Menschenehre und Gottesehre

Immer ein klein wenig Ehre mehr ergattern, als der andere gerade hat?

Predigttext: Johannes 5,39-47
Kirche / Ort: Altenburg
Datum: 29.05.2005
Kirchenjahr: 1. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Michael Wohlfahrt

Predigttext: Johannes 5, 39 – 47 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

39 Ihr sucht in der Schrift, denn ihr meint ihr habt das ewige Leben darin. Sie ist es, die von mir zeugt. 40 Aber doch wollt ihr nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben hättet. 41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen. 42 Aber ich kenne euch, daß ihr nicht Liebe in euch habt. 43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmt mich nicht an. Wenn ein anderer kommen wird in seinem eigenen Namen, den werdet ihr annehmen. 44 Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander annehmt, und die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht. 45 Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt: Mose, auf den ihr hofft. 46 Wenn ihr Moses glaubtet, so glaubtet ihr auch mir, denn er hat von mir geschrieben. 47 Wenn ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?

Vorbemerkungen

Diese Predigt wird am 29.5.2005 in zwei Vororten von Altenburg gehalten werden: Altenburg - Rasephas und Altenburg - Kosma. Zu Rasephas gehören Neubaugebiete, die in real-sozialistischen Zeiten entstanden sind. Kosma ist ein Dorf mit einer sehr schönen Kirche und sehr ländlichem Charakter. Da in Altenburg - Brüderkirche am Markt - am 29.5. ein Zielgruppengottesdienst (Tauferinnerung) von einer Gemeindepädagogin mit gemeindepädagogischem Ansatz inhaltlich verantwortet wird, besteht die Möglichkeit „außer der Reihe“ die Predigt an einem folgenden Sonntag zu „übernehmen“. Besser: anzuwenden vor städtischerem „Publikum“. Der Predigttext nach Luther klingt aus mit einer Frage. Semiotisch ausgedrückt: Das letzte Zeichen ist ein Fragezeichen. Inzwischen - nach dem Fall der Mauer - haben wir mehr Kontakt zu einer deutschen Theologie gefunden (Klaus Berger z. B. u.a.), die nach dem Holocaust gezwungen war, weiter zu theologisieren. Vor 89 fehlte uns in einem wörtlichen und wirklichen Sinn die Freiheit dazu. Die Entstehungszeit und Entstehungsgeschichte des Johannesevangelium kam z.B. durch Klaus Bergers “Im Anfang war Johannes“ wieder ins Gespräch und damit immer wieder die Versuche, sogenannte antisemitische Tendenzen zu erklären oder zurecht zu rücken. Die uns lieb gewordene Johanneische Gemeinde, eine Ghettogemeinde irgendwo und irgendwann, bis dato „hinter der Berliner Mauer“, wurde uns plötzlich wie ein Mythos der Freiheit entmythologisiert von einer Theologie im Widerstreit, deren Vertreter nicht dem KGB verpflichtet werden mussten, damit sie zu Ausgrabungen nach Ägypten fahren durften. Wobei ich redlicherweise bekennen möchte - ob nun durch den „Schatten des Galiläers“ oder Klaus Bergers Buch wie auch Drewermanns zum Johannesevangelium provoziert - : die Politik der „Johanneischen Gemeinde“ zwischen Rom und der Synagoge ausgerechnet bei den herrlichen geschlossenen Theologie- und Philosophietexten des vierten Evangeliums abzulesen wie von einer Gasuhr die Kubikmeter verbrauchten Gases widerstrebt mir ungeheuer. Da ist mir Bultmann harmlos vorgekommen, was ja sicher auch stimmt. Andererseits greife ich bei der Predigtvorbereitung immer wieder unverdrossen zu Schlatter. Homiletisch und didaktisch habe ich Zugang im Rahmen einer fortlaufenden Bibellese des Johannesevangeliums innerhalb eines Bibellesekreises, der sich auf Einladung in den Wohnungen der Beteiligten als Hauskreis trifft. Der Predigttext kann wegen seiner wörtlichen Rede von einem/r anderen Sprecher/in dramatisch gelesen werden.

