Das Unannehmbare annehmen

Wie können wir christusgemäß miteinander umgehen?

Predigttext: Römer 15,4-13
Kirche / Ort: Göttingen
Datum: 11.12.2005
Kirchenjahr: 3. Sonntag im Advent
Autor/in: Vikarin Dr. Martina Janßen

Predigttext: Römer 15,(4)5-13 (Übersetzung nach Martin Luther, revidierter Text 1984)

(Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben.) Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, dass ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): „Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.“ Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): „Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!“ Und wiederum (Psalm 117,1): „Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!“ Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): „Es wird kommen der Spross aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.“ Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Auslegung und homiletische Bemerkungen

Auslegung

In Röm 14,1-15,13 behandelt Paulus das Verhältnis von Starken und Schwachen. 15,1-13 schließt dabei thematisch an 14,1-23 an und besteht aus zwei Abschnitten (15,1-6//15,7-13), die eine parallele Struktur aufweisen: Auf den paränetischen Appell (15,1-2//15,7a) folgt ein Hinweis auf den Dienst Jesu (15,3//15,8f), der durch den Rückgriff auf das AT expliziert wird (15,3 [Ps 68,10LXX]//15,9-12 [Ps 17,50LXX; Dtn 32,43, Ps 117,1, Jes 11,10]). Ein Gebetswunsch schließt jeweils den Gedankengang ab (15,5f//15,13). Abgesehen von diesem analogen Aufbau sind beide Abschnitte durch die Hervorhebung des Lobpreises Gottes (15,6//15,7.9-12), die Aufforderung zur Einmütigkeit (15,6//15,7) und die „Hoffnung“ als Schlüsselwort (15,4//15,13) verbunden. 15,1-6 bezieht sich auf den konkreten Konflikt in der römischen Gemeinde, den Paulus auch schon in Röm 14 thematisiert. Die Schwachen verzichten aufgrund der Thoraobservanz auf den Verzehr von Fleisch. Die Starken machen mit der Freiheit des Evangeliums ernst und essen Fleisch. Das führt zu Konflikten, denen Paulus seine Ermahnungen entgegenstellt. 15,1-2 setzt zunächst die Paränese aus Röm 14 fort. Die paulinische Forderung aus Gal 6,2 („Einer trage des anderen Last!“) wird konkretisiert: Die Starken sollen - wie in 1 Kor 8,1-13 u.ö. - das Unvermögen der Schwachen tragen. Es gilt, dem Nächsten zu gefallen (15,2 erinnert an das Liebesgebot in Röm 13,8-10) und nicht sich selbst zu Gefallen zu leben (vgl. 1 Thess 2,4). In 15,3-4 liefert Paulus die Begründung der Paränese, indem er auf das Vorbild Christi verweist (15,3): Christus lebte nicht sich selbst zu Gefallen, sondern hat sich erniedrigt (vgl. Phil 2,1-11). Diese christologische Aussage unterstreicht Paulus mit Psalm 68,10LXX. In 15,2 folgt ein hermeneutischer Schlüssel zum Verständnis des AT: Die Schrift ist zwar zuvor geschrieben, zielt aber auf die heutige Bedeutung ab. Sie ist für uns geschrieben (vgl. auch Röm 4,24; 1 Kor 9,10; 1 Kor 10,11). Der erste Gedankengang (Röm 15,1-6) endet mit einem gebetsartigen Schluss, der zum einmütigen Lobpreis Gottes auffordert (15,5-6). Die Einmütigkeit als ideale Verhaltensweise innerhalb der christlichen Gemeinde ist ein zentraler Gedanke im NT (vgl. nur Apg 1,14; 2,46; 4,24; 5,12; Röm 12,16; Phil 2,2 u.