„Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“

„Es standen aber alle seine Bekannten von ferne…“

Predigttext: Lukas 23,33-49
Kirche / Ort: Friedenskirche /79664 Wehr
Datum: 25.03.2005
Kirchenjahr: Karfreitag
Autor/in: Pfarrer Mathias Bless

Predigttext: Lukas 23,33-39 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Gedanken zur Predigt

1. Es gibt einen unheiligen Ernst, eine jahreszeitlich verordnete Depressivität der Passionszeit - als ob der Dreck und Mist, den Menschen an Menschen und der Welt antun, nicht schon genügend gen Himmel schreit. In diesen Tagen - 60 Jahre nach Kriegsende - fällt es leicht, aber ....bei aller Nähe zum jüdisch-christlichen Gespräch traue ich mich nicht, den Holocaust und die Kreuzigung einfach in eins zu setzen. Jesus war Jude, ist als Jude gestorben - wie viele nach ihm. Aber ihn einfach einzureihen (und am Ende überstrahlt er die Shoah dann vermutlich doch in einem christlichen Gottesdienst) - die Shoah ist mir zu ernst, um sie als Illustration zu gebrauchen. Sie liegt nicht da zum (christlichen) Gebrauch. Denkbar wäre allenfalls eine Predigt, die sich ganz auf den “Tod des Gerechten” konzentriert. Ob eine solche Predigt nicht doch von einem Juden/ einer Jüdin geschrieben und gehalten werden müsste? 2. Wie immer habe ich viel von KollegInnen gelernt. Ich verweise auf Dr. Maass in den Predigtstudien im jüdisch-christlichen Kontext. Ich habe interessiert Markus Müller ( in: Rosemarie Micheel ( ua: HG): Aufbruch des Himmels. Aussaat Verlag) gelesen; daß Lukas der Evangelist der diesjährigen Bibelwoche ist, macht die Texte der Advents- und Weihnachtszeit und des Karfreitags so spannend. Sein Konzept ‘Jesus als Geistträger’ überzeugt, ist aber für mich aber eher in der Predigt des Ostermontags (Emmaus-Jünger) zu predigen. Ausdrücklich will ich aus dem Kontext der Materialien zur Bibelwoche auch Dr. Weidemann nennen (in: Ökumenische Bibelwoche, Didaktisches Begleitheft 40 S. 43ff Deutsche Bibelgesellschaft Stuttgart 2004). Seine Gliederung der Kreuzigungsgeschichte als Schauspiel hat im Predigtaufbau Spuren hinterlassen. Am meisten fasziniert hat mich allerdings Karl Barth in seinen Predigten aus dem Gefängnis. 3. Am Ende ist der Predigtschreiber allein. Ich kann mich nicht verstecken hinter der Exegese eines anderen, ich muss auf der Kanzel selbst das Wort verantworten. Aber vielleicht ist es ja gerade das: Ich habe nur zu ver-antworten. Und meine Antwort der Predigt kann nur auf das Wort des Lukas bezogen sein. So wie seinerseits Lukas auf das Geschehen auf der Anhöhe der Schädelstätte bezogen ist. Das lehrt Bescheidenheit. Deshalb will ich in der Predigt ganz einfach sein und bleiben. Ich weiß, der Kreuzigungsbericht des Lukas ist theologisch geformt und überformt (etwa die Stellung des Vorhangrisses), aber angesichts des Geschehens bleibt mir jede theologische Brillanz und Spekulation im Hals stecken. Mit der Kreuzigung sind die Schreiber der Bibel nicht zum Ende gekommen und die Theologie nicht; und auf der Kanzel werde ich’s auch nicht schaffen. Was also dann? Mir scheint, es wäre nicht das Wenigste, ganz dicht dranzusein. Dranzubleiben. Am Gekreuzigten. Redundanzen können da eher helfen. Sind Bestätigung für einen ahnungsvoll geschriebenen Satz. Eine geahnte Überlegung. Halten das Denken offen. Die Aufgabe der Karfreitagspredigt, so wie Sie Ihnen zum Lesen vorliegt: “Erst jetzt tauchen seine Freunde auf. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. Sie schauen zu. Keine großen Worte. Kein vollmundiges Bekenntnis. Vielleicht ist es so am besten. Aushalten. Zuschauen. Schauen, ob ein bißchen von Jesu Vertrauen auf einen guten Vater wir in unsrem Leben finden können. Und - schweigen.” Und wenn es nur das wäre: dass Sie als PredigtleserInnen und PredigthörerInnen sich von neuem des Vertrauens auf Gott vergewissern - es wäre das größte Kompliment für die Predigt.

