Reisen statt Rasen
Themapredigt zur Urlaubszeit
Predigttext: Matthäus11,28-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(Jesus Christus spricht:) Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; bin ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht.Vorbemerkung
Immer am 1. Sonntag im Monat feiern wir einen gemeinsamen Gottesdienst für die beiden Bezirke unserer Gemeinde in der großen Dorfkirche. Wir versuchen, diesen Gottesdienst so zu gestalten, dass Gemeindeglieder und Bewohner der beiden Dörfer unserer Gemeinde bei ihm mitmachen können, die es nicht mehr gewohnt sind, zum Gottesdienst zu kommen. Einer unserer Mitarbeiter übernimmt die Moderation. Ein Singteam im Altarraum begleitet das Singen. Meist gibt es ein Anspiel. Und wir suchen ein Thema für den Gottesdienst aus. Dieses Mal ist es das Thema: „Reisen statt Rasen“. Viele kennen es noch von den Schildern entlang der Bundesautobahnen. Als Predigttext nehme ich: Mt.11, 28-30. Die Menschen der Gemeinde und des Dorfes kennen diesen Text, weil der Vers 28 rund um den Altarraum in der Kirche steht. Eine gründliche Besinnung auf die Situation der möglichen Teilnehmer des Gottesdienstes jetzt Anfang Juli, der Schüler, der Familien, der Bauern, der Menschen in anderen Berufen usw. gehört zur Vorbereitung dieser predigt genauso wie die gründliche Exegese des Textes. Das Matthäusevangelium überliefert uns hier eine ungemein seelsorgerliche Einladung Jesu an die Menschen im Volk Israel zu seiner Zeit, die unter dem vielfältigen Druck der religiösen Gesetze im Judentum damals litten. Julius Schniewind schreibt: „Die letzte Strophe wird im engeren Sinn der ‚Heilandsruf’ Jesu genannt; denn hier ruft Jesus als der Helfer Alle, die sich mühen und Last tragen, zu sich. Es sind die, die sich mit dem Gesetz mühen.“ (J.Schn., Das Evangelium nach Matthäus, NTD 2, Göttingen 1962, S. 153) Bei der Predigt dieses Wortes Jesu in damaliger Zeit für Menschen unserer Zeit muss allerdings versucht und gewagt werden, die Einladung an Menschen, die heute unter von Menschen gemachten Gesetzen leiden, weiter zu geben, .B. in der Leistungsgesellschaft, in der Spiel- und Spaßgesellschaft, in der Konsumgesellschaft und in einer Dorfgemeinschaft. Diese Predigt versucht dies.Liebe Gemeinde!
Ein Mann mit einem schnellen Wagen überholt auf einer einsamen Landstraße einen alten Mann, der langsam auf seinem Esel den Weg entlang reitet. Er hält und ruft dem Älteren zu: „Soll ich Sie mitnehmen, mein Auto hat 300 Pferdestärken und ist viel schneller als Ihr Esel. Kommen Sie, steigen Sie ein, ich nehme Sie mit.“ – „Nein, vielen Dank“, antwortet der Alte, „mir ist mein Esel lieber, ich mag es so langsam!“ Der Autofahrer gibt schneidig Gas, rast los, kommt in der nächsten Kurve von der schmalen Straße ab und saust mit seinem teuren Wagen in einen flachen Tümpel neben der Straße. Bald darauf kommt der alte Mann auf seinem Esel vorbei und ruft dem Wagenbesitzer zu: „Was machen Sie denn da im Wasser, tränken Sie Ihre dreihundert Pferde?“
„Reisen statt Rasen!“ Diese Aufforderung hing lange Zeit an vielen Brücken über unseren Autobahnen. Übrigens ergänzt durch Schilder am rechten Straßenrand, auf denen drei Geier zu sehen waren. Über ihnen stand: „Wir warten!“ Ein ziemlich drastisches Warnschild im Straßenverkehr!
