Vom Warten und Erwarten
Warum auch eine Klage ein Vertrauensbeweis sein kann, und „Kopf hoch!“ kein fauler Trost ist
Predigttext: Jesaja 63,15 – 64,3 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)
15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich. 16 Bist du doch unser Vater; denn Abraham weiß von uns nichts, und Israel kennt uns nicht. Du, HERR, bist unser Vater; »Unser Erlöser«, das ist von alters her dein Name. 17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind! 18 Kurze Zeit haben sie dein heiliges Volk vertrieben, unsre Widersacher haben dein Heiligtum zertreten. 19 Wir sind geworden wie solche, über die du niemals herrschtest, wie Leute, über die dein Name nie genannt wurde. Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen, 64, 1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht, dass dein Name kundwürde unter deinen Feinden und die Völker vor dir zittern müßten, 2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten - und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! - 3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.Vorbemerkungen
Der Jesaja-Text kann sehr gut in heutiges Advents-Empfinden sprechen mit seiner Klage, die eigentlich eine sehnsuchtsvolle Frage ist. Trotz allen Widrigkeiten ist freilich schon eine Antwort enthalten: Es wird immer noch mit Gott gerechnet und damit, dass es nicht so bleibt, wie es ist. Eine zweite Antwort gibt der Wochenspruch Lk 21,28, der zum „Kopf hoch!“ animiert und Perspektive gibt. Die Predigt wurde stark inspiriert von zwei Adventspredigten Dietrich Bonhoeffers, sodass sie auch immer wieder Bonhoeffer sprechen lässt.Literatur:
Dietrich Bonhoeffer, Warten können, Predigt zum 1. Advent 1928 über Off. 3, 20; Wie ein Gefangener auf Befreiung wartet, Predigt zum 1. Advent 1933 über Lk 21,28, in: ders., Predigten, Auslegungen, Meditationen, Bd. 1 1925 – 1935, München, 1984, S. 207–213 und S. 403–409. (In der Kürze der Zeit – der Autor sprang für einen kurzfristig verhinderten ein – konnte das dem „Zettelkasten“ entnommene Nietzsche-Zitat nicht mehr bibliographisch nachgewiesen werden.)Liedvorschläge:
„O Heiland, reiß die Himmel auf“ (EG 7, nimmt Jes 64,1 auf), „Die Nacht ist vorgedrungen“ (EG 16, bes. Str. 3+4), „Seht auf“ (EG 21, zum Wochenspruch).Liebe Gemeinde,
Kein „besinnlicher“ Advent?
auf den ersten Blick oder auf das erste Hören ist das doch kein adventlicher Text? Kein adventlicher Text, weil er sich weil er sich nicht friedlich, besinnlich und lichtvoll anhört. Er klingt nicht nach schönen Adventsliedern, nach vielen Kerzen, die leuchten, nach Harmonie. Er klingt eher nach dem Gegenteil: Karg, ja hart, überhaupt nicht harmonisch. Ein Schrei, eine einzige Klage.
Fragen, ohne Antwort. Der Autor klagt und schreit. Von Gott fühlt er sich verlassen: Wo ist nun dein Eifer, dein Engagement, dein Einsatz, Gott? Wo ist deine Hilfe? Wo ist deine Macht? Warum lässt du uns abirren von guten Wegen? Warum lässt du mich, lässt du uns allein?
Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? so heißt es in Psalm 22. Fragen und Schreie, die von schwierigen Verhältnissen und schweren Situationen sprechen. Fragen, die sich auch gegenwärtig auftun können, in persönlichen Situationen, aber auch angesichts der vielschichtigen Probleme, die die Menschheit mit sich trägt und die ihre Zukunft unsicher sein lassen. (Hier können Beispiele eingefügt werden)
Doch im Schreien, im Flehen, im Klagen und Fragen – steckt nicht gerade da der Advent?
Besinnung auf das Warten
Advent feiern heißt doch: warten können. Advent feiern heißt doch: etwas erwarten. Erwarten und warten ist eine Kunst, die unsere ungeduldige Zeit vergessen hat. Sie will die reife Frucht brechen , wenn sie kaum den Sprössling gesetzt hat. Aber die gierigen Augen werden nur allzu oft betrogen, indem die scheinbar so köstliche Frucht von innen noch grün ist.
“Wer nicht die herbe Seligkeit des Wartens, das heißt des Entbehrens in Hoffnung kennt, der wird nie den ganzen Segen der Erfüllung erfahren. Wer nicht weiß, wie es einem zumute ist, der bange ringt mit den tiefsten Fragen des Lebens, seines Lebens, und wartend, sehnend ausschaut, bis sich die Wahrheit ihm entschleiert, der kann sich nichts von der Herrlichkeit dieses Augenblicks, in dem die Klarheit aufleuchtet erträumen…. Auf die größten und tiefsten zartesten Dinge in der Welt müssen wir warten….”, das gibt uns Dietrich Bonhoeffer zu denken.
Besinnung auf das Erwarten
Warten und etwas Erwarten dazu bedarf es einer Unruhe und einer Ahnung, einer Hoffnung und einer Sehnsucht: Dass das, was ist, eben nicht alles ist. Und so ist es für unseren Beter, für den Autor unseres Textes. Er rechnet noch mit etwas: In all der Gottferne und Dunkelheit hofft er auf Gott, sehnt er sich nach Gottes heilsamen Eingreifen, hofft er darauf, dass der Himmel sich auftut – dass eben das, was ist, nicht alles gewesen sein wird.
