Vom Leben in Großdruckbuchstaben sprechen

Geküsst vom Atem Gottes wächst neues Leben in uns

Predigttext: Johannes 7,37-39
Kirche / Ort: Friedenskirche/Wehr
Datum: 8.05.2005
Kirchenjahr: Exaudi (6. Sonntag nach Ostern)
Autor/in: Pfarrer Mathias Bless

Predigttext: Johannes 7, 37-39 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, 38 wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. 39 Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.

Vorbemerkungen

1. An diesem, Sonntag wird der Prediger um Entscheidungen nicht herumkommen. Drei Kasualien stehen im Raum: Kriegsende, Muttertag und Exaudi. 2. Mir fehlt die Kreativität, alle drei so miteinander zu verknüpfen, dass jeder Kasus seine Berechtigung behält; eine schöne Idee stammt – wenn ich recht weiß – vom südbadischen Prälaten Dr. Helmut Barié; eine Predigt über die Trümmerfrauen bindet das Erleben des Kriegsendes und des Muttertags zusammen. 3. Ich schlage eher vor, die Anlässe zu trennen; so auch die Arbeitshilfe zum EG herausgegeben von der Liturgischen Konferenz Niedersachsens. 4. Wer dennoch die zwei oder drei Anlässe miteinander verknüpfen will: Denkbar ist die liturgische Gestaltung eines Kasus zB im Votum und der Begrüßung – im Kyrie-Teil oder in den Fürbitten. 5. Die vorliegende Predigt konzentriert sich ganz auf den Predigttext (ob die Predigt so oder so ähnlich nicht auch zutreffen könnte für das Gespräch Jesu am Brunnen?), dazu tritt eine Skulptur von Bernd Klötzer, Nürnberg. 6. Ich will in der Predigt - auf die Kraft des Strömens, Bewegens, der Dynamik setzen: deshalb der Schlussteil (eine Frau lässt sich bewegen; ein Künstler lässt zu, was er eigentlich nicht will, weil er der heilenden Kraft des Kunstwerks traut), - der Wasser-Symbolik trauen ( eine schöne Beschreibung der Festtage Sukkot und des Wasser-Ritus in: Werkstatt für Liturgie und Predigt 1999 zur Stelle), - die jüdische Befreiungserfahrung vom Laubhüttenfest Sukkot als Heilung, als Sinn-Sättigung gegen den Durst nach Gesundung verstehen.

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Liebe Gemeinde,

Menschen waren zusammengekommen, Frauen und Männer. So wie jedes Jahr. Denn ein Mal im Jahr treffen sie sich. Frauen. Männer. Mit Krebs. Sie kommen zusammen, um sich zu stützen, sich zuzuhören, um sich auszutauschen. Diese Menschen hatten mich eingeladen zu ihrer Jahrestagung für Menschen mit Krebs. Drei Tage waren sie zusammen, einen Tag wollten wir miteinander verbringen. Ich sagte zu. Am Anfang der Tagung, zur Vorbereitungs- und Vorstellungsrunde schon war ich da. Wir saßen auf Sesseln. Ich brachte etwas mit. Eingepackt in Wellpappe. Schwere Eisenteile. Vier Kreissegmente. Orange-rot gestrichen. Und eine Wanne, auch aus Stahl. Miteinander legten wir die Kreissegmente um die Wanne. Das Orange leuchtete. Und ich bat die Frauen und Männer, unten, aus dem Brunnen von Schloss Beuggen, frisches Wasser zu holen. Eine Prozession von Frauen und Männern ging die Treppen hinunter, hinauf, mit Glaskrügen in ihren Händen und holte frisches, sprudelndes Wasser aus dem Brunnen auf dem Hof. Wir füllten die angerostete Eisenwanne. Schwer liegend auf dem Boden. Orange leuchtete der Eisenkreis wie die Sonne in den Raum hinein. Wasser wird gegossen. Und dann verließ ich die Runde – bis zu unsrem gemeinsamen Fortbildungstag. Der „Sonnenbrunnen“ blieb zurück. Man sprach in den Tagen dazwischen wohl über Schmerztherapie und Medizin und Ärzte…

II

Mir fällt diese Geschichte ein, wenn ich auf den heutigen Predigttext höre: Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben; denn der Geist war noch nicht gegeben, weil Jesus noch nicht verherrlicht war.

Mir bleiben zwei Worte, zwei Bilder in der Seele. Da ist zum ersten das Bild vom Wasser. Vom köstlichen, reichlich fließenden, sich verschwendenden Wasser. Ströme von Wasser, nicht nur ein mageres Tröpfeln. Ein kostbarer Schatz im trockenen Israel. Denn ohne das Wasser kein Leben. Ohne Wasser keine Ernte. Jesus spricht seine Worte am letzten, am Freudentag des Laubhüttenfestes in Jerusalem. Er war sich sicher: die Priester, die die goldene Kanne mit Wasser in den Tempel getragen hatten, die wussten um die Würde des Wassers. Und auch die kleinen Bauern auf dem Land wussten um den Segen des Wassers. Bei diesem Anlaß des Laubhüttenfestes nahm man das Wasser aus dem Teich Siloah, der durch eine Quelle mit frischem Wasser gespeist wurde. Frisches Wasser, kein Brackwasser aus Zisternen, frisches lebendiges, lebendig-machendes Wasser. Aus der sprudelnden Siloah-Quelle. Aus dem Brunnen. In Krügen und Kannen von oben gegossen – wie der Regen, der vom Himmel fällt. Und uns sagt: es ist ein Gott, der Leben will.

