Frohbotschaft nicht Drohbotschaft
Kirche der Reformation bedeutet mehr als über die Verwaltung der knapper werdenden Finanzmittel, über Einsparungen und Stellenstreichungen nachzudenken
Predigttext: Matthäus 10,26b-33 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
[Jesus sprach zu seinen Jüngern:] 26b Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. 27 Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht; und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern. 28 Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. 29 Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30 Nun aber sind auch eure Haare auf dem Haupt alle gezählt. 31 Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge. 32 Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. 33 Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.Exegetische und homiletische Vorbemerkungen
Die drei ursprünglich wohl selbständigen Logien hat Matthäus aus Q übernommen (vgl. Lk 12,2-9), sie aber in den Kontext seiner Aussendungsrede (Mt 10-5-42) gestellt. In diesem Rahmen fällt den drei Sprüchen die Funktion zu, den Jüngern Mut für die öffentliche Verkündigung des Evangeliums zuzusprechen. Da Matthäus die Jünger Jesu als Urbild der Gemeinde sah, gelten für ihn sowohl die Aufgabe der öffentlichen Verkündigung wie auch die Befähigung dazu über die Jüngerschar Jesu hinaus der Gemeinde als ganzer. Denn „Jüngerschaft ist gelebter und gelittener Gehorsam auf dem Weg mit Jesus“ (so U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK 1/2, 154ff). Gemeinde ist damals wie heute die Gemeinschaft derer, die mit Jesus unterwegs sind. Unmittelbar vor unserer Perikope bereitet Jesus seine Jünger auf Verfolgungen vor (Mt 10,16-26). Wie Schafe unter Wölfen so lebt die Gemeinde in einer feindlichen Umwelt, gehasst um des Namens Jesu willen. In dieser Situation soll sie ihre Aufgabe furchtlos erfüllen in dem Bewusstsein, dass sie letztlich in Gottes Hand geborgen ist und dass Jesus für jeden, der sich zu ihm bekennt, eintritt. A) Diese Aufgabe ist hier als öffentliche Verkündigung beschrieben. Das weisheitliche Sprichwort „Alles Verborgene kommt einmal ans Licht“ wird auf die Weiterverkündigung der Botschaft Jesu durch die Jünger bezogen. Das Wissen der Jünger um das, was Jesus gesagt und getan hat, darf nicht verborgen bleiben, es muss um der Welt willen öffentlich verkündigt werden „auf den Dächern“. Dass Verkündigung nicht vom Leben abgetrennt werden darf, sondern umfassend als „jesusförmige Existenz“ (Luz 131) zu verstehen ist, geht aus dem Zusammenhang von Mt 10 hervor. B) Die Jesusnachfolge ist so oder so jedenfalls auch Leidensnachfolge. Deshalb schließt an den Öffentlichkeitsauftrag der Gemeinde die Mahnung zur Furchtlosigkeit an. Begründet wird diese Mahnung mit der Erinnerung an die größere Macht Gottes. Schlimmstenfalls können Menschen „den Leib töten“, während nur Gott die Macht hat, „Leib und Seele [zu] verderben“ (Mt 10,28), das heißt: den Menschen seiner endgültigen Strafe zuzuführen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Auch im Martyrium seid ihr in Gottes Hand geborgen. So wie kein wertloser Sperling den Tod findet, und kein Haar vom Kopf ungezählt fällt, ohne dass Gott es zulässt, so geschieht auch euch nichts ohne den Willen Gottes, „ohne euren Vater“ (Mt 10,29), für den ihr allemal mehr wert seid „als viele Sperlinge“ (Mt 10,31). C) An die Mahnung zur Furchtlosigkeit gegenüber Menschen, schließt sich der Hinweis auf die Konsequenzen an: Wer sich zu Jesus bekennt, zu dem wird Jesus sich auch (im Endgericht) bekennen; wer ihn aber verleugnet, den wird auch Jesus (im Endgericht) vor dem himmlischen Vater verleugnen. Das dritte Logion verschweigt die Konsequenz des Nicht-Bekennens nicht, weil es zur Entscheidung rufen, weil es zur Nachfolge und zum Bekenntnis motivieren will. Wer das Leben will, darf sich nicht dem Tod verschreiben. Aber dass Gott nicht unsern Tod, sondern unser Leben will, das ist das Evangelium, das Matthäus mit seinem Ruf in die Nachfolge Jesu, voraussetzt. Am Reformationstag wollen wir uns einerseits daran erinnern, dass Martin Luther beispielgebend dem Anspruch dieses Textes gerecht geworden ist, weil er seiner Zusage vertraut hat, und uns andererseits fragen, inwiefern wir heute – unter veränderten Bedingungen – dem Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums entsprechen können.Lieder:
„Gott des Himmels und der Erde“ (EG 445,1.2.4.5), „Ach Gott, vom Himmel sieh darein“ (273,1.4-6), „Ein feste Burg“(362,1-4), „Such, wer da will“ (346,1-4), „Gib Frieden, Herr“ (430,1-4).Heute vor 488 Jahren ist Martin Luther mit seinen 95 Thesen wider den Ablaß an die Öffentlichkeit getreten. Ob dies wirklich so geschehen ist, dass er die Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt hat, wie es die Legende erzählt, das wird heute von den meisten Historikern in Zweifel gezogen. Unbestritten ist freilich, dass Luther die Öffentlichkeit nicht gescheut hat, dass er anfangs fast ganz allein den kirchlichen und weltlichen und wissenschaftlichen Autoritäten getrotzt hat, und dass dies ungeheuren Mut und eine feste Glaubensüberzeugung voraussetzte. Wir fragen uns, woher Luther, der bis ans Lebensende ein eher ängstlicher und von Selbstzweifeln geplagter Mensch war, die Kraft dazu nahm, wenn nicht aus dem Evangelium selbst, der frohen Botschaft von der auf den Menschen zukommenden Liebe Gottes.