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Liebe Gemeinde,

es sind nur wenige Worte, die Lukas braucht: Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort. Keine blutrünstigen Ausmalungen. Nur die knappe Bemerkung: Kreuzigung.

Mehr ist auch nicht nötig. Die Evangelien haben genug erzählt von seinem Leben. Und wer da genau hinhörte, der bekam eine Ahnung: Gut konnte die Geschichte nicht ausgehen. Jedenfalls solange nicht, solange die Menschen tun, wie sie immer tun. Einer, der von Gottes Willen redete und Gottes Willen in seinem Handeln in dieser Welt einen lebendigen Platz gab – ein solcher Mensch war nicht nur unpassend, sondern auch störend. Und weil er nicht passt, deshalb musste er entstört werden. Und weil er nicht passt, deshalb musste er entsorgt werden. Gekreuzigt.

Wo stehen Jesu Freunde, die Jünger und Jüngerinnen?

Seit über 25 Jahren stehe ich auf der Kanzel, habe die Kreuzigungsgeschichte nach Johannes und Matthäus und Markus und Lukas schon so oft gepredigt. Fertig – bin ich immer noch nicht. Auch nicht in diesem Jahr. Ich ahne – sie hat etwas mit mir zu tun. Aber was? Was ist es, das mich verbindet mit dem von 2000 Jahre Gekreuzigten?

Da hängen mit ihm am Kreuz zwei Verbrecher. Sie kreuzigten ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken. Nein – das bin ich nicht. Nein, ich bin kein Mörder, kein Terrorist. Kein Schwerverbrecher. Das alles bin ich nicht. Müsste ich es sein? Um da in der Höhe mich zu entscheiden? Müsste ich es sein, um das Versprechen Jesu zu erhalten: Heute noch wirst du in Gottes Reich sein?

Die Soldaten führen ihre Befehle aus, wie es Soldaten zu allen Zeiten und überall getan haben. Sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. Auch sie beschäftigt mit dem, was halt sinnvoll oder notwendig ist bei so einer Angelegenheit. Es ist angestammtes Recht. Und Jesus braucht ohnehin nicht mehr seine Kleider.

Und das Volk stand da und sah zu. Es schaut zu. Ein Schauspiel. Ein Spektakel. Und die Masse, die fromme Masse glotzt. Und wir suchen nach einem, nach irgendeiner, die ein bißchen Mitgefühl hat. Aber die Masse der Zuschauer – mitleidslos.

Es stehn die Meinungsführer der Gesellschaft da. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. Wer den Schaden hat, braucht nicht zu warten, bis der Spott dazukommt. Es ist die teuflische Versuchung: Wenn du Christus bist, wenn du der Sohn Gottes bist, wenn du… so hatte der Teufel am Anfang Jesus in Versuchung geführt. Wenn du Gottes Sohn bist, dann zeig uns doch etwas von deiner Macht. Deinem Einfluss. Und heute schließt sich der Kreis. Die Geschichte der “Wenns” und “Danns” kommt zum Ende. Fromm verkleidet.

Es stehen die Büttel der Macht da. Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! Sie geben sich ja die Antwort selbst: am Kreuz hängt kein König. Egal, was an sein Kreuz genagelt steht als Hinrichtungsgrund. Der da ist kein König. Jedenfalls keiner, der sich selbst helfen kann. Es ist nur ein Mensch. In unrühmlicher Gesellschaft. Nicht mehr. Nicht weniger. Ein verurteilter Mensch. Seltsam: Und wo stehen seine Freunde, die Jünger und Jüngerinnen? Bisher kein Hinweis, daß sie ihn begleiten, ihn nicht alleine lassen, sich um ihn scharen. Keine Solidarität. Keine Freundschaft. Keine Jünger. Nur – Schweigen.