ö.). „Wo der Fundamentalkonsens im Bekenntnis zu Christus Jesus gegeben ist, da wird dieser alle Glieder der Gemeinde – unbeschadet einzelner nicht übereinstimmender Ansichten – in der Gemeinschaft des Leibes Christi zusammenhalten, so dass Einheit in Vielfalt bestehen und Vielfalt auf Einheit bezogen bleiben kann.“ (E. Lohse). Das einmütige Loben (vgl. auch 1 Clem 34,7) erinnert zudem an die jüdische Vorstellung vom einmütigen Lobpreis der Engel vor Gottes Thron und hat geradezu eschatologische Qualität. Mit Röm 15,7-13 liegt ein neuer Argumentationsgang vor, der mit dem ersten Gedankengang eng verbunden ist (vgl. auch 15,7: dio). In 15,7 weitet Paulus die in Röm 14,1 ausgesprochene Aufforderung, den Schwachen im Glauben anzunehmen, auf ein gegenseitiges Annehmen aus. Es geht jetzt nicht mehr um den konkreten Konflikt in Rom. Vielmehr ist die ganze christliche Gemeinde im Blick. Paulus begründet seine Paränese wie in 15,3 mit Hilfe der Konformitas-Christologie („...wie Christus euch angenommen hat.“). Zugleich nennt Paulus in 15,7b den Grund, der die gegenseitige Annahme ermöglicht. Der Imperativ „Nehmt einander an!“ ist begründet im Indikativ „Christus hat euch angenommen.“ Gegenseitige Annahme ist möglich durch die Tatsache, dass in Christus alle gleichermaßen angenommen sind (vgl. Röm 14,3). In 15,8-9a beschreibt Paulus den Dienst Christi, wobei er im Hinblick auf die Juden und Heiden differenziert. Für die Juden erweist sich am Dienst Christi die Treue und Zuverlässigkeit Gottes; die Sendung Jesu ist ebenso wie die Teilhabe der Heiden am Lobpreis Gottes die Erfüllung der alttestamentlichen Weissagung. Die Heiden, die durch Christus Zugang zum Heil haben (vgl. auch Eph 2,18), verdanken indes alles der Barmherzigkeit Gottes. Aus diesem Grund sollen sie Gott loben. Eine alttestamentliche Zitatenkollektion aus allen Teilen der Schrift (Tora, Propheten und Schriften) entfaltet diesen Gedanken in 15,9b-12. Der gesamte Gedankengang in 15,1-13 – von G. Sass als „Summe des Römerbriefes“ bezeichnet und von E. Käsemann thematisch mit Röm 1,16f auf eine Ebene gestellt - endet mit einem gebetsartigen Schluss in 15,13, der einer „kettenartigen Aneinanderreihung der Heilsbegriffe“ (O. Michel) gleicht. Predigttext für den 3. Advent ist Röm 15,4-13. Die Zäsur bei V. 4 ist schwierig. Zum einem liegt in 15,1-6 ein geschlossener Gedankengang vor, zum anderen begründet 15,4 direkt die in 15,3 getroffene Aussage. Für die Textgrundlage der Predigt stellt sich folgende Frage: Nimmt man 15,1-3 hinzu oder beginnt man erst mit 15,5 oder gar mit 15,7? Das hängt nicht zuletzt von der homiletischen Entscheidung ab.

