Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht

Jahreslosung aus Josua 1,5 für das Neue Jahr 2006

Predigttext: Josua 1,5
Kirche / Ort: Providenz-Kirche Heidelberg Altstadt/City
Datum: 31.12.2005
Kirchenjahr: Altjahresabend
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Josua 1,5 (Jahreslosung 2006, Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

(Gott spricht:) Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Zu den Übersetzungen von Josua 1,5

Gedanklich und homiletisch anregend war für mich neben der Einbeziehung des Kontextes, besonders auch des in Vers 5 unmittelbar vorangehenden theologisch bedeutsamen Zuspruchs des Mitseins Gottes (´aehjaeh ´immak), ein Vergleich der verschiedenen Übersetzungen von Josua 1,5 mit dem hebräischen Urtext. Ich stelle eine Auswahl von Übersetzungen nebeneinander und gebe einen Übersetzungsversuch aus dem Hebräischen. Martin Luther, 1545 (= 1912) Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. Martin Luther, Revision 1984 Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Elberfelder, 1905 Ich werde dich nicht versäumen und dich nicht verlassen. Elberfelder, 1993 ich werde dich nicht aufgeben und dich nicht verlassen. Zürcher Bibel, 1942 Ich will nicht nicht verlassen noch preisgeben. Schlachter, 1951 Ich will dich nicht loslassen und gar nicht verlassen. Einheitsübersetzung, 1980 Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Naftali Herz Tur-Sinai (H. Torczyner, 1886-1973), dt. Ausgabe 1993 (Die Heilige Schrift ins Deutsche übertragen) Ich lasse dich nicht sinken und verlasse dich nicht. The New Jerusalem Bible I shall not fail you or desert you. New King James Version, 1982 I will not leave you nor forsake you. French Bible Jerusalem Je ne t'abandonnerai point ni ne te délaisserai. Vulgata Non dimittam nec derelinquam te. Septuaginta ouk egkataleipso se oude hyperopsomai se Hebräische Bibel (BHS) lo `arpeka welo `ae´aezebaeka Eigener Übersetzungsversuch Ich lasse dich nicht im Stich (hebr. Verbum rph = im Stich lassen, aufgeben), und ich verlasse dich nicht (hebr. Verbum `zb = verlassen).

Lieder

„Nun lasst uns gehen“ (EG 58,1+6+7), „Es ist ein Ros entsprungen“ (EG 30), „Der du die Zeit in Händen hast“ (EG 64,1-3+6) bzw. „Meine Zeit steht in deinen Händen“ (EG 644, Regionalteil Baden, Elsass und Lothringen), „Von guten Mächten“ (EG 65,1+6+7), „Bewahre uns, Gott“ (EG 171).

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Liebe Gemeinde!

Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Was für ein guter Zuspruch für unsere Wege im vor uns liegenden Neuen Jahr 2006. Ich sehe ein Kind vor mir, das vorsichtig auf einer schmalen Mauer balanciert, links und rechts wird es von Mutter und Vater begleitet. Vorsichtig setzt das Kind Fuß vor Fuß, hält die Arme weit ausgebreitet, um das Gleichgewicht zu halten. Die Eltern sind aufmerksam, sofort bereit zuzugreifen, das Kind festzuhalten, wenn es in Gefahr gerät, herunterzufallen. Das Kind kann das riskante Gehen auf der Mauer ausprobieren. Wenn es unsicher wird, kann es nach der Hand der Eltern greifen, sich stützen oder führen lassen. Sollte das Kind herunterfallen, würden es die Eltern sofort auffangen, und es würde in die bergenden Arme des Vaters oder der Mutter fallen. Das Kind weiß: Meine Mutter, mein Vater, lassen mich nicht fallen, sie sind an meiner Seite und verlassen mich nicht, lassen mich nicht im Stich, sie nehmen mich an die Hand, wenn ich sie brauche.

Dieses Eltern-Kind-/Kind-Eltern-Bild kann unsere Gottesbeziehung veranschaulichen. Wir möchten aber vielleicht gleich einwenden: Die Risiken auf meinem Lebensweg haben mich doch schon tief fallen lassen, ich bin abgestürzt, wie ungesichert und hart bin ich aufgeschlagen, habe mich verletzt und Wunden davongetragen. Wer weiß, was mich außerdem noch so zum Stolpern bringt, dass ich sogar am Boden liegen bleibe.

Wir können diese Bedenken nicht einfach beiseite schieben. Denn es lässt sich ja nicht leugnen, dass wir täglich in der Gefahr stehen, abzustürzen. Wir kennen wahrscheinlich alle das Gefühl, dass uns in bestimmten Lebenssituationen der Boden gleichsam unter den Füßen weggezogen wird und wir wie ins Bodenlose fallen. Da verliert jemand plötzlich seinen Arbeitsplatz, der ihm bisher eine Sicherheit und Unabhängigkeit gab, auf einmal droht der soziale Abstieg, das Schwinden des Selbstbewusstseins und der Selbstachtung. Diejenigen, die eine Arbeitsstelle haben, können heute nicht mehr sicher sein, ob sie diese morgen noch haben. Wir wünschen uns gegenseitig Gesundheit im Neuen Jahr, weil wir wissen, welch unbezahlbares hohes Gut sie ist und wie hilflos wir sind, wenn uns eine Krankheit gleichsam anfällt und überfällt. Von einem Menschen, der uns nahe stand, fallen gelassen zu werden, tut sehr weh. Wie schmerzlich, wenn Menschen aus Enttäuschung einander aufgeben; soll auf einmal alles nicht mehr gelten, was sie verbunden hatte? Und wie ist es mit dem „Sündenfall“, wenn ein Mensch in Schuld fällt – wer fängt ihn auf? Ist das Leben nicht voller „Fallen“ und „Fallstricke“?

Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

So steht es in der Bibel. Einst galt dieser Zuspruch Josua. Als Mose starb, sollte er als sein Nachfolger das Volk Israel ins „Gelobte Land“ führen. Wir können uns vorstellen, wie wenig Josua sich diesem Auftrag gewachsen fühlte, die Rolle des Mose, seines großen Vorbildes, zu übernehmen. Wie wir aus dem biblischen Zusammenhang erfahren, hatte er auch die Aufgabe, das Land an die einzelnen Volksstämme zuzuteilen und das Volk anzuhalten, auf die Gebote Gottes zu achten – was für eine Verantwortung.

Gott sprach zu Josua: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Gott spricht dem verzagten Josua Mut zu, indem er ihm versichert, ihn nicht im Stich zu lassen (so heißt es wörtlich im hebräischen Urtext). Und Gott erinnert ihn an die Gebote, die in den „Zehn Geboten“ zusammengefasst sind. Es sind gute Weisungen zum Leben, die ihm helfen, seinen Auftrag zu erfüllen und ihn stärken in der Gewissheit, dass Gott an seiner Seite ist, mit ihm geht, ihn begleitet, gerade in schwierigen Zeiten soll Josua daran denken: Gott lässt mich nicht fallen und verlässt mich nicht. Wenn mir etwas gelingt und ich Erfolg habe, darf ich mich darüber freuen. Und will mir nichts von der Hand gehen und ich mir wie von Gott und der Welt verlassen vorkomme, will mir Gott sagen: Ich lasse dich nicht im Stich, ich stütze, ich führe dich…Auch die schweren Zeiten gehören zu deinem Leben, deiner Lebensgeschichte, sie sind kein Beweis dafür, dass ich meine Hand von dir weggezogen habe und dich habe fallen lassen. Ich habe dir mein Wort gegeben, du kannst dich darauf verlassen. „Sei getrost und unverzagt“ (Josua 1,6).

Wieder sehe ich das balancierende Kind vor meinen Augen. Haben nicht auch die Eltern ihr Kind spüren lassen, dass sie es beschützen, und haben sie außerdem nicht zu ihrem Kind gesagt: Sei vorsichtig, schaue genau hin, wo du gehst. Zur Achtsamkeit, die Gott uns und wir einander schenken, gehört also, dass wir uns auch selbst in Acht nehmen, bedenken, was wir sagen und tun und Weisungen wie die Zehn Gebote, die unserem Leben Sinn geben, annehmen. Sie gehören zu der Hand, die mich sicher hält und leitet, zu dem Geländer, an dem ich mich festhalten kann, damit ich gut gehen kann und nicht vom Weg abkommen oder gar abstürze. Gott legte es Josua ans Herz, „Tag und Nacht“ die Worte der Bibel gleichsam nach-, in sich hineinzusprechen, sie zu betrachten, zu meditieren – „dann wird es dir gelingen, und du wirst es recht ausrichten“ (Josua 1,8).

Mehr als drei Tausend Jahre sind seit Josua vergangen, Gott sei Dank blieb bis heute bewahrt, was auch uns wie damals Josua in überraschenden, überfallartigen und bedrückenden Lebenssituationen helfen kann: das Vertrauen, dass uns Gott nicht im Stich lässt und sich nicht von uns abwendet, dass Gott wie ein Vater sorgt (das möge uns hier an den Namen dieser Kirche erinnern: Providenz – Gott wird sorgen) und dass Gott wie eine Mutter tröstet, mit uns geht und uns den Rücken stärkt. Wir müssen uns die Zuwendung dieses Gottes Josuas nicht verdienen, ebenso wenig, wie wir uns die Liebe unserer Eltern verdienen müssen.

Wie treffend umschreibt der Name Josua die Art und Weise der Beziehung Gottes zu seinem Volk, seiner Familie, den einzelnen Menschen, der hebräische Name Jehoschua´ bedeutet: GOTT IST HILFE, Gott hilft, gibt dich nicht auf, lässt dich nicht fallen und verlässt dich nicht. Was für ein hoffnungsvoller Name, die Erinnerung daran wird uns gut tun auf den Wegen durch das Neue Jahr.

Etwa ein Tausend Jahre nach Josua, dem Ephraimiter (Josua 24,30), bekam der entsprechende/gleiche Name nocheinmal einen besonderen Klang – als „Name, der über alle Namen ist“ (Philipper 2,9), Jehoschua´ / Josua von Nazareth; der uns vertraute lateinische Name Jesus lässt die Übereinstimmung mit dem Namen des Mose-Nachfolgers nicht sofort erkennen, doch lautete der ursprüngliche hebräische Name unzweifelhaft: Jehoschua´ (bzw. Jeschua´ ) GOTT IST HILFE. Nachdem sich Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise, besonders aber durch seine Boten (Prophetinnen und Propheten) ins Gespräch brachte und für die Menschen erfahrbar wurde (Hebräer 1,1), hat es ihm gefallen, einen Namen besonders hervorzuheben und durch den einzigartigen Namensträger zu bekräftigen (Philipper 2,9), was uns Menschen wirklich trägt, der Zuspruch des helfenden Gottes und dass wir uns davon in unserem Leben bestimmen lassen: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Wenn ich mich zuweilen in einem aufreibenden Geschehen von Gott verlassen fühle und ein Stoßseufzer mir näher liegt – hat nicht auch jener Jehoschua´ einmal gerufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Psalm 22,2/Matthäus 27,46) –, soll mir die Erinnerung an jenen Zuspruch neue Kraft geben und helfen.

Gott spricht (auch) zu mir: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Welch ein Trost, welch eine Ermutigung für unsere Wege im noch unbekannten Neuen Jahr 2006.

Amen.

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