Ein Weg vom Tod ins Leben

Das Ostergeheimnis feiern

Predigttext: Lukas 24,13-35
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 28.03.2005
Kirchenjahr: Ostermontag
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Lukas 24,13-35 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus. 14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten. 15 Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. 16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten. 17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. 18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist? 19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk; 20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben. 21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist. 22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen, 23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe. 24 Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht. 25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! 26 Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? 27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war. 28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen. 29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben. 30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen. 31 Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen. 32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete? 33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; 34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen. 35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.

Exegetisch-homiletische Vorüberlegungen

Für viele Menschen ist der Ostermontag kein Feiertag mit Gottesdienstbesuch. Dabei bietet dieser Tag die Chance, das „Feiertagsgeheimnis“ zu vertiefen – mit einem „Nachtrag“: Als sog. „Sondergut“ erzählt die Geschichte von den beiden Jüngern, die nach Emmaus zurückkehren und Jerusalem hinter sich lassen – hier werden Zukunft und Vergangenheit lokal auseinandergehalten. Bis die Jünger „zu derselben Stunde“ aufstehen (!) und noch in der Nacht nach Jerusalem aufbrechen. Erzählt wird ein Weg. Ein Weg, der vom Tod ins Leben führt. Zu Wort kommen Erfahrungen, die ausgelegte Schrift und die geöffneten Augen. Dieser Weg ist, wenn auch ritualisiert und stilisiert, in jedem Gottesdienst gegenwärtig – als Wirklichkeit und Lebenshilfe: Ablegen – Auslegen – Mahl feiern – gehen. In der Mitte der Perikope, auch formal, steht der erste Satz des auferstandenen aber nicht erkannten Jesus: „O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben! Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihn aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war“. Da der Gottesdienst in einem kleinen Rahmen gefeiert wird, können die kommunikativen Seiten dieser Ostergeschichte (hier wird viel miteinander gesprochen) auch prägend sein: Am Anfang des Gottesdienstes werden die Verse 13-24 gelesen. Dann – zu einem Gespräch eingeladen (alle, Kleingruppe in der Reihe oder Nachbar) über „verlorene Hoffnungen“. Diesen Teil verstehe ich als „Kyrie“. In einem zweiten Teil darf die Predigt das „Muss“ auslegen und in die großen Verheißungen der hebr. Bibel einstimmen. Das sind die Verse 25-26. Vor der Mahlfeier (die gehört unbedingt dazu!) werden die Verse 28-31 gelesen – und zu „Sendung und Segen“ die Verse 32-35. Ob der Text nicht zerrissen wird? Es wird sehr darauf ankommen, dem Gottesdienst einen „roten Faden“ zu lassen – und vor allem: wenn „Denkpausen“ möglich sind, könnten die „Besucher“ zu jeder Zeit in Rollen schlüpfen, die die Geschichte bietet. Wichtig wäre, den Weg zu erkennen – von Jerusalem nach Emmaus, von Emmaus nach Jerusalem. Geschlossene Augen wahrnehmen – und geöffnete Augen bekommen. Es ist also durchaus möglich, den ganzen Gottesdienst in die Emmausgeschichte einzubetten – und in der Emmausgeschichte einen Weg zu finden, der uns als Gemeinde ins Leben führt. Die hier vorgelegte Predigt konzentriert sich – wie vorgeschlagen – auf die Verse 25-26, setzt aber den „Kyrie“-Teil voraus und auch das Mahl. Was nicht erklärt werden kann, darf als Geheimnis gefeiert werden. Vielleicht kann der "Osterspaziergang" von J. W. v. Goethe in der Predigt oder an einer Stelle im Gottesdienst rezitiert werden.

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1.

Wir haben nicht nur die beiden Jünger belauscht. Wir haben unsere eigenen Gedanken zu den ihren gelegt. Verklärte, schöne Vergangenheit – zerbrochene Hoffnungen – verlorener Glaube.

Der Evangelist erzählt von einem Weg. Jerusalem liegt hinter den beiden Jüngern. Es ist, als ob sie nicht nur die Stadt hinter sich lassen, sondern auch einen Abschnitt ihres Lebens. Das Nest, das vor ihnen liegt, Emmaus, ist nicht nur die alte Heimat, sondern steht auch für das „alte“ Leben. Zwei Wegstunden stehen dazwischen. Aber sie können wie eine Ewigkeit sein und sehr weh tun. Zwei Stunden – nein, aufbrechen und ankommen ist eins, fertig werden, abschließen etwas anderes.

Schauen wir uns einmal ein Gedicht von Goethe an – es ist aus dem „Faust“ und heißt „Osterspaziergang“:

Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Tale gründet Hoffnungs-Glück;
Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in raue Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur;
Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Überall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt´s im Revier,
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen.
Aus dem hohlen finstern Tor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes-Banden,
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.

Sieh nur sieh! Wie behend sich die Menge
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen,
Entfernt sich dieser letzte Kahn,
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet Groß und Klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich´s sein.

