Auf dem Weg zu einer freiheitlichen und selbstverantworteten Beziehung zu Gott

Von der Verhinderung der Opferung Isaaks

Predigttext: 1.Mose 22, 1-13
Kirche / Ort: Wachenheim und Mölsheim
Datum: 13.03.2005
Kirchenjahr: Judika (5. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Pfarrerin Dorothea Zager

Predigttext: 1. Mose 22,1-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne und sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich in der Hecke mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes Statt.

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Dass das aber nicht Gott sein könne, dessen Stimme Abraham da hört, davon muss er doch überzeugt gewesen sein; denn wenn das, was durch diese Stimme da verlangt wird, dem moralischen Gesetz zuwider ist, dann mag diese Erscheinung Abraham noch so majestätisch und unnatürlich vorgekommen sein, er muss sie einfach für eine Täuschung halten. Ja, Abraham hätte auf diese vermeintliche göttliche Stimme sagen müssen: Es ist ganz sicher, dass ich meinen guten Sohn nicht töten muss. Aber dass Du da, der Du mir erscheinst und dies von mir forderst, Gott bist, das ist nicht wahr!“

I.

Liebe Gemeinde, kein Geringerer als der große Philosoph Immanuel Kant schleudert unserer Geschichte diese heftigen Worte ins Gesicht: Das kann nicht Gott gewesen sein, der eine solche Grausamkeit von Abraham verlangt! Der Gott der Liebe, der Gott des Lebens, der Gott, der uns später das Gebot „Du sollst nicht töten“ in unsere Herzen schrieb, der soll die grausame Opferung eines Kindes verlangt haben?? Nein, das kann nicht unser Gott gewesen sein!

Immanuel Kant drückt aus, was uns bedrückt, wenn wir diese Geschichte hören. Es ist eine grausame Geschichte. Fast unerträglich summiert sich das Geschehen. Drei Tage lang ist Abraham unterwegs und weiß – nur er ganz allein weiß es! –: ich muss mein Kind umbringen! Völlig unbegreiflich ist dieser Gott, der so etwas verlangt und damit auch noch die letzte Hoffnung zunichte macht, dass aus Abraham doch noch ein großes Volk wird. Schließlich war Isaak sein einziger Sohn, und sehr spät erst geboren. Mit seinem Tod wäre Gottes Verheißung für immer vernichtet.

Schließlich muss Abraham selbst auch noch den Altar bauen, seinen Jungen fesseln, den er liebte, und auf den Altar legen. Und bei all dem ist er völlig allein. Kein Mensch, mit dem er sprechen könnte; seine Frau daheim, die noch ahnungslos ist, und zu der er nachher heimkehren muss und ihr sagen, was er getan hat. Entsetzlich die Vorstellung, was Abrahams Seele durchlitten hat. Entsetzlich die Vorstellung, was das Kind durchgemacht hat, das den Vater nach dem Opfertier fragt und dann erkennen muss, das es selbst getötet werden soll – vom eigenen Vater! Entsetzlich die Vorstellung, dass das alles auch noch von Gott gewollt war.

II.

„Das kann nicht Gott gewesen sein!“, sagt Immanuel Kant. Er, liebe Gemeinde, und wir alle vergessen bei unserem Erschrecken, dass zwischen dem Erzählen dieser Geschichte damals und unserem Empfinden heute eine Zeitspanne von nahezu 4000 Jahren liegt. Viermal länger als unser Abstand zum Mittelalter. Eine andere Welt, eine andere Zeit, eine andere Religion sprechen aus dieser Geschichte.

Menschenopfer – ja auch Kinderopfer – waren in den meisten Religionen der damaligen Zeit ein fester Teil der Kultur. Ob nun in Ägypten oder in Kanaan, ob bei den Phönikern, Ammonitern oder Moabitern, das Opfern von Menschen und von Tieren, etwas, was uns heute Schaudern macht, gehörte zum religiösen Leben selbstverständlich dazu, so wie für uns das Gebet oder die Taufe oder das Abendmahl. Es gibt grausame und erschütternde Schilderungen griechischer Geschichtsschreiber über den Vollzug solcher Riten. Nur so ist es zu verstehen, dass Abraham nicht zurückfragt, sich nicht auflehnt, sich nicht weigert, seinen Sohn zu opfern – so wie es der aufgeklärte Immanuel Kant selbstverständlich von diesem Vater fordert –, sondern dass er gehorcht. Er ist eingebunden in die Vorstellungen seiner Zeit, dem Bild von grausam vernichtenden und Opfer fordernden Göttern seiner Zeit. Warum also sollte nicht auch Jahwe ein solcher Gott sein, der aus menschlicher Sicht sinnlose Opfer fordert?