Homiletische Bemerkungen

(I) Ein mögliches Thema gibt Röm 15,7 vor: „Nehmt einander an wie Christus euch angenommen hat“. Als beliebter Trauspruch, als Losung des Kirchentages 1993 in München und als Liedstrophe in der Adventszeit (EG 17,2) hat dieser Vers eine gewisse Eigendynamik. Eine Predigt über das Thema „Einander Annehmen“ kann indes ganz unterschiedlich akzentuiert sein. Will ich über das Annehmen unterschiedlicher Gruppen im binnenkirchlichen, vielleicht sogar gemeindlichen Raum predigen („Einheit in der Vielfalt“ – „Vielfalt in der Einheit“)? Will ich die Ökumene der christlichen Kirchen bzw. den christlich-jüdischen oder gar multireligiösen Dialog in den Vordergrund stellen? Oder will ich über das gegenseitige Annehmen im Alltag reden? (II) Ein zentrales Leitwort der Perikope ist die Hoffnung. Hoffnung passt zum Advent. Wagen wir noch, etwas wirklich Großes zu hoffen? Was (oder wen?!) erwarten wir im Advent? Und: Was folgt aus unserer Hoffnung? „Wer auf Christus hofft, kann sich nicht abfinden mit der vorgegebenen Wirklichkeit, sondern beginnt an ihr zu leiden, ihr zu widersprechen.“ (J. Moltmann) (III) Ein weiteres starkes Motiv des Textes ist das „(einmütige) Loben“. Wie kann man Gott loben angesichts (trotz?!) der negativen Erfahrungen, mit denen wir täglich konfrontiert sind. Die Frage der Theodizee erscheint am Horizont – ein Thema für sich. (IV) In 15,8-9 wird der Dienst Christi differenziert. Auch das ist ein Anhaltspunkt für eine eigene Predigt. „Gott/Christus hat viele Gesichter. Er kann auf unterschiedliche Weise erfahren werden.“ Dieser Gedanke könnte auch im Hinblick auf die Ökumene fruchtbar gemacht werden. (V) Denkbar wäre auch eine Predigt, die 15,4 in den Mittelpunkt stellt! Wie gehen wir mit den alttestamentlichen Verheißungen um? Ich entscheide mich für das Thema „Nehmt einander an!“ (Ich beginne deswegen die Textlesung mit Röm 15,5.) I. Ich möchte den Appell „Nehmt einander an“ nicht auf einen allzu oberflächlichen Aufruf zur Harmonie à la „Friede, Freude, Pfefferkuchen!“ reduzieren. Allzu leicht könnte man hier der Gefahr der Banalisierung erliegen. Es geht mir vielmehr um folgende Frage: „Wie können wir christusgemäß miteinander umgehen?“ In der Adventszeit klingt das leicht, da sind die Herzen weiter. Aber es gibt auch andere Zeiten, andere Situationen. Im ersten Teil der Predigt möchte ich die vorweihnachtliche Leichtigkeit in bezug auf das Annehmen problematisieren und die Hörer für die Frage sensibilisieren: „Wie und warum können wir einander wirklich annehmen?“ II. „Doch nur, weil Christus uns angenommen hat!“ Wichtig ist mir 15,7b (...wie Christus euch angenommen hat...). In diesem Indikativ („wir sind von Christus angenommen“) ist der Imperativ („wir können einander annehmen“) verankert. Hier bietet das Wort „annehmen“ viel Potential. Diese semantische Polyvalenz möchte ich für die Predigt fruchtbar machen. Christus hat unsere menschliche Natur angenommen und ist Mensch geworden (Phil 2,7). Womit wir bei Weihnachten wären. Die Inkarnation endet bekanntlich am Kreuz und Jesu Tod für uns. Womit wir beim Thema des Römerbriefes, der Rechtfertigung, wären. Paul Tillich beschreibt die Rechtfertigung als „Annahme des Unannehmbaren“. Trotz unserer Unannehmbarkeit sind wir von Gott bejaht. Diese neue Wirklichkeit gilt es nun unsererseits zu bejahen. III. Die neue Wirklichkeit kann unsere alltägliche Wirklichkeit verändern. Im Licht der Hoffnung auf die noch ausstehende Erfüllung und mit der Kraft des heiligen Geistes, der uns schon jetzt gegeben wurde, können auch wir einander annehmen. Und in der Gemeinschaft der Angenommenen anstimmen zum Lob Gottes!

Literatur:

E. Lohse, Der Brief an die Römer, KEK 4, 2003.- Chr. Möller, „Gott wird Mensch dir, Mensch, zugute.“ Menschwerdung in Advents-und Weihnachtsliedern, GPM 1998/99, 2-7.- E. Käsemann, Der Brief an die Römer, HNT 8a, 1974, 3. überarb. Auflage.- O. Michel, Der Brief an die Römer, 1978, 5. Auflage.- H. Jürgenbehring/ G. Goldbach, 3. Advent: Mit offenen Armen, PrSt 1999, 25-33.- P. Tillich, Der Protestantismus als Kritik und Gestaltung, 1962 (Ges. Werke VII, hrsg. R. Albrecht).

Liturgievorschläge

Liedvorschläge in Auswahl:

„Laudate omnes gentes“ (EG 181.6), „Tochter Zion“ (EG 13), „Macht hoch die Tür“ (EG 1), „O Heiland“ (EG 7), „Wir sagen euch an“ (EG 17,3).

