Ich will mit dir sein

Wir müssen uns die Zuwendung des Gottes Josuas nicht verdienen

Predigttext: Josua 1,1-9
Kirche / Ort: Heidelberg
Datum: 01.01.2006
Kirchenjahr: Neujahrstag
Autor/in: Pfarrer Heinz Janssen

Predigttext: Josua 1,1-9 (Übersetzung nach Martin Luther, Revision 1984)

1Nachdem Mose, der Knecht des HERRN, gestorben war, sprach der HERR zu Josua, dem Sohn Nuns, Moses Diener: 2 Mein Knecht Mose ist gestorben; so mach dich nun auf und zieh über den Jordan, du und dies ganze Volk, in das Land, das ich ihnen, den Israeliten, gegeben habe. 3 Jede Stätte, auf die eure Fußsohlen treten werden, habe ich euch gegeben, wie ich Mose zugesagt habe. 4 Von der Wüste bis zum Libanon und von dem großen Strom Euphrat bis an das große Meer gegen Sonnenuntergang, das ganze Land der Hetiter, soll euer Gebiet sein. 5 Es soll dir niemand widerstehen dein Leben lang. Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen noch von dir weichen. 6 Sei getrost und unverzagt; denn du sollst diesem Volk das Land austeilen, das ich ihnen zum Erbe geben will, wie ich ihren Vätern geschworen habe. 7 Sei nur getrost und ganz unverzagt, daß du hältst und tust in allen Dingen nach dem Gesetz, das dir Mose, mein Knecht, geboten hat. Weiche nicht davon, weder zur Rechten noch zur Linken, damit du es recht ausrichten kannst, wohin du auch gehst. 8 Und laß das Buch dieses Gesetzes nicht von deinem Munde kommen, sondern betrachte es Tag und Nacht, daß du hältst und tust in allen Dingen nach dem, was darin geschrieben steht. Dann wird es dir auf deinen Wegen gelingen, und du wirst es recht ausrichten. 9 Siehe, ich habe dir geboten, daß du getrost und unverzagt seist. Laß dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Vorbemerkung

Der Predigttext zum Neujahrestag enthält die Jahreslosung für das Neue Jahr 2006 (Josua 1,5), den Zuspruch Gottes: „Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht“. Dieser Zuspruch, dem die theologisch bedeutsame Verheißung vom „Mitsein Gottes“ unmittelbar vorausgeht (1,5), bildet die kerygmatische Mitte der Perikope. Da in der Predigt über die Jahreslosung am Altjahrsabend (31.12.2005) der Kontext Josua 1,1-9 einbezogen wurde, erscheint sie in leicht veränderter Gestalt auch zum Neujahrstag 2006. In Providenz, meiner Gemeinde, gibt es wie in vielen anderen Gemeinden die (sinnvolle) Tradition, dass im Gottesdienst zum Altjahrsabend/Silvester über die neue Jahreslosung gepredigt wird. Dieser Gottesdienst ist zugleich auch der Gottesdienst zum Neujahrstag mit dem Gedanken, dass (nach orientalischem Verständnis) der Abend der Beginn eines neuen Tages ist. Darum gibt es am Neujahrstag in der Regel in Providenz keinen Gottesdienst, dafür aber ein festliches Neujahrskonzert.

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Liebe Gemeinde!

In der Mitte des Predigttextes zum Neujahrstag steht der Zuspruch Gottes:

Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Dieser Zuspruch steht als Jahreslosung über dem Neuen Jahr 2006. Einst, vor etwa drei Tausend Jahren, galt der Zuspruch Josua, einem Ephraimiter (Josua 24,30). Als Mose starb, sollte er als sein Nachfolger das Volk Israel über den Jordan ins „Gelobte Land“ führen. Wir können uns vorstellen, wie wenig Josua sich diesem Auftrag gewachsen fühlte, die Rolle des Mose, seines großen Vorbildes, zu übernehmen. Wie wir aus dem Predigttext erfahren, hatte er auch die Aufgabe, das Land an die einzelnen Volksstämme zuzuteilen – was für eine politische Verantwortung – und das Volk anzuhalten, auf die Gebote Gottes zu achten – was für eine pastorale/ethische Verantwortung.

