Voll von Erwartungen gehen wir auf unsere Zukunft zu

Das Reich Gottes macht sich vor allem in der Liebe, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit bemerkbar

Predigttext: Offenbarung 5,1-14
Kirche / Ort: 98597 Fambach
Datum: 27.11.2005
Kirchenjahr: 1. Sonntag im Advent
Autor/in: Pfarrer extr. Michael Glöckner

Predigttext: Offenbarung 5,1-14 (eigene Übersetzung Michael Glöckner)

Und ich sah auf der Rechten dessen, der auf dem Thron sitzt, eine Buchrolle, innen und auf der Rückseite beschrieben und mit sieben Siegeln versiegelt. Und ich sah einen starken Engel, der mit gewaltiger Stimme ausrief: „Wer ist würdig, das Buch zu öffnen und seine Siegel zu lösen?“ Niemand aber im Himmel noch auf der Erde, auch nicht unter der Erde konnte das Buch öffnen und es einsehen. Da weinte ich sehr, denn keiner wurde als würdig befunden, das Buch zu öffnen und es einzusehen. Und einer von den Ältesten sagt zu mir: „Weine nicht! Siehe, der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, hat den Sieg davon getragen, um das Buch zu öffnen und seine sieben Siegel. Und ich sah inmitten des Thrones und der vier Lebewesen und in der Mitte des Ältesten ein Lamm stehen, wie geschlachtet. Es hatte sieben Hörner und sieben Augen, das sind die (sieben) Geister Gottes, die auf die ganze Erde gesandt sind. Und es kam und nahm (es, sc. das Buch) aus der Rechten dessen, der auf dem Thron sitzt. Und als es das Buch genommen hatte, fielen die vier Lebewesen und die 24 Ältesten vor dem Lamm nieder. Jeder hatte eine Zither und mit Räucherwerk gefüllte goldene Schalen, das sind die Gebete der Heiligen. Und sie singen ein neues Lied : „Du bist würdig, das Buch zu empfangen und seine Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet und hast (Menschen) mit deinem Blut losgekauft für Gott aus jedem Stamm, Sprache, Volk und Nation und hast sie gemacht zu einem Königtum und Priestern für unseren Gott. Und sie werden auf der Erde herrschen.“ Und ich sah und hörte die Stimme vieler Engel rings um den Thron und der Lebewesen und der Ältesten. Ihr Zahl war zehntausendmal zehntausend und tausendmal tausend. Sie riefen mit gewaltiger Stimme: „Das geschlachtete Lamm ist würdig zu empfangen Macht, Reichtum und Weisheit, Stärke, Ehre, Herrlichkeit und Preis.“ Und alle Geschöpfe im Himmel, auf der Erde, unter der Erde und auf dem Meer und alles, was darin ist, hörte ich sagen: „ Dem, der auf dem Thron sitzt und dem Lamm: Preis, Ehre, Herrlichkeit und Macht in alle Ewigkeiten!“ Und die vier Lebewesen sprachen: „Amen.“ Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.

