Augen auf – leben, handeln in Jesu Geist

Vernetzung im Pfingsthorizont

Predigttext: Johannes 16,5-15
Kirche / Ort: Melanchthon- und Johannes-Brenz-Gemeinde Fellbach
Datum: 15.05.2005
Kirchenjahr: Pfingstsonntag
Autor/in: Pfarrer Jürgen Bossert

Predigttext: Johannes 16,5-15 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

5 Jetzt aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin? 6 Doch weil ich das zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauer. 7 Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist gut für euch, dass ich weggehe. Denn wenn ich nicht weggehe, kommt der Tröster nicht zu euch. Wenn ich aber gehe, will ich ihn zu euch senden. 8 Und wenn er kommt, wird er der Welt die Augen auftun über die Sünde und über die Gerechtigkeit und über das Gericht; 9 über die Sünde: dass sie nicht an mich glauben; 10 über die Gerechtigkeit: dass ich zum Vater gehe und ihr mich hinfort nicht seht; 11 über das Gericht: dass der Fürst dieser Welt gerichtet ist. 12 Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnt es jetzt nicht ertragen. 13 Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, wird er euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht aus sich selber reden; sondern was er hören wird, das wird er reden, und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. 14 Er wird mich verherrlichen; denn von dem Meinen wird er's nehmen und euch verkündigen. 15 Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird's von dem Meinen nehmen und euch verkündigen.

Zu Liturgie und Predigt

Die Predigt entfaltet den wichtigen Aspekt der Perikope, dass der Geist „die Augen öffnet“. Dies wird durch die Verbindung mit anderen Pfingst-Topoi konkretisiert, und dabei ist der Gefahr des Modalismus, die hinter der Perikope steht, durchaus zu entkommen. Ein Thema dabei ist die Weitung des eigenen Horizonts. Dies kann weiter vertieft werden durch die Aufnahme der „Zehn Kriterien des Holos-Bewusstseins“ von Ervin Laszlo, die als Hintergrund für die Predigt im folgenden zitiert sind, aber auch - ganz oder teilweise – sehr gut Teil der Predigt werden können. (aus: Ervin Laszlo, MACROSHIFT. Die Herausforderung, Frankfurt a.M./ Leipzig 2003, S. 215-217) Du hast ein Holos-Bewusstsein, wenn du 1. auf eine Weise lebst, die es allen anderen Menschen ermöglicht, ebenfalls zu leben, und deine Bedürfnisse befriedigst, ohne die Chancen anderer Menschen zu schmälern, die ihren zu befriedigen; 2. auf eine Weise lebst, die das Recht auf Leben sowie auf wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung aller Menschen achtet, wo immer sie leben und was auch immer ihre Volkszugehörigkeit, ihr Geschlecht, ihre Nationalität, ihre Position in der Gesellschaft und ihre Glaubensrichtung ist; 3. so lebst, dass du das unveräußerliche Recht auf Leben und auf eine lebenserhaltende Umwelt für alle Menschen und alles, was auf Erden lebt, gewährleistest; 4. nach Glück, Freiheit und persönlicher Erfüllung in Einklang mit der Unversehrtheit der Natur und mit Rücksichtnahme auf ähnliche Wünsche anderer Mitmenschen strebst; 5. forderst, dass deine Regierung mit anderen Staaten und Völkern Beziehungen im Geist des Friedens und der Zusammenarbeit unterhält und dabei das legitime Streben nach einem besseren Leben und einer gesunden Umwelt von allen Menschen in der Weltfamilie anerkennt; 6. von Unternehmern forderst, die Verantwortung für alle ihre Interessengruppen sowie auch für die Nachhaltigkeit ihrer Umwelt zu übernehmen, und verlangst, dass sie Güter produzieren und Dienstleistungen anbieten, die eine berechtigte Nachfrage befriedigen, ohne die Natur zu beeinträchtigen und die Wettbewerbschancen lokaler Unternehmen und aufstrebender Wirtschaften einzuschränken; 7. von den öffentlichen Medien forderst, beständig verlässliche Informationen zu den Grundtendenzen und entscheidenden Vorgängen zu bieten, damit Bürger und Verbraucher Entscheidungen zu Fragen, die ihre Gesundheit, ihren Wohlstand und ihre Zukunft betreffen, gründlich informiert treffen können; 8. in deinem Leben Platz schaffst, um den nicht so gut Gestellten zu einem würdevollen Leben frei von den Mühen und Demütigungen bitterer Armut zu verhelfen; 9. mit gleichgesinnten Menschen zusammenarbeitest, um das grundlegende Gleichgewicht der Umwelt zu erhalten oder wiederherzustellen, ob in deiner Nachbarschaft, deinem Land oder deiner Region oder in der ganzen Welt; 10. junge Leute und aufgeschlossene Menschen jeglichen Alters ermunterst, ihr Bewusstsein weiterzuentwickeln, das sie dazu befähigen könnte, eigenständige ethische Entscheidungen über Angelegenheiten zu treffen, die für ihre Zukunft und die ihrer Kinder ausschlaggebend sind.

Lieder:

„Zieh ein zu deinen Toren“ (EG 133, 1-3.5+6); „Der Geist des Herrn erfüllt das All“ (EG 554, 1-4, Regionalteil Württemberg); „Ein Licht geht uns auf“ (EG 555, 1-3, Regionalteil Württemberg); „O komm, du Geist der Wahrheit“ (EG 136, 1.3.4.7)

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Liebe Gemeinde!

