Das Leben ist gefunden

Hoffnung auf gute Zukunft

Predigttext: Johannes 1,35-42
Kirche / Ort: Christuskirche Remscheid
Datum: 26.06.2005
Kirchenjahr: 5. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Dieter Hombeck

Predigttext: Johannes 1, 35-42 (Übersetzung nach Luther, Revision 1984)

35 Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; 36 und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! 37 Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. 38 Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo ist deine Herberge? 39 Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen's und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde. 40 Einer von den zweien, die Johannes gehört hatten und Jesus nachgefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. 41 Der findet zuerst seinen Bruder Simon und spricht zu ihm: Wir haben den Messias gefunden, das heißt übersetzt: der Gesalbte. 42 Und er führte ihn zu Jesus. Als Jesus ihn sah, sprach er: Du bist Simon, der Sohn des Johannes; du sollst Kephas heißen, das heißt übersetzt: Fels.

Homiletisch-exegetische Überlegungen

Thema des 5.Sonntag nach Trinitatis ist die Jünger-Berufung. Die Johannes-Perikope fällt da heraus: nicht Berufung, sondern Finden und Nachfolgen. Jesus geht nicht auf die Menschen zu, um sie zu Jüngern zu machen, sondern er geht vorüber. Johannes sieht ihn und bekennt ihn. Sehen und finden sind die auffallend häufigen Worte des Textes. Trotz der Nennung von Namen und Zeit geht es wohl nicht um die Nachfolge von Einzelnen, sondern eher um ein „überhistorisches Nachfolge-Modell“ (Neuhaus, GPM 2005/5). In zwei Szenen gliedert sich die Perikope: Vv. 35-39 und Vv. 40-42. In Vv. 43-56 setzt sich die Seh-und-Finde-Geschichte fort; dieser 3. Abschnitt sollte also mit im Blick bleiben. Das ist Gottes Lamm. Man sieht förmlich den langen Zeigefinger des Johannes. Wie in einer Kurzform des V. 29 macht er deutlich, wer Jesus ist: das Lamm des Passa, das am Beginn des Exodus stand und dem Volk Befreiung von böser Knechtschaft gebracht hatte. Diesen Jesus als den Irdischen und Erhöhten zu er- und bekennen, darauf zielt alles Suchen und Finden. Mit ihm beginnt ein neuer Exodus, ein neuer Aufbruch, ein Neubeginn für das Leben, Hoffnung auf gute Zukunft unter Gottes Geleit selbst in der Lebens-Wüste. Siehe, das ist Gottes Lamm: Das qualifiziert Jesus als das Gotteslamm, das weist von Johannes weg auf den Größeren, das entlässt die eigenen Jünger zur wahren Mitte. So folgen die beiden Johannes-Jünger Jesus. Der Hinweis auf das Gotteslamm gibt ihnen neue Ausrichtung. Jesus sieht sie und fragt: Was sucht ihr? Das sind die ersten im Johannes-Evangelium überlieferten Jesus-Worte. Wäre da nicht nach dem großartigen Anfang des Evangeliums Gewichtigeres zu erwarten gewesen? Aber die Frage meint ja nicht Belangloses, sondern geht auf die Lebensfrage: Was sucht ihr? Was erwartet ihr vom Leben, von mir? Die Grundfrage stellt Jesus; mit ihr korrespondiert alles folgende Sehen und Finden. Die beiden Männer, von denen nur Andreas im Weiteren mit Namen genannt wird, antworten mit einer Gegenfrage: Wo ist deine Herberge? Wo bist du zuhause? Ihre Anrede „Rabbi“ ist höflich, nicht mehr. Ihre Frage aber geht in die Tiefe: Woher kommst du? Wohin gehst du? Aus welchem Leben lebst du? Es ist die Frage nach der Existenz Jesu, nach seiner Identität, nach seinem Ursprung und Ziel. Freundlich lädt Jesus sie ein: Kommt und seht! Kein Geheimnis macht er aus seinem Leben. Johannes hat ihn gesehen, sie mögen ihn sehen. Er offenbart sich. Und sie kommen und sehen und bleiben. Kommt und seht! - Das ist zugleich für Johannes die Aufforderung an die Leser seines Ev. Ihr fragt: Wer ist dieser Jesus, dies Lamm Gottes. Was (wer) erwartet euch, wenn ihr nachfolgt? Kommt und seht: Lest weiter und findet die Antwort, die sich durchs ganze Evangelium zieht. Darum kann sich Johannes hier so kurz fassen: Sie kommen, sehen, bleiben. Was sie sehen, folgt. Also kann ich ruhig aus dem Vollen des Johannes-Evangeliums schöpfen, um in der Predigt ein wenig Antwort zu geben. Sie bleiben: Folge aus Kommen und Sehen. Sie haben gefunden. Sein Zuhause, das ihr Zuhause werden soll. Wohin könnten sie auch sonst gehen? Er hat ja Worte des ewigen Lebens! (Joh. 6, 68) Und indem sie bleiben, bleiben sie nicht nur bei ihm, sondern an ihm, in ihm. Sie sehen, erkennen ihn, werden eins mit ihm. In seinem Wort bleiben, an ihm bleiben: das ist Nachfolge, Glaube, und ist zugleich ein reziprokes Bleiben (Blauert, GPM 1999/5): Wer in mir bleibt und ich in ihm (Joh. 15, 5). Das ist existenzielle Verbundenheit. Und das war um die 10. Stunde. Nach der Zahlenmystik ist 10 die Zahl der Erfüllung (Bultmann): Das Suchen erfüllt sich im Finden. Sie haben ihn und er hat sie gefunden. Johannes hören und Jesus nachfolgen: Nachfolge braucht die Verkündigung, das Bekenntnis: Siehe, das ist Gottes Lamm. Und Nachfolge führt zur Verkündigung: Wir haben den Messias gefunden. Finden und Gefundenwerden. Zuhause sein und Nachhause bringen. Andreas führt Simon zu Jesus. Ein Akt der Nachfolge. Und Jesus kennt Simon. Das Wissen des Erhöhten. Nichts wird erklärt. Jesus sieht und kennt und benennt Simon mit Namen. Das ist Herrschaftsanspruch (s. Schöpfungsgeschichte und Jes. 43, 1). Und er gibt ihm einen neuen Namen. Damit übt er Herrschaft aus, macht Simon Kephas zu seinem „Eigentum“, zu seinem Teil: Berufung ganz anderer Art als bei den Synoptikern. Der Gemeinde sagen, wer Jesus ist, sie einladen, den Messias zu finden und zu bekennen, das möchte ich mit meiner Predigt. Ich wünschte mir dazu die Be-geist-erung, mit der Andreas seinen Bruder zu Jesus führt.

