„Werft das Netz aus“
Aus der frustrierten Gruppe der Jünger am See Tiberias wird die Schar der Apostel Jesu
Predigttext: Johannes 21,1-14 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierte Fassung von 1984)
„Danach offenbarte sich Jesus abermals den Jüngern am See Tiberias. Er offenbarte sich aber so: Es waren beieinander Simon Petrus und Thomas, der Zwilling genannt wird, und Nathanael aus Kana in Galiläa und die Söhne des Zebedäus und zwei andere seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: ich will fischen gehen. Sie gingen hinaus und stiegen in das Boot, und in dieser Nacht fingen se nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden. Da warfen sie es aus und konnten’s nicht mehr ziehen wegen der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, den Jesus lieb hatte, zu Petrus: Es ist der Herr! Als Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er sich das Obergewand um, denn er war nackt, und warf sich ins Wasser. Die anderen Jünger aber kamen mit dem Boot, denn sie waren nicht fern vom Land, nu etwa zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun ans Land stiegen, sahen sie ein Kohlenfeuer und Fische darauf und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt! Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz ans Land, voll großer Fische, hundertdreiundfünfzig. Und obwohl es so viele waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl! Niemand aber unter den Jüngern wagte, ihn zu fragen. Wer bist du? Denn sie wussten, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot und gibt’s ihnen, desgleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte Mal, dass Jesus den Jüngern offenbart wurde, nachdem er von den Toten auferstanden war.“Gedanken zur Predigt
1. Diese Ostergeschichte ist geprägt von mehreren Kontrasten: - auf der einen Seite die Vergeblichkeit des Fischens der sieben Jünger, auf der anderen Seite die ihnen von Gott geschenkte Fülle. - auf der einen Seite das eigenmächtige Handeln der Menschen, auf der anderen Seite ihr Handeln auf das Wort Jesu hin - auf der einen Seite das von Jesus so persönlich zubereitete Mahl, auf der anderen Seite seine majestätische Distanz. Es macht Freude, zu beobachten, wie diese Geschichte erzählt. Bei diesem Beobachten werden auch eigene Traurigkeiten und Frustrationserfahrungen angerührt und in die Dynamik dieser Begegnung mit dem Auferstandenen hinein genommen. 2. Dann stört es nicht, dass das 21.Kapitel ein Nachtrag im Johannesevangelium ist. Jede Begegnung mit dem Auferstandenen ist brandneu. Jesus geht seinen Jüngern, wie von dem Engel am Grab verkündigt, nach Galiläa voran (Mk.16,7). Dort überrascht er sie. 3. Ich folge der Aussage von Gottfried Voigt: „Am plausibelsten die Nachricht des Hieronymus, antike Zoologen kennten 153 Arten von Fischen.“ (G.V., Der rechte Weinstock, Göttingen 1968) beim Fischen im Auftrag Jesu geht es um die Fülle und um die Gesamtheit der Menschheit.Liebe Gemeinde!
Diese Geschichte ist eine stille und geheimnisvolle Geschichte. Beim Lesen und Hören hat und behält sie etwas von der Stimmung eines Morgens im Hochgebirge. Es wird ein wunderschöner Tag werden. Man kann erwarten, dass die Sonne hell und klar scheint. Die Sicht wird an diesem Tag bestens sein. Aber noch ist es nicht ganz hell. Nebelschwaden ziehen noch über die Bergwiesen, und Wolkenbänke liegen noch über den Tälern. Erst nach und nach zeigt die Sonne ihre ganze Kraft.
Mitten in den Frustrationserfahrungen der Jünger
Sieben Jünger werden aufgezählt: Simon Petrus, Thomas, Nathanael von Kana, die Söhne des Zebedäus, also Johannes und Jakobus, und zwei weitere. Schon zwei Erscheinungen des auferstandenen Christus liegen hinter ihnen. Sie hatten bereits seine Seelsorge erlebt. Er hatte sie schon gesendet. Und er hatte sie bereits mit seinem Heiligen Geist begabt.
Dennoch schauen diese jungen Männer nicht nach vorne, sondern nach hinten. Die Zukunft mit Jesus ist ihnen verhangen. Simon Petrus sagt: „Ich will fischen gehen“. Er will dorthin zurück, wo er damals auf den Ruf Jesu hin aufgebrochen ist. Er hat Sorge um sein tägliches Brot. Fischen – das kann er. Und die anderen sechs machen mit. Alle Erwartungen, die Jesus in ihnen geweckt hat, begraben sie. Sie begeben sich wieder hinein in den Alltagsstress und Alltagstrott. Diese Auferstehungsgeschichte beginnt mit sieben resignierten jungen Männern, die ihre Ärmel aufkrempeln und das tun, was sie können.
