Widerstand und Ergebung
Zum Gedenken an den 60. Jahrestag (9.04.1945) der Hinrichtung von Dietrich Bonhoeffer
Predigttext: Matthäus 26,36-54 (Einheitsübersetzung)
Darauf kam Jesus mit den Jüngern zu einem Grundstück, das man Getsemani nennt, und sagte zu ihnen: Setzt euch und wartet hier, während ich dort bete. Und er nahm Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich. Da ergriff ihn Angst und Traurigkeit, und er sagte zu ihnen: Meine Seele ist zu Tode betrübt. Bleibt hier und wacht mit mir! Und er ging ein Stück weiter, warf sich zu Boden und betete: Mein Vater, wenn es möglich ist, gehe dieser Kelch an mir vorüber. Aber nicht wie ich will, sondern wie du willst. Und er ging zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend. Da sagte er zu Petrus: Konntet ihr nicht einmal eine Stunde mit mir wachen? Wacht und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Dann ging er zum zweitenmal weg und betete: Mein Vater, wenn dieser Kelch an mir nicht vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, geschehe dein Wille. Als er zurückkam, fand er sie wieder schlafend, denn die Augen waren ihnen zugefallen. Und er ging wieder von ihnen weg und betete zum drittenmal mit den gleichen Worten. Danach kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: Schlaft ihr immer noch und ruht euch aus? Die Stunde ist gekommen; jetzt wird der Menschensohn den Sündern ausgeliefert. Steht auf, wir wollen gehen! Seht, der Verräter, der mich ausliefert, ist da. Während er noch redete, kam Judas, einer der Zwölf, mit einer großen Schar von Männern, die mit Schwertern und Knüppeln bewaffnet waren; sie waren von den Hohenpriestern und den Ältesten des Volkes geschickt worden. Der Verräter hatte mit ihnen ein Zeichen verabredet und gesagt: Der, den ich küssen werde, der ist es; nehmt ihn fest. Sogleich ging er auf Jesus zu und sagte: Sei gegrüßt, Rabbi! Und er küßte ihn. Jesus erwiderte ihm: Freund, dazu bist du gekommen? Da gingen sie auf Jesus zu, ergriffen ihn und nahmen ihn fest. Doch einer von den Begleitern Jesu zog sein Schwert, schlug auf den Diener des Hohenpriesters ein und hieb ihm ein Ohr ab. Da sagte Jesus zu ihm: Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muß?Homiletische Überlegungen zu biographischen Predigten
Auch eine biographische Predigt ist Auslegung der Bibel, daher ist die Frage nach der Verknüpfung von Bibeltext und Bonhoeffers Biographie wichtig. Es besteht eine grundsätzlich Spannung zwischen Bibeltext und Biographie, diese versuchte ich aufzulösen, indem ich nach einem Bibeltext suchte, die im Leben Bonhoeffers eine wichtige Rolle spielte. Ich legte der Predigt die biblische Szene von Gethsemane (Mt 26,36-54) zugrunde, die Bonhoeffer in seinem Gefängnisbrief vom 21.7.44 zitiert und die auch in seinem Gedicht „Von guten Mächten“ anklingt. Wie er mit seinem Leben diese Stelle interpretiert, zeige ich in der Predigt auf. Zu beachten ist dabei: Eine Kongruenz zwischen einem Bibeltext und dem Leben eines Zeugen Christi kann es niemals geben. Eine Biographie bleibt eine Interpretation der Bibel. Gerade das Leben eines herausragenden Menschen ist eine eigenwillige, oft sehr einseitige, manchmal heikle Interpretation des Evangeliums. Das biblische Wort kann nicht unverfälscht gelebt werden, sondern verschmilzt mit der Denkweise, dem Charakter und der Lebenssituation des Menschen. Das Leben eines beispielhaften Menschen wirkt wie ein Brennglas des biblischen Wortes. Das ist kein prinzipieller Einwand gegen biographische Predigten, denn jede Predigt ist selbst schon eine aktualisierende Interpretation der Bibel und die predigende Person ist ein Brennglas des Predigttextes. Genau genommen sind auch die biblischen Texte nicht das göttliche Wort ohne situationsbedingten Zusatz. Der Logos hat sich in den biblischen Texten immer schon mit der Situation verbunden. Ontologisch gründet dies in den zwei Naturen Christi. Das Wort korrespondiert der göttlichen Natur, die Situation der menschlichen. Die göttliche und die menschliche Natur sind in Christus untrennbar. Daher wird auch im Leben eines Menschen das biblische Wort niemals von der Situation zu scheiden sein. Dies aber ist genau eine Chance für die Homiletik, die sich immer im Spannungsfeld zwischen Wort und Situation bewegt. Beispielhafte Menschen wie Bonhoeffer sind Modelle des Glaubens und der Nachfolge. Für die Predigthörer/innen können sie ermunternde und tröstende Modelle sein, wie sich das Wort mit der Situation verbunden hat. Es kommt darauf an, vergleichbare Situation zur Biographie Bonhoeffers im Leben der Predigthörer/innen zu finden.Zum Vortrag der Predigt