Liedvorschlag:

„Gott ist gegenwärtig“ (EG 165).

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Liebe Gemeinde ! Jesus macht einen Menschen gesund. Seine Kritiker finden, er hat damit die Ruhe des Sabbats gebrochen und entheiligt, weil er als Arzt an diesem Menschen gehandelt hat an einem Sabbat, an einem Feiertag. Nicht genug damit, Jesus rechtfertigt sein Tun mit dem Tun Gottes, des Vaters – seines Gottes, seines Vaters. Damit provoziert er einen Streit um seine Person, der schließlich tödlich für ihn enden wird.

Wir sehen und hören: Das ist kein Wortgeplänkel, sondern es geht um Leben und Tod. Obwohl es „nur“ ein Streit zwischen Schriftgelehrten ist um Auslegung der Heiligen Schrift. Da sind schon Risiken vorhanden. Es geht um Ursache und Wirkung, die nicht verwechselt werden dürfen. Es geht um den Sinn: den Wortsinn, den Schriftsinn, den Unsinn, den Sinn des Lebens. Es geht um das Heilige, ebenso wie bei dem Streit um den Sabbat so auch um die Auslegung der Heiligen Schrift. Es geht nicht nur um die Heiligkeit des Lebens. Es geht sogar um die Auferweckung von den Toten – zum Leben. Für Leute, die an Jesus glauben, geht es um alles. Für Leute, die nicht an ihn glauben – auch! Es geht um das ewige Leben! Es geht um das, was bleibt. Jesus ruft dazu Gott zum Zeugen an, wie ein Kind seinen Vater.

Selbst heilige Schriften können falsch gelesen werden und Feiertagsheiligung falsch verstanden, wenn mit denen, die lesen oder feiern etwas nicht stimmt. Was stimmt denn mit ihnen nicht? Was stimmt mit uns nicht? Wir sind auf dem Markt der Eitelkeiten, im Garten der Lüste, im Boot der Narren, und huldigen uns gegenseitig in dem Gesellschaftsspiel – in der Hoffnung, immer ein klein wenig Ehre mehr zu ergattern, als der andere gerade hat. Wie oft sonnen wir uns im Glanz der sich selber ernannten Autoritäten in der Hoffnung, dann selber Bedeutung zu haben. Mit Vollmacht hat das nichts zu tun, mit Ehre auch nicht. Was ist der Sinn des Lebens? – Ihr habt keine Liebe in euren Herzen, kein Bekenntnis auf euren Lippen, das euch rettet, keine Gebete auf euren Straßen, die euch schützen, kein Licht auf eurem Weg, das euch Zukunft weist. Ihr meint die Wahrheit besteht aus Buchstaben wie eine Zauberformel oder ein magischer Spruch der gegenwärtigen Mode. Ihr seid blind – sagt der, der den Kranken gesund gemacht hat.

An Jesus scheiden sich die Geister. Schon immer. Er ist nicht einzuordnen, auch nicht zu vergleichen, für den, der glaubt. Er kommt in Gottes Namen und betet mit uns das Vaterunser – und wir mit ihm, damit die Liebe, die in unser Herz gegossen ist, nicht taub und nicht blind wird, sondern Gestalt gewinnt und ihm gleich wird. Er erneuert uns zum Ebenbild des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Der evangelische Mystiker Gerhard Teerstegen aus Holland singt, wir sollen allen Eitelkeiten entsagen, wenigstens augenblicklich, damit wir Vertrauen gewinnen. Wir sollen die Ehre Gottes suchen, damit wir einen Sinn finden, der uns trägt.

