Lässt Gott sich mit unserem Kleinkram aufhalten?

Das Gebet um Gottes Beistand und die Bedeutung der Fürbitte der Gemeinde für Menschen, die nicht mehr beten können

Predigttext: Lukas 11,5-13
Kirche / Ort: 21723 Hollern-Twielenfleth
Datum: 1.05.2005
Kirchenjahr: Rogate (5. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Dr. Alexander Bitzel

Predigttext: Lukas 11,5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wenn jemand unter euch einen Freund hat und ginge zu ihm um Mitternacht und spräche zu ihm: Lieber Freund, leih mir drei Brote; denn mein Freund ist zu mir gekommen auf der Reise, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen kann, und der drinnen würde antworten und sprechen: Mach mir keine Unruhe! Die Tür ist schon zugeschlossen, und meine Kinder und ich liegen schon zu Bett; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Und wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, dann wird er doch wegen seines unverschämten Drängens aufstehen und ihm geben, soviel er bedarf. Und ich sage euch auch: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wo ist unter euch ein Vater, der seinem Sohn, wenn der ihn um einen Fisch bittet, eine Schlange für den Fisch biete? oder der ihm, wenn er um ein Ei bittet, einen Skorpion dafür biete? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben geben könnt, wieviel mehr wird der Vater im Himmel den heiligen Geist geben denen, die ihn bitten!

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Liebe Gemeinde!

Den Jüngern Jesu ging es zuweilen genauso wie uns. Sie wollten beten. Aber sie wussten nicht wie. Sie wollten Gott loben. Sie wollten ihm danken. Sie wollten ihn bitten um das eine oder andere. Aber wie? Den Jüngern fehlten die passenden Worte. Sie dachten: So geht das nicht. Diese Worte sind zu schwach. Sind klischeehaft, abgenutzt, vielleicht auch zu aufdringlich, zu direkt. So kann ich doch Gott nicht kommen. Inmitten dieser Verlegenheit kam den Jüngern eine genauso simple wie geniale Idee: Lasst uns doch – sprachen sie untereinander – Gott selbst fragen, wie wir zu ihm beten können. Einer der Jünger geht darum zu Jesus und stellt ihm diese Frage, genauer: Er fragt nicht lange herum, sondern fordert Jesus auf: Herr, lehre uns zu beten.

Ohne zu zögern beginnt Jesus mit der Unterweisung. Jesus lehrt seinen Jüngern das Vaterunser, das Basisgebet der Kirche. Ein Gebet, in dem alles vorkommt, was man beten kann. Ein Gebet, das die Jüngerinnen und Jünger seither immer und überall sprechen, wenn ihnen danach ist, mit Gott zu reden. Doch Jesus lehrt seine Jünger nicht nur, wie sie beten sollen. Er sagt ihnen auch, was das Beten bei Gott bewirkt, sagt ihnen, was passiert, wenn wir Gott um etwas bitten. Keinen langwierigen Vortrag hält Jesus darüber, was ein Gebet ausrichtet. Er redet – wie es seine Art ist – voller lebendiger Bilder.

I.

Gott um etwas bitten, ist, wie wenn ein Mann spät abends Besuch bekommt von einem Freund. Den Freund hat er lange nicht gesehen. Der Freund ist auf der Reise, hat heute einen weiten Weg hinter sich gebracht, ist müde und hungrig. Der Mann freut sich über den unerwarteten Besuch. Er will dem Freund etwas zum essen machen, ein schönes Glas Wein vorsetzen. Doch: der Mann hat nichts im Haus; hat mal wieder vergessen, Einkäufe zu machen. Im Kühlschrank findet sich nur noch ein Stück Butter und eine halbleere Milchtüte. Kurzerhand beschliesst der Mann, zu seinem Nachbarn zu gehen. Vielleicht kann der ihm was borgen. Mit dem Nachbarn kommt er gut aus. Die letzten Jahre über haben sich die beiden angefreundet. Ein netter Kerl ist das. Der Mann klingelt. Es ist Mitternacht.