Ja, der Beter hat Teil an der durchaus sehr modernen Erfahrung: Gott sieht weg. Oder gar noch härter: Gott kann uns gar nicht sehen: “Ich suche Gott. Ich suche Gott…Ist er denn verloren gegangen? Hat er sich verlaufen wie ein Kind? … Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? Ausgewandert?“ fragt provozierend Friedrich Nietzsche. Und geht es einem nicht manchmal so – angesichts der schmerzlichen Erfahrungen, die man machen muss, am eigenen Leib, in der eigenen Lebensgeschichte und angesichts der vielen ungelösten Fragen und Konflikte, die die Menschheit hat?
Doch es leuchtet noch etwas anderes auf. Diese Hoffnung und diese Sehnsucht, dass es mehr geben wird als das, was es gibt und was man erfährt. Die Hoffnung, dass es ein gutes und gelingendes Leben geben kann und geben wird, die Hoffnung auf Frieden. Das leuchtet durch. Indem es eben der Beter herausschreit, in dem er es einklagt: So schau nun vom Himmel herab – Kehr nun endlich zurück, Ach dass du den Himmel zerrissest… und herabführest…
Der Beter – es könnte genauso gut eine Beterin sein – klagt ein: klagt von Gott ein, dass Gott mit ihm, mit ihr, mit uns sein soll – ja noch mehr: will erlöst sein – will befreit sein, gerettet werden aus den Wogen des Meeres, das einen oft allzu hart hin und her wirft. Will festen Boden unter den Füßen, will aufrechten Hauptes gehen können, will herausgelöst werden aus schwierigen Verstrickungen. Kurz: erlöst werden.
Erlösen lassen ist auch ein Aktivum
Da stellt sich noch eine weitere Frage, ja vielleicht sogar die Adventsfrage: “Will ich erlöst sein? Will ich mich erlösen, befreien lassen?“ Brennt noch irgendein Rest von Sehnsucht, von der Erkenntnis dessen, was Erlösung heißen könnte?
“Wenn nicht“, so fragt Dietrich Bonhoeffer im Advent 1933, „wenn nicht, was wollen wir dann vom Advent? Was wollen wir dann von Weihnachten? Ein bisschen Sentimentalität? Ein bisschen innere Erhebung? Ein bisschen Stimmung?” Und er fährt fort: “Wenn aber da etwas ist, das noch davon wissen will, das sich an diesem Wort (Erlösung) entzündet; wenn da etwas in uns diesem Wort glaubt; wenn wir spüren, es könnte noch einmal, noch einmal in unserem Leben eine Wendung ganz zu Gott hin, zu Christus hin geschehen – warum hören wir dann nicht einfach das uns angebotene, zugerufene, in die Ohren geschriene Wort: Die Erlösung ist nah? Warte nur ein noch einen kleinen Augenblick… Gott kommt zu uns, zu dir und mir. Christus, der Retter ist da“.
Hilfe und Beistand
Der Autor unseres Textes hofft und baut darauf; er will sich in diese Bewegung vom Himmel zur Erde mit hinein nehmen lassen- er will sich erlösen, befreien lassen, von all dem, was ihn sorgenvoll, angstvoll umtreibt: Bist du doch… so sein Bekenntnis, … unser Vater. Unser Erlöser. Statt Vater kann man heute getrost „Elternteil“ sagen – nur klingt das ein bisschen zu unpersönlich, und gerade um das persönliche Vertrauen wie zu Vater, Mutter, einem lieben Menschen, geht es.
Darum, dass einen jemand entlastet, dass man entlastet wird, dass man gelassen werden kann. Dass wir aus schwierigen Verhältnissen herausgeholt werden , wörtlich „losgekauft“, befreit aus Verhältnissen, die unfrei machen und unterdrücken.
Da ist jemand, der einem beisteht und sich zu einem hält – gerade in misslichen Lagen, die einen gefangen halten und mit Beschlag belegen. Der Vater oder die Mutter, die zum Kind steht und ihm hilft, auch wenn es sich selbst verschuldet ins Unglück versetzt hat. Wie der Vater im Gleichnis von verlorenen Sohn, der ihm eine neue Chance gibt, der ihm die Hand reicht. Darauf vertraut der Beter unseres Texts, damit rechnet er, darauf hofft er.
Kopf hoch zum ungetrübten Blick nach vorn
Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht (Lukas 21, 28), eure Rettung und Befreiung – der Wochenspruch ist gleichsam die Antwort auf das unruhige Sehnen Jesajas – aufsehen und den Kopf erheben, die Fragen und die Sorgen aussprechen. Klagen und die Besserung einklagen, das heißt auch, die eigen Situation und sich selbst wahrnehmen. Das heißt wahrnehmen: Mir fehlt etwas. Und zugleich hoffen und darauf bauen: Es gibt mehr als das, was ist; es gibt das gute und das wahre Leben, auch wenn vieles in mir und außer mir dagegen spricht.
Das bedeutet sich in die Bewegung vom Himmel zur Erde hinein nehmen lassen, und so hat das letzte Wort nocheinmal Dietrich Bonhoeffer: „Advent schafft Menschen, neue Menschen… Seht auf, ihr, deren Blick stur auf die Erde gerichtet ist, die gebannt sind von den kleinen Geschehnissen und Veränderungen auf der Oberfläche der Erde. Seht auf, die ihr euch vom Himmel enttäuscht abgewendet habt. Seht auf ihr, deren Augen von Tränen schwer sind und dem nachweinen, das uns die Erde entrissen hat. Seht auf ihr, deren Blick schuldbeladen sich nicht erheben kann…. Seht auf, und erhebt eure Häupter. Seid furchtlos! Denn Christus kommt…. Es ist etwas am Werk auch in uns. Dass wir`s nicht zuschütten, dass wir auftäten dem, der da kommen will.“
Amen.
Interessante Impulse, aber wenig Antworten.
Ist das die Botschaft von Advent?
Ich habe die predigt mit Interesse gelesen, werde sie aber nicht für meine Predigt verwenden.