Jesus nachfolgen
Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit
Predigttext: Lukas 18,28-30 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
28 Da sprach Petrus: Siehe, wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt . 29 Er aber sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Es ist niemand, der Haus oder Frau oder Brüder oder Eltern oder Kinder verläßt um des Reiches Gottes willen, 30 der es nicht vielfach wieder empfange in dieser Zeit und in der zukünftigen Welt das ewige Leben.Mein Zugang zum Predigttext
Die wenigen Verse aus dem 18.Kapitel des Lukas-Evangeliums stehen mit ausgesprochener Wucht im Raum. Unrealistische Forderungen sind meine ersten Gedanken, damit erreiche ich von der Kanzel niemanden. Erst im Einbeziehen der unmittelbar vorangehenden Texte (18,1-8 Von der bittenden Witwe; 18,9-14 Vom Pharisäer und Zöllner; 18,15-17 Die Segnung der Kinder; 18,18-27 Die Gefahr des Reichtums) ist mir im Nachvollziehen des Gesamtzusammenhanges ein Zugang zu der Aussage des Petrus und der Antwort Jesu möglich. In der Predigt versuche ich, die Zuhörenden auf diesen Weg mitzunehmen.Was will Jesus eigentlich von uns?
Wenn jede/jeder von uns jetzt so wie Petrus offen legen müsste, was er/sie verlassen hat, um Jesus nachzufolgen, würde uns da nicht der Schreck in die Glieder fahren, würden unsere Gedanken nicht panisch unsere guten Werke durchforsten, was wir anbieten könnten? Würde nicht in einem zweiten Schritt Widerstand und Abwehr in uns aufsteigen? Was will Jesus eigentlich von uns? Wir sind doch alle seinem Ruf irgendwie gefolgt, besuchen einen Gottesdienst, arbeiten ehrenamtlich zum Wohl der christlichen Gemeinschaft, spenden zusätzlich zu den Kirchensteuern und bemühen uns nach bestem Vermögen christlich zu sein, Jesu Lehre zu befolgen und die zehn Gebote einzuhalten. Reicht das nicht? Und außerdem: Gilt die Verantwortung und Liebe innerhalb einer Familie nicht mehr? Können wir alle gemeinsam den „Lohn der Nachfolge“, das Himmelreich, das Angenommenwerden von Gott vergessen?
Hätten wir die Bibel jetzt aufgeschlagen vor uns, dann würden wir beim Lesen dieses Kapitels noch mehr vor den Kopf gestoßen. Jesus verweist uns am Beginn des achtzehnten Kapitels in dem Gleichnis von der bittenden oder fordernden Witwe auf die absolute Gerechtigkeit und den Einsatz Gottes dafür, wenn wir mit einer dreisten Unablässigkeit bitten und fordern. Ein Gleichnis für das Beten, den Kontakt mit Gott. Danach weist Jesus uns Menschen auf unsere Selbstgerechtigkeit hin. Mit dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner, in dem Jesus die Demut vor Gott hervorhebt. Auch mit der Geschichte von den Kindern, die zu Jesus gebracht werden und welche Jesus als leuchtendes Beispiel vor unsere Augen stellt: „Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen“. Es kommt ein Gespräch mit einem „Oberen“ zustande, kein kindischer Mann, jemand aus der maßgebenden Schicht, der Verantwortung trägt, die Gesetze einhält. Knallhart hält Jesus ihm entgegen, dass es für die Nachfolge nicht reicht! Verkaufe alles, was du hast. „Als er das aber hörte, wurde er traurig, denn er war sehr reich“. Dazu der berühmte Ausspruch Jesu: „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme“.
Betroffene Reaktion des Petrus – und was heißt es für uns heute, Jesus nachzufolgen, Christin/Christ zu sein?
Daraufhin fühlte sich Petrus aufgerufen zu sagen: „Siehe wir haben, was wir hatten, verlassen und sind dir nachgefolgt“.
Zum Geld – davon hatte Petrus wahrscheinlich nicht allzu viel – käme noch das Verlassen der Familie. Wie radikal war es damals, Jünger und Jüngerin Jesu zu sein. Petrus wird in der Bibel eine gute Schwiegermutterbeziehung nachgesagt, wir können also nicht negative Familienverhältnisse voraussetzen.