Gebet:

Psalm 8,2-10 (EG 705)

Meditation

Einander annehmen Wer einen Menschen wieder zum Lachen bringt, der schließt ihm das Himmelreich auf. Wer einem Menschen Geduld schenkt, der infiziert ihn mit Hoffnung. Wer einen Menschen aufnimmt, so wie er selber von Christus angenommen ist, der löst ihm die Zunge zum Loben. Lasst uns ausziehen aus unseren Gewohnheiten und unseren Gewöhnlichkeiten, um an der Bibel das Hoffen zu lernen. Lasst uns ausziehen und über die Grenze gehen, um das Leben mit Hoffnung zu infizieren. Lasst uns keine Grenzen mehr achten, sondern nur noch den, der die Grenzen öffnet. (J. Moltmann)

zurück zum Textanfang

Liebe Gemeinde!

„Einander annehmen“ – leicht oder schwer?

„Wir sagen euch an den lieben Advent. Sehet, die zweite Kerze brennt! So nehmet euch eins um das andere an, wie auch der Herr an uns getan. Freut’ euch ihr Christen, freuet euch sehr! Schon ist nahe der Herr.“ (EG 17,2) – so haben wir letzten Sonntag gesungen, leicht ist uns dieses Adventslied von den Lippen gegangen! Weit sind unsere Herzen in dieser Zeit! Weihnachten steht vor der Tür! Gemütlichkeit! Aufmerksamkeiten – große und kleine! „Nehmt einander an!“ – so ruft uns Paulus im Brief an die Römer zu. In diesen Tagen klingt das leicht. Auf feierlich geschmückten Straßen. Bei Tannenduft, Kerzenschein, Lebkuchen, einem edlen Tropfen, stimmungsvoller Musik. „Nehmt einander an!“ In diesen Tagen klingt das durchaus annehmbar! Genau wie die anderen Worte des Predigttextes: Hoffnung! Loben! Frieden! Einmütig! Das passt. Friedvolle Tage. Jubel über ein lang erhofftes Geschenk. Harmonisches Beisammensein. Freudige Erwartung. Sogar ein Fernsehprogramm, das so manches Lob verdient.

Doch diese Tage haben auch ein anderes Gesicht. Das kennen wir auch alle. „Nehmt einander an!“ In überfüllten Geschäften. Dann, wenn die wohlinszenierte vorweihnachtliche Harmonie einen Riss bekommt und sich in jene Art von Hektik verwandelt, die uns die Nerven und die Luft zum Atmen raubt. „Nehmt einander an!“ Wie nehmen wir diese Worte dann auf? Wenn unsere Stimmung nach der neunten Adventsfeier langsam verkekst und von den vielen edlen Tropfen verkatert ist? „Nehmt einander an!“ Klingt unser Predigttext immer noch annehmbar? Auch dann, wenn wir merken – so annehmbar sind wir selbst, so annehmbar sind die anderen gar nicht. Gerade in diesen Tagen.

Christus hat uns angenommen und annehmbar gemacht

„Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in seinem höchsten Thron, der heut schließt auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn..//(…)// Er äußert sich all seiner G’walt, wird niedrig und gering und nimmt an eines Knechtes Gestalt, der Schöpfer aller Ding.// Er wechselt mit uns wunderlich: Fleisch und Blut nimmt er an und gibt uns in seins Vaters Reich die klare Gottheit dran.“ (EG 27,1.3.4) – diese Worte werden wir bald in der Weihnachtszeit singen. Kein Text für eine Weihnachtspostkarte. Kein seichter Schlager. Christus nimmt an eines Knechtes Gestalt. Christus nimmt an Fleisch und Blut. Das feiern wir Weihnachten. Gott schenkt uns seinen Sohn. Geschenke haben jetzt Hochkonjunktur. Doch Gottes Geschenk ist kein gewöhnliches Geschenk. Eigentlich ist es unannehmbar für uns. Dieses Geschenk verdienen wir nicht, damit konnten wir nicht rechnen, dafür können wir uns nicht revanchieren. – Eine glatte Rechnung ist die Gnade nicht. –