Die Predigt wird von zwei Personen gesprochen: Vom Prediger und von einem Sprecher, der die Originalzitate von Bonhoeffer liest. Eingeleitet wird die Predigt durch das Gemeindelied „Du meine Seele singe“ (EG 302, 1-5), auf das in der Predigt Bezug genommen wird. Geteilt wird die Predigt in zwei Teile durch den Liedvortrag einer Sängerin, die das Lied „Von guten Mächten“ in zwei Teilen singt (EG 65,1-3 und 4-7; siehe entsprechende Kennzeichnung in der Predigt).Literatur:
Helmut Barié, Offenbar geht es nicht ohne „Heilige“ - Beispielhafte Menschen in Predigten des theologischen Nachwuchses; in: Pastoraltheologie 1987/3; S. 105-125.- Eberhard Bethge, Dietrich Bonhoeffer - Eine Biographie; München 61986.Liebe Schwestern und Brüder,
Wer war Dietrich Bonhoeffer?
Dietrich Bonhoeffer war einer der größten Theologe des 20. Jahrhunderts. Gestern vor 60 Jahren wurde er hingerichtet. Er war an einer Verschwörung beteiligt und in das gescheiterte Attentat vom 20. Juli 1944 gegen Hitler verwickelt. Als an seinem achten Todestag die bayrische Pfarrbruderschaft zu einer Gedenkveranstaltung einlud, lehnte der damalige bayrische Landesbischof die Teilnahme demonstrativ ab. Seine Begründung war: Bonhoeffer sei nicht als Märtyrer der Kirche gestorben. Sein Tod sei Folge seiner politisch motivierten Umsturzvorbereitungen gewesen. Später dann, an seinem fünfzigsten Todestag gedachte die bayrische Landeskirche selbst Bonhoeffer mit einer Gedenkveranstaltung. Der amtierende Bischof würdigte Bonhoeffer als Blutzeugen des Glaubens. Umstürzler oder Märtyrer? Tyrannenmörder oder Heiliger? Verräter oder politischer Theologe? Judas oder Nachfolger Jesu? Wer war Dietrich Bonhoeffer?
Widerstand
Bonhoeffer wollte das Nazi-Regime stürzen, weil er Christ war. Wie läßt sich sein Weg in den offenen Widerstand erklären? Er wurde 1906 in Breslau geboren und stammt aus einer württembergischen Professorenfamilie. Die Wissenschaft war ihm in die Wiege gelegt. Mit 25 Jahren hielt er bereits Theologie-Vorlesungen in Berlin. Zugleich war er Studentenpfarrer und Stadtvikar. In diese Zeit fiel seine „Wendung vom Theologen zum Christen“, wie ein Freund seine Wandlung nannte (Eberhard Bethge). Er nahm sich die Bibel zu Herzen. Vor allem am Liebesgebot der Bergpredigt begann er sich zu orientieren: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ (Mt 6,44). Er wollte damit Ernst machen, ohne Kompromisse. Aus diesem Grund lehnte er Waffen ab und wurde Pazifist. Angesichts des sich abzeichnenden Krieges schlug er 1934 in einer Rede bei der Ökumenischen Jugendkonferenz in Fanö ein ökumenisches Friedenskonzil vor:
(Sprecher:)
„Nur das eine große ökumenische Konzil der Heiligen Kirche Christi aus aller Welt kann es so sagen, daß die Welt zähneknirschend das Wort vom Frieden vernehmen muß und daß die Völker froh werden, weil diese Kirche Christi ihren Söhnen im Namen Christi die Waffen aus der Hand nimmt und ihnen den Krieg verbietet und den Frieden Christi ausruft über die rasende Welt.“
Seine Grundeinsicht war, wie es im Predigttext heißt: „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen“. Was konnte man dann aber gegen den drohenden Krieg tun? Eine einzelne Kirche kann den Weltkrieg nicht verhindern. Sie kann nur Zeugnis vom gewaltlosen und sanftmütigen Jesus ablegen. Aber alle Kirchen gemeinsam, sie können den Krieg verhindern! Sie können ihren Soldaten verbieten, zur Waffe zu greifen. Das war Bonhoeffer Standpunkt.
Wie kommt jemand dazu, der radikal Ernst machen will mit der Feindesliebe Jesu, sich an einem Attentat zu beteiligen? Seit 1933 fordert Bonhoeffer die Kirche zu politischem Widerstand auf. Der Staat reagiert darauf, indem er ihm Rede- und Schreibverbot erteilt. Seine Situation wird immer unhaltbarer. Er leitet ein illegales Predigerseminar der Bekennenden Kirche. Dann kommt der Krieg mit all seiner Grausamkeit. 1940 kam Bonhoeffer zur Einsicht: Angesichts der Kriegsverbrechen Hitlers, vor allem im Osten, und angesichts der Vernichtung von Juden kann er nicht mehr länger tatenlos zusehen!
Sein Schwager fragte ihn einmal: Läßt sich die Beteiligung an einem Attentat christlich rechtfertigen? Er antwortet zunächst mit dem Jesus-Wort: „Wer zum Schwert greift, wird durch das Schwert umkommen!“ Dennoch befürwortet er ein Attentat. Wer zum Schwert greift, um Hitler zu töten, wird schuldig. Er setzt sich über das Gebot Gottes hinweg: „Du sollst nicht töten!“ Wer indes nicht zum Schwert greift, wird auch schuldig. Er läßt Hitler wüten und wird so schuldig an unterlassener Hilfeleistung für die Opfer der Nazi-Diktatur. Man kann nur zwischen Schuld und Schuld wählen. Aus seinem Gewissen heraus wählt Bonhoeffer die Schuld des Tyrannenmordes.
Im Balkan-Krieg gab es protestantische Theologinnen und Theologen, die sich auf Bonhoeffer berufen haben, um die Bombardierung serbischer Städte als gute Tat zu rechtfertigen. Sie haben ihn indes gründlich mißverstanden: Zum einen hat er den Tyrannenmord niemals als gute Tat bezeichnet. Tyrannenmord war für ihn Mord und somit Schuld. Er nahm diese Schuld bewußt auf sich. Zum zweiten hat er niemals einen Krieg gutgeheißen. Auch nicht zur Durchsetzung von Menschenrechten. Der Krieg ist eine dämonische Macht. So stand Bonhoeffer zum Krieg: Persönlich wollte er aus Treue zur Bergpredigt den Kriegsdienst verweigern. Den Kirchen empfahl er, ihren Soldaten gemeinsam die Waffen aus der Hand zu nehmen. Heute hätte er sich klar, gegen den sogenannten Krieg gegen den Terror ausgesprochen.
