Mehr als Almosen

Die Geschichte einer liebenden Frau

Predigttext: Markus 14,3-9
Kirche / Ort: Kassel
Datum: 20.03.2005
Kirchenjahr: Palmsonntag (6. Sonntag der Passionzeit)
Autor/in: Kirchenrat Dekan i.R. Werner Dettmar

Predigttext: Markus 14, 3-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1084)

Und als er in Bethanien war im Hause Simon des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im voraus gesalbt für mein Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.

Zum Predigttext

Der letzte Teil des Markusevangeliums, die Passiongeschichte, beginnt mit Markus 14,1 und endet in 16,1-8 mit dem Hinweis auf die Auferstehung, der zur Mitte des ganzen Werkes zurückführt. Dort in Kapitel 9 wird berichtet, dass Petrus und zwei andere Jünger Jesus in himmlischer Herrlichkeit bei Gott sehen. Eingeleitet ist der Bericht vom Leiden und Sterben Jesu dreifach: zuerst mit der Nachricht vom Todesbeschluss durch die Hohenpriester und Schriftgelehrten, drittens mit der Notiz vom Verrat des Judas. Dazwischen, sozusagen als zweite Einleitung, steht ungleich ausführlicher unser Predigttext, die Salbung in Bethanien. Dazu schreibt Eduard Schweizer in seinem Markuskommentar (NTD 167): „Markus gewinnt damit eine eindrückliche Kontrastwirkung zwischen dem Anschlag der Behörden und der im tiefsten Sinn verstehenden Liebe der Frau aus dem Volk“. Und natürlich wird damit auch der Gegensatz zwischen dem sich selbstlos hingebenden Jesus und dem Verrat übenden eigenen Jünger betont. Doch es finden sich noch andere Motive. Steht am Ende des gesamten Abschnittes das Bekenntnis eines fremden Mannes, des römischen Hauptmanns, zum „Sohn Gottes“, so am Anfang der Liebesbeweis einer (störenden) Frau, die nach dem Urteil Jesu getan hat, „was sie konnte“. Liebendes Tun und Bekennen gehören zusammen. Differenziert wird noch einmal beim Tun: zwischen der Liebestätigkeit für die Armen, die „allezeit bei euch“ sind, und der direkten Hinwendung zu dem einen, dessen „Evangelium gepredigt wird in aller Welt“. Auch hier wird nicht auseinandergerissen, was zusammengehört. Die Stellung der Perikope beim ersten Evangelisten spricht Bände. Matthäus bleibt zwar bei der dreifachen Einleitung der Passion, wie er sie bei Markus vorfindet, ändert aber in der ersten die Berichtsform in eine direkte Rede Jesu: „Ihr wisst, dass in zwei Tagen Passa ist ...“ und schließt damit unmittelbar an die Vollendung der Reden vorher an. Die letzte dieser Reden ist das Gleichnis vom Weltgericht, in dem es heißt: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“ Auch die Weiterentwicklungen unserer Geschichte bei den beiden anderen Evangelisten sind nicht uninteressant. Johannes belässt sie am Eingang zur Passion (12,1-11), reichert sie aber mit Personalangaben an. Die salbende Frau ist Maria, die Schwester des Lazarus, in dessen Haus im Gegensatz zu dem des weniger bekannten aussätzigen Simon der Liebesdienst im Vorgriff auf die Bestattung geschieht. Aber vor allen wird aus den bei Markus nicht näher bestimmten murrenden Gästen der Kritik übende Judas Iskariot, dem böse diebische Absichten unterstellt werden. Bei Lukas (7,36-50) ist die (nur die Füße) Salbende eine Sünderin, und es geht nicht um die Einleitung zur Passion, sondern um die Antwort auf eine Liebe, die umso größer ist, je mehr Schuld vergeben wurde. Bleiben wir bei unserem Predigttext und seinem Umfeld bei Markus, so können wir anhand der salbenden Frau als Thema für eine Predigt am Palmsonntag formulieren: Wie stehen inmitten von Feindschaft, Falschheit und Verrat wir Menschen zu dem, der für uns ins Leiden und in den Kreuzestod geht? Die Karwoche soll Frauen wie Männer zum Evangelium geleiten und damit zu dem Bekenntnis: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn!“ (15,39) Das ist ein Bekenntnis, zu dem das Tun dessen, was wir können, gehört, ein Bekenntnis, das in der Liebe zu dem seinen Grund hat, der uns in den Armen, die allezeit bei uns sind, begegnet. Lied zur Predigt: „Liebe, die du mich zum Bilde“ (EG 401)