Petrus hatte vergessen, dass ihm einmal gesagt worden war: „Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich bauen meine Gemeinde.“ Und Nathanael dachte nicht mehr daran, dass Jesus zu ihm gesagt hatte: „Du wirst noch Größeres als das sehen“. Sie machen sich an die Arbeit, verteilen untereinander die Aufgaben wie ein eingespieltes Team, haben Geduld, strengen sich an – und fangen nichts.
Und dann heißt es: „Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer, aber die Jünger wussten nicht, dass es Jesus war“. Noch sind die Jünger blind und taub für die Wirklichkeit, die sich ihnen aufgetan hatte. Noch sind da viele Nebel und mächtige Wolken. Es ist alles rätselvoll und unheimlich. Diese sieben sind erschöpft und frustriert. Noch ist ihnen der Auferstandene in ein tiefes Geheimnis gehüllt. Kein Wunder, er gehört ja auch zu einer Welt, die „kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat“ (1.Korinther 2,9) und „wohnt in einem Licht, zu dem niemand kommen kann“ (1.Timotheus 6,16). Den resignierten Jüngern begegnet der Eine, der kommt und geht, wann er will.
Ein leckeres Frühstück mit gebratenem Fisch und knusprigem Brot
Alles in dieser Geschichte ist auf dieses Mahl ausgerichtet. Es läuft uns vielleicht noch heute das Wasser im Munde zusammen, wenn wir uns vor Augen führen, was hier zubereitet wird. Aber zunächst muss bei den Jüngern der Frust und die Resignation angerührt werden.
Der Fremde am Ufer fragt: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Und die Jünger antworten: „Nein! Es war in dieser Nacht alles umsonst. Wir haben keine Fische, um sie zu verkaufen. Und wir haben nicht einmal für uns selbst etwas zu essen“. Peinlich – sie hatten so die Ärmel aufgekrempelt, und jetzt standen sie da mit leeren Händen.
Als das raus ist, sagt Jesus: „Werft das Netz aus zur Rechten des Bootes, so werdet ihr finden“. Es ist ein klarer Befehl. Und die Jünger sind so frustriert, dass sie zu müde sind, um Widerstand zu leisten. Auf diesen Befehl hin werfen sie das Netz aus – und fangen eine Riesenmenge an Fischen. Ganz erstaunt sagt Johannes zu Petrus: „Das ist der Herr!“
Und wieder ist Petrus mit der Nase vorne an. Er wirft seinen Mantel über, springt in den See und schwimmt dem Ufer entgegen. Zunächst muss er der hoheitlichen Gestalt Jesu gegenüber auf Distanz stehen geblieben sein, bis die anderen mit dem Schiff und dem prall gefüllten Netz heran gekommen waren. Nun sahen sie das Kohlefeuer mit dem Fisch und dem Brot. Jedes gute Mahl wird auf zwei Feuern zubereitet, auf dem Feuer, das kocht und brät, und auf dem Feuer der Liebe, das den Tisch deckt, die Speisen herrichtet und serviert. Auch dieses Mal ist auf zwei Feuern zubereitet.
Nun folgt ein zweiter Befehl Jesu: „Bringt von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt!“ Das, was Jesus vorbereitet hatte, und das, was den Jüngern geschenkt wurde, werden zusammen gefügt. Jetzt nimmt Petrus das Netz, zieht es ans Land und dann zählt man die Fische. 153 – die Gesamtzahl der Fische, die man in der Antike kannte. Eine große Fülle. Jetzt lädt Jesus zum Mahl in der Frühe des Tages am Ufer des Sees ein. Erst hier ist es den Jüngern sonnenklar, dass Jesus, der von Gott auferweckt wurde, bei ihnen ist.
Wenn wir hier lesen, dass er das Brot und den Fisch nimmt, dann ist das so wie in der Geschichte von der Speisung der 5000, in der Geschichte von den Emmausjüngern und wie beim letzten Abendmahl. Jesus ist der Tischherr. Er lädt ein. Er gibt zu essen und zu trinken. So offenbart er sich, und so gibt er sich selbst.
Die aufleuchtende Aufgabe des Menschenfischers
Bei dem, was die Jünger hier an diesem Morgen am Ufer des Sees Tiberias erleben, wird ihre Aufgabe als Menschenfischer sichtbar. Wir werden daran erinnert, wie Jesus mit seinen Jüngern im Schiff durch den Sturm fuhr, wie Petrus auf das Wort Jesu hin auf die Wogen des Sees Genezareth tritt und wie Paulus zusammen mit allen anderen im Sturm gerettet wurde. Wir mögen singen: „Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt, fährt durch den Sturm der Zeit“.