Bonhoeffer gehört zum engsten Täterkreis des Attentats vom 20. Juli, wenngleich seine politische Bedeutung nicht sehr hoch war. In zahlreichen Auslandsreisen stellte er den Kontakt der Widerstandsgruppe zu den Feindmächten her. War vorher sein Denken und Handeln eindeutig, so muß er nun alles geheim tun. Er muß besser lügen als das Hitler-Regime. Um sich zu tarnen, wird Bonhoeffer V-Mann der Spionageabwehr. In einem Rückblick fragt er an der Jahreswende 1942/43 kritisch:
(Sprecher:)
„Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir haben die Künste der Verstellung und der mehrdeutigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung mißtrauisch gegen die Menschen geworden und mußten ihnen die Wahrheit und das freie Wort oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch geworden – sind wir noch brauchbar?“
Bonhoeffer war kein Heiliger. Er will auch gar keiner sein. Er weiß, oft genug bleiben seine Taten zweideutig. Nur Gott allein weiß, ob es verantwortlich ist, was er tut. Wie wir selbst auch immer zum offenen Widerstand Bonhoeffers stehen, wir müssen ihm zugestehen: Er tut es aus tiefem Glauben heraus. Seinem Gewissen folgend. Die Kraft bezieht er aus der Rechtfertigung. Er glaubt: Egal, was er auch tut und welche Fehler er auch begeht, er fällt niemals aus der Liebe Gottes heraus. Wichtig ist ihm dabei, sich im Glauben ganz Gott zu überlassen. In einem Brief aus dem Gefängnis schrieb er, am Tag nach dem gescheiterten Anschlag (21.7.44):
(Sprecher:)
„Ich erinnere mich eines Gespräches, das ich vor 13 Jahren in A. – mit einem französischen jungen Pfarrer hatte. Wir hatten uns ganz einfach die Frage gestellt, was wir mit unserem Leben eigentlich wollten. Da sagte er: ich möchte ein Heiliger werden (— und ich halte für möglich, daß er es geworden ist —); das beeindruckte mich damals sehr. Trotzdem widersprach ich ihm und sagte ungefähr: ich möchte glauben lernen. Lange Zeit habe ich die Tiefe dieses Gegensatzes nicht verstanden. Ich dachte, ich könnte glauben lernen, indem ich selbst so etwas wie ein heiliges Leben zu führen versuchte… Später erfuhr ich und ich erfahre es bis zur Stunde, daß man erst in der vollen Diesseitigkeit des Lebens glauben lernt. Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen… dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane“.
Dies ist Bonhoeffers Anliegen. Er will das Leiden Gottes in der Welt wahrnehmen. Wir hörten im Predigttext: Jesus fordert in der Nacht vor seiner Kreuzigung im Garten Gethsemane seine Jünger auf: Wachet und betet mit mir! Doch die Jünger schlafen, während Jesus ringt. Er betet: Gott, wenn der Kelch des Leidens an mit vorbeigehen kann, dann laß ihn vorbeigehen. Aber dieser Kelch kann nicht vorübergehen. Da willigt Jesus in den Willen Gottes ein.
Bonhoeffer will mit Jesus im Garten Gethsemane wachen, nicht wie die Jünger schlafen. Im Wachen und Beten wendet er den Blick weg von seinen eigenen Leiden. Er wirft sich in die Arme Gottes. Gott aber liebt diese Welt. Aus diesem Grund wendet er den Blick Bonhoeffers wieder zurück in dieses Leben. Ins Diesseits. In den Armen Gottes findet er das Leid der Welt wieder. Wer mit Jesus wacht, der leidet mit Gott. Wer mit Jesus betet, der leidet mit der Welt. Und wir? Wachen und beten wir?
Lied: Von guten Mächten, EG 65,1-3
Ergebung
Im Januar 1943 verlobte sich Bonhoeffer mit Maria von Wedemeyer. Kurz darauf, am 5. April wurde er verhaftet. Sein Kreuzweg begann. Zunächst saß er in Berlin-Tegel ein, weil er Juden zur Flucht verholfen hatte. Später kam die Anklage des Hochverrats hinzu. Verschiedene Gefängnisse wurden sein Lebensraum. Im Gefängnis herrschte häufig Bombenalarm. Am 21. Mai 1944 schrieb er an einen Freund:
(Sprecher:)
„Wenn Du in Gedanken an den Krieg manchmal nur den Tod siehst, so unterschätzt Du wohl die Mannighaftigkeit der Wege Gottes. Die Stunde des Todes ist dem Menschen bestimmt und sie wird ihn überall finden, wo sich der Mensch auch hinwendet. Und wir müssen dafür bereit sein. Aber „er weiß viele tausend Weisen zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot“. Das wollen wir doch nicht vergessen. — Wieder Alarm“. Soweit der Brief.
Dietrich Bonhoeffer schöpft im Gefängnis Kraft und Mut aus seinem Lieblingslied von Paul Gerhardt: „Du meine Seele singe“. Er zitiert einen Vers, den wir vorhin gesungen haben: Gott weiß viele tausend Weisen zu retten aus dem Tod, ernährt und gibet Speisen zur Zeit der Hungersnot. Freilich, Bonhoeffer ist nicht zum Märtyrer geboren. Er kennt in der Zelle Zweifel und Unruhe, wie wir aus seinen Briefen wissen. Er zittert vor Zorn über Willkür, der er im Gefängnis ausgeliefert ist. Er ringt nach Lebensatem. Er hungert nach Farben, nach Blumen, nach Vogelstimmen.