Mit unserer Geschichte tritt aber genau hier ein grundlegender Wandel ein. Gott will eben keine sinnlosen Menschenopfer mehr. Gott sagt „Nein!“ zur Tötung eines Kindes. Er sagt „Nein!“ zur Vernichtung des Lebens. Er sagt „Nein!“ zu einem Kult, der solche Opfer verlangt.

Gott steht auf der Seite des Kindes, das leben will. Er lässt es nicht zu, dass da ein Kind für religiöse Zwecke dahingegeben wird, sondern er will ein ganz anderes Opfer: Gott will die Aufopferung des Menschen – Selbsthingabe für das Leben in dieser Welt.

Damit, liebe Gemeinde, hat der Glaube und die Religionspraxis unserer Vorväter, der Juden, einen ganz enormen Schritt nach vorne getan: weg vom tötenden, rein gesetzlich und darum so herzlosen Opfern hin zu einem lebendigen, befreienden und auch selbstkritischen Glauben. „Was soll mir die Menge Eurer Opfer?“, lässt Gott durch seinen Propheten Jesaja ausrichten. „Wascht Euch, reinigt Euch, lernt Gutes tun, trachtet nach Recht. Gehorsam ist besser als Opfer und Aufmerken besser als das Fett der Widder.“ (Jesaja 1,10-17).

III.

Die Geschichte von der Verhinderung der Opferung Isaaks ist also ein Wendepunkt, ja eine ganz entscheidende Wegmarke auf dem Weg unserer Religion, unseres Glaubens, weg vom archaischen Kult hin zu einer freiheitlichen und selbstverantworteten Beziehung zu Gott. Nicht blinder Gehorsam und sinnloses Abspulen traditioneller Riten ist das, was Gott sich von uns wünscht, sondern selbstverantwortetes Handeln, bei dem Gottes Wille und die Ehrfurcht vor dem Leben das Maß aller Dinge sein soll.

Dass ein solches selbstverantwortetes Handeln dann manchmal auch wieder Opfer verlangt, steht außer Frage, aber es sind eben Opfer ganz anderer Art.

Ich möchte das, was uns dabei heute besonders wichtig sein kann, einmal so ausdrücken:

Gott mag manchmal viel von mir verlangen. Aber er verlangt nicht, dass ich mich aufgebe. Denn er will das Leben. Auch meins. Gott will, dass ich liebe und nicht sinnlose Opfer bringe.

Sehen Sie, wenn Abraham seinen Sohn wirklich getötet hätte, hätte er nur darauf stolz sein können, wie stark sein Gehorsam und sein Glaube sind. Als Mensch aber wäre er zerbrochen. Als Vater mit solcher Schuld zu leben, sein Kind getötet zu haben, als Ehemann mit einer solchen Lüge, als Glaubender mit einer solchen gescheiterten Hoffnung. Abraham wäre an zerbrochenem Herzen zugrunde gegangen. Genau das ist es, was Gott nicht will. Was er ja auch gar nicht fordert, nicht von Abraham und auch nicht von uns.

Ich möchte einige Beispiel nennen, um deutlich zu machen, was das für unser eigenes Leben und Glaubensleben bedeutet:

Verlangt die Liebe in meiner Ehe, dass ich stets und ständig in Geduld und Treue zurückstecke, annehme, ertrage, erdulde, verzeihe, so lange, bis von mir selbst nichts mehr übrig ist? Oder heißt Liebe nicht auch, für seine eigene Meinung gerade zu stehen, dadurch den anderen zu korrigieren, gerade zu rücken und ihn dadurch vor Fehlern zu bewahren? Eine Ehe kann nur dann Heimat für beide sein, wenn beide in gleichem Maße opfern und Opfer annehmen. Da ist ein rücksichtsvoll geführter Streit mit Sicherheit besser als klagloses Schweigen.