Als Jesus seine Jünger mit dem Auftrag aussandte, seine Botschaft weiterzutragen, ließ er sie nicht im Unklaren darüber, dass ihnen nicht nur Zustimmung, sondern auch Hass und Feindschaft begegnen würden. Aber er ließ auch keinen Zweifel daran, dass der Weg der Nachfolge ein Weg ist, den Gott mit seiner Liebe und mit seinem Segen begleitet. Wie Jesus seinen Jüngern damals und heute Mut zuspricht, das hören wir aus Worten, die im Matthäusevangelium, im 10. Kapitel, in den Versen 26-33 überliefert sind:
(Lesung des Predigttextes)
„Fürchtet euch nicht“, sagt Jesus mehrfach. Gott wird euch schützen und ich werde mich zu euch bekennen. Das, was ihr zu verkünden habt, ist keine angstmachende und einengende Drohbotschaft, sondern eine befreiende und öffnende Frohbotschaft. Es werden sich euch Türen auftun. Ihr werdet Dinge erleben und entdecken, die ihr nicht für möglich gehalten hättet, in positiver wie in negativer Hinsicht. Matthäus schrieb sein Evangelium für eine Gemeinde, die Widerstände und Verfolgungen erfahren hatte. „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten können“, – dieser Zuspruch hatte damals einen äußerst konkreten Hintergrund. „Verfolgung“, das ist nicht unsere Situation. Auch nicht mehr ganz die Luthers. Obwohl er anfangs seines Lebens nicht sicher sein konnte. Immerhin wurde er vom Kaiser für vogelfrei erklärt, was damals bedeutete, dass jedermann ihn hätte töten können, ohne dafür gerichtlich belangt zu werden. Aber so wie kein Sperling zu Boden fällt ohne Gottes Willen, so hielt Gott seine Hand über Luther, indem er ihm mächtige Freunde gab.
Nein „Verfolgung“, das ist nicht unsere Situation. Aber auch wir spüren, dass der Wind in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft rauer geworden ist. Die früher vielleicht allzu selbstverständliche Akzeptanz der christlichen Botschaft schwindet. Viele Menschen trauen den hergebrachten Worten und Riten nicht mehr zu, dass sie ihrem Leben Orientierung bieten können. In den Medien wird häufig Kritik laut an dem, was Kirche tut. Und in der Kirche selber sind wir primär damit beschäftigt, über die Verwaltung der knapper werdenden Finanzmittel nachzudenken. Von Einsparungen und Stellenstreichungen ist die Rede, statt davon, wie man die Botschaft vom gnädigen Gott unseren Zeitgenossen so nahebringen kann, dass sie das Befreiende und Erlösende daran auch für ihr eigenes Leben wahrnehmen.
Unsere Zwänge mögen vielleicht manchmal ein anderes Gesicht haben als die zur Zeit Jesu oder zur Zeit Luthers. Aber dass unsere Gesellschaft zunehmend unter einen unguten Druck gerät, das wird keiner bestreiten können. Gnadenlose Götter suchen unser Leben in den Griff zu bekommen. Sie kümmern sich nicht um die, die dabei auf der Strecke bleiben. Erfolg zählt heute mehr als Menschlichkeit. Das Wort „Barmherzigkeit“ schwindet aus unserem Wort- und Erfahrungsschatz. Entscheidend ist, wie man sich auf die Sonnenseite des Lebens schlagen kann, egal auf wessen Kosten dies geht. Oft bemerkt man erst zu spät, dass man dadurch nicht glücklicher geworden ist.
