Verschwenderische Liebe
Gottes- und Nächstenliebe sind keine Alternativen
Predigttext: Markus 14,3-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
3 Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Glas mit unverfälschtem und kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Glas und goss es auf sein Haupt. 4 Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls? 5 Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an. 6 Jesus aber sprach: Lasst sie in Frieden! Was betrübt ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. 7 Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. 8 Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt für mein Begräbnis. 9 Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in aller Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie jetzt getan hat.Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Die Begebenheit von der Salbung Jesu durch eine Frau war den frühen Christen offenbar besonders wichtig. Denn alle vier Evangelisten haben sie – freilich mit unterschiedlicher Akzentsetzung – überliefert. Bei Markus (14,3-9) findet das Ereignis (zwischen Jesu Einzug in Jerusalem und der Feier des Abendmahls) in ?etanien im Haus Simons des Aussätzigen statt; eine unbekannte Frau salbt Jesus das Haupt mit kostbarem Nardenöl, was die Jünger zu dem Vorwurf veranlasst, das Geld hätte besser für Arme ausgegebene werden sollen, worauf Jesus das Tun der Frau verteidigt. Matthäus (26,6-13) folgt der markinischen Vorlage weitgehend. Auch Johannes (12,1-8) erzählt die Geschichte im Kontext der Passion, allerdings noch vor dem Einzug Jesu in Jerusalem; außerdem nennt er Lazarus und seine beiden Schwestern als weitere Gäste; Maria salbt Jesus nicht das Haupt, sondern die Füße, wofür sie von Judas gerügt wird. Am stärksten weicht Lukas (7,36-50) von den übrigen Tradenten ab, indem er das Geschehen weder mit dem Ort Bethanien noch mit der Passionsgeschichte verbindet; stattdessen finden wir Jesus als Gast im Hause eines Pharisäers; nach Lk ist die auch hier Jesu Füße salbende Frau eine stadtbekannte Sünderin, der Jesus die Sünden vergibt. Im Zentrum der markinischen Erzählung steht die Liebestat einer unbekannten Frau und der Vorwurf der Jünger, mit dem Verkauf des kostenbaren Nardenöls – immerhin etwa das Jahreseinkommen eines Tagelöhners – hätte man vielen Armen helfen können. Jesus deutet das Geschehen allerdings als vorweggenommene Totensalbung und rechtfertigt damit die Handlungsweise der Frau. Die Geschichte wirft die Frage auf, ob Gottes- und Nächstenliebe Alternativen darstellen, denn der Einwand der Jünger scheint auch uns heute plausibler zu sein als die Antwort Jesu. Die Predigt versucht aufzuzeigen, dass Gottes- und Nächstenliebe tatsächlich keine Alternativen darstellen. Das in der Predigt am Anfang zitierte Gedicht stammt aus: Erich Fried, Es ist was es ist. Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte, Berlin 1996.Lieder:
„Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken“ (EG 91), „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ (EG 397), „Jesus zieht in Jerusalem ein“ (EG 314), „Lass mich, o Herr, in allen Dingen“ (EG 414).Unser Predigttext handelt von der Liebe. Und davon, dass Liebe nicht rechnet. So ähnlich wie dies auch in einem berühmten Gedicht von Erich Fried zum Ausdruck kommt:
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Die Liebe, von der hier die Rede ist, prägte das Reden und Handeln Jesu, dessen Leiden und Sterben und Auferstehen wir uns in der kommenden Woche vergegenwärtigen wollen. Wir stehen heute am Beginn der entscheidenden Woche seines Lebens. Ausgehend von Betanien zieht Jesus triumphierend in Jerusalem ein. Die Menschen begrüßen ihn mit Hosianna-Rufen als den, der da kommt im Namen des Herrn. Am nächsten Tag treibt er die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel, was beim Volk Staunen hervorruft und bei den Hohenpriestern den Plan reifen lässt, ihn umzubringen. Sie versuchen, ihm Fallen zu stellen, verwickeln ihn in Streitgespräche. Schließlich bietet Judas sich an, Jesus ans Messer zu liefern, was er nach dem letzten Abendmahl auch in die Tat umsetzt. Aber bevor es dazu kommt, geschieht in dem Haus in Betanien, in dem Jesus zu Gast ist, etwas, das den Unwillen aller Jünger erregt. Sie ereifern sich über Frau, die mit ihrer Liebe zu Jesus gerade verschwenderisch umgeht. Doch hören wir, wie Markus uns diese Begebenheit schildert.
(Lesung des Predigttextes)
Jesus ist zu Gast im Hause Simon des Aussätzigen; wir können nur vermuten, dass Simon einer der Menschen war, die ihre Heilung Jesus verdankten, und dass er deshalb Jesus und seinen Jüngern angeboten hatte, während ihres Jerusalemaufenthalts anlässlich des Passahfests bei ihm Unterkunft zu nehmen. Während des Essens nun geschieht es. Eine Frau betritt den Raum, holt ein Flacon hervor, das mit kostbarem Nardenöl gefüllt ist, zerbricht das Glas und gießt den Inhalt auf das Haupt Jesu. Der Name der Frau wird leider nicht überliefert. Aber ihr Tun erregt Aufmerksamkeit, ja mehr als das. Es kommt zum Tumult.