Gedanken zur Predigt

Am 1. Advent schlagen wir das Buch wieder auf. Der Ablauf der Heilsgeschichte beginnt sich in der Liturgie erneut zu vollziehen. Dass ein neues Kirchenjahr beginnt, gehört zu originärem Konfirmandenwissen. Viele Gemeinden begehen den ersten Gottesdienst mit einem Familiengottesdienst. Die Eröffnung der Aktion „Brot für die Welt“ ist ein geeigneter Rahmen, sich im „Gottesdienst im Alltag der Welt“ diakonisch auf den Kommenden vorzubereiten. Liturgisch steht der Sonntag im Zeichen der Erwartung. Wen Christinnen und Christen erwarten, wissen sie, bezieht sich ihr Warten doch auf keinen anderen als den, der bereits gekommen ist: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer“ (Sach 9,9). Deshalb macht „die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe“! (Ps 24,7) Von dem ersten Einzug handelt das Evangelium (Mt 21,1-9). Die paulinische Paränese, sich auf den Kommenden einzustellen und das Leben an ihm zu orientieren, ist der „kräftige Anspruch“, der mit der Botschaft des Advent einhergeht. Die Predigt über das „Buch mit den sieben Siegeln“, das zu nehmen und zu öffnen nur das „geschlachtete Lamm“ würdig ist, intendiert auf die Verschränkung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die in dem gekreuzigten Christus für die Welt beschlossen ist (ich predige über den Text in seiner Gesamtheit, d.h. über das ganze c.5). Wenn wir das Buch am 1. Advent neu aufschlagen, so schlagen wir doch kein neues Buch auf, sondern beginnen erneut zu lesen, was uns Halt und Orientierung geben kann, weil es einst geschehen ist und uns je wieder in unserer Gegenwart einholt. Wenn uns das so Gehörte zum Einstimmen in ein neues Lied (V9) und zur Anbetung (V14) führt, dann hat die Predigt ihr Ziel erfüllt. Zur exegetischen Vorbereitung empfehle ich E. Lohse, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen 151993, 41-46. Als Predigtlied schlage ich „Die Nacht ist vorgedrungen“ vor (Evangelisches Gesangbuch Nr. 16). Weitere Lieder könnten sein: „O komm, o komm, du Morgenstern“ (EG 19); „Das Volk, das noch im Finstern wandelt“ (EG 20).

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Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde im Advent,

von der Erwartung haben wir heute, am 1. Advent, zu reden. Immer dann, wenn wir ein neues Jahr beginnen, d.h. auch ein Kirchenjahr, gibt es Erwartungen, die sich mit ihm verbinden. Einer nimmt sich vor, dem so geliebten Glimmstengel endgültig abzusagen. Für eine andere sind es einige Pfunde, die im neuen Jahr abtrainiert werden sollen. Jemand meint, sich neu verlieben zu können, und ein anderer möchte endlich gesund werden. Manchmal liegt es in der eigenen Hand, etwas am Leben zu ändern und so des eigenen Glückes Schmied zu sein. Es scheint aber auch oft „die Zukunft in Finsternis“ zu liegen und das Herz schwer zu machen. Negative Zukunftsprognosen, wie sie mit Vehemenz immer wieder vorgetragen werden, tun ihr Übriges.

Von der Zukunft, die nicht in der Finsternis liegt, sondern für uns alle beschlossen ist und auf die wir voller Freude blicken können, handelt das Predigtwort für den ersten Adventssonntag aus der Johannesapokalypse, dem letzten Buch der Bibel: die Geschichte von dem Buch mit den sieben Siegeln, in dem, was kommt, aufgeschrieben ist, und von seiner Enthüllung. Der Seher Johannes auf der Insel Patmos hat diese Zukunft in einem Bild gesehen und davon gehört. Das hat er uns hinterlassen. Wir werden mit Johannes in den himmlischen Rat entführt und hören Worte aus dem 5. Kapitel seines Buches:

(Lesung des Predigttextes)

„Weine nicht!“ So hört Johannes, der Seher, die Stimme. Wo Menschen auf Gott warten, werden Tränen trocken. Denn die Zeit, auf die wir alle zugehen, ist eine Zeit des Lachens und nicht des Weinens, des Tanzens und nicht des Klagens, eine Zeit des Liebens und nicht des Hassens, des Friedens und nicht des Streits. „Siehe, dein König kommt zu dir“ (Sach 9,9). Die Zukunft liegt nicht im Dunkeln. Das Buch mit den sieben Siegeln ist geöffnet. Eine solche Stimme zu hören tut gut. Denn manchmal scheint es so, als gäbe es lauter Bücher mit sieben Siegeln, fest verschlossen und überhaupt nicht einzusehen. Da ist ein Mensch, vielleicht ein Verwandter oder ein Arbeitskollege, den ich einfach nicht verstehen kann. Mit ihm ergibt sich keine Nähe. Es gibt Tage, an denen ich mir selbst ein Buch mit sieben Siegeln bin: mein eigenes Leben, mein Handeln, meine Entscheidungen, ich kann sie allesamt nicht begreifen. Gott wird für mich zum Rätsel, wenn ich seinen Weg mit mir, oft auch mit der Welt nicht nachvollziehen kann. „Weine nicht!“, denn was wir erwarten dürfen, ist Gott selbst, der mit uns sein will. Auf ihn warten wir und beschränken darum die Erwartung seines Advent nicht auf die vier Wochen vor dem Weihnachtsfest.

