Das Leben bricht sich eine Bahn
Die Todesmächte beim Namen nennen
Predigttext: Matthäus 28,1-10 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
1 Als aber der Sabbat vorüber war und der erste Tag der Woche anbrach, kamen Maria von Magdala und die andere Maria, um nach dem Grab zu sehen. 2 Und siehe, es geschah ein großes Erdbeben. Denn der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, trat hinzu und wälzte den Stein weg und setzte sich darauf. 3 Seine Gestalt war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie der Schnee. 4 Die Wachen aber erschraken aus Furcht vor ihm und wurden, als wären sie tot. 5 Aber der Engel sprach zu den Frauen: Fürchtet euch nicht! Ich weiß, dass ihr Jesus, den Gekreuzigten, sucht. 6 Er ist nicht hier; er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht die Stätte, wo er gelegen hat; 7 und geht eilends hin und sagt seinen Jüngern, dass er auferstanden ist von den Toten. Und siehe, er wird vor euch hingehen nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen. Siehe, ich habe es euch gesagt. 8 Und sie gingen eilends weg vom Grab mit Furcht und großer Freude und liefen, um es seinen Jüngern zu verkündigen. 9 Und siehe, da begegnete ihnen Jesus und sprach: Seid gegrüßt! Und sie traten zu ihm und umfassten seine Füße und fielen vor ihm nieder. 10 Da sprach Jesus zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Geht hin und verkündigt es meinen Brüdern, dass sie nach Galiläa gehen: Dort werden sie mich sehen.Homiletisch-exegetische Vorüberlegungen
Die mt. Überlieferung hat im Konzert der Osterbotschaft eine eigene Stimme. Einige Dinge sind mir wichtig: dass die harte Erde aufgebrochen wird, die Soldaten den Tod nicht schützen können und am Ende „Furcht und große Freude“ die beiden Frauen ihren Weg zu den Jüngern antreten lässt. Matthias Grünewald hat in seinem Isenheimer Altar die Auferstehung zu malen versucht. Sein Bild bestimmt auch noch heute landläufige Vorstellungen, die vielen unheimlich sind. Dabei hat Meister Mathis vor allem an die Menschen gedacht, die als Kranke und Sterbende ihre Hoffnungen in das Bild legten: einer von uns hat es geschafft – einer hat es für uns geschafft. Dieses Osterbild ist gemalte Seel- und Leibsorge. Rechts unten am Bildrand sieht man einen Baumstumpf. Er ist abgesägt. Kein Leben mehr, alles ist zu Ende. So empfinden die Jünger Jesu, nachdem der Meister getötet war, so empfinden die Kranken im Spital, angesichts des für viele unabwendbaren Todes. Eine grausame Parallele findet dieser abgesägte Baumstumpf in den amputierten Gliedmaßen der am Antoniusfeuer erkrankten Menschen. In diese Situation hinein verkündet der Altar das Unglaubliche. Nichts ist zu Ende. Das Leben bricht sich seine Bahn. Gott selbst greift ein und holt den toten Sohn aus dem Grab. Mit ungeheurer Lichtwucht schildert Meister Mathis hier gleich drei Ereignisse auf einmal. Es ist nicht nur die Auferstehung, es ist zugleich die Verklärung und auch die Himmelfahrt Christi, die der Künstler hier in einem Bild zusammenbringt. (…) Aber uns stellt er das Geschehen vor Augen. Durch das Bild hindurch scheint die ganze Dynamik dieses Vorganges greifbar. Felsen schweben gleichsam in der Luft, so gewaltig ist das Ereignis, wenn der Tod seine Macht verliert. Das Grabtuch leuchtet in allen erdenklichen Farben und kündet vom Ostersieg Christi, in den wir Menschen mit hinein genommen sind. Auch hier geht es nicht um ein Geschehen aus ferner Vergangenheit. Die Konturen des Antlitzes Christi verschwimmen, damit sie durchsichtig werden für jedes menschliche Gesicht. Dr. Jörg Sieger, in: http://www.joerg-sieger.de/isenheim/menue/frame_09.htm Ich werde in der Predigt das Bild einsetzen als Auslegung des „ersten Tages“.Lieder:
„Christ ist erstanden“ (EG 99), „Mit Freuden zart“ (EG 108).Liturgische Stücke:
Osterkyrie (EG 178.7), Halleluja (EG 100)1. Ich sehe die beiden Frauen zum Grab gehen. Sie sind allein. Allein mit ihrer Liebe und ihrem Schmerz. Der dritte Tag bricht an.
Mit dem Namen Jesus hatten die Menschen, die mit ihm waren, große Hoffnungen verbunden. Eine andere Welt, andere Menschen, ein anderer Gott. Wenn sie Jesus hörten, seine Zeichen sahen, mit ihm Mahl hielten – dann war das Reich Gottes so nahe wie von ihm angekündigt. Kehrt um, sagte er. Der Weg, den er wies, führte ins Leben.