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.“
(aus: „Stufen“ von Hermann Hesse).

Abschied und Neubeginn

Von Abschied und Neubeginn spricht Hermann Hesse; von Abschied und Neubeginn erzählt Johannes. Wir sind ja Zeugen einer Abschiedssituation – Jesus geht. Zurück bleiben die Jünger und wir. Und Jesus nennt es auch noch gut, dass er geht. Er lässt nämlich etwas zurück. Dass er geht, das gibt für die, die zurückbleiben, die Chance für einen Neuanfang. Allerdings kein völliger Neubeginn, sondern die Sache Jesu, für die er eintrat und lebte, die geht weiter, ohne ihn als greifbare Person, aber in seinem Sinn, mit seinem Geist. Die Sache Jesu – das ewige, das gelingende und erfüllte Leben, der Sieg des Lebens über den Tod, der Sieg der Liebe über den Hass, Liebes- und Lebensgeschichte gegen Verfeindungs- und Todesgeschichte. Was an Ostern mit der Auferstehung Jesu begann, das setzt Pfingsten in unseren Alltag hinein fort. Was die mit Wasser vollzogene, sichtbare und spürbare Taufe ausdrückt, das Neugeborenwerden, das neu und erfrischt aufstehen können, das setzt der Heilige Geist, der Geist Jesu im Alltag in Kraft, täglich neu.

Jesus geht – die Jünger und wir bleiben zurück. Ohne ihn zum Anfassen, aber nicht allein. Wir bleiben mit ihm, Jesus in Verbindung, sind mit ihm und untereinander vernetzt. Durch den, der kommt – durch den Heiligen Geist, den Beistand, den Tröster, den Ermahner, den, der verbindet.

Vernetzung als Gegengeschichte zur Sprachverwirrung

Das ist Pfingsten: Die Vernetzung der Menschen untereinander und mit Gott. Erzählt die Geschichte vom Turmbau zu Babel davon, wie das vernetzende Band der Menschen, aus welchen Gründen auch immer, zerschnitten wurde mit allen kriegerischen Folgen, dass der eine dem anderen ein Wolf ist, so erzählt Pfingsten die andere Möglichkeit: Das verbindende Netz wird wieder hergestellt und jeder Mensch kann sich daran anschließen ohne ISDN, Laptop und Internet. Alle Menschen werden Geschwister, wo Gottes sanfter Geist verweilt. Die babylonische Sprachverwirrung, die Geschichte von Verständigung, die misslingt, bekommt eine Gegengeschichte – dass Verständigung gelingen kann, wie es auch Dietrich Bonhoeffer sagt:

„Die seltsame Geschichte vom Sprachenwunder hat mich auch wieder sehr beschäftigt. Dass die babylonische Sprachverwirrung, durch die die Menschen einander nicht mehr verstehen können, weil jeder seine eigene Sprache spricht, ein Ende haben und überwunden sein soll durch die Sprache Gottes, die jeder Mensch versteht und durch die alle Menschen sich wieder untereinander verstehen können und dass die Kirche der Ort sein soll, an dem dies geschieht, das sind doch alles sehr große und wichtige Gedanken.“ (aus: Widerstand und Ergebung)

Augen auf

Der Heilige Geist „wird der Welt die Augen auftun über die Sünde, dass sie nicht an mich glauben“ Er stellt die Frage: Wo stehe ich und wie steht’s um mich? Woran glaubst du? Wem vertraust du? Worauf baust du? Wonach richtest du dein Leben aus, von was lässt du dich leiten? Und welche Folgen hat dies, dein Glauben Vertrauen und Bauen? Führt dein Glaube zu Verständigung, zu Versöhnung, zu Lebensgewinn, und zwar für alle Menschen? Oder baut dein Glaube ab?

Sünde das heißt doch unter anderem, dass Gespräche abbrechen, weil der Mensch um sich und in sich kreist, seinen je eigenen Begehrlichkeiten verfallen, weil er menschliche Mächte, Meinungen und Ideologien vergottet, Türme des Mammons, die sich von Menschen nähren, die ihnen geopfert werden. Auch da kann es sehr wohl nötig sein, „sich in Tapferkeit in andre, neue Bindungen zu geben“!

Die Weite und Weitung des Horizonts

Sünde macht eng, man sieht nur das Seine – Jesu Geist will weiten und heraus heben aus solcher Enge, in die Freiheit der Kinder Gottes, die sich als Geschwister und Geschöpfe des einen Schöpfers verstehen und entsprechend miteinander umgehen – geschwisterlich und verständnisvoll. Weitung: Der eigene Horizont wird geweitet, man begreift sich als Teil des Ganzen, ohne im Ganzen auf- und unterzugehen, man versteht: Mein Tun hat Folgen, unmittelbar und weiter, fürs Ganze, denn man baut die Welt mit, auch wenn man sich noch so klein vorkommt. Man lebt in einem ganzheitlichen, ein holistischen Bewusstsein und strahlt dies aus (hier kann als Beispiel das Zitat aus „Makroshift“ eingefügt werden)

Jesus geht und ruft uns täglich neu und erfrischend, stärkend zu: „Lebt, handelt in meinem Geist! Mein Geist ist bei euch. Merkt ihr nicht, dass ich euch als freie, mutige, selbstständige Menschen will?! Als Menschen, die sich mit den anderen Menschen und Mitgeschöpfen verbunden wissen, und darum das Beste für die Welt suchen – Gott zur Ehre.“

Amen

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