Lieder:

„Es kennt der Herr die Seinen“ (EG 358), „Bei dir, Jesu, will ich bleiben“ (EG 406), „Christus, das Licht der Welt“ (EG 410).

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Liebe Gemeinde!

Was sucht ihr? Statt, wie bei Lukas im Evangelium, das wir gerade gehört haben, sich seine Jünger zu rufen, fragt bei Johannes Jesus die ersten, die ihm folgen wollten: Was sucht ihr? Ja, was suchen sie wohl bei Jesus? Was suchen Sie, was suche ich bei Jesus? Bislang hatten sie ja einen anderen Lehrmeister, Johannes. Dem waren sie gefolgt, nicht auf langen Wegen; aber in ihrem Denken, in ihrem Lebensstil. Und nun geht dieser Jesus vorüber und Johannes sagt: Das ist Gottes Lamm. Sie hören dahinter: Was bin ich gegen den? Ein schwankendes Rohr! Er ist größer als ich. Er ist überhaupt der Größte. Ihm folgt. Er ist Gottes Lamm! Im Moment mögen sie überlegt haben: Gottes Lamm? Das hatte Johannes neulich schon mal gesagt über den Messias, der kommen würde, um Gott und Menschen, Himmel und Erde wieder zusammenzubringen. Gottes Lamm. Das klang nach Passa-Fest, wenn sie sich erinnerten an den Auszug aus Ägypten. Wenn sie dachten an das Lamm, das sterben musste, damit ihre Vorfahren das Blut an die Türpfosten streichen konnten. So waren sie für den Tod als Gottes Volk zu erkennen. So wurde ihr Leben gerettet. Dafür musste das Lamm sterben. Auch, damit sie vor dem schweren Weg durch die Wüste sich satt essen konnten, damit sie fit waren für den Weg und das gelobte Land erreichen konnten. In dieser Erinnerung schlachteten sie immer zum Passa ein Lamm.

