möchte Mose nicht alleinlassen. Nur: was könnten wir ihm geben? Wie unsere Solidarität zeigen? – wo wir doch selber nicht wissen, wie uns geschieht.
Wer bin ich? Mose weiß, dass er keinen Namen hat, der Türen öffnet. Zumindest nicht die Türen, hinter denen sich die „Macht“ versammelt, Entscheidungen getroffen werden und Risiken abzuwägen sind. Wer bin ich? Das ist die Frage eines Menschen, der schon hochfahrende Pläne gehabt und längst seine Grenzen kennen gelernt hat. Jetzt muss er sich mit der Rolle eines Hirten begnügen. Mit den Schafen seines Schwiegervaters in eine karge Landschaft verbannt, ist er selbst schon am Ende. Wer bin ich?
Mose stellt die Frage nach seinem Namen. Und Namen ranken sich Geschichten, Erfolge, Affairen, Schlagzeilen, Selbst einfache Leute haben ihren Namen weg – oder werden ihn nicht los. Ein Geflecht von Assoziationen, Erinnerungen und Mutmaßungen liegt über ihnen. Das kann ein Netz sein, das hält – aber auch ein Netz, das gefangen nimmt. Bis heute. Der hat einen guten Namen, sagen wir. Oder: sie hat sich einen Namen gemacht. Menschen können einen Namen auch verlieren – wie ein Gesicht. Es ist die Geschichte eines Menschen, die sich in einem Namen geradezu verdichtet oder auch verflüchtigt. Mose fragt nach seinem Namen. Nach dem Namen, den er bei den Menschen hat. Beim Pharao. Bei den Ältesten des Volkes Israel. Bei seinem Schwiegervater. Ist es eine Referenz, die Schafe des Schwiegervaters zu hüten? Ist das der Stoff, aus dem Namen gemacht werden?
Mir tut Mose leid. Ich höre geradezu, was aus ihm herausbricht: Was soll ich sagen? In der Einöde sprach Mose mit den Schafen. Vielleicht sprach er auch mit sich selbst? Antworten bekam er keine. Seine kleine Welt vertrug keine großen Worte. Erwartete sie nicht, belohnte sie auch nicht. Und Mose soll sich jetzt zu Wort melden? Etwas sagen, was ihm Kopf und Kragen kosten kann? Was soll ich sagen? Mir ist Mose sehr sympathisch. Wissen Sie wie das ist: etwas sagen zu müssen, ohne Worte dafür zu haben? Sich aus dem Fenster zu lehnen, aber die Füße nicht mehr auf dem Boden zu haben?
III.
Chagall hat in seinem Bild Mose als einen von uns dargestellt. So ringen wir Menschen – so ringen wir auch mit Gott. Ziehen wir mit unseren Augen eine Linie von unten rechts nach oben links – wir entdecken, dass Füsse und Hände des Mose ausgerichtet sind auf den Namen Gottes. Es ist nicht der Mund, der auf der Linie liegt – es sind die Füsse, die gehen sollen – und die Hände, die das Herz und die Kniee freigeben werden.
Mose, hier noch auf Knieen, barfuss, mit uns um Worte ringend, leidenschaftlich erregt, wird aufstehen. Was dann kommt, wird mit ihren Höhen und Tiefen von vielen und auf vielerlei Weise erzählt – lesen Sie es selbst! Mose bekommt einen Namen! Um Worte ist er auch nicht verlegen! Wir begegnen einem Menschen, der über sich hinauswächst! Und er hat Gott mal im Rücken, mal vor sich. Nur sein Gesicht wird er nie zu Gesicht bekommen. Von Mose wird erzählt, dass er darunter leidet. Aber die Chronisten halten fest, dass er hört und bittet. Stellvertretend für das Volk, dass er begleitet. Mit Gott wird er manchen Kampf ausfechten. Und die Chronisten erzählen sogar erstaunt, dass Gott sich verändern lässt. Wenn wir dann verwundert fragen „Wie das?“ stossen wir auf das Geheimnis seines Namens, eines Namens, der Geschichten erzählt. Geschichten von Treue und Vertrauen. Selbst die Geschichten, die von der Schuld der Menschen erzählt werden, können die eine Geschichte nicht ungeschehen machen, die Gott angefangen hat. Mit Abraham, Isaak und Jakob.
Der Name Gottes „Ich bin, der ich bin“ hat auch dazu verführt, Gott als das absolute Sein zu verstehen. Der philosophische Mantel kann aber die Blösse nicht verdecken, die sich Gott selbst gibt: das Elend der Menschen zu sehen und sich auf den Weg zu machen. Absolut ist da gar nichts. Bis auf die Folgen, die tiefe Wunden hinterlassen haben. Im Namen Gottes sind Menschen klein gemacht worden, ihnen wurde der Himmel genommen und die Hölle heiß gemacht. Im Namen Gottes wurden Kriege geführt, Konflike geschürt und Rache geschworen. Im Namen Gottes wurden Völker ausgebeutet, wirtschaftliche Interessen der Kritik entzogen und Rassentrennungen begründet – und und und. Das absolute Sein – das ist die Lieblingsrolle des Teufels. Nein, es ist nicht einmal vergangen. Alltäglich wird immer noch Gewalt ausgeübt, auch im Namen Gottes. Viele Bücher, Aufsätze und Artikel erscheinen – Thema: Religion und Gewalt. Und das, obwohl ausgemacht schien, Religion sterbe aus – und die Gewalt auch.
IV.
Chagall malt eine Sonne und versteckt in ihr – mit den vier Buchstaben JHWH – den Namen Gottes. Ein helles, freundliches Licht – kein dunkles Geheimnis. Kein absolutes Sein.
Gott hat, als Mose ihn fragte, seinen Namen genannt – und ihn doch gleich wieder verborgen. Damit ihn kein Mensch vereinnahmen kann. Keiner soll sagen: Den kenne ich. Ich weiß, was der will. Keiner soll sagen: Im Namen Gottes. Nicht einmal den frömmsten Menschen gibt er das Recht, über seinen Namen zu verfügen. Israel hat es von Anfang an gewusst. Mit Ehrfurcht wird der Name umschrieben. Ewiger, wird er gerufen – und in seiner Treue bergen sich Menschen.
Erzählen können wir aber von dem Glanz, der von dem Namen ausgeht, der über alle Namen ist. Darum malt Chagall Mose. Ringend um Worte, ringend um einen Namen, ringend um einen Weg. Aber er lässt ihn nicht allein mit uns. Den unschuldigen Betrachtern, den bequemen Zeitgenossen, den kritischen Sachverständigen. Es ist ein Engel, der aus der Sonne fliegt und segnend seine Hände über Mose ausbreitet. Jetzt können wir von dem Geheimnis erzählen, dass Gott Mose einen Namen gibt.. Einen Namen, der bis heute Mut macht, Menschen auf ihrem Weg aus Bedrückung und Angst zu begleiten.
Chagall hat sein Bild „Exodus“ genannt. Aufbruch.