Brot des Lebens – Abendmahl und Himmelsbrot
Hineingenommen in die Gemeinschaft mit Christus
Predigttext: Johannes 6,55-66 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
55 Denn mein Fleisch ist die wahre Speise, und mein Blut ist der wahre Trank. 56 Wer mein Fleisch ißt und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und ich lebe um des Vaters willen, so wird auch, wer mich ißt, leben um meinetwillen. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel gekommen ist. Es ist nicht wie bei den Vätern, die gegessen haben und gestorben sind. Wer dies Brot ißt, der wird leben in Ewigkeit. 59 Das sagte er in der Synagoge, als er in Kapernaum lehrte. 60 Viele nun seiner Jünger, die das hörten, sprachen: Das ist eine harte Rede; wer kann sie hören? 61 Da Jesus aber bei sich selbst merkte, daß seine Jünger darüber murrten, sprach er zu ihnen: Ärgert euch das? 62 Wie, wenn ihr nun sehen werdet den Menschensohn auffahren dahin, wo er zuvor war? 63 Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, die sind Geist und sind Leben. 64 Aber es gibt einige unter euch, die glauben nicht. Denn Jesus wußte von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. 65 Und er sprach: Darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, es sei ihm denn vom Vater gegeben.Exegetische und homiletische Hinweise
1) Zur Auslegungsgeschichte
Die Auslegung des heutigen Predigttextes Johannes 6,55-65, ist seit Luthers Abendmahlsstreit mit Zwingli besonders umstritten! Für einen Großteil der katholischen und auch evangelischen Exegeten wie z.B. Ulrich Wilckens (NTD 1998, S.107) ist Joh 6 das eucharistische Kapitel im Johannes-Evangelium schlechthin. Eugen Drewermann dagegen behauptet in seiner Auslegung des Johannes-Evangeliums (Patmos-Verlag 2003, S.292ff.), dass der Evangelist mit diesem Kapitel das "Sakramentale" auflösen will. Hilfreich bei der ganzen Kontroverse ist u.E. der Kommentar von Jürgen Becker (Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum NT 4/1), weil er verschiedene Traditionsschichten des Textes analysiert. Er erklärt, dass der sakramentale Teil des Textes (6,51c-58) wie es schon Bultmann und Bornkamm vor ihm getan haben (Becker, S.199), eine nachträgliche Bearbeitung des Evangeliums durch einen kirchlichen Redaktor sei. U. Wilckens (s.o., S.107) sieht darin „ein tiefes Missverständnis“. Er meint, dass V.51c-58 einfach eine sinnvolle Ergänzung der Brotrede Jesu im Sinne des Evangelisten sei. Becker kommentiert: „Dieser Exegeten-Streit hat einiges Gewicht, weil sich an ihm die Stellung des Evangelisten zu den Sakramenten entscheidet und zugleich sein Glaubens- und Lebensverständnis“. Er selbst versucht nachzuweisen, dass 6,51c-58 Nachtrag eines Sakramentalisten sei, der planvoll ans Werk ging. Zu allen Schwierigkeiten kommt noch hinzu, dass Jesu Rede vom "Essen seines Fleisches" als eine abstoßende Zumutung erscheint.2) Einzelexegese in Auswahl
V.51a.b fassen das bisherige Kapitel zusammen. Der Glaube, dass Jesus das Brot des Lebens ist, steht im Zentrum. Mit diesem Vers beginnt der sakramentale Teil des Kapitels. Darin geht es um das sakramentale Essen des „Fleisches“ des erhöhten Menschensohnes. V.56: Durch das Sakrament entsteht für den Glaubenden eine "Verbindung mit dem lebendigen Erhöhten, die so tief und umfassend ist, wie es keine Gemeinschaft unter Menschen sein kann"(U.Wilckens z.St). V.58: Hier klingt schon etwas davon an, was der Kirchenvater Ignatius später mit „Pharmakon Athanasias“(Medizin der