Nun der Nachbar: Man sieht den Nachbarn direkt vor sich. Wie er in seinem Bett liegt. Das Licht ist schon aus. Seine Kinder schlafen ruhig. Morgen geht es wieder früh los. Morpheus Arme mögen ihn aufnehmen. Da die schrille Türklingel! Der nahe Morpheus macht sich fluchtartig aus dem Staub. Die Kinder drohen zu erwachen. Der Nachbar regt sich auf. Wut steigt in ihm hoch. Gerne würde er dem, der klingelt, die Meinung sagen. Doch der Nachbar denkt sich: Ich geb dem Mann an der Tür, was er braucht. Ich mag ihn ja. Ist doch ein netter Kerl. Er möchte einen Freund bewirten. Was soll’s, dass er mich gestört hat. Wenn ich jetzt eine Szene mache, wachen die Kinder auf und mit der Nachtruhe ist es ganz vorbei. Lieber der Mann verschwindet schnell wieder und ich finde meinen Schlaf.

Genauso ist es, wenn wir Gott um etwas bitten. Sagt Jesus. Zu jeder Tages- und Nachtzeit können wir zu ihm kommen. Gott wird – anders als der Nachbar – nicht böse auf uns sein, auch wenn unsere Bitte aufdringlich ist. Und Gott hört sich unsere Bitten nicht an wie ein gütiger Opa, der dann sagt: Lass uns erst einmal darüber schlafen. Morgen sehen wir weiter. Gott gibt uns das, worum wir bitten. Jeder, der bittet, empfängt. Wer bei Gott anklopft, dem wird aufgetan. Und Gott gibt uns keine Schlange, wenn wir ihn um einen Fisch bitten. Er gibt uns keinen Skorpion, wenn wir um ein Ei bitten. Gott hält uns nicht zum Narren. Sagt Jesus.

II.

Gibt mir Gott alles, worum ich ihn bitte? Frage ich mich. Vor einiger Zeit hatte ich eine Auseinandersetzung mit einer Frau über die Frage, ob man Gott um einen Parkplatz bitten könne. Ich war – und bin – strikt dagegen. Die Frau meinte, das gehe. Sie tue das. Und Gott gebe ihr dann auch einen Parkplatz. Das hat sie schon erlebt. Ich fand das schrecklich, geradezu grotesk: Gott, den Schöpfer des Himmels und der Erde mit so einem Kleinkram aufzuhalten. Nur weil man ein paar Euros für´s Parkhaus sparen möchte. Das geht doch nicht.

Neulich las ich etwas ganz Ähnliches bei einem evangelischen Dichter aus der Barockzeit (17. Jahrhundert). Der Dichter heisst Sigmund von Birken und lebte in Nürnberg. In unserem Gesangbuch finden sich noch zwei Lieder aus seiner Feder (EG 88 und 384). Birken berichtet in seinen Tagebüchern Folgendes: Nahe seinem Haus lag ein Acker, der ihm gehörte. Diesen Acker wollte Birken verkaufen. Er brauchte Geld und der Acker hatte für ihn keine Bedeutung.

Nun waren Geschäfte im 17. Jahrhundert immer sehr betrugsanfällig. Grosse Rechtssicherheiten gab es nicht. Beim Kauf oder Verkauf von etwas über´s Ohr gehauen zu werden, war nicht unüblich. Und sei es nur, dass der Käufer einem “schlechtes Geld” in die Hand drückte; Geld also, das nicht den Wert hatte, der draufstand. Zentralbankgedeckte Euros gab es damals noch nicht. Birken also leitet den Verkauf in die Wege. Im Tagebuch dokumentiert er den Vorgang genau. Wieviel Geld er verlangt, erfahren wir genauso wie den Ort, wo der Verkauf stattfindet. Und dann – ganz unvermittelt – findet sich in Birkens Tagebuch eine Fürbitte in eigener Sache. Birken bittet Jesus Christus, dass er das Geschäft gelingen lassen möge.