Gott sprach zu Josua: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Gott spricht dem verzagten Josua Mut zu, indem er ihm versichert, ihn nicht im Stich zu lassen (so heißt es wörtlich im hebräischen Urtext). Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein (Josua 1,5). Und Gott erinnert ihn an die Gebote, die in den „Zehn Geboten“ zusammengefasst sind. Es sind gute Weisungen zum Leben, die ihm helfen, seinen Auftrag zu erfüllen und ihn stärken in der Gewissheit, dass Gott an seiner Seite ist, mit ihm geht, ihn begleitet, gerade in schwierigen Zeiten soll Josua daran denken: Gott lässt mich nicht fallen und verlässt mich nicht. Wenn mir etwas gelingt und ich Erfolg habe, darf ich mich darüber freuen. Und will mir nichts von der Hand gehen und ich mir wie von Gott und der Welt verlassen vorkomme, will mir Gott sagen: Ich lasse dich nicht im Stich, ich stütze, ich führe dich…Auch die schweren Zeiten gehören zu deinem Leben, deiner Lebensgeschichte, sie sind kein Beweis dafür, dass ich meine Hand von dir weggezogen habe und dich habe fallen lassen. Ich habe dir mein Wort gegeben, du kannst dich darauf verlassen. „Sei getrost und unverzagt“ (Josua 1,6).

Was für ein guter Zuspruch auch für unsere Wege im vor uns liegenden Neuen Jahr. Ich sehe ein Kind vor mir, das vorsichtig auf einer schmalen Mauer balanciert, links und rechts wird es von Mutter und Vater begleitet. Vorsichtig setzt das Kind Fuß vor Fuß, hält die Arme weit ausgebreitet, um das Gleichgewicht zu halten. Die Eltern sind aufmerksam, sofort bereit zuzugreifen, das Kind festzuhalten, wenn es in Gefahr gerät, herunterzufallen. Das Kind kann das riskante Gehen auf der Mauer ausprobieren. Wenn es unsicher wird, kann es nach der Hand der Eltern greifen, sich stützen oder führen lassen. Sollte das Kind herunterfallen, würden es die Eltern sofort auffangen, und es würde in die bergenden Arme des Vaters oder der Mutter fallen. Das Kind weiß: Meine Mutter, mein Vater, lassen mich nicht fallen, sie sind an meiner Seite und verlassen mich nicht, lassen mich nicht im Stich, sie nehmen mich an die Hand, wenn ich sie brauche.

Dieses Eltern-Kind-/Kind-Eltern-Bild kann unsere Gottesbeziehung veranschaulichen. Wir möchten aber vielleicht gleich einwenden: Die Risiken auf meinem Lebensweg haben mich doch schon tief fallen lassen, ich bin abgestürzt, wie ungesichert und hart bin ich aufgeschlagen, habe mich verletzt und Wunden davongetragen. Wer weiß, was mich außerdem noch so zum Stolpern bringt, dass ich sogar am Boden liegen bleibe.

Wir können diese Bedenken nicht einfach beiseite schieben. Denn es lässt sich ja nicht leugnen, dass wir täglich in der Gefahr stehen, abzustürzen. Wir kennen wahrscheinlich alle das Gefühl, dass uns in bestimmten Lebenssituationen der Boden gleichsam unter den Füßen weggezogen wird und wir wie ins Bodenlose fallen. Da verliert jemand plötzlich seinen Arbeitsplatz, der ihm bisher eine Sicherheit und Unabhängigkeit gab, auf einmal droht der soziale Abstieg, das Schwinden des Selbstbewusstseins und der Selbstachtung. Diejenigen, die eine Arbeitsstelle haben, können heute nicht mehr sicher sein, ob sie diese morgen noch haben. Wir wünschen uns gegenseitig Gesundheit im Neuen Jahr, weil wir wissen, welch unbezahlbares hohes Gut sie ist und wie hilflos wir sind, wenn uns eine Krankheit gleichsam anfällt und überfällt. Von einem Menschen, der uns nahe stand, fallen gelassen zu werden, tut sehr weh. Wie schmerzlich, wenn Menschen aus Enttäuschung einander aufgeben; soll auf einmal alles nicht mehr gelten, was sie verbunden hatte? Und wie ist es mit dem „Sündenfall“, wenn ein Mensch in Schuld fällt – wer fängt ihn auf? Ist das Leben nicht voller „Fallen“ und „Fallstricke“?

