Ausblick auf den Lobgesang der Vollendeten

Das Zeugnis des Stephanus und Zeugnisse der Märtyrer unserer Zeit

Predigttext: Offenbarung 7,9-17
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 26.12.2005
Kirchenjahr: Christfest (2)
Autor/in: Pfarrer i.R. Rudolf Kremers

Predigttext: Offenbarung 7,9-17 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

9 Danach sah ich, und siehe, eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, 10 und riefen mit großer Stimme: Das Heil ist bei dem, der auf dem Thron sitzt, unserm Gott, und dem Lamm! 11 Und alle Engel standen rings um den Thron und um die Ältesten und um die vier Gestalten und fielen nieder vor dem Thron auf ihr Angesicht und beteten Gott an 12 und sprachen: Amen, Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen. 13 Und einer der Ältesten fing an und sprach zu mir: Wer sind diese, die mit den weißen Kleidern angetan sind, und woher sind sie gekommen? 14 Und ich sprach zu ihm: Mein Herr, du weißt es. Und er sprach zu mir: Diese sind's, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes. 15 Darum sind sie vor dem Thron Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Thron sitzt, wird über ihnen wohnen. 16 Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; 17 denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen des lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Gedanken zu Gottesdienst (I.) und Predigt (II.)

I. Der 2. Christtag ist nach kirchlicher Tradition auch der „Stephanstag“, d. h. der Tag an dem des Stephanus, des ersten Märtyrers der Kirche, gedacht wird. Ob dieses Gedenken mit Absicht auf den zweiten Weihnachtstag gelegt wurde oder zufällig darauf fiel, ist unsicher. Jedenfalls aber fällt durch dieses Zusammentreffen ein besonderes Licht auf Weihnachten; denn es zeigt das Ziel des Geschehens, das im Stall von Bethlehem seinen Ausgang nahm. Stephanus sieht dieses Ziel, dem alle Weltgeschichte entgegenläuft, in der Stunde seines Todes, und Johannes schaut es am Ort der Verbannung, auf Patmos. Die ganze „Offenbarung“ ist auf dieses Ziel hin, um dieses Ziel herum, geschrieben. Der Lobgesang im Himmel, der uns da in immer neuen Bildern vor Augen gemalt wird, ist der „cantus firmus“, der hinter und über den Schrecken der Weltgeschichte ertönt. Wir Menschen unserer Zeit fragen: Wie kann Gott das alles zulassen, dieses tausendfache Leiden und Sterben in Kriegen, Verfolgungen, Hungersnöten und Katastrophen? Aber es ist das, was im Grunde schon die Weihnachtsgeschichte bezeugt, die ja nur der Anfang der Leidensgeschichte des Gottesssohnes auf Erden ist. Nur überhören wir das gerne und machen dann aus dieser Geschichte ein friedliches Idyll, in dem es nur um Frieden und Freude und Nächstenliebe geht. Es ist nicht leicht, der schon etwas predigtmüden Gemeinde am 2. Christtag das wirkliche Heilsgeschehen auf Erden vor Augen zu stellen, das ohne Leiden, Opfer und Tod nicht zur Vollendung kommt. Mein Vorschlag ist deshalb, diesen Gottesdienst vom gemeinsamen Singen bestimmen zu lassen, wie das ja oft an diesem zweiten Festtag geschieht. Nur sollte er eben nicht bestimmt sein vom R ü c k b l i c k auf Weihnachten, sondern vom A u s b l i c k auf den Lobgesang der Vollendeten im Himmel. Jeder rechte Gottesdienst ist ja eine Vorwegnahme dieses himmlischen Freudenfestes. II. Als Text bzw. textlichen Hintergrund der Predigt nehme ich nicht nur den vorgeschlagenen Text aus der Offenbarung, sondern auch das Zeugnis des Stephanus in der Apostelgeschichte und Zeugnisse der Märtyrer unsrer Zeit. So ergibt sich eine Dreiteilung der Predigt und des ganzen Gottesdienstes. Das gemeinsame Thema ist dabei die Öffnung des Himmels über denen, die in der Nachfolge Christi ihr Leben zum Opfer bringen müssen. In der Predigt werden also nicht alle verlesenen Texte ausgelegt, das wäre unmöglich, sondern es wird versucht, von diesen Texten her das genannte Thema zu veranschaulichen. Jeder der drei Teile, mit denen der gesamte Gottesdienst gestaltet werden kann, mündet ein in ein Lied, in dem die Gemeinde einstimmt in den Lobgesang der Vollendeten im Himmel.