Zunächst einmal warnt diese Ostergeschichte: Es gibt genauso wie hier im Predigttext ein Fischen-Wollen auf eigene Faust. Fromme Menschen machen sich von sich aus daran, Menschen zu fangen. Da entfalten sich ihre eigenen Machtgelüste. Sie wollen mit dem, was sie zu können meinen, ihre Frustration und Resignation überwinden – und es kommt nichts dabei heraus. Unter den Augen Jesu muss das erst völlig offenbar werden.
Aber dann beauftragt Jesus: „Werft die Netze aus!“ Die Mission ist ein Werk im Auftrag Jesu! Wo er den Anstoß und den Auftrag gibt zu fischen und zu fangen, haben wir die Verheißung, dass es gelingt. 153 Fische – die vollständige Zahl der Fische, die man in der Antike kannte. Man merkt es noch heute, wie Johannes, der Erzähler, staunt und wie das große Werk der Völkermission befohlen wird und gelingt. Aus der frustrierten Gruppe der Jünger am See Tiberias wird die Schar der Apostel Jesu, die mit ihrer Botschaft rund um die Welt ziehen.
Wie diese Botschaft zum Beispiel heute einen Menschen erreichen und verwandeln kann, will ich zum Schluss erzählen: Ein 32-jähriger Mann wurde in eine Bonner Universitätsklinik eingeliefert. Er war schwer an Aids erkrankt und vom Tode gezeichnet. Auf den Hinweis der Stationsschwestern besuchte die Krankenhausseelsorgerin diesen Patienten. Gleich beim ersten Besuch sagte der: „Sie können mich besuchen, aber nur unter einer Bedingung: Hier im Zimmer darf kein frommes Wort gesagt werden“. Die Pastorin ließ sich darauf ein. Wochen vergehen. Der Zustand verschlechtert sich. Die Situation spitzt sich zu. Dieser aidskranke Mann strahlt eine solche Verzweiflung aus, dass von der Station kaum noch jemand gerne in das Zimmer geht. Am Karfreitag betritt die Pastorin wieder einmal das Zimmer und sagt: „Ich halte Ihre Verzweiflung nicht länger aus. Ich will jetzt zu Gott, dem Vater Jesu Christi, beten“. Bei diesem Gebet fällt der Patient in einen tiefen Schlaf. Am Ostersonntag kommt die Pastorin wieder auf die Station im Krankenhaus. Die Schwestern sagen ihr sofort, dass sich mit dem Patienten etwas verändert hat. Sie geht in sein Zimmer und trifft den sterbenskranken Mann friedlich in seinem Bett liegend an. Ganz ruhig erzählt er: „Ein halbes Jahr habe ich in diesem Krankenhaus gelegen. Hinter mir war eine Betonmauer, links und rechts neben mir ein Abgrund. Ich konnte mich nicht bewegen. Als Sie mit mir beteten, fiel ich in einen tiefen Schlaf, und dabei hatte ich einen Traum: Über den Abgrund wurde eine Brücke mit einem Zebrastreifen gebaut. Nun konnte ich hinübergehen. Und dann hat Gott mich erfasst. Ich weiß, nun gehe ich zu Gott“. Vier Stunden später starb dieser Mann. An seinem letzten Tag hatte Gott sein Leben verändert. Viel zu früh war er dem Tode preisgegeben. Er war nicht nur von einer bösen Krankheit gepackt worden. Es war auch persönliche Schuld im Spiel. So war er in Verzweiflung geraten. Der Tod schien zu triumphieren. Und dann sagte die Pastorin beherzt: „Ich halte Ihre Verzweiflung nicht mehr aus. Ich möchte mit Ihnen beten“. Nun konnte der lebendige Gott an ihm handeln. So wurde sein Sterben vor der ganzen Station dieses Universitätskrankenhauses eine Bezeugung des Sieges Christi.
Nicht umsonst haben unsere Vorfahren hier in Hartum bei der Gestaltung des Kirchenfensters hier im Altarraum unserer Kirche zweimal die Siegesfahne Christi malen lassen: in der Hand des Christus, der aus dem Grab aufersteht, und in der Hand des Lammes, das oben im Fenster liegend auf dem Buch mit den sieben Siegeln gemalt ist. Christus will auch heute hier in unseren Dörfern Menschen verwandeln.
„Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft bewahren unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.“
Amen.