“Rasen“ Im etymologischen Wörterbuch lautet die Erklärung: „wüten, eilen, eine hastige Bewegung machen“. Vielleicht denken Sie auch an die Autofahrer, die ihren Urlaub mit einer Gewalttour beginnen, aus dem Stress der Arbeit kommen, sich gleich in eine stressige Fahrt hinein stürzen, möglichst bald am Ziel sein wollen und dann durch ihren Fahrstil andere, ihre Familie und sich selbst in Gefahr bringen.
„Reisen“ dagegen ist verwandt mit dem englischen Wort: „to rise“. Das meint: „sich erheben, aufgehen, aufbrechen“. Mir fielen die Reisen meiner Kindheit ein, so um 1955. Ein Auto hatten wir noch nicht. Die Koffer waren gepackt. Der Proviant zubereitet. McDonald gab es damals noch nicht. Wir mussten früh aufstehen, noch eine Hafersuppe essen. Dann ging es mit der Straßenbahn zum Bahnhof nach Hagen und dann mit dem Zug nach Süden. An die Aufbruchsstimmung kann ich mich noch gut erinnern.
Die lange Zugreise führte uns den Rhein entlang. Wir holten eine uralte Landkarte vom Rhein hervor, schauten raus und sahen: die Rheinbrücke in Köln mit den Reiterstatuen, den Kölner Dom, Bonn, Koblenz mit dem deutschen Eck, dann der Mäuseturm, die Pfalz bei Kaub, die Lorelei. So begann unsere Ferienreise.
„Reisen statt rasen“ – das heißt: Schauen, genießen. Für Neues offen sein. Das Besondere eines Landes wahrnehmen. Staunen und dann … Zeit haben, Zeit haben für Tiere und Pflanzen, für den Ehepartner, für die Kinder, für sich selbst und für Gott. Vor den Kindern liegt die schönste Zeit im Jahr: Endlich keine Schule! Viele freuen sich auf die ruhigeren Sommermonate, oder auf eine schöne Urlaubsreise. Vor allem aber eins: ausruhen, entspannen, aufatmen und endlich mal die Seele baumeln lassen.
Man wünschte es dem Bundeskanzler, seiner Kontrahentin und den vielen anderen Ministern und Abgeordneten in Berlin, dass sie jetzt nicht Wahlkampf machen und reden, reden, reden müssen, sondern sich eine Auszeit nehmen und eine Besinnungspause haben könnten. Wäre doch wirklich nicht schlecht, wenn die mal zur Besinnung kämen, oder?
(Eine Karte mit zwei Liegestühlen am Meer liegt auf den Plätzen! Sich nach der Bienenkorbmethode miteinander austauschen.)
Eins wissen wir alle: Urlaubmachen kann gelingen und misslingen. Wir lassen jetzt kein Reiseversicherungsunternehmen zu uns sprechen. Wir hören auf einen, der wie kein anderer unsere tiefsten Bedürfnisse nach innerer Ruhe und innerem Frieden kennt. Sein Angebot haben Sie jetzt alle vor Augen, weil es über unseren Altarraum gesetzt ist.
Jesus spricht: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; bin ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir; denn ich sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht. Ich habe das ganze Wort genommen. Es ist ein wunderschönes Wort – und doch nicht leicht zu predigen. Die Ausleger dieses Wortes sind sich einig, dass dieses Jesus-Wort an die Menschen im jüdischen Volk gerichtet ist, die unter der Last der vielen jüdischen Reinigungsgesetze und Feiertagsgesetze litten. Immer hieß es: Das darfst du nicht! Und das darfst du nicht! Hier musst du zum Gottesdienst und dort musst du Opfer bringen. Und überall in den Dörfern und Städten gab es Leute, die wie ein Luchs und eine Lüchsin aufpassten und kräftig „den Marsch bliesen“, wenn jemand ein Gebot übertrat. Jesus und die Apostel haben heftig für die Freiheit des Glaubens gekämpft und die Menschen von der Last der Gesetze befreit. Er will, dass wir jetzt auch frei bleiben und uns nicht in ein Sklavenjoch einspannen lassen.