zurück zum Textanfang

Die frohe Botschaft

Während inzwischen die Adventszeit als stille Zeit der Vorbereitung auf das Kommen Jesu längst aufgezehrt ist vom Trubel des Konsums und dem Einkauf der Geschenke und der Heilige Abend nur kurz und nicht dauerhaft unser Herz mit fröhlichen Gedanken erfüllen kann, bietet das Jahr der Kirche noch einmal eine Chance, von Palmsonntag bis zum Osterfest einzuhalten und zu bedenken, was Gott uns und den Menschen in aller Welt als seine große Gabe anbietet. Eine ganze Woche liegt vor uns mit einem Evangelium, das, wie es unser Text schon weiß, in der ganzen Welt gepredigt wird.

Dieses Evangelium kann man nach vielen Seiten hin auslegen, aber sein Kern meint immer das Eine, das, was seine wörtliche Übersetzung besagt. Es ist frohe Botschaft, fröhliche Kunde, mit der Gott selbst zu den Menschen kommt und ihnen ein heiles Herz schenken will. Und es trifft auf eine Welt, die nur wenige erfreuliche Nachrichten erhält. Natürlich müssen unsere Medien auch von den bösen Taten und Katastrophen berichten, aber wenn man die groß aufgemachten Nachrichten und die dicken Balken der Zeitungen betrachtet, hat man oft den Eindruck, dass nur zu gern all das Schlimme betont wird.

Auch in dieser stillen Woche, der Karwoche, geht es um ein Kapitalverbrechen. Aber der Bericht darüber will nicht Entsetzen oder Hass hervorrufen (schon gar nicht gegen die Juden). Die Nachricht vom Tod am Kreuz, von einer römischen Hinrichtung, über die an Karfreitag gepredigt wird, führt doch zu der Botschaft des Ostermorgens, die den Anbruch einer neuen Welt mit der Auferstehung Jesu feiert. Das alles stellt unsere Bibel unter das schöne Wort Evangelium, frohe Kunde.

Ja, es gibt Menschen, die Böses wollen, es gibt schlaue und verräterische Typen, es gibt Feiglinge, es gibt Politiker, die die Opfer immer von den anderen verlangen. Von all dem wird in dieser Woche die Rede sein: von Hohenpriestern und furchtsamen Jüngern, von Judas und von Folterknechten. Aber es wird doch vor allem der besondere Mensch gezeigt, der, der den anderen Weg geht, der den Weg für andere geht, für alle Menschen, die sich nach einer anderen Welt sehnen, damit sie Leben und Auferstehung gewinnen. Diesen Jesus sendet Gott selbst zu uns. Das ist mit der Botschaft gemeint, die zum Heil gepredigt wird in aller Welt. Zu ihr will uns die stille Woche hinführen, damit Ostern, Frühlingserwachen und Auferstehungsleuchten in unsere Herzen kommen.

Die Geschichte einer liebenden Frau

Am Anfang dieser Woche schildert uns der Predigttext eine Frau. Markus weiß nichts Näheres von ihr, nicht einmal ihren Namen. Aber es ist eine Frau, die alles tat, was sie konnte, um den zu ehren, zu loben und zu lieben, der für sie den anderen Weg geht. Das Ganze spielt im Haus eines Mannes, der Kummer kannte. Auch von ihm wissen wir nicht mehr, als dass er der Aussätzige genannt wird. War er es noch, ist er gesund geworden? Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass er Besuch hat, und dass da eine hereinkommt, die diesen Besuch zu würdigen weiß.

„Da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt.“

Wunderbar, hier weiß jemand um den Besucher Bescheid, weiß, dass dieser gekommen ist, um Freude zu bereiten. Er sorgt sich nicht um sich selbst, sondern will für andere da sein. Gelobt, gepriesen, gesalbt sei, der da kommt im Namen Gottes!

Aber halt! Ist das die rechte Art, Gott zu begegnen? Ist das nicht zuviel des Guten? Da sitzen die Miesmacher und protestieren. „Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls. Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.“

Ja, das sind sie, die Besserwisser. Und sie wissen es ja auch besser. Sie kennen den Wert der Ware. Dreihundert Silbergroschen, das war ein ganzes Jahresgehalt für einen Tagelöhner. Sie wissen auch, was man damit machen könnte. Machen sie es denn? Geben sie ihr Geld, alles, was sie können, den Armen? Sie reden doch nur.