Unsterblichkeit) bezeichnet hat. Der Vers beendet nach Bultmann und Becker die sakramentale Rede. Wilckens dagegen sieht hier wie schon in V. 27 und V. 31 einen inneren Zusammenhang zwischen dem „Manna der Väter", das den Tod nicht aufheben konnte, und dem „Himmelsbrot“, das ewiges Leben schenkt. V.63-65: Die Worte und die Botschaft Jesu kann niemand mit platter irdischer Vernunft verstehen. Deswegen gibt es sogar unter den Jüngern seit jeher Zweifler, ja einen Verräter. Den Weg zu Jesus und zu Gott kann man nur begreifen, wenn Gott seinen Heiligen Geist schenkt.3) Himmelsbrot und Abendmahlsbrot
Im Grunde muss man Bultmann( Becker) und andererseits Wilckens als zwar gegensätzliche, aber sich ergänzende Pole gemeinsam rechtgeben. Die tiefere Ursache im Exegetenstreit liegt m.E. darin, dass immense Gegensätze im Abendmahl zusammengehören. Gott wird nach Joh 1,14 durch Jesus nicht nur Fleisch, sondern auch Abendmahlsnahrung. Nikolaus von Cues mag uns mit seinem Gedanken von der „coincidentia oppositorum in Deo", dem Zusammenfall der Gegensätze in Gott, helfen. Ebenso weiterführend kann der Psychologe Fritz Riemann sein: Die Gegensätze Gerechtigkeit und Freiheit, Nähe und Distanz, gehören zusammen. Und der bekannte Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun spricht von Geschwisterpaaren gegensätzlicher Wahrheiten(Klarkommen mit sich selbst und anderen, S.148). Auf unseren Text übertragen könnte das bedeuten: Christus ist zugleich als das „Himmelsbrot" der göttlich Erhabene, allem Menschlichen Entrückte und Ferne, und als „Abendmahlsbrot" der ganz Nahe, den wir bei der Kommunion in uns aufnehmen. Unser christlicher Glaube kann nur in dieser Weise von Christus sprechen.Pappe und vergilbtes Papier
Kannst Du Deine Bibel essen?, fragte wahrend einer Hungersnot ein Spötter einen Christen. Der antwortete: „Die Pappe und das vergilbte Papier sind sicher ungenießbar!” Der Spötter machte ein triumphierendes Gesicht. „Habe ich mir doch gleich gedacht”, murmelte er leise. Dann wandte er sich zum Gehen. „Halt! Stopp!”, rief der Christ. Es stimmt nicht ganz, was ich da so schnell dahin gesagt habe. Manches aus meiner Bibel ist sehr nahrhaft, wenn Du verstehst, was ich meine. Die Bibel hilft mir in unserer Notlage unglaublich! Sie ist Nahrung für meine Seele. Besonders der Glaube an Jesus und seine treue Freundschaft ist im Augenblick das Einzige, was mich am Leben hält!“ Der Spötter schaute den Christen aufmerksam an. Dann verließ er ihn mit nachdenklichem Gesichtsausdruck.
Schwer verdauliche Bibelstelle?
Was kann damit gemeint sein, dass wir Jesus als Nahrung für unsere Seele zu uns nehmen können? Ist das ungenießbar für unser Denken und unseren Glauben? Gehört unser heutiger Predigttext zu den schwer verdaulichen Stellen der Bibel? Johannes spricht hier wie kein anderer Evangelist mit einer drastischen Sprache. Mit der schockt er uns manchmal ganz gewaltig. Aber so ist er nun einmal. Wir müssen ihn so nehmen, wie er ist. Mit allen Ecken und Kanten sprachlicher und theologischer Art. So wie man uns nehmen muss mit all unseren Ecken und Kanten menschlicher Art, die manchmal auch sehr schwierig für unsere Umgebung sind. Über das Abendmahl sollten wir nicht wie einige Ausleger streiten. Johannes meint hier das Abendmahl. Warum sollte er, der auf der einen Seite so „vergeistigt” ist und der auf der anderen Seite in seinen Wundergeschichten so „materialistisch” ist, das Abendmahl aus dem Evangelium herausgelassen haben? Das passt nicht!