Aber jetzt war er tot. An einem Kreuz aufgehängt, qualvoll erstickt, in ein Grab gelegt. Unter – oder hinter – einem schweren Stein sind auch die Hoffnungen begraben. Keine andere Welt, keine anderen Menschen, kein anderer Gott. Brutal und unnachgiebig ist Jesus ein Opfer der Gewalt geworden. Fallengelassen. Von Gott verlassen. Mit einem rechtskräftigen Urteil. Mit in Unschuld gewaschenen Händen. Viele Menschen haben in gleichen oder ähnlichen Situationen ihr Leben und ihre Zukunft verloren. Jesus ist einer von ihnen.
Ich sehe die beiden Frauen zum Grab gehen. Sie sind allein. Allein mit ihrer Liebe und ihrem Schmerz. Der dritte Tag bricht an.
(Bild aus dem „Isenheimer Altar“)
2. Der dritte Tag ist der Tag nach dem Sabbat, aber der erste Tag! An ihm schuf Gott das Licht. In der Schöpfungsgeschichte heißt es: „Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.“
Was dieser erste Tag bringt? Eine neue Schöpfung. Ein neues Licht. Was uns vor Augen gestellt wird, mehr versteckt als aufgedeckt, erzählt vom Leben. Ein Erdbeben bricht die harte Erde auf. Der Tod, der sich mit schweren Steinen das Leben vom Hals hält, wird aufgemacht. Und die Soldaten, die das Grab bewachen, weil die Mächtigen Angst haben, diese Geschichte könne kein Ende haben – zitternd und wie tot. Sie werden nichts sagen, nichts bezeugen, nichts beschwören können. Sie werden auch keine Angst mehr machen, keine Zweifel mehr säen, keine großen Töne spucken. In dieser Geschichte führt ein anderer Regie. Der das Leben will. Den ersten Tag. „Und Gott sah, dass das Licht gut war.“
In diesem Licht verliert der Tod. Er kann sich mit den dunklen Mächten nicht mehr gegen das Leben verbünden. Jetzt nennen wir – wie Gott – was Tag ist und was Nacht. Die großen Unterscheidungen von Tod und Leben werden uns in den Mund und in die Herzen gelegt. Der erste Tag ist rein, unberührt, dem Streit der Meinungen und Interessen entzogen. Es gibt keinen Hass, keine Vorurteile, keine Ausbeutung. Auch keine Krankheit, keinen Schmerz, keinen Tod – am ersten Tag . Matthias Grünewald hat versucht, das Licht, den ersten Tag, die Auferstehung zu malen. Sein „Isenheimer Altar“ stand in einer Hospitalkirche. Kranke und Sterbende wurden in den Chor gebracht – zu Christus. Sie sahen in dem Bild den Baumstumpf – und in ihm ihr eigenes Leben. Aber sie sahen, das ganze Bild ausfüllend, den Auferstandenen. Er war einer von ihnen – er hatte es geschafft – er hatte es für sie geschafft. Während die Wächter hingestreckt unten liegen, schwebt ein Felsen im Bild.
3. Im Evangelium hören wir den Engel, der als Bote Gottes die Frauen anspricht: „Fürchtet euch nicht! Ich weiß, ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier, denn er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Kommt her und seht euch die Stelle an, wo er lag. Dann geht schnell zu seinen Jüngern und sagt ihnen: Er ist von den Toten auferstanden. Er geht euch voraus nach Galiläa, dort werdet ihr ihn sehen.“
Die Osterbotschaft ist kurz, fast schon karg in Worte gesetzt. Immer, wenn Gott in das Leben von Menschen tritt, nimmt er ihnen die Angst. Wo Angst ist, ziehen sich Herzen zusammen. Angst treibt die Gedanken auseinander. Wer Angst hat, verliert die Worte und versteckt sich hinter Masken. Die Botschaft vom Leben aber wird nicht von Angst begleitet. Sie macht frei. Sie holt Menschen da ab, wo sie gerade sind. „Ihr sucht Jesus, den Gekreuzigten“. Obwohl es nur ein Satz ist, klingen in ihm die Gedanken nach, die sich die beiden Frauen machen. Ihre Hoffnungen kommen zu Wort. Sie werden geborgen.
Zur Osterbotschaft gehört ein Engel. Ein Bote. Immer, wenn mir Menschen begegnen, die ihre Hoffnungen verloren oder zu Grabe getragen haben, die an Gott und an der Welt irre werden, die sich selbst nicht mehr auf ihrem eigenen Weg zurecht finden – dann kann ich ein Engel sein. Ein Engel mit Namen und einem Gesicht, der versteht und sich hinter seinem Glauben nicht versteckt. Der eine gute Nachricht bringt: die Nachricht vom Leben. ER ist auferstanden, wie er gesagt hat. Wenn Menschen das teilen, ist das, was Jesus sagte, was er tat und was er feierte so lebendig, so gegenwärtig wie nichts sonst auf dieser Welt. Es geht dann ein Licht auf. Und ein Weg wird sichtbar, der aus der Enge ins Leben führt. Ihn miteinander zu gehen: das ist die Verheißung von Ostern.