Sollen wir nun alle gemeinsam unser bisheriges Leben verlassen, der Mann die Frau, die Frau den Mann, Eltern die Kinder oder Kinder die alten Eltern, sollen wir als Bettelmönche oder bettelnde Nonnen durch das Land ziehen? Unvorstellbar, obwohl jede Person weiß, auf Geld, Macht, Ehre, Ruhm und Anerkennung in der Gesellschaft könnten wir bis zu einem gewissen Punkt, mit Ausnahme unserer Grundversorgung, verzichten, aber auf die Liebe doch nicht! Die gegenseitige Liebe der Eheleute, der Eltern und Kinder zueinander, der freundschaftlichen Liebe, der Liebe zum Leben selbst – hat sie nicht Gott in unser Herz gepflanzt, sind sie nicht ein wahrhaftiger Schatz? Die Liebe, die liebevolle Verantwortung für unsere Welt, aus unseren Herzen reißen? Was sollen wir tun?
Wer ist meine Familie, wessen Geistes Kind bin ich?
Letzteres sicher nicht, im Gegenteil, Jesus fordert eine radikalere Liebe ein! Er fragt, woran hängt dein Herz, was liebst du wirklich von ganzem Herzen. Verbunden damit ist genauso radikal gefragt, wie es mit meiner Liebe zu Jesus, zu seiner Lehre von Gott, bestellt ist. Hier liegt der Maßstab. Gibt es da nicht die „geistige“ Familie, die ich verlassen muss? Vorurteile des Rassismus, Abwertung durch Sexismus, Verantwortungslosigkeit zu Gunsten eines Gewinns oder umgekehrt die Ausnutzung der sozialen Gemeinschaft, Missbrauch jeglicher Art, gehört dazu. Oder ein weiteres Beispiel: Jugendliche geraten auf der Suche nach ihrem eigenen Leben nicht selten in Gesellschaft, die ihnen vordergründig die abgelehnte Familie ersetzt. Kommt dann noch Alkohol und Randale oder Drogen und Beschaffungskriminalität ins Spiel, ist die Katastrophe perfekt. Angesichts solcher Dramen stellt sich die Frage: Wer ist meine Familie, wessen Geistes Kind bin ich? Diese zerstörenden Geistes-Familien müssen wir verlassen, um jeden Preis und radikal. Ein Gewinn ist nach der Aussage Jesu dann in Aussicht gestellt, ich empfange etwas vom Reich Gottes in dieser Zeit, und das Geschenk kennt nur eine Währung, sie hat den Namen Liebe.
Von Jesus, von Gott in Frage gestellt – unsere Chance
Und wenn es um die zukünftige Welt geht? Da stehen wir auch mutterseelenallein ohne unsere Familien, wer sie auch immer gewesen sind, und müssen uns der Frage Jesu stellen, was uns in unserem Leben wichtig war. Vielleicht will Gott dann wissen, ob unsere Liebe so groß war, dass sie immer zur Freiheit des anderen Menschen geführt hat, niemals zur Vereinnahmung und zu Besitzansprüchen; dass wir unser Vermögen an Geld, Talenten und Begabungen für unsere Mitmenschen und für die Welt, wie Gott sie gemeint hat, verschwendet haben, verschenkt und ausgeteilt mit ganzem Herzen? Es wird um Beides gehen, das reale wirtschaftliche Vermögen und unsere persönlichen Begabungen. Christsein bedeutet mehr als Gefühl, es umfasst das gesamte Denken, Fühlen und Handeln, unser ganzes Leben, damit ist es in der Nachfolge, in Jesus Christus, verankert.
In welche geistige Familie gehörst du, gehören wir auch als Gemeinschaft? Wir haben die Chance, darüber nachzudenken – Jesus eröffnet sie uns mit seiner Lehre, so radikal und unbequem sie auch sein mag. Nehmen wir diese Chance wahr. Gesegnet der Mensch, der in der Hoffnung auf Gottes Barmherzigkeit in der zukünftigen Welt, aber genauso schon hier und jetzt, etwas vom Reich Gottes, des ewigen Lebens, empfangen darf.