Verlangt unser Geschlecht als Frau, auf eine berufliche Erfüllung für immer zu verzichten, um der Familie eine Heimat zu schenken? Oder kann nicht auch die Familie mit den Jahren zu einem Freiraum werden, wo die Mutter wieder selbstständig und eigenständig ihren Weg gehen darf? Eine Familie darf nicht der Ort sein, wo eine opfert und der ganze Rest profitiert. Alle müssen Opfer bringen, wenn alle sich geborgen fühlen sollen.

Verlangt die Fürsorge für unsere Kinder, ihnen alles aus dem Weg zu räumen, ihnen alles aber auch alles zu schenken und zu bieten von der Glitzerbarbie bis zur Play-Station, von der Ballettstunde bis zum Reitunterricht? Verlangt die Fürsorge für unsere Kinder, dass wir sie gewähren lassen, lärmen, toben, zerstören, bis wir selbst am Ende sind? Nein, solche Opfer sind gerade die Falschen. Weil wir damit unsere Kinder nicht erziehen, sondern lebenuntüchtig machen. Das Ringen um eine gute Erziehung, das Erklären unserer Verbote, die Konsequenz unserer Strafen verlangen vielmehr Opfer und Kraft von uns, liebe Gemeinde, als unsere Kinder vor dem Fernsehbildschirm „ruhig zu stellen“.

Verlangt letztlich unser Glaube, dass wir unsere Vernunft opfern? Verlangt er, dass Wundergeschichten oder Erscheinungsschilderungen als unumstößliche Wahrheit „schlucken“, selbst wenn sich alles in uns sträubt? Nein, in der Freiheit eines Christenmenschen dürfen wir unseren Glauben überdenken, ringen und hinterfragen. Gott will nicht, dass wir unsere Vernunft opfern, sondern er will, dass wir einen offenen, freien ja einen freiwilligen Glauben in uns tragen: Den Glauben daran, dass Gott uns kennt und liebt. Das allein ist wichtig.

IV.

Mag es sein, liebe Gemeinde, dass es Menschen gibt, die vertrauensvoller glauben können als wir und die dienend, schaffend, helfend und leidend durch ihr Leben gehen, ohne es als ein Opfer zu empfinden. Ich bewundere solche Menschen, die als Diakonissen auf ein glückliches Familienleben verzichten, um Menschen in der Krankheit beizustehen, die als Missionare unter schwierigsten Bedingungen das Evangelium in die Welt tragen, die als Entwicklungshelfer oder als Ärzte in den Krisenregionen unserer Welt zum Frieden verhelfen.

Ich weiß, es gibt sogar Menschen, die noch zu viel größeren Opfern bereit waren. Ja, die sich selbst hingegeben und geopfert haben. Die im Widerstand oder in Konzentrationslagern für andere Menschen oder ihre Überzeugung gestorben sind – wie Maximilian Kolbe, wie Dietrich Bonhoeffer, wie die Geschwister Scholl. Ich bewundere diese Menschen aus ganzem Herzen. Aber ich weiß auch, dass ich selbst nicht dazugehöre und sicher auch viele von Ihnen nicht, liebe Gemeinde. Gerade für uns hat diese Geschichte von der Verhinderung der Opferung Isaaks eine sehr wichtige Botschaft:

Für uns, die wir menschlich fühlen, die wir manchmal zweifeln, die wir uns nicht ganz und gar aufgeben können, ohne zu zerbrechen. Gerade uns gilt Gottes Entscheidung: Ich will Dich nicht zerbrechen. Gott will, dass wir leben und seinen Willen tun. Und dabei verlangt er so viel Opfer und Verzicht, wie wir auch tragen können.

Liebe Gemeinde, letztlich ist uns der eine vorangegangen, der wie kein anderer den Gehorsam und die Opferbereitschaft vorgelebt und durchlitten hat: Jesus Christus. An ihn denken wir in diesen Passionswochen ganz besonders. Sein Leben und sein Sterben steht uns als Vorbild vor Augen. Ihm ist es gelungen, demütig, gehorsam und vertrauensvoll seinen Weg zu gehen bis in den Tod. Und wir wissen. Selbst ihn hat Gott nicht dem Tod überlassen.

Das Opfer hat nicht das letzte Wort. Sondern das Leben.

Amen.

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