Ich weiß nicht, ob hier einige sind, die wie die Juden damals unter dem Druck religiöser Gesetze leiden. Obwohl es das sicher auch in unseren Dörfern gegeben hat, oder gibt -, dass mitten in der Kirche Menschen einander beurteilen und verurteilen, und sehr, sehr gesetzlich sein können.
Vermutlich kennen wir mehr die anderen „Druckstellen“, die anderen Stellen, an denen ein Druck auf uns liegt: Da ist der Druck der Leistungsgesellschaft. Mir sagte einmal ein Mann, der Einkäufer in einem mittelständischen Unternehmen war: „Der Druck bei der Arbeit wird immer größer. Wir müssen immer mehr bringen. Dabei spüren wir, dass es dem Unternehmen nicht gut geht und bald wieder Entlassungen anstehen.“ Manch einer überlegt es sich, ob er einen Tag oder mehrere Tage krankfeiert. Und dann bildet sich der Satz in einem: „Wenn einer gehen muss hier in der Firma, dann du!“
Da ist der Druck der Spiel- und Spaßgesellschaft: Es muss alles immer bunter, lockerer und abwechselungsreicher sein. Das ganze Wochenende ist für manch einen bis hinten gegen ausgefüllt. Die Medien machen es uns vor, wie man unterhaltsam informiert. Da muss man mithalten können, oder man ist weg vom Fenster.
Und dann der Druck der Konsumgesellschaft. Schon Kinder achten darauf, ob jemand Markenartikel trägt oder nicht, ob jemand sich das leisten kann von Zuhause aus oder ob er sich mit billigeren Artikeln begnügen muss. Dabei leben hunderttausende Kinder mit ihren Müttern, mit ihren Vätern oder mit ihren Eltern von Sozialhilfe; und es werden mehr werden.
Und dann hat so ein Dorf seine eigenen Gesetze: Man achtet darauf, wie wer zum Geburtstag gratuliert. Es wird gut beobachtet, wie viel jemand im Garten arbeitet. Man redet darüber, mit welchem Auto man fährt. Und: Auch in unseren Dörfern ist für viele Religion Privatsache. Man geht nur zur Kirche, wenn es unbedingt sein muss. Sicher, wenn der Neffe Konfirmation hat und man zum Mittagessen eingeladen ist, dann geht man schon anstandshalber hin. Wenn der Vater gestorben ist und die Beerdigung stattgefunden hat, dann muss man zum Gottesdienst gehen, um bei der Abkündigung des Vaters dabei zu sein. Viele meinen: Ich muss es auf jeden Fall vermeiden, dass jemand anders sagt: „Mensch, bist du fromm geworden?“ So behalte ich meine religiösen Fragen für mich – und drehe mich im Kreise. Wenn ich schon in der Bibel lese, dann soll es keiner wissen. So entstehen in den Dörfern, wo man sich gut kennt, ungeschriebene Gesetze, die ihre Macht ausüben und an die man sich halten muss.
Man versteht schon, warum viele jetzt sagen: Endlich mal für einige Wochen aus allem raus! Endlich mal von allem nichts hören und nichts sehen! Wenigstens für diese Zeit von allem weit weg! Was Neues sehen und was Neues erleben!
Und da steht Jesus vor uns mit seinen ausgebreiteten Armen und lockt: Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Er ist und bleibt der Lebendige. Er weiß, dass die allermeisten von uns jetzt zwei oder drei, sechs oder sieben Wochen vor sich haben, die anders sind als die übrigen Wochen des Jahres. Er kennt unsere Situation viel besser als wir selbst. Er kann uns in den vor uns liegenden Wochen anrühren und verwandeln. Ja jetzt nicht rasen statt reisen!
