Hauptsache gesund?
Heilung- und Heilsuchende nicht in die Fänge der Gurus und Quacksalber treiben
Predigttext: Markus 1,40-45 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
(39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen in ganz Galiläa und trieb die bösen Geister aus.) 40 Und es kam zu ihm ein Aussätziger, der bat ihn, kniete nieder und sprach zu ihm: Willst du, so kannst du mich reinigen. 41 Und es jammerte ihn, und er streckte die Hand aus, rührte ihn an und sprach zu ihm: Ich will's tun; sei rein! 42 Und sogleich wich der Aussatz von ihm, und er wurde rein. 43 Und Jesus drohte ihm und trieb ihn alsbald von sich 44 und sprach zu ihm: Sieh zu, daß du niemandem etwas sagst; sondern geh hin und zeige dich dem Priester und opfere für deine Reinigung, was Mose geboten hat, ihnen zum Zeugnis. 45 Er aber ging fort und fing an, viel davon zu reden und die Geschichte bekanntzumachen, so daß Jesus hinfort nicht mehr öffentlich in eine Stadt gehen konnte; sondern er war draußen an einsamen Orten; doch sie kamen zu ihm von allen Enden.Predigtlied:
"Herr, du hast mich angerührt" (EG 383)Liebe Gemeinde!
Haben Sie schon einmal einen Lepra-Kranken gesehen? Nicht nur in der Zeitung oder im Fernsehen; sondern leibhaftig in einem Krankenhaus oder in einem Heim? Ich habe nur einmal einen solchen Kranken aus der Nähe gesehen. Würden Sie so einen kranken, entstellten, verstümmelten Menschen berühren, ihm d1e Hand geben, hier in der Kirche mit ihm den Friedensgruß tauschen und das Abendmahl teilen? Stellen Sie sich das einmal vor!
„Aussatz“
Lepra ist eine, heute noch in den warmen Zonen Afrikas und Asiens anzutreffende, früher weit verbreitete scheußliche Hautkrankheit, die den Körper eines Menschen zerstört – und seine Seele damit ja auch. Bei uns in Europa ist diese Krankheit so gut wie verschwunden; aber ihr Name ist immer noch vielsagend: Aussatz. Aussatz ist kein medizinischer Begriff; aber so wurden und werden die Lepra-Kranken benannt – und behandelt. Schon in biblischen Zeiten wurden sie und noch heute werden sie ausgesetzt, ausgegrenzt aus der Gemeinschaft. Denn Lepra ist nicht nur scheußlich, sondern auch ansteckend. Wer lepra-krank war und ist, wer ausgesetzt werden muss, der ist nicht mehr gemeinschaftsfähig; der kommt auch heute in ein Lepra-Heim. Früher mussten auch in Deutschland die Lepra-Kranken außerhalb der Dörfer und Städte vegetieren. Und wenn sie jemanden kommen oder vorbeigehen hörten, mussten sie laut rufen: “Unrein, unrein!” So ähnlich gehts ja heute den Aids-Kranken, auch bei uns, und anderen: Vielen Behinderten, den Sterbenden, einigen Ausländern. Für die Juden in biblischer Zeit war ein Aussätziger ein von Gott gestrafter und gezeichneter Mensch; deshalb wurde er aus der Gemeinde der Gläubigen ausgestoßen und damit auch von Gott getrennt: Er gehörte nicht mehr dazu!
Heilende Berührung
In der Bibel steht als Evangelium, als gute Nachricht: dass Jesus so einen aussätzigen Menschen gereinigt, also heilgemacht hat, weil er das wollte und auch konnte. Wenn das keine gute Nachricht ist: Jesus zog predigend und heilend durchs Land Galiläa. Ihn jammerte dieser ausgesetzte Lepra-Kranke; darum streckte er seine Hand aus, berührte den Kranken und reinigte ihn! Jesus brachte also diesen Menschen, bei dem nichts mehr im Reinen war, wieder ins Reine – mit anderen Menschen, mit Gott und damit auch mit sich selbst! Wir dürfen und wir müssen das immer wieder hören und uns klar machen, liebe Gemeinde: Jesus hat die allgemein übliche Ausgrenzung der Kranken und Schwachen und Gescheiterten nicht akzeptiert, weil sie nicht nach dem Willen Gottes ist. Jesus hat sich vielmehr mit den Ausgegrenzten solidarisiert, hat sich auf ihre Seite gestellt, sie bei der Hand gefasst und sie so wieder in die Gemeinschaft des Gottesvolks hereingeholt. Die Schwachen, die Versager, die Sünder, die Ausgesonderten und Unansehnlichen: Von Gott sind und werden sie angesehen; Gottes Heil und Haus steht ihnen genauso offen wie den bei uns Angesehenen, den Unansehnlichen sogar vor den anderen!