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Liebe Gemeinde,

der zweite Christtag, den wir heute begehen, ist auch der „Stephanstag“, d. h. der Tag, an dem die Christenheit von alters her des Diakons Stephanus gedenkt, des ersten Märtyrers der Kirche. Diese Erinnerung bringt uns heilsam zum Bewusstsein, dass das Geschehen, das an Weihnachten anhebt, auf Erden nicht nur Frieden, Freude, Liebe und Dankbarkeit hervorgerufen hat, sondern auch Kampf, Leiden und Tod. Wir vergessen das in den weihnachtsseligen Gefühle dieser Tage ja leicht und fragen dann, wenn diese Gefühle abgeklungen sind: Wo ist denn der Frieden auf Erden, von dem die Engel in Bethlehem gesungen haben? Aber die erste politische Folge jener Geburt im Stall war eben nicht Frieden, sondern der „Kindermord von Bethlehem“. Sie, diese Kinder, sind eigentlich die ersten Märtyrer, die ersten Opfer des Geschehens, das in Bethlehem anhebt und das dann weiterläuft über Golgatha und die Märtyrer Stephanus, Jakobus, Petrus, Paulus und viele andere. Darauf wollen wir uns heute besinnen; denn der Himmel hat sich nicht nur über dem Kind in Bethlehem und dem Mann aus Nazareth geöffnet, sondern auch über allen, die in seiner Nachfolge ihren Glauben mit dem Tod besiegelt haben.

Lied „O Heiland reiß die Himmel auf“, EG 7,4-7

(Lesung aus Apostelgeschichte 7,54-60: Die Vision des Stephanus)

Über dem Märtyrer Stephanus öffnet sich der Himmel, so wie er sich über dem Kind in Bethlehem und dem Gekreuzigten auf Golgatha geöffnet hat. Er darf schauen, was er geglaubt hat: dass dieser Gekreuzigte der „Herr“ ist, dass er jetzt und in alle Zukunft regiert und alles, was geschieht, in seiner Hand hat. Mögen seine Feinde toben, mögen sie Kinder ermorden, mögen sie die Gläubigen verfolgen und umbringen – seine Herrschaft können sie nicht antasten. Dies Glaubenszeugnis des sterbenden Stephanus nehmen wir auf, sprechen wir nach fast in jedem Gottesdienst, wenn wir gemeinsam bekennen: „Er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten.“

Aber glauben wir das wirklich? Können wir das noch glauben angesichts der tausendfachen Leiden in der Welt, von denen wir hören und die wir selbst erlebt haben? Können wir das noch glauben angesichts der Erfahrung, dass nicht nur einige unschuldige Kinder in Bethlehem, sondern dass Millionen von jüdischen Schwestern und Brüdern des Mannes aus Nazareth in die Gasöfen geschickt wurden? Warum hat er das zugelassen? Warum greift er nicht ein, wenn er doch zur Rechten Gottes sitzt, und das heißt das Weltregiment in seinen Händen hat? Eine erschöpfende, befriedigende Antwort haben wir nicht, liebe Gemeinde. Wir müssen uns damit zufrieden geben, dass es so ist, dass Gott den bösen Gewalten in der Welt, die Millionen von Menschen in Leiden und Tod hineinreißen, Raum gegeben hat und Raum gibt. Aber wir dürfen und sollen auch sehen, dass Gott die Menschen, die sich ihm im Leben und Sterben anvertrauen, durch den Tod ins Leben hineinreißt. Wir dürfen und sollen auch erkennen, dass Gott uns dazu ausersehen und berufen hat, in allen Schrecken der Weltgeschichte die Herrschaft seines Sohnes Jesus Christus und sein kommendes Friedensreich mit Wort und Tat zu bezeugen, wenn es sein muss unter Einsatz unseres Lebens. Dazu ermutigt uns das Zeugnis des Stephanus und aller Märtyrer. Und dafür können und wollen wir Gott loben, mit dem Lied, in dem es heißt: „Dein Reich ist nicht von dieser Erden, doch aller Erde Reiche werden dem, das du gründest untertan…“

