Mit Gott rechnen

In aller Bedrohung das schützende Haus Gottes suchen und andere mit hineinnehmen

Predigttext: 1.Mose 8,18-22
Kirche / Ort: Altenburg/Thüringen
Datum: 09.10.2005
Kirchenjahr: 20. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Michael Wohlfarth

Predigttext:1.Mose 8,18 –22 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

Noah ging hinaus aus der ARCHE mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, dazu alle wilden Tiere, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, dass auf Erden kriecht; das ging aus der ARCHE, ein jedes mit seinesgleichen. Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. Und der Herr roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: “Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht“.

Zur Entstehung der Predigt

Das erste Mal haben meine Frau und ich in einer Dorfkirche eines Bauerndorfes in Thüringen anlässlich des Erntedanktages eine Regenbogenpredigt gehalten mit vielen Kindern und Bildern und viel Spiel. In der DDR war die Ernte etwas besonderes, weil man das Trauma von den hungernden Arbeitern hatte (Geschichte Russlands nach der Revolution). Die Arche war in der Endzeit der DDR ein Jahresthema für eine Friedensdekade. Diese Predigt habe ich im Urlaub auf dem Fischland „fest geschrieben“ immer vor Augen habend, dass die Erde nicht nur rund ist und sich dreht, sondern „als solche“ in Bewegung ist. Literarische Zeugen: Ranke, Schiller, Hesse, Hölderlin. Ich habe die Predigt (im Ansatz) bereits gehalten anlässlich des 115-jährigen Bestehens des Altenburger Posaunenchores und der Goldenen Konfirmation in einer Filiale /Dorf. Desgleichen in der Herzogin-Agnes-Gedächtniskirche in Altenburg. In den gehaltenen Predigten kam das Wendedatum z.T. deutlicher vor. Endgültige Schriftform am 25.September 2005. Das Motto der Predigt „Mit Gott rechnen“ stammt von meiner Frau und wurde ursprünglich als Motto für den letzten Thüringer Kirchentag angenommen. Als Predigtlied schlage ich vor: „Oh Gott du frommer Gott“ (EG 495) bzw. „Gott hat ja zu mir gesagt“ (von Christoph Neumann, Thüringer Pfarrer, das Lied ist in DDR-Zeit entstanden, es steht nicht im EG).

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Liebe Gemeinde !

Da lief ein Schiff auf Grund. Und das war gut so. Weil da etwas passierte, was alles auf den Kopf stellte. Wenn ein Schiff auf Grund läuft, ist das eigentlich die Katastrophe. Aber hier war es umgekehrt. Es war ein Glücksfall. Die Katastrophe war eine andere. Sie hielt so lange an, wie das Schiff nicht auf Grund lief. Es war die Sintflut.

Viele haben die sogenannten Jahrhundertfluten überlebt – nach sintflutartigen Regenfällen. Viele haben auch die Wirbelstürme in den Vereinigten Staaten von Amerika überlebt und auch das Seebeben im südostasiatischen Raum, wenn auch die Zahl der Opfer gerade dort die Angst des Menschen ahnen lässt, als ob Gott sein Versprechen nicht immer einhalten kann, was er in seinem Herzen zugesagt hat.

Gott war gnädig. Er hat das Wasser „absaufen“ lassen und nicht die Restbesatzung der Erde. Es ist langsam zurückgegangen – das Wasser. Eine Taube hat es Noah wissen lassen und ein Rabe, ob es zurückgeht oder nicht.

Gott war gnädig. Es kann eine neue Welt entstehen. Die Finsternis ist nicht mehr Finsternis, sondern Licht. Die Geschichte kann weitergehen. Und sie soll weitergehen. Die Genesis wird weiter gehen. Die Gens. Die Römische und die Hebräische. Die Griechische und die Deutsche. Die Russische und die Englische…Vor und nach Babylon. Sie hat eine Chance, einem neuen Himmel und einer neuen Erde entgegenzueilen. Ist das der Zauber, der jedem Anfang inne wohnt, wie das Hermann Hesse weiß oder Friedrich Hölderlin singt: “So viel Anfang war noch nie!“? Wir (Ost-)Deutschen hatten uns eine neue Zeitrechnung angewöhnt: Vor der Wende und nach der Wende. Das Fremdwort für Wende heißt Katastrophe. Mit seiner Familie, mit seiner ganzen Welt, die Gott bewahren wollte, zog Noah aus dem Gotteskasten und baute Gott einen Altar auf der Erde, die eben noch das Meer war, das Bedrohliche, alles Verschlingende.

Mein Vater sagte zu mir, als die Friedensgebete in Leipzig Erfolg hatten: „Warum bittet ihr nur immerzu? Dankt doch!“ – Ist der Lobgesang nach den geschichtlichen und persönlichen Untergängen nicht vorhanden oder zu schwach, um sein Ziel erreichen zu können? Um uns nach stattgefundener Rettung in den stillen und lauten Katastrophen unseres Lebens die Kraft der Erinnerung und des Dankes zu schenken?

Noah war nicht ausgeliefert, wie viele von sich glauben, sondern er war gehorsam. Er tat etwas, was die anderen für absurd und aberwitzig hielten, er baute ein Schiff, als noch kein Wasser zu sehen war. Er hat auf Gott gehört. Und war deshalb nicht willenlos und orientierungslos. Auch nicht, als die Flut kam, die Katastrophe. Er hat nicht schwarz gesehen, wenn er an die Zukunft dachte. Er wusste, dass alle Geschichte Geschichte zu Gott hin ist –und zum Ende Lobgesang. Und dass es deshalb weitergeht. Ja, dass erst so Geschichte sein kann: Versuchung und Bewahrung, Gehorsam und Willkür – und die Kraft aus der immerwährenden Rettung. Das Dankopfer, das ein Ganzes war, kein Kalkül, keine Taktik, kam an. Es war nicht ein Kainsopfer der Verzweiflung, sondern das Lob- und Dankopfer eines Gerechten, der gerade die Welt gerettet hatte.

Gott redet wie einer von uns. Wie ein Vater, der seine Erfahrung macht. Der sich auch selber auf die Spielregeln einlassen will, die er vorgab: die Schlange, das Paradies, die Freiheit, gut oder böse zu sein. Die schöne Welt mit ihren Sonnenaufgängen und Sonnenuntergängen, mit ihren Bildern von Winter und Sommer, mit den Begabungen, die auf den göttlichen Ursprung verweisen. Die Welt mit ihren Versuchungen, mit ihrem Tag und ihrer Nacht. Mit ihrem Kosmos und ihrer Harmonie. Mit dem, was nach Erlösung schreit. Die Geschichte der Menschheit ist unsere Geschichte, auch und gerade unsere ganz persönliche: In aller Bedrohung das schützende Haus des HERRN suchen, das gut gebaute Schiff auf dem Sand, wenn die Wellen kommen. Andere mit hineinnehmen! Und sie nicht zurückstoßen. Jede Kirche so ein Tempel der Rettung, ein Schiff im Meer der Zeit. Ein Zufluchtsort. Wir haben das erlebt, als wir alle Asylsuchende waren. Wir haben von dem Regenbogen gesungen, von dem Himmel, der über allen aufgeht. Wir wollen das nicht vergessen und uns hineinbegeben in den Dank, der uns den Verheißungen entgegenbringt und uns Hoffnung schenkt. Und Kraft für die Aufgaben, die vor uns liegen. Weil Gott Ja zu uns gesagt hat, können wir sprechen:

Amen.

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