Und nun: Siehe, das ist Gottes Lamm! Seht genau hin: Er ist das Lamm! Nicht der Menschen Lamm, das sie schlachteten; sondern Gottes Lamm, das er in den Tod gibt, um den Weg in das Leben Gottes, sein gelobtes Land frei zu machen. Siehe, das ist Gottes Lamm! In ihm liegt die Zukunft, in ihm das Leben. Gemeinschaft Gottes. Er nimmt euch heraus aus der Sklaverei des Bösen. Er macht euch frei, Gottes Leben zu leben, in ihm zu sein gegen alle Schuld dieser Welt. Als ginge es nicht anders – und es geht auch gar nicht anders – gehen sie zu ihm und hinter ihm her. Sie folgen ihm nach. Er hat nicht gerufen. Aber sie haben das Bekenntnis zu ihm gehört. Sie haben erfahren, dass er aus Gottes Gegenwart ist, damit Gott in ihm bei uns gegenwärtig ist und wir bei ihm. Da folgen sie.

Und Jesus, das Gotteslamm? Er fragt sie: Was sucht ihr? Nicht einfach: Was wollt ihr denn hier? Sondern: Was sucht ihr? Was erwartet ihr von mir? Wonach sucht ihr für euer Leben? Die Grundfrage des Lebens. Was suche ich? Was sind meine Ziele? Wonach sehne ich mich? Was ist für mich das Wichtigste im Leben und im Sterben? Was mag ihnen alles eingefallen sein! Sie waren ja von der Gemeinschaft mit Johannes nicht verwöhnt, hatten viel nachgedacht über Lebensziele. Und jetzt? Da steht man erst mal da! Was fällt mir ein? Was suchst du für dein Leben? Geborgenheit? Glück? Anerkennung? Frieden? Menschlichkeit? Liebe? Erfüllung? Aber was ist das?

Was sucht ihr? Da antworten sie mit einer Gegenfrage: Wo wohnst du? Wo bist du beheimatet? Wo bist du zuhause? Wer bist du? fragen sie damit. Und: Woher kommst du? Ist es wahr, was wir vermuten, dass dein Zuhause Gott ist? Was wir suchen? Ein Zuhause, in dem unser Leben zur Ruhe kommt. In dem ich nicht mehr mit der Schuld von gestern leben muss. In dem ich meine Tage und meine Ewigkeit in guten Händen weiß. Sag: Wo bist du zuhause? Und Jesus: Kommt und seht.

Was mögen sie gesehen haben. Ich denke es ist ein langer Abend gewesen, an dem ihnen die Augen über gingen, an dem sie sahen, an dem ihnen klar wurde, wer er ist. Das Brot der Welt. Wenn sie Hunger haben würden nach Gerechtigkeit oder Vergebung, nach Zuwendung oder Lebensgewissheit, wenn sie Hoffnung suchten auf das, was Bestand hat gegen alle Vergänglichkeit: Sie würden es finden im Brot des Lebens; in dem lebendigen Wasser, das ihnen Kehle und Leben nicht mehr trocken werden ließ; in dem guten Hirten, der sein Leben einsetzte für die Schafe; in dem Licht, das die Finsternis von Angst und Eigensinn, Schuld und Rücksichtslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Tod vertreiben würde. Sie würden das Leben finden in seinem Zuhause, in das sie einziehen wollten.