Lied „Dein König kommt“, EG 14, 3+5+7

Als der Großangriff der römischen Gewaltherrscher gegen die aufstrebende Christengemeinde begann, wurde als einer der ersten der Presbyter Johannes, das verehrte und geliebte Oberhaupt der kleinasiatischen Gemeinden, festgenommen und auf das öde Eiland Patmos verbannt. Man glaubte ihn damit unschädlich zu machen. Aber eben dort in der Verbannung wurden Johannes die großen Visionen zuteil, die im Buch der Offenbarung aufgeschrieben sind, das zum Trostbuch der Christenheit in allen Verfolgungszeiten geworden ist. Wir lesen daraus heute aus Kapitel 7 die Verse 9-17.

(Lesung des Predigttextes)

Auch über dem gefangengesetzten und verbannten Johannes öffnet sich der Himmel. Was er schauen darf, ist nicht nur Jesus zur Rechten Gottes, sondern mit ihm „eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“, die vor dem Thron Gottes stehen und ihn preisen, indem sie singen: „Lob und Ehre und Weisheit und Kraft und Stärke sei unserm Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ – Wer sind diese? Woher sind sie gekommen, fragt Johannes. Und er bekommt die Antwort: „Diese sind’s, die gekommen sind aus der großen Trübsal und haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider hell gemacht im Blut des Lammes“. Was soll das heißen? Nun es heißt: Die, welche da mit den Engeln Gottes um seinen Thron versammelt sind, haben das Blut, das auf Golgatha geflossen ist, für sich in Anspruch genommen, das heißt: Sie haben sich darauf berufen, wenn ihr eigenes Leben, ihr gottloses Wesen, sie verklagt und umgetrieben hat, dass da jener Andere für sie sein Leben hingegeben hat, und sie haben daraus den Mut gewonnen, auch ihr eigens Leben dem zum Opfer zu bringen, der durch sein Opfer am Kreuz sie gereinigt und befreit hatte. So, durch solche Opfer, man muss es deutlich sagen: durch blutige Opfer, geschah und geschieht es, dass das Reich Gottes auf Erden begründet und ausgebreitet wird, zu allen Zeiten, im Reich der Caesaren ebenso wie im Dritten Reich oder im Reich der Bolschewiken. Diese Reiche haben ihre Zeit, in der sie Furcht und Schrecken verbreiten und sich wie ewig gebärden, aber diese Zeit ist begrenzt, sie vergehen alle – Gottes Reich aber kommt. Das ist es, was Johannes schauen darf.

„Eine große Schar, welche niemand zählen konnte…“, sieht Johannes im geöffneten Himmel im Lobpreis Gottes und des Lammes vereint. Können, werden wir da auch dazugehören? Ja, wir können das, denn sie kommt ja „aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen“. Da zählt keine Herkunft völkischer, rassischer oder auch religiöser Art, da zählt nur eines: ob wir es wagen, wie jene himmlische Schar „unsere Kleider zu waschen im Blut des Lammes“, ob wir es wagen, das für uns in Anspruch zu nehmen, was uns in jeder Abendmahlsfeier zugesprochen wird: „Nehmet, trinket, das ist der Kelch, das Neue Testament in meinem Blut, das für euch vergossen wird“. Nur das zählt, dass wir es wagen , diese Worte ernst zu nehmen und uns darauf gründen, was dort auf Golgatha für uns und alle Welt geschehen ist, und das heißt, dass wir es wagen, uns mit Wort und Tat zu dem zu bekennen, der dort sein Leben für uns eingesetzt hat, dass wir bereit werden, wenn nötig auch unser eigenes Leben für ihn aufs Spiel zu setzen. Dann können wir nicht nur einmal im Himmel, sondern jetzt schon, heute und hier, einstimmen in den großen Lobgesang aller Engel und Erzengel, aller Märtyrer und Heiligen, der in und über den Schrecken und Dunkelheiten der Weltgeschichte ertönt. Und das wollen wir nun auch tun.