4. Nein, das mit dem „Engel werden“ ist keine Erfindung oder Notlösung von mir. Die beiden Frauen bekommen sogar den Auftrag, den Jüngern die Osterbotschaft zu überbringen. Das wiegt in dieser Geschichte besonders – weil dem Wort der Frauen ein ungeheures Gewicht beigemessen wird. In der Welt, in der sie leben, gilt ihr Wort nichts. Als Zeugen sind sie nichts wert. Zu Ostern aber ist ihr Wort so wichtig, dass wir bis auf den heutigen Tag von ihrem Zeugnis zehren. Denn was Matthäus erzählt – hat er von ihnen.
Übrigens: Wo sind die Jünger? Petrus? Johannes? Jakobus? Das letzte, das von ihnen zu hören war, war ihre Flucht –die Flucht von Golgotha. Hätten sie bleiben sollen? Bleiben können? Der Tod, dessen Augenzeuge sie wurden, zerstörte alles, ihr Vertrauen, ihre Hoffnungen, ihre Lebensentwürfe. Kann ein Mensch einem Toten folgen? Ein Toter noch eine Perspektive bieten? Jesus hatte seinen Jüngern prophezeit, dass sie auseinander gehen würden wie Schafe, denen der Hirte genommen wird. Die großen Worte von damals – sie taten nur noch weh. Klein wurde Petrus, klein wurden die anderen. Was sie erzählen konnten, waren Geschichten von Verrat, Verleugnung und Flucht. Blieb ihnen eine andere Wahl, als in ihr altes Leben zurückzukehren – und den Abschnitt mit Jesus möglichst schnell zu vergessen?
Da kommen die beiden Frauen, Maria heißen sie beide. Sie bringen den Jüngern die Botschaft, dass ihr Meister lebt. In Galiläa sollen sie sich treffen. Dort werden sie ihn sehen. Wie die Jünger die Botschaft aufgenommen haben, verschweigt der Evangelist. Schließlich ist nur wichtig, dass in Galiläa ein neuer Abschnitt beginnt. Ein neuer Abschnitt? Eigentlich wird eine alte Geschichte nur fortgeschrieben. Denn in Galiläa hat alles angefangen, in Galiläa hat Jesus seine Jünger berufen. So bekommt die Ostergeschichte Konturen: der erste Tag – ein neuer Anfang. Was dann geschieht, wird seit Jahrhunderten erzählt: Verängstigte und eingeschüchterte Menschen, Menschen, die schwach wurden, als ihnen die großen Worte ausgingen, Menschen wie du und ich – werden zu Aposteln. Zu Zeugen des Auferstandenen. Das Evangelium nach Matthäus lesen wir heute.
(Lesung des Predigttextes)
5. Ich sehe die beiden Frauen das Grab verlassen. Sie sind allein. Voller Furcht und großer Freude. Der dritte Tag bricht an.
Als Markus sein Osterevangelium schrieb, waren seine letzten Worte, daß die Frauen entsetzt vom Grabe flohen. Das war die erste Reaktion auf die Osterbotschaft überhaupt. Sie sprengt alles, was wir wissen, denken oder träumen können. Das ist doch auch an diesem Morgen so, oder? Matthäus hat den Schrecken aufbewahrt, aber ihm die Freude beigegeben. Die Freude darüber, dass der Tod seine Beute hergeben muss – und das Leben den Sieg erringt. Wenn Menschen sich auf diese Botschaft einlassen, treten sie für Gerechtigkeit, Frieden und Barmherzigkeit ein. Sie nennen die Todesmächte beim Namen. Sie lassen sich auch von ihrer Angst nicht einschüchtern. Das Reich Gottes im Herzen bauen sie schon an einer anderen Welt. Weil Gott das Leben will. Weil Gott das Leben nicht preisgibt, das von ihm kommt. Weil sein erstes Wort ist: es werde Licht! Am Ende wird er selbst die Tränen abwischen – und der Tod wird nicht mehr sein.
Matthias Grünewald hat in seinem Altarbild das Evangelium erzählt. Mit einer ungeheuren Wucht wird der Tod in ein kleines – und dann noch offenes – Grab verbannt. Die Wächter, die ihn schützen sollen, liegen selbst – wie tot. Aber es geht ein Licht auf. Farben leuchten. Selbst das Linnen verkündet den Sieg. Frei. Schwerelos. Dem Irdischen zugewandt – und entrückt zugleich. Meister Mathis hat den Menschen ein Bild gemalt, das sie selbst leicht macht. Ob man die Auferstehung malen kann? So malen kann? Bis heute pilgern Menschen nach Colmar und begegnen in einem alten, farbenprächtigen Altarbild dem Evangelium.
Ich sehe die beiden Frauen das Grab verlassen. Ich schließe mich ihnen an. Voller Furcht und großer Freude. Der dritte Tag bricht an. Es ist mein Tag!
Und der Friede Gottes,
der größer ist als unsere Bedenken,
der bewahre unsere Herzen und Sinne
in Christus Jesus
unserem Herrn.