Er sagt: Nun komm einmal her zu mir. Ich gehe mit dir in diesen Wochen. Stell mal den Druck, den du in der Familie, im Dorf, in der Firma oder im Geschäft erlebst, beiseite und höre auf mich. Und wenn es nur dieses eine Wort: ‚Kommet her zu mir alle!’ ist, das dich in den kommenden Wochen begleitet.“
Wenn dir der Gottesdienst, das persönliche Lesen der Bibel und das Gespräch mit Mitchristen in der letzten Zeit nichts gebracht hat, dann lass das alles mal drei Wochen sein. Das ist ein alter Ratschlag für Menschen, die müde geworden sind in ihrem Leben mit Gott.
Wenn du aber zu dir kommen willst und wenn du den Mut und die Kraft hast zu fragen, wie Gott dein Leben sieht, welche Freiheit er dir jetzt in diesem Sommer schenken möchte und ob er noch einmal ganz anders dein Leben füllen will, dann nimm dir täglich oder wöchentlich Zeit für Gott. Oder ändere mal für eine bestimmte Zeit die Gewohnheit deiner persönlichen Andacht. Sage das deinem Ehepartner und deinen Kindern, mit denen du in Urlaub fährst. Und dann lies ein Evangelium und schaue, ob und wie Gott zu dir redet. Oder lies jetzt in diesem Sommer eine Kinderbibel von vorne bis hinten durch und schau, welche wunderbare Geschichte Gott mit uns Menschen geht. Eine Kinderbibel zu lesen ist nicht anstrengend und kostet nicht viel Zeit. Du wirst entdecken, welche Personen du schon alle kennst und welche Personen du für dich entdeckst. Gerade nach der letzten Woche in Berlin muss man sagen: Die Menschen sind echt arm dran, die nur das Auf und Ab der Politik als letzten Horizont haben. In Jesus steht der vor uns, der das Reich Gottes in Person ist. Ich glaube, dass es erfrischend ist, die Weite der biblischen Heilsgeschichte eröffnet zu bekommen.
Vielleicht wartet zuhause ein Buch, das ein Freund dir geschenkt hat, oder vielleicht hast du Lust, in den Gottesdienst deines Ferienortes zu gehen und offen zu sein für das, was du dort in einer anders geprägten Kirche erlebst.
Wenn du von all den Zwängen des Lebens frei werden willst, dann lass dir von Jesus dieses Wort sagen: „Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Lass dieses ganze gequälte Sich-Abmühen mit religiösen Gesetzen und mit den Zwängen der Gesellschaft mal beiseite. Komm zur Ruhe. Und dann fährt Jesus fort: Seid allein mir gehorsam. „Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir“, ohne immer besorgt zu sein, ob ihr meine Weisungen befolgen könnt, „denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. Denn mein Joch ist sanft und meine Last ist leicht“. Meine Gewalt ist nicht bedrohlich. Mein Herz steht euch offen, und ihr habt immer freien Zutritt zu mir.
Jesus hat auch ein Joch, er führt einen Weg, der kein Zuckerschlecken ist; aber er kennt deine Kräfte, deine Eigenart und deine Situation. Er achtet auf dich, und du lernst es, auf ihn zu achten. Was er dir zu lernen und zu tun aufgibt, das kannst du gut schaffen. So kannst du aufatmen, weil du den Freund und Herrn gefunden hast, der für dich bestimmt ist, und alles wird gut. Jetzt in diesen Sommerwochen kannst du es lernen, noch einmal ganz neu und ganz anders mit Jesus zu leben. Halte deine Hände offen und warte, was Gott dir sagt, womit er dich beschenkt und worauf er dich ausrichtet. So wirst du zur Ruhe kommen und aus der Ruhe in mir wirken.
Für viele Menschen ist das Rasen mit den Verkehrsmitteln unserer Zeit zum Verhängnis geworden. Und für viele Menschen in der Bibel und in der Geschichte der Kirche ist eine Reise zum Segen geworden. Und ihr Leben wurde wie neu. Es ist mein Wunsch, dass in dieser Sommerpause solche Erneuerung unter uns und an geschieht.