Von diesen selbstauferlegten Zwängen will uns Jesus befreien. Ihm nachzufolgen, bedeutet, frei zu werden für das, was das Leben lebenswert macht. Sich an ihm zu orientieren, heißt, anstelle der gnadenlosen Götter dem Gott zu vertrauen, der unser Vater ist, weil er uns geschaffen hat und uns liebt und sich uns immer wieder in Gnaden zuwendet, was immer wir Böses getan haben. Das war und ist die Botschaft vom gnädigen Gott, die Luther an den Anfang aller seiner Überlegungen setzte.
Fürchtet euch nicht, sagt Jesus. Bringt es unter die Leute. Auf Dauer kann nichts geheim bleiben. Irgendwann kommt alles einmal ans Licht. So wird sich das Evangelium von selber durchsetzen. Es wird Gehör finden. Ihr müsst es nur sagen und nicht damit hinter dem Berg halten. Löst euch endlich von eurer Fixierung auf die geringer werdenden Finanzen und besinnt euch darauf, was die Menschen um euch herum zum Leben brauchen, ruft Jesus uns zu. Dann wird eine Gemeinschaft entstehen, die in diesem Geist des gnädigen Gottes leben will, die sich gegenseitig unterstützt, der eben nicht gleichgültig ist, wie es anderen geht, die soziale Verantwortung übernimmt und sich besonders denen verbunden fühlt, die unter die Räder der gnadenlosen Götter unserer Gesellschaft gekommen sind. Das meint eigentlich Kirche: die Gemeinschaft von mündigen Menschen, die von Gottes Liebe leben und diese Liebe weitergeben wollen, die Vertrauen ins Leben setzen, weil Gott ein Gott des Lebens ist.
Was jetzt Not tut, ist, dass ihr euch zu mir bekennt, dass ihr diesen Schritt wagt, sagt Jesus. Ich will euch dazu einladen und ermutigen. Dann werde ich mich auch zu euch bekennen können. Wenn ihr diesen Schritt der Befreiung, die ich euch biete, nicht wagt, bleibt ihr gefangen in den Zwängen, denen ihr euch selber untergeordnet habt. Dann nehmt ihr Schaden an eurer Seele. Zu diesen Zwängen und zu diesem Seelenschaden kann ich nicht ja sagen. Ich weiß, dass es nicht leicht ist, sich zu meinem Lebensentwurf zu bekennen. Ich weiß, dass man euch als naiv belächelt, wenn ihr danach fragt, ob etwas dem Leben dient. Ich weiß, dass es als Schwäche gilt, Fehler einzugestehen, einen anderen um Verzeihung zu bitten. Ich weiß, dass es Mut erfordert, gegen den allgemeinen Trend anzugehen. Aber ich weiß auch, dass nur so Leben gelingen kann.
Die Reformatoren hatten den Mut, ihren biblischen Einsichten zu folgen. Die Reformatoren konnten sich den damals Mächtigen mutig entgegenstellen, weil sie spürten, welche Kraft in der Botschaft vom gnädigen Gott für das eigene Leben liegt. Wer Gott fürchtet, braucht vor niemanden Angst zu haben. Wer Gott fürchtet, der kann erhobenen Hauptes durchs Leben gehen.
Reformation bedeutete damals wie heute, sich immer wieder neu von Gott aufrichten und ausrichten, sich von Gott formen zu lassen. Was wir heute von den Reformatoren lernen können, ist, trotz aller Widerstände nicht zu resignieren, aber auch nicht auf unsere eigenen Fähigkeiten und Kräfte zu trauen, sondern darauf, dass Gott seine Kirche nicht im Stich lässt. Was wir brauchen, ist ein unbefangener Glaube, der sich nicht davon abbringen lässt, dass nur der Weg der Nachfolge, der Weg der Liebe, zu einem gelingenden Leben führt. Dies hätte eine Kirche zur Folge, die nicht so um sich selber kreist, wie dies heute vielfach der Fall ist. Eine Kirche, die nicht in erster Linie an Einsparungsplänen und Stellenstreichungen arbeitet, sondern daran, was man unternehmen muss, um Menschen des dritten Jahrtausends mit dem Geist Jesu bekannt zu machen. Eine Kirche, die sich selber weniger Sorgen um ihren Bestand macht, weil sie sich getragen weiß von Gottes Fürsorge.
Amen