Der Theologe Paul Tillich hat einmal gesagt: „Das Evangelium ist die Annahme des Unannehmbaren“. Annehmbar sind wir wirklich nicht, in keiner Hinsicht. Gottes Urteil über uns kann nur ein „Nein“ sein. Und dennoch ist die Nachricht, die uns erreicht, keine Abrechnung, kein Todesurteil, sondern eine gute Nachricht, eine Freudenbotschaft. Unannehmbar wie wir sind, trotz aller Schuld – Gott sagt „Ja“ zu uns. Und wie er es zu uns sagt! Gott sagt nicht einfach: „Irgendwie bist du schon o.k. Etwas Heil kann ich dir schon geben. Eine kleine, angemessene Portion“. Nein, so klingt Gottes „Ja“ nicht. Gottes „Ja“ ist ein klares „Ja“. Gott hat sich nicht blind gegenüber unseren Fehlern gestellt, unsere Schwächen schöngeredet, unsere Flecken wegretuschiert. Gottes „Ja!“ zu uns ist kein zögerliches, kein halbes „Ja“, das einem Kompromiss entspringt und sich morgen in ein „Nein“ verwandelt. Gott schenkt uns seinen Sohn.

Weil Jesus Christus unsere Menschheit angenommen und sein Kreuz – unsere Schuld – auf sich genommen hat, sind wir in sein Leben mit hinein genommen. Wir sind annehmbar geworden vor Gott, in jeder Hinsicht. Welch’ fröhlicher Wechsel! Welch’ ein Geschenk! Nehmen wir es an! Glauben wir an Gottes „Ja“! Sagen wir „Ja“ zu diesem „Ja“! Nehmen wir dieses Geschenk Gottes an! Diese Hoffnung, die bleibt. Dieses Versprechen, das hält. Auch nach den Festtagen. Dann ist die Freude übergroß, dann steht der Himmel offen – „kein Schloß und Riegel für“ (EG 7,1).

Als Angenommene einander annehmen

„Wir sagen euch an den lieben Advent. Sehet, die dritte Kerze brennt! Nun tragt eurer Güte hellen Schein weit in die dunkle Welt hinein! Freu’t euch ihr Christen, freuet euch sehr! Schon ist nahe der Herr.“ (EG 17,3) – so haben wir heute gesungen. Eine neue Wirklichkeit bricht an! Ganz nah ist sie schon. Ihr heller Schein wirft schon jetzt sein Licht in unsere Welt. Alles ist verwandelt. Wir können uns neu begegnen. Wie Menschen, die sich vielleicht jahrelang kennen – vielleicht arbeiten sie zusammen, vielleicht benutzen sie jeden Tag die gleiche U-Bahn, vielleicht kaufen sie im gleichen Supermarkt ein. Und auf einmal stellen sie unverhofft eine Gemeinsamkeit fest, ein gemeinsames Hobby, einen gemeinsamen Schmerz, ein gemeinsames Geheimnis vielleicht. Und dann schaut man den, den man vorher nur flüchtig – vielleicht sogar widerwillig – gestreift hat, plötzlich mit neuen Augen an. Ein neues Licht fällt auf ihn, er bekommt ein neues Gesicht. So können auch wir uns als Kinder Gottes neu begegnen. Im Licht seiner Gnade können wir einander ansehen wie Gott uns ansieht – als Angenommene und Annehmbare.

So unannehmbar der andere uns auch erscheint, so unverständlich uns seine Position anmutet, so unansehnlich wir vielleicht sein Gesicht finden – Gott hat zu ihm „Ja“ gesagt. Wie er zu mir „Ja“ gesagt hat. In dieser neuen Wirklichkeit können wir „Ja“ zueinander sagen; in dieser neuen Wirklichkeit „können wir sein wie die Träumenden. Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein.“ (Psalm 126, 1b.2a.) Dann können wir loben. Wie aus einem Mund. Einmütig. Einmütig loben die Engel vor Gottes Thron. Aber Engel sind wir nicht. Wir sind noch nicht im Himmel. Manchmal wird unser Lied der ein oder andere schiefe Ton stören, manchmal werden wir Untertöne hören, streckenweise mag unsere Stimme an Klang und Kraft einbüßen, mitunter werden wir aus dem Takt geraten. Aber schon jetzt können wir „dem Herrn den Weg bereiten, denn siehe: der Herr kommt gewaltig.“ (Jes 40,3.10) Laufen wir ihm entgegen! Loben wir ihn herbei! „Lobt Gott, ihr Christen alle gleich, in seinem höchsten Thron, der bald schließt auf sein Himmelreich und schenkt uns seinen Sohn.“

Amen

zurück zum Textanfang

Ihr Kommentar zur Predigt

Ihre Emailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert.