Ungerechter Verwalter?

Unterschiedliche Zugänge zu einem exegetisch umstrittenen Gleichnis

Predigttext: Lukas 16,1-8(9)
Kirche / Ort: Aachen
Datum: 13.11.2005
Kirchenjahr: Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres
Autor/in: Pfarrer Manfred Wussow

Predigttext: Lukas 16,1—8(9), Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984

1 Er sprach aber auch zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein. 3 Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig. 8 Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts. 9 Und ich sage euch: Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn er zu Ende geht, sie euch aufnehmen in die ewigen Hütten.

Exgetische und homiletische Überlegungen zum Predigttext

Ein Gleichnis Jesu?

Nein, zu diesem Text fällt mir nichts mehr ein. Der Verwalter bringt, bevor er Rechenschaft ablegen muss, seine Schäfchen ins Trockene. Das Verdikt, er verschleudere den ihm anvertrauten Besitz, bringt den Stein ohnehin ins Rollen. Anklage: Veruntreuung. Ob daran etwas Wahres ist? Ein Urteil wird nicht überliefert. Nur: Urkundenfälschung in mehreren Fällen und Anstiftung zu einer Straftat in mehreren Fällen könnte in das Bild passen. Ein Gleichnis wie aus der Zeitung. Oder aus dem Nachmittagsprogramm des Fernsehens. Psychologisch raffiniert arrangiert kommt die Geschichte aus den „oberen Kreisen“ gut an. Ein Gleichnis Jesu? Lukas selbst scheint nicht glücklich gewesen zu sein. Die Deutung in Lk. 16,10-13 weicht von dem Schluss des Gleichnisses ab. Dass jemand, der Geld veruntreut, auch „geistlich“ diskreditiert ist, liegt näher als die Schlussfolgerung, die mit dem Gleichnis verbunden ist. Hier: Wenn wir schon mit dem Mammon (ungerecht?) umgehen müssen und in Geldgeschäfte verwickelt sind, so wenigstens zum Nutzen anderer. Macht euch Freunde damit, verhelft Menschen zum Leben. Die Verheißung ist, in die ewigen Hütten aufgenommen zu werden. Das geht allerdings weit über das hinaus, was im Gleichnis selbst, viel bescheidener, angesprochen wird: Der Verwalter rechnet sich aus, in die Häuser der Schuldner aufgenommen zu werden, wenn er sein Amt verloren hat. Am Ende des Gleichnisses werden daraus ewige Hütten, also ein Beziehung zu Gottes Reich geknüpft. Unabhängig von der Geschichte, mit ihren pikanten Details, würde alles darauf abgestellt, Kreativität, Energie und Zielstrebigkeit des Verwalters vorbildlich zu machen. Der Herr, so heißt es am Schluss, lobt den Verwalter, weil er klug gehandelt hat.

„Klugheit“ des Verwalters?

Diese Deutung, die Eigenschaften des Verwalters herauszuheben und von der Geschichte im Einzelnen zu abstrahieren, ermöglichte vielen Auslegern, mit diesem Gleichnis Frieden zu schließen. Zu nennen wären Adolf Jülicher und noch ein halbes Jahrhundert später Joachim Jeremias. Jeremias sieht in der Geschichte einen Aufruf zum entschlossenen Handeln in bedrohlicher Lage und gibt schon in der Überschrift einen neune Akzent vor: Die Forderung der Stunde. Zu vermuten ist, dass diese Ausrichtung, die aus der wissenschaftlichen Gleichnisauslegung kommt, die Lutherische Liturgische Konferenz in den 70er Jahren bewogen hat, Lk. 16,1-8(9) nicht mehr dem 9. Sonntag nach Trinitatis zuzuordnen (Reihe III), sondern mit dem Ende des Kirchenjahres zu verbinden. Es geht um das Offenbarwerden im Endgericht und die Umkehr, die angesichts eines letzten Urteils von jedem Einzelnen zu vollziehen ist. Doch die Amtsenthebung ist im Gleichnis beschlossene Sache, die Rechenschaft nur eine Form der Übergabe. Was ist denn in dieser Konstellation ein kluges Verhalten? Dass der Verwalter sogar positiv umgedeutet wird, macht die Sache nicht einfacher. Im Gegenteil: sie stinkt zum Himmel. Es ist darum wichtig, einige Grundentscheidungen nachzuvollziehen und auch kritisch zu hinterfragen, die die Gleichnisauslegung bestimmt. In diesem Fall: Dass eine negative Figur positiv gewendet werden kann, beruht darauf, einen einzigen Charakterzug herauszuschälen und dann von der Geschichte zu lösen. Die Idee dazu lieferte Adolf Jülicher. Für ihn kommt es bei den Gleichnissen Jesu immer nur auf einen einzigen Vergleichspunkt an, das tertium comparations. Bei Lichte betrachtet, findet so eine Entwertung des Gleichnisses statt. Im Kontext der Geschichte ist die Klugheit des Verwalters schlichtweg Gerissenheit, die nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist. Die neuere Gleichnisauslegung hat einen anderen Weg gefunden. Nach Hans Weder sind Gleichnisse Metaphern, die als Ganze, d.h. auch in ihren vorherrschenden Zügen, auf die gemeinte Sache durchsichtig werden. Probieren wir es einmal mit diesem Ansatz!