Gott spricht: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

So steht es in der Bibel. Wieder sehe ich das balancierende Kind vor meinen Augen. Haben nicht auch die Eltern ihr Kind spüren lassen, dass sie es beschützen, und haben sie außerdem nicht zu ihrem Kind gesagt: Sei vorsichtig, schaue genau hin, wo du gehst. Zur Achtsamkeit, die Gott uns und wir einander schenken, gehört also, dass wir uns auch selbst in Acht nehmen, bedenken, was wir sagen und tun und Weisungen wie die Zehn Gebote, die unserem Leben Sinn geben, annehmen. Sie gehören zu der Hand, die mich sicher hält und leitet, zu dem Geländer, an dem ich mich festhalten kann, damit ich gut gehen kann und nicht vom Weg abkommen oder gar abstürze. Gott legte es Josua ans Herz, „Tag und Nacht“ die Worte der Bibel gleichsam nach-, in sich hineinzusprechen, sie zu betrachten, zu meditieren – „dann wird es dir gelingen, und du wirst es recht ausrichten“ (Josua 1,8).

Mehr als drei Tausend Jahre sind seit Josua vergangen, Gott sei Dank blieb bis heute bewahrt, was auch uns wie damals Josua in überraschenden, überfallartigen und bedrückenden Lebenssituationen helfen kann: das Vertrauen, dass uns Gott nicht im Stich lässt und sich nicht von uns abwendet, dass Gott wie ein Vater sorgt (das möge uns hier an den Namen dieser Kirche erinnern: Providenz – Gott wird sorgen) und dass Gott wie eine Mutter tröstet, mit uns geht und uns den Rücken stärkt. Wir müssen uns die Zuwendung dieses Gottes Josuas nicht verdienen, ebenso wenig, wie wir uns die Liebe unserer Eltern verdienen müssen.

Wie treffend umschreibt der Name Josua die Art und Weise der Beziehung Gottes zu seinem Volk, seiner Familie, den einzelnen Menschen, der hebräische Name Jehoschua´ bedeutet: GOTT IST HILFE, Gott hilft, gibt dich nicht auf, lässt dich nicht fallen und verlässt dich nicht. Was für ein hoffnungsvoller Name, die Erinnerung daran wird uns gut tun auf den Wegen durch das Neue Jahr.

Etwa ein Tausend Jahre nach Josua, dem Ephraimiter, bekam der entsprechende/gleiche Name nocheinmal einen besonderen Klang – als „Name, der über alle Namen ist“ (Philipper 2,9), Jehoschua´ / Josua von Nazareth; der uns vertraute lateinische Name Jesus lässt die Übereinstimmung mit dem Namen des Mose-Nachfolgers nicht sofort erkennen, doch lautete der ursprüngliche hebräische (bzw. aramäische) Name unzweifelhaft: Jehoschua´ (bzw. Jeschua´) GOTT IST HILFE. Nachdem sich Gott vorzeiten vielfach und auf vielerlei Weise, besonders aber durch seine Boten (Prophetinnen und Propheten) ins Gespräch brachte und für die Menschen erfahrbar wurde (Hebräer 1,1), hat es ihm gefallen, einen Namen besonders hervorzuheben und durch den einzigartigen Namensträger zu bekräftigen (Philipper 2,9), was uns Menschen wirklich trägt, der Zuspruch des helfenden Gottes und dass wir uns davon in unserem Leben bestimmen lassen: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht. Wenn ich mich zuweilen in einem aufreibenden Geschehen von Gott verlassen fühle und ein Stoßseufzer mir näher liegt – hat nicht auch jener Jehoschua´ einmal gerufen: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? (Psalm 22,2/Matthäus 27,46) –, soll mir die Erinnerung an jenen Zuspruch neue Kraft geben und helfen.

Gott spricht (auch) zu mir: Ich lasse dich nicht fallen und verlasse dich nicht.

Welch ein Trost, welch eine Ermutigung für unsere noch unbekannten Wege im begonnenen Neuen Jahr.

Amen.

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