Leben gewinnen

Die neue Gemeinschaft der Kinder Gottes

Predigttext: Matthäus 10,34-39
Kirche / Ort: 69221 Dossenheim
Datum: 16.10.2005
Kirchenjahr: 21. Sonntag nach Trinitatis
Autor/in: Pfarrer Manfred Billau

Predigttext: Matthäus 10, 34-39 (Übersetzung: Die Gute Nachricht. Die Bibel in heutigem Deutsch, 2. Aufl., Stuttgart 1982)

34 “Glaubt nicht, dass ich gekommen bin, Frieden in die Welt zu bringen. Nein, ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern Streit. 35 Ich bin gekommen, um die Söhne mit ihren Vätern zu entzweien, die Töchter mit ihren Müttern und die Schwiegertöchter mit ihren Schwiegermüttern. 36 Die nächsten Verwandten werden zu Feinden werden. 37 Wer seinen Vater und seine Mutter mehr liebt als mich, verdient es nicht, mein Jünger zu sein. 38 Wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und mir auf meinem Wege nachfolgt, verdient es nicht, mein Jünger zu sein. 39 Wer sein Leben festhalten will, wird es verlieren. Wer es aber um meinetwillen verliert, der wird es gewinnen.“

Vorbemerkung

Die Perikope ohne Berücksichtigung des Zusammenhangs passt schlichtweg nicht in das Bild, das GottesdienstbesucherInnen üblicherweise von Jesus mitbringen. Es gilt, die HörerInnen abzuholen und behutsam heranzuführen an die Forderung Jesu nach radikaler Nachfolge, nach einer Nachfolge ohne Netz und doppelten Boden, und dabei deutlich zu machen, dass gerade darin die Chance zu einem gelingenden Leben liegt.

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Leben zu gewinnen? Ja, Leben zu gewinnen, das ist die Botschaft des heutigen Gottesdienstes. Auf das erste Hören des Predigttextes mag uns sprichwörtlich Hören und Sehen vergehen. Es erscheint nicht nachvollziehbar, wie der Jesus, dessen Bild wir üblicherweise in unserem Kopf abgespeichert haben, zu solchen Aussagen kommen kann. Wir wissen: Jesus kam in die Welt, um uns den Frieden mit Gott zu bringen, dafür nahm er sogar den Tod am Kreuz auf sich. Wir wissen: Jesus kümmerte sich um die sozial ausgegrenzten und verlorenen und holte sie zurück in die Gemeinschaft. Durch seinen Sieg über dem Tod am Ostermorgen stiftete er sogar eine gänzlich neue Gemeinschaft, deren Hoffnung weiter reicht als der Tod. Und dann diese Worte aus Jesu Mund wie: „Ich bin nicht gekommen Frieden zu bringen, sondern Streit“. Sohn gegen den Vater, Tochter gegen die Mutter, Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter, was sollen wir davon halten? Ich meine: Es ist Jesu Programm für erfülltes, gewinnendes, zufriedenes Leben – Leben zu gewinnen.

Versuchen wir dieses Programm zu entschlüsseln und nehmen dazu die Bibel zur Hand. Da stellen wir fest, die Worte Jesu sind zunächst an die gerichtet, die bereit waren, alles stehen und liegen zulassen und mit ihm mitzugehen, an seine Jünger. Damit sind wir bereits bei uns, denn die, welche bereit sind, mit Jesus zu gehen, sind heutzutage wir, die wir als seine Gemeinde unterwegs sind. Jesus verspricht denen, die mit ihm unterwegs sind, viel. Unmittelbar vor dem Predigttext steht das bekannte, oft zitierte und sehr beliebte, weil tröstliche, Wort: „Es fällt kein Spatz auf die Erde, ohne dass der Vater im Himmel das zulässt. Bei euch ist sogar jedes Haar auf dem Kopf gezählt, habt also keine Angst, ihr seid Gott mehr wert als ein ganzer Schwarm von Spatzen“. Und auf den Predigttext folgt die Zusage: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat“. Also Zusagen, die erst einmal Mut machen: Wer mit Jesus, im Namen Jesu, unterwegs ist, braucht sich eigentlich keine Sorgen zu machen, denn für ihn ist gesorgt, von einem anderen, von dem, der Himmel und Erde geschaffen hat, von dem, der uns alle gewollt hat und in seiner Hand hält.