Was hat der Verwalter „verschleudert“?

Eine Anklage wird wiedergegeben. Wie sie begründet ist, wird nicht erzählt, auch nicht, wer hinter ihr steht. Das Verb diaballein macht allerdings die feindliche Absicht deutlich. Neutral ist die ganze Geschichte von Anfang an nicht. Umgangssprachlich: Es wird ein Grund gesucht, jemanden los zu werden. Wichtig ist, dass der Vorwurf eben nicht auf Unterschlagung oder Betrug lautet, sondern auf Verschleuderung. Selbst bereichert hat sich der Verwalter nicht. Verschleuderung kann viel heißen, jedenfalls auch, dass der Verwalter zu großzügig war. Er hat die Güter zerstreut. In einem sehr ähnlichen Gleichnis (Mt. 25,14-28/Lk. 19,11-17) bringen die guten und treuen Knechte den Besitz ihres Herrn in Umlauf – und werden gelobt und als Vorbilder präsentiert. Es mag Unterschiede geben, auffällig ist aber die Ähnlichkeit der Protagonisten und ihres Verhaltens. Wenden wir die Einsicht an, Gleichnisse seien Metaphern! Bei dem Verwalter könnte es sich um jemanden handeln, dem der großzügige Umgang mit dem ihm anvertrauten Besitz von Gegnern zur Last gelegt wird, mehr noch: die darin eine Handhabe sehen, ihn abzuschießen und sich selbst zu profilieren. Bohren wir weiter: Es könnte sich in diesem Gleichnis um den Gleichniserzähler, Jesus, handeln. Hat er nicht den Reichtum Gottes verschleudert, verschleudert an Zöllner und Sünder? Dass er Vergebung zusprach, Tischgemeinschaft mit Ausgeschlossenen hielt, Aussätzige berührte, Kranke am Sabbat heilte, brachte ihn die Anklage ein, als Verwalter zerstreut zu haben, was ihm anvertraut war. Die Gegner Jesu scheinen in diesem Gleichnis durch, werden transparent. Von ihnen hören wir, Jesus solle Rechenschaft ablegen, wobei das Urteil längst feststand. Das Verb diaballein legt eine Spur. Erzählen wir die Geschichte doch noch einmal. Der, den der Vorwurf trifft, er habe die Güter seines Herrn verschleudert, verteilt eben diese noch konsequenter. Der Verwalter geht seinen Weg, das Ende vor Augen, entschieden weiter. Es ist kein neuer Weg. Neu ist nur der Zeitpunkt. Dicht vor der Abgabe seiner Vollmachten. Nichts deutet darauf hin, dass der Verwalter sich vergreift oder Kompetenzen überschreitet. Als Verwalter ist er berechtigt, Schulden zu reduzieren. Das Gleichnis erzählt, wie der Verwalter eine Gemeinschaft der Befreiten, der Erlösten, schafft. Georg Baudler hat das in seiner Arbeit (Jesus im Spiegel seiner Gleichnisse. Das erzählerische Lebenswerk Jesu – ein Zugang zum Glauben, Stuttgart/München 2. Aufl. 1988) so formuliert: Er (Jesus) geht den begonnenen Weg zu Ende; noch spontaner, noch aktiver und intensiver praktiziert er jenes Verhalten, das ihm als Verschleuderung der anvertrauten Güter ausgelegt und angelastet wird. Zwar steht, das sieht er nun vor sich, der gewaltsame Abbruch seines Lebens und Wirkens, der Entzug der Verwaltung am Ende seines Weges. Man lässt ihn nicht sein und wirken als den, der er ist: als den geliebten Sohn, der das Anvertraute als sein Eigenes erkennt und entsprechend damit umgeht. Seine Hoffnung aber richtet sich nun auf die Menschen, die er durch seine Botschaft und seine Zuwendung geheilt, aufgerichtet, getröstet, aus verloren geglaubten Knechten zu geliebten Töchtern und Söhnen Jahwes gemacht hat. Zu ihnen will er sich flüchten, wenn der über ihn verhängte Tod im das Leben und Wirken entzieht (S.226f.). Der Herr im Gleichnis oder auch der Gleichniserzähler Jesus lobt den Verwalter, weil er klug gehandelt hat. Indem Jesus über das Ende seines Wirkens einen Ort schuf, wo er aufgenommen und sein befreiendes Handeln erinnert und weiter getragen wird.