Ich staunte nicht schlecht, als ich das las. Ein Grundstücksverkauf ist zwar weniger banal als eine Parkplatzsuche. Aber in einer Zeit, in der Menschen hungern; in der Menschen unter Kriegen und Seuchen leiden – und das war im 17. Jahrhundert nicht anders als heute – in so einer Zeit gibt es doch Wichtigeres für Jesus Christus als einen Grundstücksverkauf in Nürnberg. Denke ich.

III.

Zwei Christen, die von Gott erbitten, was sie nötig haben. So banal es auch sein mag. Ich habe meine Vorbehalte. Weshalb? Wahrscheinlich missverstehe ich die beiden. Ich unterstelle ihnen, dass sie Gott zu einem Popanz machen. Der dazu da ist, ihre Privatwünsche zu erfüllen. Und wenn er es nicht tut, dann sinkt er in der Wertschätzung. Dann hat er das Gebet nicht erhört. Oder er hat es gehört, ist aber zu schwach, es zu erfüllen.

Doch das sehen die beiden vielleicht gar nicht so. Mindestens von Birken weiss ich, dass er seine Fürbitten nicht so verstanden hat. Nach allem, was er schriftlich hinterlassen hat, verhielt es sich bei ihm so: Wenn Birken Christus um das Gelingen eines Geschäftes bat, dann bat er Christus um Beistand bei diesem Geschäft. Ob das Geschäft nun glückte oder nicht. Birken bat Christus um seine Nähe. Um seine Mitfreude, wenn das Geschäft glücken sollte. Um seinen Trost, wenn das Geschäft scheitern sollte. Denn Gottes Mitfreude macht unsere Freude vollkommen. Gottes Trost ist das einzige, was uns helfen kann, wenn wir am Boden liegen. Und beides – Mitfreude und Trost – verspricht uns Christus, der sagt: Euer Vater im Himmel wird den Heiligen Geist geben denen, die ihn bitten.

Nun gibt es Menschen, die können nicht mehr beten. Die können Gott nicht um Mitfreude und auch nicht um Trost bitten. Menschen, die von Gott enttäuscht sind. Weil niemand ihnen je gesagt hat: Gott gibt dir nicht alles, worum Du ihn bittest. Gott gibt dir seinen Geist. Um den sollst Du Gott bitten. Denn wenn Du Gottes Geist hast, fragst Du nichts mehr nach Himmel und Erde.

Andere können nicht beten, weil sie eine Krise durchlaufen. So eine Krise braucht ihre Zeit. Und in solchen finsteren Tälern erreicht sie Gottes Trost nicht. Niemand weiss das besser als die Bibel, die voll ist von Klagen über gottferne Trostlosigkeiten; etwa im 42. Psalm, wo es heisst: Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht. – Es gibt Zeiten, da verspüren wir Gottes Geist nicht. Da gelingt es uns auch nicht zu beten. In diesen Zeiten aber bleiben wir nicht ohne Fürbitte. Wir selbst beten zwar nicht. Aber die Gemeinde Jesu Christi betet für uns. Unsere Mitchristen bitten Gott darum, dass er unserer Traurigkeit ein Ende setze. Dass er uns nah sei in schweren Zeiten. Und Gott wird diese Bitten erhören. Gott wird uns nah sein. Seinen Geist wird Gott uns nicht vorenthalten. Das werden wir, die wir traurig und trostlos dasitzen, früher oder später erfahren. So wie in den Psalmen, wo genau das regelmässig geschieht: Dass nämlich der Beter nach dem Durchschreiten eines finsteren Tales wieder die Hilfe Gottes erfährt. Sich wieder Gottes, seines Heilandes freuen kann.

Die Fürbitte der Gemeinde Christi für andere. Das gehört – wie ich finde – zu den wichtigsten Aufgaben der Kirche. Gott um seinen Geist bitten: Veni creator spiritus (Komm Schöpfer Geist, EG 126), wie das lateinisch heisst. Einen grösseren Dienst können wir anderen und uns selbst nicht tun.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus,

Amen

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