Halten wir als erstes fest: Wer mit Jesus unterwegs ist, das Leben zu gewinnen, für den ist gesorgt von Gott, vom Vater im Himmel. Das aber ist noch nicht alles, damit ist das Leben noch nicht gewonnen. Schaue ich wieder in die Bibel, dann verweist sie mich in unserem Predigttext unter anderem auf Aussagen im Alten Testament, die den Worten Jesu ähneln. Im 5. Buch Mose (13, 7-10) heißt es knallhart: Wenn dich z.B. deine nächsten Verwandten und Freunde und sei es der leibliche Bruder, die eigene Frau, Sohn oder Tochter zum Götzendienst verführen wollen, zeige sie an und wirf den ersten Stein auf sie, sie sind des Todes. Beim Propheten Micha ( Micha 7, 5-6) findet sich die Beschreibung einer gottlosen Gesellschaft, in der keiner und keine dem oder der anderen trauen kann, selbst der eigenen Frau, dem eigenen Sohn oder der eigenen Tochter oder Schwiegertochter nicht. Bei beiden alttestamentlichen Verweisstellen geht es um Gottlosigkeit oder das Anbeten und Verehren anderer Götter, um Götzendienst, der in der Regel mit dem Tod bestraft wurde. Ich empfinde es frappierend, wie bei Micha bereits ca. 2.500 Jahre vor unserer Zeit beschrieben wird, wie in gottlosen Gesellschaften Misstrauen unter den Menschen Gestalt gewinnt. Dies ist eine Erfahrung, die bis in unsere Zeit reicht. Erinnern wir uns: Unter der Nazidiktatur war es die „Gestapo“, die ein Klima des Misstrauens und Wegschauenes schuf, in der ehemaligen DDR war es die „Stasi“ der ehemaligen SED, die ein Klima des Misstrauens und Wegschauens schuf.

Was aber ist bei Jesus nun anders? Jesus prägt das alttestamentliche Wort um: Er fordert nicht mehr Bestrafung oder Tod der Gottlosen, aber er wünscht sich von seinen Freundinnen und Freunden die klare Entscheidung für ihn. Jesus wünscht sich radikale Nachfolge. In dieser Nachfolge werden die alten, bisherigen Strukturen ihre ursprüngliche Aufgabe verlieren. Nicht mehr die soziale Bindung, das soziale Netz der Familie, wird entscheidend sein sein, sondern die neue Gemeinschaft der Kinder Gottes. Das Leben in dieser Gemeinschaft ist erfülltes Leben, ist Glück. Das ist keine statische Gemeinschaft, sondern die Gemeinschaft wird leben, wenn sie unterwegs bleibt, wenn sie zu den Menschen unterwegs ist. Der Weg der Freundinnen und Freunden Jesu ist nicht einfach und bequem, sondern es ist ein Weg, der von Auseinandersetzung und Kampf für die Menschen, für das Leben, geprägt ist. Bin ich bereit mich darauf einzulassen, gewinne ich das Leben.

Bitte keine Missverständnisse, natürlich bin ich dankbar für meine Familie, für die Menschen um mich herum, die mich lieben und mittragen und die ich liebe und für die ich mich einsetze. Sie sind nach Jesu Worten allerdings nicht mehr der alleinige Grund meines Seins, sondern dieser ist meine Stellung zu Jesus. Anders gesagt: Gemeinde Jesu Christi befindet sich in der steten Auseinandersetzung mit der Gesellschaft und mit sich selbst. Gemeinde Jesu Christi, unterwegs zu dem großen Ziel, zu Gottes neuer Welt, ist aufgefordert, für die am Rande stehenden Menschen, für die ausgegrenzten und ausgestoßenen, Partei zu ergreifen, zu reden und zu handeln. Sie ist immer wieder gefordert, den rechten Weg zu suchen, um Jesu Christi willen. Sowohl persönlich wie auch als Gemeinschaft. Es geht immer um Jesus Christus und meine Stellung zu ihm und seiner Botschaft.