Goethe erzählt hier auch von Aufbrüchen, von Engen, denen Menschen entfliehen. Sogar die Auferstehung wird genannt – sozusagen als Anlaß. Aber die Menschen, die hier einen Osterspaziergang machen, finden für ihre Erfahrungen, Zweifel und unerledigten Hoffnungen keine Gesprächspartner. Wie in einem Spiegel sehen wir Menschen, die auch zu Ostern funktionieren. Das macht dieses Gedicht modern: Funktionieren ist alles.

Die Emmausjünger auf ihrem Weg aber haben uns Mut gemacht, darüber zu reden, was wir zurücklassen müssen und was vor uns liegt, was uns klein macht und wonach wir uns sehnen. Wir sehen in ihnen Menschen, die nicht einfach Wunden lecken, sondern sich über ihren Weg Rechenschaft geben. Das ist schon schwierig genug. Worte finden, in denen die eigene Vergangenheit geborgen werden kann – und Worte, die sich öffnen. „Bist du der einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“

2.

Aber der Fremde weiß mehr als das, was in diesen Tagen geschehen ist. Er weiß auch mehr als das, was Menschen sich erzählen können. Er weiß, was geschehen musste. Geheimwissen? Besserwissen? Der Evangelist deutet zwar nur an, was der unbekannte Begleiter gesagt hat (während er der Geschichte, die die Jünger erzählen können, breiten Raum gewährt), aber die Quellen sind offen: Mose und die Propheten. Ein altes Wortpaar – für die hebräische Bibel.

Was wird der Fremde wohl gesagt haben? Die Geschichten vom Geschick des leidenden Gerechten? Die Lieder vom Gottesknecht, der verworfen wird? Die Verheißungen eines neuen Bundes? Unsere Neugier wird vom Evangelisten nicht gestillt. Es ist, als ob wir selbst in die Rolle des Fremden schlüpfen sollen – um den Weg Jesu auszulegen. Für Menschen auszulegen, die danach fragen, warum Jesus sterben musste. Waren es denn nur die politischen Umstände? Die Machtkonstellationen? Die Bosheit der Menschen? Hat womöglich Jesus sich falsch eingeschätzt – und seine Freunde gleich mit? Mose und die Propheten – das ist eine Spur, die die Geschichte Jesu mit den großen Verheißungen Gottes verbindet. Und mit dem Leiden Gottes, mit seinem Mitleiden und seiner unverbrüchlichen Treue. ,„Mußte nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?“ So fragt der Fremde. Aber so haben das die beiden Jünger bisher noch nicht betrachtet. Sie stehen ganz im Bann der Frage: Warum.

Mitten im Osterevangelium wird die Perspektive verändert. Das „Warum“ dreht sich im Kreise und windet das Herz in eine endlose Schleife. Es ist gut, dass sich der Fremde den beiden Jüngern anschließt. Er hilft ihnen, eine neue Spur zu finden. Ihre Fragen können eine neue Richtung bekommen. Womit sie nicht gerechnet haben, geschieht: Jerusalem im Rücken sehen sie auch den Weg Jesu – und ihren eigenen gleich mit – in einem neuen Licht. Sie hatten Jesus gehört, aber hatten sie ihn verstanden? Vielleicht hatten sie auch immer nur ihre eigenen Vorstellungen im Kopf – und im Ohr das, was sie hören wollten? Dass Christus leiden musste und in seine Herrlichkeit eingehen, ist in einem Satz die ganze frohe Botschaft.

3.

Eine Geschichte mit vielen Überraschungen. Die erste Überraschung: Wir brauchen auf unseren Wegen einen Begleiter, der den Mut hat, uns das Leben aufzuschließen. Der uns hilft, aus der Enge herauszufinden. Und der schnörkellos auch unsere Trägheiten aufbricht. „O ihr Toren, sagt er“ – doch sehr vertraulich! Und die zweite Überraschung ist, dass die Schrift, dass Mose und die Propheten, ausreichen, Wege zu finden. Der unbekannte Begleiter, den wir längst als den Auferstandenen kennen, legt selbst auch „nur“ die Schrift aus – im Gespräch mit Mose und den Propheten wird er zum Gesprächspartner der beiden Menschen, die nicht mehr wissen, was sie überhaupt noch glauben können.

In dieser Geschichte, die eigentlich nur ein Nachtrag zum Lukasevangelium ist, entdecken wir, was österliche Erfahrung ist: dass Menschen wieder glauben können, ihre Hoffnungslosigkeit verwandelt wird und Wege klar werden. Wenn wir Menschen helfen, uns mutig an ihre Seite begeben und ihre Fragen aushalten, können wir auch die Schrift auslegen. Und von den großen Verheißungen erzählen, die dem Tod das letzte Wort absprechen – seit Mose und die Propheten.

Wir begleiten die beiden Jünger. Wir sehen, wie es in ihrem Leben eine Wende gibt. Noch sind, wie es im Evangelium heißt, ihre Augen gehalten, dass sie ihn nicht erkennen, aber als er das Brot bricht, gehen ihnen die Augen auf. Das war das Erkennungszeichen, sein Erkennungszeichen: er brach das Brot, feierte das Mahl, teilte sein Leben mit anderen. Aber da entzieht er sich auch wieder. Seine Gegenwart ist: im Wort, im Mahl. Mit den Jüngern am Tisch feiern wir sein Mahl auch heute.

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