Sie sahen’s und blieben. Nicht einfach: Sie blieben über Nacht. Oder doch: Gerade: Sie blieben über Nacht. Indem sie blieben, überwanden sie die Nacht, die Finsternis. Sie blieben bei ihm, dem Licht. Sie blieben und wurden Teil von ihm. Er der Weinstock, sie die Reben. Sie blieben in ihm und er in ihnen. Eins wurden sie, als sie blieben. Wer wollte sie denn noch trennen, wo er doch die Auferstehung und das Leben ist?! Das Leben war erfüllt! Von ihm. In ihm. Durch ihn. Der Herr des Lebens, das Lamm Gottes, und sie, die Menschen: eins. Damit könnte die Geschichte ein Ende haben. Hat sie aber nicht. Die Geschichte vom Sehen und vom Finden ist wohl nie zuende. Denn das kann nicht sein, dass ich zufrieden darüber bin, dass ich mit Gottes Sohn verbunden bin, wenn doch noch so viele andere Menschen nicht wissen, dass er, das Lamm Gottes, Gott selbst, bei uns ist. Sie müssen es doch erfahren! So zieht einer der beiden Neu-Jünger, Andreas, los und findet seinen Bruder. Nicht zufällig. Nein er findet den, der noch sucht. Gott lässt ihn den Bruder finden. Und das Wichtigste zuerst, sagt er zu Simon: Wir haben den Messias gefunden. Als hätte Simon nur darauf gewartet.

Wir haben den Messias gefunden. Vielleicht war’s ja auch umgekehrt: Der Messias hatte sie gefunden. Aber es war ja ihr Weg, den sie gingen, als sie Johannes verließen. Und was sie jetzt erfüllt: ihn gefunden zu haben als die Mitte, als das Ziel ihres Lebens, als den, der von Gott kam und zu Gott gehörte und zu Gott ging und sie zu Gott führte. Wir haben den Messias gefunden. Als Rabbi hatten sie Jesus angeredet, Meister. Aber sie wussten es besser: Messias: Gesalbter Gottes, sein König, dem Gott seine Menschen anvertraute.

Andreas führte Simon zu Jesus. Was war das für ein Geist, der ihn beseelte! Es war der Geist dessen, den er gefunden hatte als Perle des Lebens. Wenn wir doch mit der Be-geist-erung, mit der Freude, teilzuhaben an Jesus, andere Menschen zu ihm führen könnten! Wenn wir doch unser wiedergefundenes Leben, das wir zu Hause wissen in den gütigen Händen Gottes, auch so einsetzten, um andere fröhlich zu Jesus zu führen! Niemand müsste mehr Angst haben um die Zukunft der Kirche, die doch die Kirche Jesu, des Gotteslamms ist, die Kirche, befreit zur Zukunft in Gottes Reich. Niemand müsste jammern über zurückgehende Kirchensteuern oder Müdigkeit unter den Christen, wenn dieser Geist durch uns auch die anderen fände: Wir haben den Messias gefunden!

Kaum hat Jesus den Simon gesehen, da weiß er seinen Namen. Andreas mag gestutzt haben: Wie das? Die beiden hatten sich doch nie gesehen! Aber Jesus ist eben der Messias, der seine Menschen kennt, der sie im Auge hat und sieht. Der auch ein Auge auf sie hat und sie nie aus den Augen lässt. Ja, Johannes hatte Recht: Gottes Lamm. Der weiß, für wen er sich opfert, für wen er stirbt. Und Andreas mag ruhig geworden sein. Hatte er nicht irgendwann einmal im Gottesdienst dieses Wort des Propheten gehört: Nun spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und dich gemacht hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Und nun kannte der Messias den Namen seines Bruders: Simon gehörte ihm nun auch. Jesus hatte es gesagt: Du bist Simon. Ich kenne dich mit Namen. Du gehörst zu mir. Nun beginnt dein Leben neu. Und darum gebe ich dir auch noch einen neuen Namen, Kephas, den Namen, der dir Mut macht, der dich immer erinnert: Du und ich, wir gehören zusammen. Wie die anderen geblieben sind, so bist du nun Teil von mir und ich von dir. Du kannst dich meiner Kraft anvertrauen, wenn du deine Kraft überschätzt hast; und du kannst dich in meine Hände fallen lassen, wenn du weinend in der Ecke sitzt. Ich bin dein. Und du bist mein. Das Leben ist gefunden. Gott sei Dank!

Amen.

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