Lied „Brich an, du schönes Morgenlicht“, EG 33,1-3

Lesung – Zeugnisse von Märtyrern unsrer Zeit

Gegen Ende des letzten Krieges haben viele Christen bei uns und in anderen Ländern ihren Glauben, d. h. ihr von diesem Glauben bestimmtes Leben und Handeln mit dem Tode bezahlt. Als Feinde des herrschenden Unrechtsregimes oder Widerstandskämpfer wurden sie verurteilt und hingerichtet. Von ihren Glaubenszeugnissen angesichts des Todes wollen wir nun noch einige hören.

Der katholische Priester Alfons Maria Wachsmann, der am 21. Februar 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ hingerichtet wurde, schrieb 23. Dezember 1943 an seine Schwester Maria:

„So arm wie in diesem Jahr habe ich noch nie an der Krippe gekniet. Mir ist alles abgesprochen: mein Heim, meine Ehre, mein Leben…als Gabe trage ich zur Krippe: Hunger und Kälte, Einsamkeit und Verlassenheit. Mein einziger Schmuck sind die blanken Fesseln. So will ich mein Leben, das im Dienste des Weihnachtskönigs stand, ihm geben, der mich mit seinem kostbaren Blut erlöst hat“. Und am Tag vor seiner Hinrichtung: „In einer Stunde gehe ich hinüber in die Herrlichkeit des lebendigen Gottes. Ich habe mich ganz und restlos und ohne jeden Vorbehalt Gott ergeben. In seiner Hand bin ich geborgen. In seinem heiligen Herzen wird mich Christus hinüberreisen zum Vater. Maria wird mich beschützen und St. Josef mich begleiten“.

Peter Moen, der am 4. Februar 1944 als maßgebliches Mitglied der norwegischen Widerstandsbewegung verhaftet wurde und auf dem Transport nach Deutschland umgekommen ist, weil das Gefangenenschiff auf eine Mine lief, schreibt in seinem Tagebuch, das unter dem Fußboden seiner Zelle in Oslo aufgefunden wurde:

„Dies ist ein wirkliches Erlebnis:
An meiner Zellenwand erschien das Bild
Von Christi Haupt, dornengekrönt.
In tiefem Frieden lag sein Schmerz gestillt
Und kundtat stumm: gesühnt, versöhnt…
Du, Gott und Mensch, hast sterben wollen
Und wolltest deiner Unschuld Schmerz.
Floss denn dein Blut in minder vollem
Schlag als in meinem bangen Herz?
O nein, durch deines Opfers Macht
Hast unsre Qual du wollen enden.
Und als du sprachst: Es ist vollbracht!
Nahmst du uns Sünder bei den Händen.
O Christus, Bruder nenn ich dich,
den Bruder mein in Schmerz und Not.
Den Weg der Gnade führe mich
Aus Angst und Sünden und dem Tod“.

Peter Graf York von Wartenberg, der am 8.August 1944 als Teilnehmer am Aufstand des 20.Juli hingerichtet wurde, schrieb im Abschiedsbrief an seine Frau:

„Ich hoffe zuversichtlich in Gott einen gnädigen Richter zu finden… Als wir vom letzten Abendmahl hinweggingen, da fühlte ich eine fast unheimliche Erhabenheit, ich möchte es eigentlich Christusnähe nennen. Rückblickend scheint sie mir wie ein Ruf…. Mein Tod, er wird hoffentlich angenommen als Sühne aller meiner Sünden und als Sühnopfer für das, was wir alle gemeinschaftlich tragen. Die Gottesferne unserer Zeit möge auch zu einem Quäntchen durch ihn verringert werden“.

Diese Zeugnisse sind so klar und eindrücklich, liebe Gemeinde, dass dazu nichts mehr gesagt werden muss als eben dies: Auch über diesen Märtyrern unsrer Zeit hat sich der Himmel geöffnet. Sie durften schauen, was sie geglaubt haben, und sind so getrost ihrem Ende entgegengegangen – uns zum Vorbild und zur Ermutigung.

Daraufhin wollen wir nun miteinander singen : “Herr, mach uns stark im Mut, der dich bekennt, dass unser Licht vor allen Menschen brennt…“

Lied EG 154

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