Liebe Gemeinde, Johannes hat es gesehen und aufgeschrieben: die Tagung des himmlischen Rates um den Thron Gottes und als Verhandlungsgegenstand die Frage, wer denn würdig sei, das Buch in Empfang zu nehmen und seine Siegel zu lösen. In dem großen Kreis der Bediensteten Gottes gibt es keinen, der diesen Auftrag übernehmen könnte, bis auf DEN EINEN: Jesus Christus, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt und neues Leben ermöglicht, Leben für jeden, der glaubt. In seinem Erbarmen liegt das Heil der Welt, das Heil für uns alle beschlossen. Wie das im Einzelnen aussieht, davon berichtet die Bibel in einer Vielzahl von Erfahrungen. Jesus hat es in seinen Gleichnissen immer wieder auf den Punkt gebracht, wie das Reich Gottes, das unsere Zukunft prägt, formt und gestaltet, aussieht.

Es ist darum gut, dass wir heute auch in unserer Gemeinde die Aktion „Brot für die Welt“ eröffnen um hungernde Menschen in der Welt mit unseren Mitteln zu unterstützen. Denn das Reich Gottes, das mit Jesu Auftreten begonnen hat, unsere Welt zu verändern, macht sich eben vor allen Dingen in der Liebe, der Gerechtigkeit und der Barmherzigkeit bemerkbar. Vielleicht ist es ja so, dass unsere Welt im entscheidenden durch diese drei geprägt ist: durch Liebe, durch Gerechtigkeit und durch Barmherzigkeit. Und dass alles, was diesem Maßstab nicht entspricht, nicht von Dauer sein kann.

Auch wird die Welt nicht durch Kriege, Hass und Grausamkeit verändert, sondern beispielsweise durch die Familie, die ein Kind aus dem Heim adoptiert und liebevoll versorgt und großzieht. Die Welt wird verändert durch den Juristen, der sich für die Grundrechte von Kriegsflüchtlingen einsetzt. Die Welt wird verändert durch eine Bank, welche die Schulden der ärmsten Länder annulliert. Das Reich Gottes ist mitten unter uns. Am Ende der Zeit wird die Gemeinschaft mit Gott selbst stehen. Das ist es, was uns für die Zukunft verheißen ist und uns heute leben lässt. Immer dann, wenn wir miteinander Abendmahl feiern und uns um den Tisch des Herrn versammeln, schmecken und sehen wir etwas von dem Reich des Friedens, den Gott uns schenkt.

Wie sollen, wie können wir – wenn das so ist – dann heute und jetzt leben? Als Menschen, die auf ihren Herrn warten, als Christengemeinde im Advent. Hier hilft uns noch einmal das Bibelwort aus der Johannesapokalypse auf die Sprünge. Ich möchte es an drei Konkretionen veranschaulichen:

