Im Spiegel des Gotteskastens

Predigttext: Markus 12,41-44
Kirche / Ort: Providenz-Kirche Heidelberg Altstadt/City
Datum: 27.02.2005
Kirchenjahr: Okuli (3. Sonntag der Passionszeit)
Autor/in: Petra Neumann-Janssen, Bibliodramaleiterin

Predigttext: Markus 12, 41 – 44 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(41) Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. (42) Und es kam eine arme Witwe und legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig (= ein Viertel eines Asses, heute ca. 34 Cent, Anm. P.N-J.). (43) Und er rief seine Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. (44) Denn sie haben alle etwas von ihren Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles, was sie zum Leben hatte.

Mein Weg vom Predigttext zur Verkündigung

Mein Weg, diese Aussage der Bibelgeschichte zu erfassen, hat sich aus der Bibliodramaarbeit entwickelt. Die Bibelverse entsprechen einer wohl komponierten Inszenierung, in welcher jede, auch die kleinste Aussage sinnvoll plaziert ist. Vor unserem inneren Auge kann mit der örtlichen Beschreibung ein Bild entstehen, welches von starker Aussagekraft ist. In diesem Bild gestaltet sich das Drama, das Handeln. In dieser Geschichte ist es das Gegenüber von Jesus und „Gotteskasten“. Daraus entwickelt sich die Sicht Jesu auf die Opfernden, auf sein Erkennen und Deuten des Opfers. Jetzt schließt sich die Übertragung in unser Leben an. Mit diesem Weg der Erschließung des Bibeltextes kann ich die Möglichkeit nutzen, die Wort-Verkündigung mit einer Handlungs-Verkündigung zu verbinden und so das Verständnis zu ergänzen oder zu unterstreichen.

Material:

Kasten, kleiner Tisch, Spiegel oder Spiegelfolie, Stuhl, ein großes Papp-Dreieck als Symbol für das Auge Gottes 16 Karten auf welchen jeweils eins der folgenden Worte steht: Hingabe, Einsatz, Vertrauen, Glaube, Liebe, Herz, Talent, Leidenschaft, Licht, Herzenswärme, Barmherzigkeit, Zeit, Fröhlichkeit, Freude, Hilfsbereitschaft, Hoffnung Diese Karten werden vor dem Gottesdienst an verschiedene GottesdienstteilnehmerInnen verteilt. Wenn sie aufgefordert werden, sollen sie diese nach vorn bringen.

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Diese Szene der Bibelgeschichte, liebe Gemeinde, baue ich jetzt einmal vor ihnen auf. Auf diesen Tisch hier stelle ich einen Kasten. Er sieht nicht so aus wie die Opferstöcke damals im Tempel. Im Tempel standen dreizehn posaunenförmige Opferstöcke für freiwillige Gaben, sie waren vor allem für die kultischen – für Gott dargebrachten – Brandopfer bestimmt, ebenso für die Erhaltung und Ausstattung des Tempels. Der Geldbetrag wurde dem diensthabenden Priester übergeben, der die Echtheit des Geldes überprüfte, sich den Zweck der Spende nennen ließ, dann erst konnte der Geldbetrag in das entsprechende Spendengefäß eingelegt werden.

Hier steht jetzt für uns das Gefäß, der (Gottes-)Kasten, von dem im Bibeltext die Rede ist. Gegenüber sitzt Jesus (LiturgIn stellt den Stuhl gegenüber); auf diesen Stuhl stelle ich als Symbol für Jesus dieses Dreieck. Ich wähle ein Dreieck, weil das Auge Gottes in der religiösen Kunst mit einem Dreieck dargestellt wird. (LiturgIn geht wieder zum Mikrofon oder stellt sich in eine angemessene Entfernung)

Das ist die beschriebene Situation. So hat Jesus die Menschen beobachtet. Er hat nicht zufällig da gesessen, wie dies die Einheitsübersetzung suggeriert, dort heißt es: „Als Jesus einmal dem Opferkasten gegenüber saß…“ Nein, Jesus wählt seinen Platz bewusst. Er hat nicht diskret weggeschaut, so wie es bei uns üblich ist, wenn um die Kollekte gebeten wird. Jesus schaut direkt hin, er kontrolliert sogar.

Das Auge Jesu, das Auge Gottes, direkt auf die Menschen gerichtet – das bedeutet für einige Menschen ein Gefühl des Geborgenseins, der Zuwendung, für andere wird es zum Zeichen, das Angst auslöst, dass Gott alles sieht und weiß und ihm nichts verborgen ist. Wie wir diese Aussage auffassen, wird von dem Bild bestimmt, welches wir von Gott gelernt haben. Wie sollen wir mit Jesus, mit Gott, auf das Geschehen schauen? Sollen wir an dieser Stelle beginnen, auf die Reichen zu schimpfen und angerührt die Armut loben? Wir könnten sagen, Geld verdirbt den Charakter, und wer arm ist, gibt auch noch sein letztes Hemd – wie gut und edel macht doch die Armut.

So einfach macht es uns Jesus aber nicht. Damals gehörte eine Witwe zu den sozial ärmsten Menschen, sie war außerdem noch rechtlos. Es wird ihr nicht einmal gelungen sein, in den Frauenvorhof des Tempels zu kommen, denn finanziell war von ihr nichts zu erwarten. Wenn alles nicht so zugegangen sein kann, ist unsere Fantasie gefragt. Stellen wir uns doch einfach vor, Jesus sieht den reichen Geschäftsmann kommen. Ein kleines Säckchen Goldstücke hat er für den Kasten, seine Geschäfte gehen gut, und er ist gar nicht geizig. Der Tempel und die Religion sind ihm wichtig, er freut sich und gibt kräftig.

Dann kommt Herr Jedermann. Ganz so viel hat er nicht, aber seinen zehnten Teil, den das Gesetz fordert, gibt er in den Kasten. Er hat ein ruhiges Gewissen, tut er doch, was von ihm erwartet wird. Jesus kritisiert überhaupt nicht. Sonst wäre doch davon die Rede. Auch das Geld ist sauber, von Schwarzgeld oder schmutzig erworbenem Vermögen ist nicht die Rede. Jeder hier in der Kirche zahlt doch auch seine Kirchensteuer und spendet in die Kollekte.

Jesus beobachtet weiter, und dann kommt die Witwe, die anscheinend ihr ganzes Vermögen in den Kasten wirft. Genau dies lobt er dann vor seinen Jüngern. Ist es denn Jesus ganz gleich, was jetzt aus der Frau wird? Hätte er ihr nicht vielmehr den gesamten Inhalt des Opferkastens geben müssen, damit sie leben kann? Ist es nicht Aufgabe der Kirche, sich um die Ärmsten zu kümmern? Damals wie heute? Soll die Frau jetzt verhungern oder betteln? Was ist daran zu loben?

Wieder ist deutlich: Um das Thema Geld und Spende (allein) kann sich diese Geschichte nicht drehen. Es ist eine besondere Währung, welche Jesus im Kasten haben möchte. Eine besondere Währung, für welche die Witwe beispielhaft steht. Eine Währung, die wir bis heute besitzen. Es ist ein Schatz, an dem wir alle Anteile haben. Ich werde diesen Schatz, diese Währung, die einige als Karte von ihnen besitzen, jetzt aufrufen, und ich bitte sie, nach vorn zu kommen und den Kasten zu füllen. Schauen sie in den Kasten hinein und legen sie sorgfältig ihre Gabe ab. (LiturgIn liest die Worte, die auf den einzelnen Karten stehen, vor. Er/sie liest langsam, um Zeit zu geben, die einzelnen Karten in den Kasten zu legen. Die GottesdienstteilnehmerInnen, die eine Karte bekommen haben, legen ihre Karte, wenn ihr Wort vorgelesen wird, in den Kasten)

Hingabe, Einsatz, Vertrauen, Glaube, Liebe, Herz, Talent, Leidenschaft, Licht, Herzenswärme, Barmherzigkeit, Zeit, Fröhlichkeit, Freude, Hilfsbereitschaft, Hoffnung

Diejenigen, die unsere Werte, unsere Talente, jetzt stellvertretend für uns in den Kasten gelegt haben, schauten auf dem Grund des Kastens in ihr Spiegelbild. ( Ich zeige den Spiegel und stelle ihn im Kasten so auf, dass er sichtbar ist)

Jetzt würde sogar Jesus in diesen Spiegel schauen. War es nicht auch so? In der Witwe hat sich das gespiegelt, was Gott an uns Menschen liebt und schätzt. Sie konnte nicht aufs Geld ausweichen, aber mit allem, was sie besaß, konnte sie vor Gott wuchern. Sie hat ihre „Talente“ gegeben. Das Wort „Talent“ ist ja auch in unserer Sprachgeschichte doppeldeutig, einmal meint es Geld und einmal Gabe. Ihre Gabe war ungeteilt, sie kam von ganzem Herzen und voller Vertrauen mit all ihrer Leidenschaft. Das sieht Jesus, und es spiegelt sich im Kasten oder in unseren Herzen. Umgekehrt möchte sich Gott in uns spiegeln, damit wir mit seinem Angebot ein Leben nach Jesu Lehre leben.

Der angesammelte Schatz hier in unserem Gottesdienst ist sicher reichlich, aber nicht ausgeschöpft. Jesus fordert uns auf, uns leidenschaftlich ganz einzubringen – mit allem, was wir haben. Sein Auge wird uns wahrnehmen, und wir dürfen uns getrost an das Bibelwort erinnern: Der Mensch sieht was vor Augen ist, Gott aber sieht das Herz an. Wir können im Sinn des heutigen Sonntagsnamens Oculi antworten: „Meine Augen (Oculi mei) sehen stets auf den Herrn“ (Psalm 25,15).

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