Nach vorn schauen

Aufbruch in ein neues Jahr im Vertrauen zu Gott

Predigttext: 2.Mose 13,20-22
Kirche / Ort: Marien / Pößneck - Jüdewein/Thüringen
Datum: 31.12.2005
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pfarrer Jörg Reichmann

Predigttext: 2. Mose 13, 20-22 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

So zogen sie aus von Sukkot und lagerten sich in Etam am Rande der Wüste. Und der Herr zog vor ihnen her, am Tage in einer Wolkensäule, um sie den rechten Weg zu führen, und bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten, damit sie Tag und Nacht wandern konnten. Niemals wich die Wolkensäule von dem Volk bei Tag noch die Feuersäule bei Nacht.

Bemerkungen zum Predigttext und zur homiletischen Situation

Zur Einzelversexegese wurde die Erarbeitung von C. Grethlein in EPM 1993/1994 Band I (EVA Leipzig 1994) herangezogen. Unser Text ist der Abschluss der „Vorbemerkungen“ ( in den Versen 17-22) zur Flucht der Israeliten aus Ägypten, die im anschließenden Kapitel 14 dramatisch geschildert wird. Die Beschreibung des offensichtlichen Umweges der Israeliten (statt direkt aus dem Nildelta nach Osten erst in südliche Richtung auf ägyptischen Reichsterritorium) in den Versen 17+18 als Gottes weisen Ratschluss fällt auf, besonders wegen der Begründung durch die mögliche Ängstlichkeit der Auswanderer vor der Aggressivität der Philister, die sicher erst spätere Generationen Israels tatsächlich erlebten. Historisch dürfte wohl eher die perfekte Grenzsicherung der Ägypter im Nildelta, wie sie Ausgrabungen belegen, das unüberwindliche Hindernis gewesen sein, das die Flüchtlinge zur Suche nach einem „Schlupfloch“ zwang, welches wohl viel eher im Bereich der südlicher im Grenzverlauf gelegenen tückischen Sumpf- und Bitterseegebiete im zu finden war, in denen es weit weniger Festungen und Soldaten gab. Der Vers 19 unterstreicht die Endgültigkeit des Aufbruches. Israel nimmt die Gebeine des Stammvaters mit, es gibt keinen Grund mehr zum Bleiben oder gar zur Rückkehr. Die Verse 20-22 schließen in ihrer theologischen Aussage der deutlich sichtbaren Gegenwart Gottes in unsicherer Zeit und drohender Lebensgefahr die „Vorbemerkungen“ zur Flucht ab und bauen gleichzeitig schon die Brücke zum nachfolgenden Geschehen. Die Gottesdienstgemeinde ist am Sylvesterabend in der besonderen Verfassung dieses Tages anzutreffen. Jahresrückblick, Wunsch nach Besinnung und Stärkung mischen sich mit Unsicherheit vor den möglichen Erlebnissen im neuen Jahr, bestimmt durch die bisherigen Lebenserfahrungen. Die Predigt möchte die klare Zusage der Gegenwart Gottes im Aufbruch in ein neues Jahr weiter sagen.

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Sehnsucht

In wenigen Stunden werden sie zu sehen sein, liebe Gemeinde, die Zeichen am Himmel – Raketen und Feuerwerk, bunt und strahlend. Einige Mitmenschen können’s schon jetzt am späten Nachmittag nicht mehr erwarten, hier und da zischt und knallt es bereits. Da mögen die Leute noch so rechnen müssen, auf das Feuerwerk will keiner verzichten. Warum? Weil das Feuerwerk ein Zeichen der Sehnsucht ist – nach heiler Welt im neuen Jahr, es möge gut gehen mit uns in der Zukunft, von der keiner weiß, was sie bringen wird.

Wonach sehnen Sie sich am meisten im neuen Jahr? Arbeit? Gesundheit? Frieden auf Erden? Oder ein Neuanfang in der Beziehung? Wenn wir zur Ruhe kommen, besonders an diesem Tag heute und in diesen Stunden vor dem Jahreswechsel, fällt uns Vieles ein. Vieles, was wir loswerden wollen, was im alten Jahr wie eine Fessel war, uns gehalten hat wie Sklaven, wo wir uns nach Veränderung sehnen in der neuen Zeit. Ach wenn es doch nur endlich mal vorwärts ginge hier in der Region und genügend Arbeitsplätze entstünden, damit die jungen Leute eine Perspektive haben und nicht nur die Alternative zwischen Abwanderung oder mühevoller Lehrstellensuche, die nicht selten in Arbeitslosigkeit endet. Die Sehnsucht nach Veränderung steckt in uns und wird gerade heute wieder bewusst – wir teilen sie mit den Menschen des Volkes Israel in Ägypten, in anderer Zeit, anderer Kultur- aber so konnte und sollte es nicht bleiben, die endlosen Tage voller harter Arbeit, die zunehmende Ungerechtigkeit der Staatsdiener, die Aussichtslosigkeit des Lebens. Die Sehnsucht nach Veränderung war groß, doch einen Ausweg wusste niemand. Bis Gott dann endlich den Mose schickte.