Perspektivenwechsel

Vom tertium comparatonis zur Metapher: Es ist ein Perspektivenwechsel, der auch der Auslegung gut tut. Der krampfhafte Versuch, aus diesem unmöglichen Gleichnis noch irgendetwas zu retten, was brauchbar ist, erweist sich als hinfällig. Jede vorschnelle Übertragung auf die Hörer und Hörerinnen, mit dem Unterton, klug sein zu müssen, ist sogar irrig. Die Gemeinde darf sich in diesem Gleichnis auch wieder finden, aber an anderer Stelle. Ich bin der Schuldner, dem die Schuldenlast genommen wird. Nach Kol. 2,14 ist der Schuldbrief sogar ganz zerrissen. Gleichzeitig gehöre ich aber zu denen, vor deren Häusern der abgesetzte Christus nun steht und um Aufnahme bittet. Im ersten kommentierenden Zusatz in V. 8b ist von den Kindern des Lichts die Rede. Die Formulierung ist eingebettet in einen breiten Strom biblischer Gedanken: die Glieder der Gemeinde Jesu tragen die Bezeichnung, weil Gott sie aus der Finsternis errettet und in das Reich seines lieben Sohnes versetzt hat (Kol. 1,13; vgl. auch Eph. 5,8). So betrachtet, fällt auch Licht auf die materiellen Dinge, wie der zweite kommentierende Zusatz in V. 9 deutlich macht. Nicht der Mammon an sich ist ungerecht, sondern das falsche Vertrauen, im Mammon das Leben zu finden. Es kommt darauf an, wie wir mit ihm umgehen, was wir wie, zu welcher Zeit, an welchem Ort machen. Sich Freunde machen mit dem Mammon heißt, ihn so zu verwenden, dass Leben dadurch gefördert wird. Darüber nachzudenken, lohnt allemal. Menschen können (auch) aus Schuldenfallen gerettet werden. Aber vorher ist von Abhängigkeiten zu reden, die der Mammon schafft, oder: Für was der Mammon herhalten muss, um Verantwortungen in Sachzwänge untergehen zu lassen. Nein, von der Metapher zum tertium comparationis möchte ich nicht mehr zurück. Lukas hat dem Gleichnis zwei kommentierende Zusätze angehängt, die auf ihre eigene Weise auslegen, wie das Gleichnis gelesen und verstanden werden kann. Wird ernstgenommen, dass es sich um Zusätze handelt, besteht die Möglichkeit, vielfältige Beziehungen wahrzunehmen, die schon der Evangelist durchgespielt hat. Unbehagen allein erschließt noch keinen Text, weckt aber den Scharfsinn. Homiletisch ist es reizvoll, gerade dieses Gleichnis gegen Ende des Kirchenjahres, am Volkstrauertrag, mit seinen überraschenden Öffnungen zu erzählen. Ich stelle mir die Predigt so vor: Zunächst erzählt sie im Zeitungsstil das Gleichnis (mit den vielen Untertönen), dann beleuchtet sie, was hier eigentlich geschieht, am Ende ist die Geschichte Jesu gegenwärtig. Gleichnispredigten können auch rhetorisch aus dem Vollen schöpfen, Spannungen aufbauen, überraschende Perspektiven aufdecken. Ein möglicher roter Faden könnte auch sein, dem Gleichnis eine Überschrift zu geben, und das nach jedem Denkschritt anders. Die Überschrift in der Luther-Bibel ist natürlich nicht kanonisch, aber einer Interpretation verhaftet. Spielerische Frage: Was ist an dem Verwalter ungerecht? Wer sich mit der Überschrift näher beschäftigen möchte, findet interessante Beobachtungen bei Christiane Nord Ungerechter oder lebenstüchtiger Verwalter? in: http://www.fachkommunikation.hs-magdeburg.de/dozenten/nord72.htm. Für die Vorbereitung spannend ist auch, die Meinungen der Kirchenväter beizuziehen, gut möglich in den catena aurea: http://www.catena-aurea.de/ljcpann25.html Mit dem Volkstrauertag als solchem kann ich nicht viel anfangen. Mit einer Ausnahme: Was unser Volk verschleudert (!), ist unwiederbringlich (?) verloren. Von Rechenschaft möchte ich reden. Auch von Trauer. Und von geöffneten Häusern, in denen Jesus unterkommt. Dass daraus keine Anklage werden kann, erzählt das Gleichnis. Ganz einfach, und doch ganz anders.

Lieder:

Das Gleichnis als Metapher scheint in den Luther-Liedern „Nun freut euch lieben Christen“ (EG 341) und „Vater unser im Himmelreich“ (EG 344) durch.

Literatur:

Joachim Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, Göttingen 7. Aufl.1965.- Hans Weder, Die Gleichnisse Jesu als Metaphern. Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen, Göttingen 2. Aufl. 1980.- Georg Baudler, Jesus im Spiegel seiner Gleichnisse. Das erzählerische Lebenswerk Jesu – ein Zugang zum Glauben, Stuttgart/München 2. Aufl. 1988.- Gisela Kittel, Lukas 16,1-18(9) in GPM 2005, S. 506-512.

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Ein Kommentar zu “Ungerechter Verwalter?

  1. Ralph Schneller

    Vielen Dank
    für mich ein sehr schwieriger Text .

    Ihre Auslegung hat mir sehr geholfen .

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