Erhabener Gott – konkreter Mensch Jesus und uns ganz nahe
Der erhabene Gott wird in Jesus ein konkreter Mensch. Der unfassbar universale Schöpfer des Weltalls wird ein Mensch, und wir nehmen ihn im konkreten Abendmahlsbrot in uns auf. Gottes Größe besteht nicht nur darin, dass er das ganze Weltall geschaffen hat. Forscher entdecken Gottes Größe heute auch im anthropischen, das heißt menschlichen Prinzip der Welt. Sie entdecken an vielen Hinweisen, dass Gott selbst eine Evolution programmiert hat, die bis zur Entwicklung von uns Menschen führt. Gott wollte offenbar, dass wir Menschen die Schöpfung und Evolution erforschen und wie Gott Neues erfinden können und bewusst an Gott denken können. Gottes Größe besteht auch darin, dass er uns so begabt hat. Seine eigentliche Größe besteht aber darin, dass er uns in Jesus und seinem Abendmahl ganz nahe sein kann und will.
Eines ist doch klar, und das kommt in unserem Text sehr gut zum Ausdruck: Wir sind als Mensch nicht nur Geist, Kopf, Intellekt, Verstand, sondern auch Leib, Körper mit allen dunklen und hellen Seiten und Gefühlen, die dazu gehören. So will Johannes, dass der ganze Mensch mit Geist, Leib und Seele im Glauben angesprochen wird. Mit allen Fasern unserer Existenz werden wir hineingenommen in die Gemeinschaft mit Christus, der für uns gestorben und auferstanden ist. Dazu gehört selbstverständlich Essen und Trinken neben dem Hören und Sehen.
Es geht beim Abendmahl um den „wahren Leib“ und um das „wahre Blut” des Herrn. IHN selbst, seinen „Auferstehungsleib“ nehmen wir beim Heiligen Abendmahl in geheimnisvoller Weise in uns auf. ER selbst, sein Wesen, geht in uns ein, dichter und intensiver, wie es gar nicht anders möglich ist. So hat die Eucharistie wenig mit einer “normalen” Mahlzeit zu tun, obwohl sie wahrscheinlich ursprünglich damit verbunden war. Sie ist weder im vordergründigen Sinn eine Delikatesse, bei der es auf Schmackhaftigkeit ankommt, noch ein Hungerbrot, das nicht zum richtigen Sattwerden reicht.
Christus vereint sich mit den Elementen Brot und Wein, so wie in IHM Gottheit und Menschheit, Himmlisches und Irdisches, vereint sind. Das zielt ins Zentrum, in den Kern unseres Glaubens, der unüberbrückbare Gegensätze in sich zusammenbringt: Die Menschwerdung Gottes, die wir zu Weihnachten und Epiphanias feiern. So ist Christus bei uns, ganz konkret, ganz nahe, zu einer ganz bestimmten Zeit, an einem ganz bestimmten Ort. So schenkt ER uns besonders in den Hunger- und Durststrecken unseres Lebens Kraft zu tapferer Hoffnung und zu einem Glauben, der nicht aufhört, wenn die Not am allergrößten ist. Das übersteigt alles Verstehen und alle Worte, alle Erklärungsversuche und alle Theologie. Der unendlich ferne und rätselhafte Gott neigt sich zu uns im Heiligen Abendmahl, beugt sich „hernieder“ im Sakrament des Altars und erfüllt unsere ganze Existenz.
Laetare
„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und Deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit“, so singen wir nach den Einsetzungsworten zum Abendmahl. Das passt zum heutigen Sonntag mitten in der Passionszeit, der „Laetare“ heißt. Der Tod wird nicht verleugnet oder einfach übergangen. Und doch klingt schon etwas von der öster1ichen Freude und von der Hoffnung an, das ER kommt, um seine Schöpfung zu vollenden. Das ist das Ziel aller Dinge.
Amen.