Aufbruch und Grenze

Unsere Bibel erzählt ausführlich und mehrfach vom Aufbruch, was alles in Ägypten und mit den Ägyptern geschehen musste, bis sie das Volk Israel ziehen ließen. Ein hoffnungsvoller Aufbruch, Gott hat seine Macht erwiesen heißt es. Doch dann, wie es immer so ist, sind die Losgezogenen schnell an Grenzen gekommen, im wahrsten Sinne des Wortes an die Landesgrenze, aber auch an die noch viel höhere innere Grenze: Wie soll es weiter gehen. Denn die Ägypter, die nach biblischer Erzählung eigentlich nur hätten froh sein können, die Quälgeister loszuwerden, könnten sich´s mit einem mal anders überlegen. Jetzt wird´s eng. Bewaffnete mit schnellen Streitwagen werden ihnen hinterhergeschickt. Auf Flucht steht in Ägypten für Sklaven Todesstrafe. Die Grenze ist dicht. Bestens bewacht. Da kommt keiner durch. Ab in die Wüste, Haken schlagen, weg von den viel begangenen Wegen, verstecken. Doch Orientierung in der Wüste ist schwer für Menschen, die seit Generationen im Kulturland lebten. Da läuft man schnell im Kreis, da sitzt man schnell in der Falle. Wir schaffen das nicht. Da gibt’s keinen Ausweg…Der Mut sinkt, die Ratlosigkeit steigt mit jedem Tag der Wanderung.

Und Mose? Dem erst alle vertrauten, der zuerst alle begeisterte, erntet Kritik, so wie jeder, der zum Aufbruch geraten hat und dann, wenn´s einmal losging, mit Durchhalteparolen kommt. Jetzt sitzen wir in der Wüste, was nun?! Was haben wir gekonnt? Nichts! Stammtisch, wenn´s einen gegeben hätte, so am Herdfeuer im Beduinenzelt. Recht haben sie. Ist ja auch Irrsinn, entweder in der Wüste zu verhungern oder den Polizisten in die Arme zu laufen. Zeichen

Gott kennt sein Volk, weiß, was das für Angsthasen und Bedenkenträger und Zweifler und Jammerlappen sind. Wollen lieber als Knechte und Sklaven ein geregeltes Leben führen als sich auf neues, unbekanntes aber freies Leben einlassen. Und mit ihrem Gottvertrauen ist es wohl auch nicht weit her. Deshalb lässt Gott nichts anbrennen, keine Verwirrung aufkommen, setzt unübersehbare Zeichen: Wolkensäule, Feuersäule, deutlicher geht’s nicht. Gott sei Dank, haben die Menschen gedacht, passt genau, sagen wir heute. Ein unübersehbares Zeichen und dann auch noch genau zur richtigen Zeit da, wenn´s gebraucht wird. Und kein Herumgedeute, was das wohl sein könnte, UFO, Wettererscheinung, physikalisch erklärbar, nein, Gott setzt Zeichen und das verstehen alle eindeutig und klar.

Mutig wäre heute der zu nennen, der sich eine solche Deutung zutraut und auch noch laut sagt, dass Gott eindeutige Zeichen setzt, Kritik und Gelächter wären ihm sicher. Ist andererseits auch gut so, denn Fehldeutungen und Mutmaßungen zu Naturereignissen gibt es reichlich, und es käme noch jemand auf den Gedanken, die Riesenflut in Südostasien vor einem Jahr oder das Beben in Pakistan als Gottes Zeichen zu verkaufen. Dabei wissen wir doch, wenn wir die Bibel kennen: Mit Noahs Geschichte und dem Regenbogen fallen ein für allemal Naturkatastrophen dieser Art als Zeichen Gottes aus.

Entdecken

Aber wie sind die Zeichen zu finden in unseren Tagen? Haben Sie, liebe Gemeinde, in diesem zu Ende gehenden Jahr Zeichen für Gottes Gegenwart wahrnehmen können? Oder hatten Sie das Gefühl, allein durch die Wüste ziehen zu müssen? Mag ja sein, dass wir zu beschäftigt waren, um genau hinzusehen. Mag ja sein, dass wir nicht wirklich mit Gottes Gegenwart rechneten, weil die Rechnung bisher ohne ihn aufzugehen schien. Mag auch sein, wir haben in die falsche Richtung geschaut, nur auf uns selbst und den eigenen Kummer, so wie die alten Israeliten, bis sie den Kopf hoben und nach vorne schauten. Als sie nach vorn schauten, sahen sie das Zeichen Gottes. Unübersehbar.

Kreuz

Schauen Sie nach vorn, liebe Gemeinde, Sie sehen Gottes Zeichen auch hier, unübersehbar: Das Kreuz Christi. Das Symbol für die Liebe Gottes. In Jesus hat Gott sich selbst zum Zeichen gegeben. Am Kreuz nimmt er unsere Schuld auf sich. Das Kreuz steht für den Gott, der unser Leiden kennt, dem nichts fremd ist, was Menschen schmerzt, der dem Tod nicht entging. Doch das Kreuz ist noch mehr: Es ist das Symbol der Auferstehung, der Überwindung des Todes, des neuen, unzerstörbaren Lebens, gewonnen durch Jesus, für uns. Das heißt, auch wir haben Teil an diesem Leben, auch wenn unser Leben nicht einfach ist, oft einer Wüstenwanderung gleicht. Aber wir dürfen wie die alten Israeliten gewiss sein, dass uns Gott vorangeht, dass wir seine Zeichen in unserem Leben entdecken können. Dazu müssen wir aufbrechen, den Kopf heben, innere Grenzen überwinden. Ja, das ist es: Aufbruch in ein neues Jahr als Aufbruch zu einer neuen Lebenssicht aus dem Vertrauen zu Gott. Kommen Sie mit, wir werden erwartet!

Amen

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