III

Mit solchem, lebendigen, lebendigmachenden Wasser vergleicht sich Jesus. Jesus, die Quelle lebendigen Wassers. Jesus, der Brunnen, von dem wir uns satt trinken dürfen. Verdorrtes Land in uns, verbrannte Stellen des Lebens – sie werden wieder wach, belebt, erfrischt von ihm. Und neues Leben wächst in uns. Er ist der Brunnen des Lebens, die Quelle des Lebens. So das Bekenntnis. Ich habe von zwei Worten, von zwei Bildern gesprochen, die meine Seele angerührt haben. Das eine war die Erfahrung des Wassers. Das andere ist die Verheißung von Leben. Um die Brunnenwanne gelegt ergeben die Eisenteile eine Sonne. Und Bernd Klötzer hat die Teile bewusst mit Blei-Mennige gestrichen. Inzwischen ist die Bleifarbe in der EU verboten. Aber er hat beharrlich von überallher die letzten Eimer und Kanister sich besorgt. Weil es doch so leuchtet… In einem Orange, das einmalig ist. Einem Orange, das leuchtet wie die Sonne. Wie das Leben. Und die Sonne gibt Leben dem, was leben will. Nach dem Osterfest müssen wir vom Leben in Großdruckbuchstaben sprechen. Vom Leben im Großformat. Vom Leben, das mehr ist als nur ein Überleben. Wir dürfen reden von einem Leben, das Grenzen sprengt. Das Gefangenschaften beendet. Das Zäune überspringt. Das von innen her leuchtet wie die Sonne. Das ansteckt mit Freude. Wir können reden vom Leben, das durch Dürre, Trockenheit, absterben hindurchgegangen ist und von neuem lebt. Kurz: von diesem Leben kann nicht feurig genug erzählt werden, von diesem Leben können gar nicht genug Bilder er-funden werden, dieses Leben kann gar nicht groß genug in den Himmel und auf die Erde gezeichnet werden, als dass es nicht immer noch zu wenig wäre für das, was Jesus verheißt.

Be-geistert dürfen unsre Versuche sein, solchem Leben nachzuleben. Prallvoll vom Gottes-Geist. Getrieben vom Himmelssturm. Geküsst vom Atem Gottes. Es muß ein gewaltiger Bild voller Energie und Kraft, voller Wärme und brennender Liebe sein, ein Bild, wie mir nur die Sonne einfällt, wenn wir von Lebensbildern schwärmen. Am letzten Tag des Festes, dem großen Tag, stellte sich Jesus hin und rief: Wer Durst hat, komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen. Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben.

IV

Der Sonnenbrunnen stand da. Über die ganzen drei Tage hinweg. Das Wasser verdunstete. Immer fand sich in den Pausen, vor Beginn der Morgen-Arbeitseinheit eine Frau, ein Mann, der hinunterging zum Brunnen und Wasser nachfüllt. Gemeinsam „sorgten“ sie sich um die Bodenskulptur. Als ich dann am letzten Tag kam, da lagen Steine im Wasser. Steinhart. Wie die Krankheit. Stolpersteine des Lebens. Und – es lagen Blumen in der Wanne. Ich bekam ein schlechtes Gewissen. Denn wer Bernd Klötzer kennt, der weiß, wie genau seine Arbeit sind. In manchem auch – asketisch. Eisen und Wasser, die Erde, auf dem alles ruht und die Luft, in die das Wasser hinein atmet und verdunsten. Das lebendige Rostbraun der Wanne und das strahlende Orange – eine so klare, fast strenge Arbeit und dann Blumen? Äste? Zweige? Steine? Ich bekam dem Künstler gegenüber ein furchtbar schlechtes Gewissen. Ich wusste – das hätte er nie und nimmer zugelassen. Ich baute die Skulptur ab. Verpackte die Einzelteile. Und erzählte Bernd Klötzer von der Tagung und den Menschen. Und wie heilsam der Sonnebrunnen für sie gewesen war. Es war für ihn wie ein Schock. „Aber das geht doch nicht! Das macht doch die ganze Arbeit kaputt!“ Und dann erzählte ich ihm auch von der Frau. Sie war mir schon im Gespräch aufgefallen. Als ich mit dem letzten Eisenteil mich verabschiedete am Ende der Tagung, da ging sie mit mir heraus. Sie hatte erzählt, dass sie unter Knochenkrebs leide. Deshalb liege auf der Lehne ihres Sessels unter ihrem Arm immer ein Kissen. Das wäre nötig. Und die Frau fragte mich: „Darf ich das in den Arm nehmen?“ Sie meine das schwere Eisenteil. Ich erschrak heftig, bekam Angst, wehrte ab. Wie soll das gehen – mit dem kranken Knochen? Und wenn etwas geschieht, wenn er bricht? Und wenn… Sie schaute mich ruhig an und bat noch einmal: „Darf ich das in den Arm nehmen?“ Und es war sonnenklar: das war jetzt ganz wichtig. Vorsichtig, Gramm für Gramm verlagerte ich das Eisen. Liebevoll nahm sie das schwere Teil in den Arm. Es war wie ein Kind, es war ein Geschenk. Für sie. Für mich. Ich erzählte Bernd Klötzer von der Frau. Lange schwieg er. Und meinte dann – ganz kurz – „Die darf das!“

Was immer sie gefunden hatte im Sonnenbrunnen – sie war mit dem Leben in Kontakt gekommen. Und die Wärme des Lebens hatte sie angesteckt. Und das Wasser hatte sie lebendig gemacht. Das was das „Geschenk“ des Künstlers. Das war das Geschenk der Frau: sie hatte die heilende Lebendigkeit gespürt und ihr vertraut.

Amen

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