Ein neues Lied

Nachdem das Lamm das Buch empfangen hatte, heißt es von den Heiligen: „Sie singen ein neues Lied“ (V9). Vielleicht würde uns das auch gut bekommen, einmal neue Töne anzuschlagen und nicht immer nur in das gewohnte, vertraute und darum sehr liebe Horn der Gleichförmigkeit und Eintönigkeit zu stoßen. Liebe, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gehören absolut noch nicht zu dem, was sich auf unserer Welt von selbst versteht. Das neu zu singende Lied könnte darin bestehen, Liebe zu üben, wo Hass an der Tagesordnung ist; zu verzeihen, wo Menschen mich beleidigen und entwürdigen; zu verbinden, wo Streit ist; ein Licht anzuzünden, wo Finsternis regiert; Freude zu machen, wo Kummer wohnt. Merke darum erstens: Wer auf den Herrn wartet, kennt auch andere, neue Lieder.

Manchmal ist es gut, die Dinge einfach so stehen zu lassen

Als die Geschöpfe das Lamm gepriesen hatten, sprachen die vier Lebewesen: „Amen“ (V14). Das ist hebräisch und heißt: „So sei es.“ Wer „Amen“ sagt, bestätigt das Gehörte. Manchmal ist es gut, die Dinge einfach so stehen zu lassen. Oft sind wir es gewohnt, alles und jedes zu hinterfragen. Dem aufgeklärten Menschen steht es gut zu Gesichte, sich nicht damit abzufinden, was passiert, sondern er will viel eher aufspüren, was die Welt in ihrem Innersten zusammenhält. Es gibt aber Fragen, die offen bleiben; Probleme, die wir nicht durchschauen und Kreisläufe, die wir niemals beherrschen werden. Noch leben wir im Glauben und haben Gott nicht von Angesicht zu Angesicht gegenüber (1 Kor 13,12). Wir müssen damit leben, dass wir nicht alles wissen und erklären können. Ich meine damit nicht ein naives „Ja und Amen“ derer, die wirklich nichts begriffen haben, sondern das „Amen“ derer, die Gott vertrauen und ihn Herr über ihr Leben und Sterben sein lassen. Merke darum zweitens: Wer auf den Herrn wartet, vertraut ihm voll und ganz.

Anbetung

„Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“ (V14) Am Ende steht die Anbetung, die Anbetung vor der Herrlichkeit Gottes. Vielleicht können uns die drei Weisen aus dem Osten helfen zu verstehen, wie das geschehen kann. Als Jesus geboren war, machten sie sich auf um den Ort zu suchen, an dem die Heilige Familie war. Als sie die Stelle gefunden hatten, fielen sie nieder und beteten das Kind an (Mt 2,11). Sie fragten nicht nach Beweisen. Sie vertrauten einfach der Situation, und aus diesem Vertrauen heraus erfolgte ihre Anbetung. „Ich sehe dich mit Freuden an/ und kann mich nicht satt sehen/ und weil ich nun nichts weiter kann,/ bleib ich anbetend stehen./ O dass mein Sinn ein Abgrund wär/ und meine Seel ein weites Meer,/ dass ich dich möchte fassen.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 37, Strophe 4). Merke darum drittens: Wer auf den Herrn wartet, betet allein ihn an.

Voll von Erwartungen gehen wir auf unsere Zukunft zu

Liebe Gemeinde, voll von Erwartungen gehen wir auf unsere Zukunft zu. Wir haben Mut, neue Pfade zu beschreiten, denn wir wissen Gott auf unserer Seite. Wie er einst in die Welt gekommen ist, so wird er wiederkommen. Darauf dürfen wir vertrauen, im Leben und im Sterben. Wenn es einen Sinn gibt in dieser unserer Welt, dann ist es doch kein anderer als der, dass sie sich auf die Begegnung mit dem Herrn der Welt freut. Darum ist der Advent im Zeichen der Freude, der Freude auf den wiederkommenden Herrn. Seine Spuren sind dieser Welt tief eingeprägt, sein Wirken ist unter uns lebendig. Es sind die Spuren der Liebe, die bleibt: Am Anfang und am Ende haben wir von nichts als von dieser Liebe zu reden.

Amen.

Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

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