Ja, wir leben zur Ehre Gottes durch unsere Taufe. Ich finde, da können wir etwas von den Moslems mit ihrem alleinigen Gott lernen. Diese frenetische Angst, die sich lustvoll von den Medien aus auf die nächsten Generationen legt, gepflegt wird und gehegt, wie das Wild von den Jägern, ist eine Folge dieser Gottlosigkeit, Ehrlosigkeit, Schamlosigkeit. Die Angst vor dem Islam kann sich m.E. nur wandeln in eine wache Bereitschaft, ernsthaft miteinander zu sprechen, wenn dieses Jesuswort aus dem Johannesevangelium wieder zur Kenntnis genommen wird: „Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt? Aber die Ehre, die von dem alleinigen Gott ist, sucht ihr nicht“. Insofern ist das Streitgespräch von damals durchaus auch das Streitgespräch von heute, das wie damals Frieden verheißt und nicht Terror und Krieg: wenn die Augenblicke der Vernunft als einer von Gott geheiligten – des Logos, des Wortes Gottes – im Mittelpunkt stehen und nicht unsere Bemühungen, die Bibel möglichst so zu lesen, daß wir alle Stellen weglassen, die u n s e r e r Ehre nicht in den Kram passen.

Liebe Gemeinde! Liebe Brüder und Schwestern! Die Vorgängerin unserer Brüderkirche in Altenburg ist eine Franziskanerkirche, wie der Name schon sagt. Das Pfarrhaus und die Schule nebenan stehen auf dem Grund des dazugehörigen Klosters der minderen Brüder, die aus Italien hier eingewandert waren. In der Ordensregel des Heiligen Franz werden die Brüder (und Schwestern) darauf aufmerksam gemacht, dass alles Singen in den Stundengebeten nicht dazu dient, darzustellen, wie gut unsere Stimmen ausgebildet sind und untereinander in der Lage sind, Harmonien zu erzeugen, sondern die Übereinstimmung mit dem Schöpfer gewissermaßen hörbar macht.

Gott zur Ehre singen. Der Sinn aller Kirchenmusik, jeder Doxologie, die dann unsere eigene Ehre in das richtige Verhältnis bringt. Bescheidenheit oder besser Demut als christliche Tugend, Ehrfurcht vor dem Leben, sind die Früchte des Glaubens und der Liebe. Der Satz Johann Sebastian Bachs über allen seinen Werken: „Allein Gott zur Ehre“ – ist die beste aller Antworten auf die Fragen, die Jesus in seinem Streitgespräch nach der Heilung eines Gelähmten im Evangelium stellt. Bei allen Ich-AG`s, die wir so auf die Beine stellen, sollten wir niemals das Du des großen Gottes vergessen, damit wir nicht die Maßstäbe unseres Handelns und Denkens verlieren, und, was das Schlimmste ist, uns selber. Dann werden wir auch nicht das Du gegenüber unserem Nächsten vergessen. Und auch nicht das Wir. Vielleicht finden wir dann endlich das so viel heraufbeschworene Wir-Gefühl in unseren Gemeinden, in unserer Kirche, in einem Volk, das 40 Jahre auf Tod und Leben getrennt war. In unseren Familien. In unserer Geschichte. Deswegen sagt Jesus folgerichtig: Ich werde euch nicht verklagen bei meinem Vater. Es ist gar nicht nötig: Eure eigene Tradition wird euch verklagen! Denn sie ist gut. Nur – was habt ihr daraus gemacht! Ihr selber werdet euch verklagen.

Ihr werdet euch selber richten. Ihr richtet euch jetzt schon zugrunde, wenn ihr so weitermacht. Auf die Dauer könnt ihr euch vor dem Leben nicht verschließen. Ihr könnt nicht fliehen. Nehmt euch doch selber einmal ernst. Mose wird euch verklagen, sagte Jesus damals mitten in seinem eigenen Volk Israel. Was sagt er heute, er, der Christus, der Herr, zu uns? Jeder mag diese Frage für sich beantworten im Angesicht des Herrn, den wir suchen in den schönen Gottesdiensten des Herrn.

Amen.

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