Die Jünger sind empört. Sie sehen in dem, was die Frau tut, keine liebevolle Geste für ihren Meister, sondern sie beginnen zu rechnen. Was für eine Verschwendung, so denken sie. Ein Öl, das auf dem Markt gut und gerne 300 Silbergroschen eingebracht hätte – wir erinnern uns nebenbei, dass Jesus schließlich von einem der anwesenden Jünger für ein Zehntel dieses Betrags verraten wurde. 300 Silbergroschen, das war damals etwa der Jahresverdienst eines Tagelöhners. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob dieses Öl der einzige Besitz dieser Frau war oder vielleicht ihr Erbe oder ihre Alterssicherung oder ob damit einfach nur ihr Reichtum veranschaulicht werden soll. Sicher ist nur, dass das Öl damals einen ziemlichen Wert hatte. Was hätte man mit dieser Summe nicht alles Gutes tun können, wenn man sie den Armen hätte zukommen lassen.
Der Einwand der Jünger klingt plausibel. Hat nicht Jesus selber allen Luxus für sich abgelehnt? Hat er sich nicht tatsächlich in seinen Reden wie in seinem Handeln immer wieder für die Ärmsten der Armen eingesetzt? Und dennoch lässt er die Frau nicht nur gewähren, sondern verteidgt sie auch noch gegen die Angriffe der Jünger. „Lasst sie in Frieden“, sagt er, „was betrübt ihr sie!“ Er spürt, welche Kränkung im Vorwurf seiner Jünger für die Frau liegen muss. Sie wollte ihm einfach nur einen Liebesdienst erweisen. Das kostbare Öl mag ihren Reichtum zeigen, vielmehr aber noch ihre übergroße Liebe, mit der sie wahrhaft verschwenderisch umgeht. Ein einfaches Duftwässerchen für Jesus, das schien ihr unangebracht. Er hatte mehr verdient. Das Beste war ihr gut genug, um damit ihre Liebe zu demonstrieren. Das hatte Jesus erkannt.
Das dargebrachte Geschenk entspricht der Wertschätzung, die diese Frau ihm entgegenbringt. Mich erinnert dies immer wieder auch daran, dass die liturgischen Gegenstände von alters her in allen Religionen auch besondere künstlerische Gestaltung erfahren haben und dafür auch wertvolles Material verwendet wurde. Wir könnten den Abendmahlswein auch aus Pappbechern trinken, ohne dass dies etwas daran ändern könnte, dass Gott sich uns im Wein tatsächlich schenkt. Und dennoch haben wir das Empfinden, dass ein Trinken aus Pappbechern diesem Ereignis nicht angemessen wäre. Deshalb sind die Kirchen des Mittelalters so reich geschmückt, oftmals durchs Spenden von Menschen, sie selber wenig zum Leben hatten. Ich glaube, das darf und muss man so sagen, wenn damit nicht verleugnet wird, dass manchmal der Prunk durchaus auch dem Ruhm der Menschen dienen sollte.
Jesus lässt sich die Tat dieser Frau gefallen, weil er in ihr eine Tat der Liebe und Wertschätzung erkennt, die er nicht ausgespielt sehen möchte gegen Taten der Nächstenliebe. Gottesliebe und Nächstenliebe sind für Jesus keine Alternativen. Vielmehr ermöglicht und setzt die Gottesliebe Nächstenliebe frei. Wer weiß, was die gute Frau vorher schon und nachher vielleicht wieder anderen Gutes getan hat.
Die unbekannte Frau tut in diesem Augenblick ein gutes Werk an Jesus. In diesem Augenblick ist er einmal nicht Geber, sondern Empfänger von Liebe. In diesem Augenblick ist er einer von denen, die Zuwendung brauchen. Geht er doch einen schweren Weg. Und so deutet Jesus ihre Tat als vorweggenommene Totensalbung. Durch diese Tat wird Jesus zum Christus, zum Gesalbten, der für uns Menschen in den Tod geht. Darum gehört diese unbekannte Frau ins Evangelium. Darum soll man, wo immer das Evangelium gepredigt wird, auch dieser Frau gedenken, sagt Jesus. Ihre verschwenderische Liebe soll uns Anregung und Beispiel sein. Wer Jesus so liebt wie sie, der wird auch ein offnes Herz und eine helfende Hand für die haben, die auf der Schattenseite des Lebens stehen. Wer so liebt wie sie, der beginnt, nicht aufzurechnen. Darum könnte man dem eingangs zitierten Gedicht von Erich Fried ein paar Zeilen anfügen:
Es ist Verschwendung
sagt die Moral
Es ist was es ist
sagt die Liebe.
Amen