Die Frau hat getan, was sie konnte, sagt Jesus. Und zu den anderen gewendet sagt er: Ihr könnt auch tun, was ihr könnt, Arme habt ihr allezeit bei euch.

Liebe empfangen und erwidern

Jesus gibt die rechte Antwort. Und nimmt die Liebe der Frau als das, was sie ist: Bekenntnis zu ihm, zu seinem Weg und zu seinem Ziel. Und als ein Beispiel, das den Weg des Evangeliums in alle Welt begleitet. „Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.“ Und so wird diese Frau auch für uns zum Beispiel eines Bekenntnisses, eines Dankes und einer Liebe, zu denen wir in diesen stillen Tagen hingeführt werden sollen. Wir sollen die frohe Botschaft vor Augen haben, dass einer uns liebt und wir ihn wieder lieben können.

Was bedeutet das in einer Welt, in der Liebe sehr selten geworden ist, in einer Welt voll Krieg, Katastrophen und Kapitalverbrechen? Was bedeutet das in einer Welt von Menschen, die nur noch den Wert der Waren kennen, nur noch sich selbst sehen und in all ihrem Tun dem eigenen Vorteil nachrennen? Was bedeutet das in einer Welt, in der immer mehr Menschen nicht mehr aus noch ein wissen und sehr allein sind?

Das Evangelium verkündet den, der „aus“ weiß: der weiß, wo wir herkommen. Und der „ein“ weiß: der weiß, wo wir hingehen. Der uns vorangeht. Er überspringt nicht die böse Welt. Unserer kleinen Geschichte geht der Beschluss seines Todes voran. Nach ihr wird berichtet, dass einer der Jünger Jesu die Hand zum Verrat reicht. Aber die Erzählung selbst beschreibt eine Frau, die die Liebe spürt, die von Gott über den Mann aus Nazareth zu ihr kommt, und die diese Liebe erwidert mit dem Ausgießen des kostbaren Öls auf sein Haupt.

„…und hätte der Liebe nicht“

Diese empfangene und weitergegebene Liebe soll uns in der Stillen Woche begleiten. Nein, Jesus will nicht die Liebe zu den Armen abschaffen zugunsten von schönen Gottesdiensten und Opfern, die nur ihm gelten. Aber er will uns eine Liebe zeigen und ins Herz geben, die die Gaben für die Armen erst herzlich und wirksam werden lässt.

Christusliebe und Menschenliebe sind zwei Seiten einer Medaille. Der Evangelist Matthäus hat das auf seine Art klargemacht. Unmittelbar bevor er zu der Geschichte von der salbenden Frau kommt, plaziert er die Rede Jesu vom großen Weltgericht, in der Jesus als Maßstab für die Liebe der Christen setzt: „Was ihr einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“.

Es geht nicht darum zu raisonieren, was man alles für die Armen tun könnte, um dann doch nichts zu tun. Es geht darum, alles zu tun, was man kann. Nach Jesu Worten tut das diese Frau mit ihrem hochherzigen Geschenk und wird so zum Bild einer innigen Liebe. Weil sie etwas vom Evangelium wusste, begleitet sie dieses nun bei seiner Verkündigung in aller Welt.

Die Liebe, die Jesus uns am Kreuz von Golgatha zeigt, sie ist es, die uns zuteil wird. Und auf sie können wir antworten. Es ist die Liebe, die das Evangelium immer von neuem verkündigen will. Wir sollen uns dieser Liebe öffnen. Dann steht uns mit der Osterwoche, durch die Auferstehung Jesu, ein neues Leben bevor. Ein Leben, das Herzen erwärmt und Taten gebiert, und eine Liebe, die den Tod besiegt und Hoffnung auf ein neues Leben bei Gott gewinnt.

Hier geht es um mehr als irgendeinen Trost, es geht um mehr als Almosen. Denn es gilt auch: „Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mirs nichts nütze“. Der das sagt, ist der Apostel Paulus. Er sagt es im Hohen Lied der Liebe, im ersten Korintherbrief, in dem er die Größe der frohen Botschaft beschreibt und mit dem schönen Spruch endet: „Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Am Anfang der Karwoche steht als Beispiel für diese größte Liebe die Frau mit ihrer Flasche kostbaren Nardenöls.

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.