Jesu Tod ist verwoben mit diesem Leben

Vielleicht kann uns weiterhelfen, wenn wir fragen: Was sagt Jesus in seinen letzten Minuten? Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Das ist Jesus. Einer, der die Vergebung gelebt hat. Gepredigt hat er sie auch – ja. Aber die Kraft des Himmels entfaltete seine Predigt überall, wo er gezeigt hat: So sieht Vergebung aus. So fühlt sich Versöhnung an. So verwandelt sich dein Leben. Und mir fallen Fischer ein, die ganz Neues sich trauen; Frauen mit einem verpfuschten Leben voller Sehnsucht und Liebhaber, berufsmäßige Betrüger am Zolltisch, die sich um 180 Grad drehen können, weil sie Freundschaft erfahren haben. Mir fallen die ganzen Geschichten von Jesus ein. Und ich beginne zu verstehen: Auf eine ganz folgerichtige Weise ist dieser Tod verwoben mit diesem Leben. Weil an diesem Jesus, weil mit diesem Jesus ein neues Leben auf der Erde Platz griff, weil er, Jesus, keine Angst hatte vor der Niederlage, darum gehört dieser Tod zu diesem Leben mit dazu.

Und weil wir Angst haben, weil wir Angst vor dem Tod haben, darum gehen uns die beiden Mitgekreuzigten etwas an. Es geschieht etwas, das nur Lukas uns so erzählt. Mit zwei Verbrechern wird er gekreuzigt. Galgenvögel im wahrsten Sinn des Wortes. Sie hatten vorher wohl kaum von Jesus gehört. Es waren keine gläubigen Leute, keine Heiligen ( Karl Barth). Der eine – ich verstehe es nicht – macht da weiter, wo die Soldaten und die Großen aufgehört haben mit ihrem Spott. “Hilf dir – und wenn du schon dabei bist auch uns. Wir sitzen doch im gleichen Boot. Nicht wahr?” Es stimmt – in einem Sinn. Sie sind da oben. Unterschiedslos. Festgenagelt. Und keiner kann dem, was kommt, davonlaufen. Sie sitzen in der Tat im gleichen Boot. Festgenagelt von den gleichen Soldaten. Hingerichtet am gleichen Ort. Zur gleichen Zeit. Und doch gibt es einen tiefen Unterschied. Der andere Gekreuzigte weist den einen zurecht und spricht es aus: “Wir kriegen nur die Rechnung für das, was wir getan haben. Er aber ist unschuldig”. Und er wendt sich an Jesus und bittet: “Denke an mich”. Und Jesus sprach: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Nicht erst am Ende aller Tage. Nicht erst, wenn Gut und Böse gewogen wird. Heute, nachher schon wirst du im neuen Garten Gottes sein.

Vielleicht ist das die schönste Stelle dieses grausamen Geschehens: Noch am Kreuz lebt Jesus, wie er immer gelebt hat. Mitten aus der helfenden Kraft Gottes heraus. Ich gehe soweit zu sagen: In Jesus sehen wir die menchenfreundliche Seite Gottes. Und weil da einer ist, einer, der versteht, darum nimmt er ihn mit. Ich habe es schon einmal gesagt. Und ich sage es noch einmal: Das ist Jesus. Einer, der mitträgt und mitnimmt. Einer, der die Vergebung gelebt hat. Einer, der Gottes Möglichkeiten vertraut. Am Kreuz, am Ende, – am Anfang?- zeigt er noch einmal: So sieht Vergebung aus. So fühlt sich Versöhnung an. So verwandelt sich dein Leben.

Die Stunden am Kreuz verrinnen. Es ist Zeit. Und wie ein jeder fromme Jude spricht Jesus die Worte aus dem Abendgebet – und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! – Aus deiner Hand kam der Geist, der mich lebendig machte. Von deinem Atem ist mein Atem, mit dem ich Menschen belebte. In deine Hand gebe ich all das, was mich und ein Menschsein ausmacht. Aus deinem Geist habe ich die Vergebung gepredigt. Dein Geist hat meinen Worten Flügel verliehen. Aus deinem Geist habe ich gelebt. Aus deinem Geist habe ich der Versöhnung eine Chance gegeben auf dem Erdenboden. Was da an Himmel auf der Erde aufblitzte – es kam von dir. Ich vertraue dir. Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Keine großen Worte

Erst jetzt tauchen seine Freunde auf. Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles. Sie schauen zu. Keine großen Worte. Kein vollmundiges Bekenntnis. Vielleicht ist es so am besten: aushalten. Zuschauen. Schauen, ob ein bißchen von Jesu Vertrauen auf einen guten Vater wir in unsrem Leben finden können. Und – schweigen.

Amen.

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