Sehen Sie, eine 45jährige Frau wird noch einmal schwanger, mit ihrem neuen Partner freut sie sich auf das Kind; dann stellt man bei einer Blutuntersuchung fest: das Kind wird eventuell behindert zur Welt kommen; zwei Wochen bleiben ihr noch zur Entscheidung – für oder gegen das Kind. Gemeinde Jesu Christi plädiert für das Leben. Einer meiner früheren Chefs, selbst Vater einer behinderten Tochter, sagte bei seiner Verabschiedung vor vielen Jahren den wie ich meine bemerkenswerten Satz: „Ich habe erlebt, dass auch ein behindertes Kind ein Kind Gottes sein kann, weil es einem näher zu Gott hinzieht“. Sie verstehen: In dem Konfliktfall der schwangeren Frau bedeutet die Annahme des behinderten Kindes Leben, gewinnendes Leben. Die Gesellschaft ohne Gott, der Lifestyle, lockt: Tu dir das doch nicht an, ein behindertes Kind, da sinkt doch deine Lebensqualität und die Kosten, die da auf dich und die Gesellschaft zukommen – willst du dir das in deinem Alter antun? Du sollst doch auch noch Spaß haben dürfen, das Leben genießen können. Mit Kind, sogar dann noch behindertem Kind, ist das aus. Lebenslange Verpflichtungen drohen.

Jesus sagt: Nimm dein Kreuz auf dich und du gewinnst Leben. Psychologen, die sich mit der Erforschung von Glück beschäftigen, erklären: Nicht der Mensch, der es am bequemsten hat, nur Luxus und „Wellness“ kennt, ist am glücklichsten, sondern der, der bereit ist, sich für andere zu engagieren, sich einzubringen, vielleicht sich zu verzehren- wie eine Kerze oder Öllampe, der erfährt Glück, der gewinnt das Leben.

Fassen wir zusammen: Für Freundinnen und Freunde Jesu, Christinnen und Christen ist gesorgt, wir haben nichts zu verlieren, aber in der Nachfolge Jesu, im Einsatz für diese Welt und ihre Menschen, gewinnen wir, finden wir das Leben. Lassen Sie mich noch eine Geschichte erzählen (aus Willi Hoffsümmer, Kurzgeschichten Bd. I Nr. 46, 13. Auflage, Mainz 1992):

Gott hatte Erbarmen mit einem Menschen, der sich über sein schweres Kreuz beklagte. Er führte ihn in einen Raum, wo alle Kreuze der Menschen aufgestellt waren und sagte ihm: Wähle! Der Mensch machte sich auf die Suche. Da sah er ein ganz dünnes Kreuz, aber dafür war es viel länger. Er sah ein ganz kleines Kreuz, aber als er es aufheben wollte, war es schwer wie Blei. Dann sah er eins, das gefiel ihm, und er legte es auf seine Schultern. Doch da merkte er, wie das Kreuz gerade an der Stelle, wo es auf der Schulter lag, eine scharfe Spitze hatte, die ihm wie ein Dorn ins Fleisch drang. So hatte jedes Kreuz etwas Unangenehmes. Und als er alle Kreuze durchgesehen hatte, hatte er noch immer nichts Passendes gefunden. Dann entdeckte er eines, das er anscheinend übersehen hatte, so versteckt stand es. Das war ihm nicht zu schwer, nicht zu leicht, so richtig handlich, wie geschaffen für ihn. Dieses Kreuz wollt er in Zukunft tragen. Aber als er näher hinschaute, da merkte er, dass es sein Kreuz war, das er bisher getragen hatte.

Amen.

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