Heilung- und Heilsuchende nicht in die Fänge der Gurus und Quacksalber treiben
„Wenn du willst, kannst du mich rein machen“, sagte und bettelte der Aussätzige; und Jesus antwortete: „Ich will es tun! Sei rein!“ Das ist Evangelium, eine gute Nachricht für alle Ausgegrenzten! Wir müssen diese Nachricht allerdings unterscheiden von den Sensations-Nachrichten über Wunder-Heiler und Wunder-Medizin, wie sie heute angesichts der vielen alten und neuen Krankheiten an der Tagesordnung sind. “Die Frage nach Heilung ist heute aktueller denn je. Heilungs-Veranstaltungen auch im kirchlichen Umfeld, wo sie dann Heilungs-Gottesdienste genannt werden, haben Hochkonjunktur. Naturheilkunde, Edelstein-Therapie, Seelen-Hygiene, Fern-Heilungen – je exotischer, desto beliebter. Viele Reiche und auch viele, die sichs nicht leisten können, geben horrende Geldsummen aus, um gesund zu werden.” Ob sie aber auch heil werden wollen, ob sie ins Reine kommen wollen wie jener Aussätzige bei Jesus? Darauf kommts doch an!
Auch unsere evangelische Kirche redet fast nur noch vom predigenden Jesus und zu wenig vom heilenden Jesus; wir sind eine “Wörterkirche” geworden, wie einer unserer theologischen Lehrer beklagt; von unserer Kirche geht kaum mehr die heilende Kraft Jesu aus, schade! – Das ist mehr als schade: Denn wenn die kranken Menschen sich in unseren Kirchen und Gottesdiensten nicht mehr akzeptiert und dazugehörig glauben können, wenn es auch bei uns Barrieren und Distanzierungen zwischen angesehenen und unansehnlichen Menschen gibt, dann verleugnen wir Christen den Heiland Jesus und sein heilendes Evangelium; und wir treiben die Heilung- und Heil-Suchenden in die Fänge der Gurus und Quacksalber, die sie nicht heilen können, sondern nur abkassieren!
Hier bei uns im Badischen ist leider kaum beachtet worden, dass unsere württembergischen Nachbarn im vorigen Monat den 200. Geburtstag des Pfarrers und Heilers Johann Christoph Blumhardt gefeiert haben, der in Möttlingen, nur 50 km von hier, und später in Bad Boll vielen Heilung suchenden Menschen geholfen hat durch Gebet und Handauflegen, wie Jesus es getan hat. Blumhardt war kein Scharlatan, seine Heilungen waren keine sensationelle Exorzismen, sondern Heilungs-Vorgänge unter Beten und Glauben, Singen und Bibel-Hören – das wurde schon vor 150 Jahren öffentlich dokumentiert und begutachtet, erforscht und bestätigt von Medizinern und kritischen Theologen. Blumhardt hat selber gesagt und geschrieben:
“Ja, Jesus siegt! Aber ich habe es selbst erfahren, dass wir in unserer Zeit die unmittelbaren Bezeigungen des Geistes nicht so geschwind haben können, wie viele meinen: und man würdigt den Geist Gottes sehr herab, wenn man durch äußere Manipulation wie z.B. Tische-Rücken nur so geschwind den Geist Gottes reden machen will. Auch ist es nicht zu denken, dass durch ein heftiges Begehren von Seiten der Menschen, welches ich für unberechtigt halte, der Geist Gottes sofort sich herablassen soll, zu diktieren und neue Offenbarung zu geben. Ich weiß es nur zu gut, dass das nicht sein kann, und dass man vorerst um den Heiligen Geist wohl wieder bitten, dann aber auch in Geduld warten muss, bis die Zeit dazu da ist. Diese Zeit wird kommen; aber gegenwärtig ist die Zeit so dunkel und alles so sehr in Nacht gehüllt, dass alles, was als unmittelbar vom Geist Gottes eingegeben sich darstellen will, mit verdächtigen Augen angesehen werden muss, ob es auch aus der rechten Quelle kommt“.
So schrieb der Heilungspfarrer Christoph Blumhardt im Jahr 1867.
Hauptsache gesund?
Die bei uns gängige Redeweise “Hauptsache gesund” ist nicht biblisch und kein Evangelium, das sage ich auch vor den Ohren meiner eigenen schwerkranken Frau. Gesundsein und Heil-Sein ist in der Bibel zweierlei: Heil-Sein ist mehr, als dass wir mit “heiler Haut“ durchs Leben kommen. Heil-Sein, im-Reinen-Sein ist ein Ganz-Sein. Heil bin ich, wenn ich mit Gott und mit mir selbst und dann auch mit meinen Mitmenschen ins Reine gekommen bin – dank Gottes Wort und Wirken. Außerdem gibt es auch Krankheiten, die Gott uns schickt und zumutet wie z.B. dem Apostel Paulus; mit denen müssen wir leben und sollen so Gott Ehre machen – lebend und leidend und sterbend.
Ein heiler, geheilter Mensch kann, wie jener geheilte Lepra-Kranke damals, mit seinen Narben leben und sterben; und er kann auch wieder krank werden. Er wird dann aber anders krank sein als derjen1ge, der mit gedankenloser Gesundheit auf die Nase gefallen ist und seine Krankheit nur als ein Unglück ansieht. Eben diese gute Wahrheit aus dem Evangelium haben wir hier in der Kirche, im Gottesdienst und im Gemeindeleben, zu hören und weiterzusagen und zu praktizieren, damit die Kranken und alle Ausgegrenzten wieder erfahren: Die Kirche Jesu Christi ist der Ort, zu dem ich kommen darf.
Der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre uns alle mit Herzen und Sinnen in Christus Jesus.
Amen.