In einem anderen Gefängnisbrief heißt es (15.12.1943):
(Sprecher:)
„Und schließlich würde ich anfangen Dir zu erzählen, z.B. daß es trotz allem, was ich so geschrieben habe, hier scheußlich ist, daß mich die grauenhaften Eindrücke oft bis in die Nacht verfolgen und daß ich sie nur durch Aufsagen unzähliger Liedverse verwinden kann und daß dann das Aufwachen manchmal mit einem Seufzer statt mit einem Lob Gottes beginnt.“
Liebe Gemeinde, ich glaube, wir können an Dietrich Bonhoeffer Folgendes lernen: Wenn uns eine Not getroffen hat, so müssen wir nicht ein Loblied singen. Wir können auch einfach einen Seufzer ausstoßen. Gott hört die Stoßseufzer! Die Seufzer sind ihm so wichtig wie die Loblieder. Eindrücklich finde ich, daß Bonhoeffer die Liedverse so oft aufsagt, bis er aus ihnen neuen Mut schöpft. Liedverse und Gebete, die wir einmal auswendig gelernt haben, sind nützlich. Sie können eine Kraftquelle sein. Gerade dann, wenn unser Herz zu müde und zu matt ist, um eigene Gebete zu formulieren.
Bonhoeffer selbst hat im Gefängnis eines der schönsten Kirchenlieder gedichtet. Zu einer Zeit, als sich abzeichnete, daß er von den Nationalsozialisten hingerichtet wird. Es heißt „Von guten Mächten“. Es ist seiner Mutter und seiner Braut gewidmet. Er dichtet:
(Sprecher:)
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Im Lied fühlt sich Bonhoeffer wie im Garten Gethsemane. Er ahnt: Den Kelch des Leidens, er wird ihn trinken müssen. Wie Jesus im Predigttext. Aber Bonhoeffer verliert nicht den Glauben. Er kann sein Leid annehmen. Wenngleich nach langem Ringen in seiner Zelle. Ähnlich wie Jesus in Gethsemane rang. Schließlich kann Bonhoeffer sogar dichten: Er will den Kelch ohne Zittern annehmen, wenn er es denn muß. Dankbar. Er vertraut sich ganz Gott an. Da, in diesem Moment der Annahme, in seinem bedingungslosen Vertrauen, da weitet sich in seiner Zelle der Horizont. Er weiß sich getröstet. Er ist von einer unsichtbaren Welt umhüllt und geborgen. Er kann den Klang dieser Welt hören. Das Gedicht endet mit den Worten:
(Sprecher:)
Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all deiner Kinder hohen Lobgesang.
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.
Wenige Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner wird Bonhoeffer auf Hitlers persönlichen Befehl hingerichtet. Ein Standgericht verurteilt ihn im KZ Flossenbürg zum Tode. Zusammen mit dem Abwehr-Chef Admiral Canaris und anderen Mitverschwörern. Über den 9. April 1945 berichtet der Lagerarzt:
„Durch die halbgeöffnete Tür eines Zimmers im Barackenbau sah ich vor der Ablegung der Häftlingskleidung Pastor Bonhoeffer in innigem Gebet mit seinem Herrgott knien. Die hingebungsvolle und erhörungsgewisse Art des Gebetes dieses außerordentlich sympathischen Mannes hat mich auf das Tiefste erschüttert. Auch an der Richtstätte selbst verrichtete er noch ein kurzes Gebet und bestieg dann mutig und gefaßt die Treppe zum Galgen. Der Tod erfolgte nach wenigen Sekunden. Ich habe in meiner fast 50-jährigen ärztlichen Tätigkeit kaum je einen Mann so gottergeben sterben sehen“. Die letzten von Dietrich Bonhoeffer überlieferten Worte sind:
(Sprecher:)
„Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“.
Ein großer Zeuge unseres Glaubens
Wer war Dietrich Bonhoeffer? Ein großer Zeuge unseres Glaubens. Einer, der schmerzlich lernte zu glauben. Einer, der mit Jesus betete und wachte. Einer, der sich auch in der Zelle von guten Mächten geborgen fühlte. Einer, dessen Auferstehungsglaube stark war: „Der Tod ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens“.
Amen.
Lied: Von guten Mächten, EG 65,4-7